Mittwoch, 19. November 2025

Brandmauer gegen Billigware: Europa schottet sich ab

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Mit guten Zöllen schottet sich die EU vor ausländischen Waren ab. Eine Sonderabgabe an der Grenze soll in Zukunft weitere Milliarden aus den Taschen der Bürger in die der Kommission umleiten.


Der Führer der deutschen Sozialdemokraten beging nicht den Fehler, den sein Vizekanzlervorgänger damals in Katar gemacht hatte. Statt wie Robert Habeck vor dem Antidemokraten auf die zu fallen, ein Bückling für den Scheich, der Deutschland und damit auch die Ampel zu retten auserkoren war, blieb Klingbeil aufrecht. Der chinesische Sozialist, der seinem deutschen Genossen die Gnade eines Empfangs gewährt hatte, die dem Christdemokraten Johann Wadephul zuvor noch verweigert worden war, schluckte schwer.

Fair nach deutschen Maßstäben 

Keine Unterwerfungsgeste. Klingbeil forderte vielmehr ultimativ fairen Zugang zu Chinas Kostbarkeiten. Das Reich der Mitte sei von Deutschland aus gesehen "Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale". Klingbeil bestand deshalb darauf, dass es einen "verlässlichen Zugang zu kritischen Rohstoffen für deutsche Unternehmen" gewähren müsse. Es brauche gegenseitigen Zugang zu den Märkten, für einen fairen wirtschaftlichen Wettbewerb, so Deutschlands führender Sozialdemokrat. Diese Position sie innerhalb der Bundesregierung und auch innerhalb der Europäischen Union eng abgestimmt.

So eng, dass am gleichen Tag, in dem Lars Kleinbeil den Kommunisten in Peking sein Ultimatum vortrug, diplomatisch verpackt in ein Dialogangebot, aus Brüssel neue Maßnahmen bekanntgegeben wurden. Die Gemeinschaft, bedrängt von allen Seiten und im globalen Wettbewerb nur noch ein Kostgänger anderer Wirtschaftsräume, will künftig auch importierte Pfennigartikel mit Zöllen und zusätzlichen Abgaben belegen. 

Mit den hohen Zusatzaufschlägen - gedacht sind zum Teil an Beträge von 100 bis 500 Prozent - es soll der Bürgerinnen und Bürgern abgewöhnt werden, sich bei bestimmten Artikeln am liebsten bei Online-Händler wie Shein, Temu, AliExpress und Amazon zu versorgen. 

Ab den ersten Cent 

Pro forma war die sogenannte Freigrenze von zuletzt noch 22 Euro für private Import bereits vor Jahren abgeschafft worden. Gezahlt werden sollte dann ab dem ersten Cent Warenwert, selbst wenn die im Internet bestellte Uhr, die Hose oder die Handyhülle aufgrund ihres geringen Wertes weiterhin zollfrei blieb. Bis zu einem Warenwert bis 150 Euro fiel keine Einfuhrabgabe an, nur die Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) in gleicher Höhe. 

Beim Taxieren des Wertes addierte die EU die Versandkosten zum Wert der Ware, um mehr Einnahmen zu generieren. Allerdings versagten die Kontrollmechanismen: Es war schlicht unmöglich, die täglich allein in Deutschland eintreffende Anzahl von mehr als einer Million Päckchen zu öffnen, zu prüfen und zu besteuern.

Die Chinesen sollen deshalb künftig noch mehr Zollabgaben auf ihre Sendungen in die EU bezahlen - eine Idee, der auch Lars Klingbeil vor seinem Abflug nach Peking noch zustimmte. Mit dem geplanten Wegfall der 150-Euro-Freigrenze, ein Vorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft, würden dann Zölle ab dem ersten Euro auf alle Waren erhoben werden, die in die EU eingeführt werden. Fairness, wie sie Brüssel definiert: Die Zollfreigrenze, die China für sogenannte "geringwertige Waren" gewährt, liegt bei etwa 1.900 Euro.

Europa hat nichts mnehr zu bieten 

Doch China hat auch kein Problem mit Importen aus Europa, weil Europa ein Problem damit hat, dass es nichts mehr zu bieten hat, das weltweit gefragt wäre. Nach Jahrzehnten unendlich scheinenden Exportwachstums liegt der Wert der Warenausfuhren aus der EU heute unter dem von 2022. 

Das Drama hat nichts mit Trumps Zöllen zu tun, nichts mit China Weigerung, dem "Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen" in Europa ausreichend mit "industriewichtigen Metalle aus der Gruppe der Seltenen Erden" (Die Zeit) zu versorgen, die "zum Beispiel in der Hightech- und Rüstungsbranche benötigt" werden. Zwei Industriezweigen, die auch Deutschland erst vor wenigen Tagen und Wochen als doch recht wichtig entdeckt hat.

Europas neue Brandmauer gegen Billigimporte ist ein Akt der Verzweiflung. Die EU wurde einst als harmlose Zollunion gegründet, über die Jahre aber wuchs sie heran zu einem "Monster" (Die Welt), das  sich tief und immer tiefer in jeden Lebensbereich drängt. Gegen die Richtlinien, Verordnungen und Vorschriften, die der zehntausendköpfige Beamtenapparat Tag für Tag produziert, ist kein Kraut gewachsen. 

Der Superstaat der Apparatschiks 

Je offenkundiger alle bürokratischen Anweisungen versagen, desto mehr werden hergestellt. Und je unübersehbarer es wird, dass ein von Apparatschiks geführter Superstaat viel zu behäbig, zu langsam und zu übergriffig ist, um international konkurrieren zu können, desto unverfrorener richten sich die "Maßnahmen" - ein Lieblingswort der Kommissare - gegen die, die sich nicht wehren können: Die eigenen Bürger.

Mit dem von der Bundesregierung unterstützen Vorstoß gegen die beliebten Shoppingportale werden günstige Waren teurer, sehr günstige mehr als weniger preiswerte. Das trifft besonders die Armen und Armutsbedrohten, die nicht wie der Bionadeadel in den gutbürgerlichen Beamtenvierteln in der Lage ist, bei Ausflügen nach Mailand, Paris und New York Markenware zu shoppen

Abschaffung von Billigangeboten 

Das Shein- und Temu-Publikum ist oft darauf angewiesen, sich und den eigenen Kindern etwa zu Weihnachten eine Freude mit billig nachgeahmten Artikeln zu machen.  Die Abschaffung der Zollfreigrenze ist ein klares und von der deutschen Sozialdemokratie mitgetragenes Signal der EU dafür, dass ihr diese Bevölkerungsschichten gleichgültig sind.

In Brüssel wie im Willy-Brandt-Haus ist bekannt: Diese Leute haben keine Lobby. Sie haben keinen Zugang zu Medien. Ihr Protest wird in den Echokammern der sozialen Netzwerke verhallen, denn kein anständiges deutsches Leitmedium wird widersprechen, wenn zum Kampf gegen "Wettbewerbsverzerrung und Betrug" gerufen wird.

Merkels Zustrom und die "Überschwemmung" 

Als Argument dient der Kommission eine vermeintliche "Überschwemmung der europäischen Märkte mit großen Mengen billiger Importwaren aus Drittländern - insbesondere aus Asien". Der Begriff "Überschwemmung" dockt sprachlich nicht von ungefähr an dem von rechtsextremen Kreisen so erfolgreich verwendeten Wort "Überfremdung" an, kombiniert mit dem von der damaligen Kanzlerin Angela Merkel geprägten Begriff "Zustrom" für Millionen Schutzsuchende der nächste sichere Zufluchtsort war. 

Nahegelegt werden soll eine Assoziation, die Angst heraufbeschwört, Angst vor Überfremdung, Angst vor mangelnder Sicherheit, angeblich mit Chemikalien verpesteten Waren und digitalen Handelsplattformen von einer Art, wie sie Europa in keinem einzigen Fall hervorgebracht hat.  

Erfundener "Missbrauch" 

Zur inneren Abwehr gegen Importe aus dem Ausland wird systematisch gelogen und geframt. Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz etwa beschrieb die - durch das Einkaufsverhalten von 14 Millionen deutschen Temu- und Shein-Kunden verursachten - vollkommen legalen Einfuhren als "einen systematischen Missbrauch der Zollfreiheit von 150 Euro pro Päckchen in Deutschland, durch massenhafte Sendungen vor allem aus China". 

Merz forderte, diesen "massenhaften Missbrauch der Freigrenzen" zu stoppen - obwohl in den einschlägigen Art. 23 und 24 der EU-Zollbefreiungsverordnung von 2009 (Nr. 1186/2009) alle Ausnahmetatbestände umfassend geregelt sind. Danach sind "von den Eingangsabgaben befreit Sendungen von Waren mit geringem Wert, die unmittelbar aus einem Drittland an einen Empfänger in der Gemeinschaft versandt werden".

Als Waren mit geringem Wert gelten demnach "Waren, deren Gesamtwert je Sendung 150 Euro nicht übersteigt". Nirgendwo ist die Rede davon, dass die Anzahl der von einem Absender auf den Weg geschickten Päckchen und Pakete begrenzt ist. Nirgendwo steht geschrieben, dass ab einer bestimmten Anzahl von Sendungen "aus China" (Friedrich Merz) ein "systematischer Missbrauch" vorliegt.

Der Kanzler und seine Parolen 

Der Kanzler erfindet sich eine eigene Welt, der Vizekanzler zieht mit ein und die EU-Kommission tapeziert die Bude mit den üblichen Parolen von einer "Reform für faireren Wettbewerb" und dem allein schon für das Klima notwendigen "Kampf gegen die Paketflut".

 Die besteht vor allem aus Beschwörungen: Nach Angaben des Handelsverbandes Deutschland werden täglich etwa 400.000 Pakete von Shein und Temu an deutsche Kunden verschickt - gemessen an den durchschnittlich mehr als 14 Millionen Paketen, die täglich durch Deutschland befördert werden, ist das ein Anteil von unter fünf Prozent. 

Eine erfundene "Flut" 

Auch der Umsatz der beiden Portale in Deutschland spricht weniger für eine "Flut" als für eine Nische. Temu und Shein verkauften in Deutschland im vergangenen Jahr Waren im Wert von für etwa 2,7 und 3,3 Milliarden Euro. Der gesamte deutsche Handel kam auf Umsätze von 664 Milliarden Euro, auf den Onlinehandel entfielen dabei etwa 88 Milliarden Euro. 

Temu und Shein kamen damit auf etwa 0,5 Prozent an den Einzelhandelsumsätzen und auf nicht einmal vier Prozent der Umsätze im Onlinebereich. Amazon allein kommt hierzulande auf einen Anteil von etwa 60 Prozent am Online-Handel. Der Umsatzanteil der US-Firma am gesamten deutschen Einzelhandel liegt bei mehr als sechs Prozent.

Paolo Gentinoms Überwachungstraum 

Realität aber spielt keine Rolle, wo von der Wirklichkeit überforderte Ideologen versuchen, mit Entwicklungen Schritt zu halten, die sie weder verstehen noch wegregulieren können. Vor fünf Jahren schon hatte der damals  als EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung und Kommissar für Steuern und Zollunion in Amtsunion eingesetzte Italiener Paolo Gentiloni eine "Modernisierung des Zollwesens" vorgeschlagen, um mehr Daten von mehr Bürgern zu erfassen, die den europäischen Behörden beim Kampf gegen den zunehmenden Online-Handel helfen sollten. 

Gentiloni, mittlerweile abgesägt und verabschiedet, plante dazu eine Pflicht für alle Zahlungsdienstleister und Online-Händler, den Behörden Zugriff auf ihre Abrechnungsdaten zu gewähren. Sie sollten die bei ihnen anfallenden Daten an die Zollbehörden der EU-Staaten weitergeben, damitdiese "durch eine verstärkte Nutzung von Datenanalysen" für einen "besseren Schutz vor Betrug und gefälschten Markenprodukten" sorgen können. Eine Vision, 2020 entstanden - Temu war noch nicht einmal gegründet. Kein Mensch in Deutschland hätte sagen könne, wie sich "Shein" korrekt ausspricht.  

Ungerührte Sozialpolitiker

Die Lage ändert sich, die Bemühungen der EU, sich abzuschotten, sie bleiben. Dass günstige Produkte teurer werden, stört weder Brüssel noch Berlin. Dass das vor allem die trifft, die vom früheren EZB-Chef Mario Draghi in seinem Drahgi-Bericht über den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der EU als die bezichnet worden waren, die ohnehin schon mit deutlichen Wohlstandsverlusten für die zahllosen Fehler der EU zahlten, rührt nicht einmal die engagierten Sozialpolitiker der Linken. 

Selbst die Grünen-Politikerin Ramona Pop, nach einem Streit um ihre Karrierepläne als Chefin zum Verbraucherzentrale Bundesverbandes gewechselt, nennt die Bestrafung von Millionen Kunden durch die Abschaffung der Zollfreigrenze "einen ersten Baustein, um die Paketflut einzudämmen".

Zehn Milliarden im Visier 

Mit dem Inkrafttreten der neuen Regelung - in gewohnter EU-Geschindigkeit auf 2028 terminiert - wird dann auch Paolo Gentilonis digitale Plattform zur Abwicklung und Kontrolle an den Start gehen. Zudem erwägt die EU-Kommission wegen der Vorgabe im EU-Zollrecht, dass fällige Einfuhrumsatzsteuerbeträge von unter einem Euro nicht eingezogen werden, die Schaffung einer zusätzlichen neuen Pauschalabgabe von bis zu zwei Euro. Die würde für jedes ankommende Paket aus  Drittstaaten erhoben. 

Bei 4,6 Milliarden Paketsendungen, die Jahr für Jahr in der EU eintreffen, verspricht das immerhin fast zehn Milliarden zusätzlichen Euro, die sich den Bürgern aus der Tasche ziehen lassen und in die Schatulle der Kommission umgeleitet werden können.

 


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