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| Der letzte FDP-Vorsitzende, den Bürgerinnen und Bürger noch mit Namen kannten. |
Das Jahr 2025 war nicht nur ein Jahr der Unsicherheit, der Neuordnung der Meinungslandschaft und der Aufkündigung alter Freundschaften. Es war auch ein Jahr der alteingesessenen Parteien, die bewiesen, dass in einer Demokratie nicht alle Stimmen gleich viel wiegen. Um die Handlungsfähigkeit des Staates in einer Zeit multipler Herausforderungen zu sichern, haben die Parteien wichtige Schritte unternommen, um ihre Position als Herz, Kopf und Gesicht der Demokratie zu festigen.
Eine Brandmauer stärkt die innere Stabilität. Neue Allianzen über die alten ideologischen Gräben hinweg haben Vertrauen zurückgewonnen. Neue Leute reagieren mit bewährten Maßnahmen auf Veränderungen, die sie oft selbst nicht verstehen. Lager sind zerfallen. Wer eben noch Mitte war, ist heute schon rechts. Die gewachsene Bedeutung der Parteien hat die traditionelle Demokratie umgestaltet zur modernen Parteiendemokratie.
Die liefert Democracy at its best. Parteienzentralen sind heute das Rückgrat des Systems, doch wie der Blick ins zurückliegende Jahr zeigt: Zu ihrem Besten ist das nicht.
Der Tod trat früh ein, aber das Leben ging lange, lange weiter. Als Hans-Dietrich Genscher vor 40 Jahren das Amt des Parteivorsitzenden der FDP abgegeben hatte, versuchten sich einige talentierte Erben daran, die Scharnierpartei der alten Bundesrepublik im Spiel zu halten. Möllemann ging es an, danach Westerwelle. Und schließlich folgte mit Christian Lindner ein smarter, vom größten Teil der Wählerschaft scharf beargwöhnter Politiker. Lindner stand für klare Prinzipien, die je nach Lage an die Wirklichkeit angepasst wurden.
Ein großes, gelbes Verschwinden
Lindner rettete die FDP im Alleingang vor dem Verschwinden in einer politischen Landschaft, in der sich mit den Grünen eine neue Kraft etabliert hatte, die bereit war, sowohl mit SPD und als auch mit der Union zu paktieren. Hauptsache regieren, diese Prämisse, die der FPD schon immer mehr Macht gegeben hatte als ihren Stimmanteilen nach angemessen gewesen wäre, verhalf nun der ehemaligen Alternative für Deutschland zu großer Beliebtheit.
Wie die Liberalen unter Westerwelle schielten die Baerbock- und Habeck-Grünen auf eine Zukunft als Volkspartei. Lindners FDP wurde in der Ampel benötigt, aber gebraucht wurde die nicht. Für den schönen Fantasietitel "Vizekanzler" gab Lindner alles auf, wofür seine Partei gewählt worden war. Und unter den wenigen bekannten Altvorderen der Gelben war niemand da, der wie Hans-Dietrich Genscher in der Lage oder willens gewesen wäre, in die erste Reihe zurückzukehren, "wenn aber die Unabhängigkeit und die Identität der Liberalen auf dem Spiel steht" (Genscher).
Die Einmann-Veranstaltung
Die FDP war in der letzten Phase ihrer wahrnehmbaren Existenz eine Einmann-Veranstaltung. Neben Lindner agierten blasse Gestalten wie Marco Buschmann, Bettina Stark-Watzinger, Christian Dürr und Volker Wissing, als politische Charakterköpfe ähnlich geeignet wie ihr Kabinettschef Olaf Scholz. Uneins waren sie zudem, aneinandergekettet nur durch die Furcht vor dem Verlust der beruflichen Existenz.
Die "liberale Standortbestimmung", die Genscher 40 Jahre zuvor mit dem Aufruf verknüpft hatte, "das Land nicht rot-grüner Verweigerung und rot-grünem Kulturpessimismus auszuliefern", war vergessen. Neben SPD und Grünen spielten die Liberalen die Rolle des duldenden Dritten, beseelt von einer bizarren Logik: Die Koalition musste halten, damit umgesetzt werden konnte, was in dieser Koalition für jedermann absehbar nicht umsetzbar war.
Uneins über Freiheit
Mitgefangen, mitgehangen. Es war längst zu spät, als Lindner versuchte, das Ruder herumzureißen. Jahrelang hatte der Alleinherrscher dem Niedergang seiner Partei mit großer Kaltblütigkeit zugeschaut. Er ließ den Ruf der Wirtschaftspartei vor die Hunde gehen. Er schaute zu, wie die "Bürgerrechtspartei" beerdigt wurde. Und er ließ alle die verzweifeln, die gemeint hatten, wenigstens diese eine kleine politische Kraft sehe es noch als ihre Aufgabe an, "dem totalen Versorgungsstaat, dem Steuer- und Beitragsmoloch, der Fremdbestimmung durch Funktionäre, der Hydra der Bürokratie, dem Subventionsrausch und der Datenerfassungsgier mutig den Kampf anzusagen", wie Hans-Dietrich Genscher 1985 formuliert hatte. Dass Gleichheit nicht zu Lasten von Freiheit durchgesetzt werden darf, war in der FDP weiter Konsens. Uneinig waren sich die Funktionäre nur darüber, was Freiheit bedeutet.
Die Agonietage der Ampel
Es dauerte bis in die Agonietage der Ampel, ehe Lindner versuchte, die Fesseln des Sozialstaatsfundamentalismus abzuschütteln. Angesichts der "Wachstumsschwäche in Deutschland", eine fantasievolle Umschreibung zweier langer Jahre Rezession, sollte ein 18-seitiges Papier für eine "Wirtschaftswende" sorgen. Die FDP forderte darin unter anderem die volle Abschaffung des Solidaritätszuschlags, ein Ende des "deutschen Sonderweges beim Klimaschutz", Verschärfungen bei Sozialleistungen und eine Rückkehr zur "Marktwirtschaft als Treiber der Erneuerung".
Doch diesmal stand die deutsche Gesellschaft nicht "am Beginn einer neuen Epoche, die eine liberale, also unsere, sein wird", wie sich Genscher Mitte der 80er sicher gewesen war, als "Wohlfahrts- und Verteilungsdenken den Zeitgeist lange genug geprägt" hatten und es Zeit zu sein schien für mehr frische Luft und Bewegungsfreiheit und niedrigere Steuersätze. Genscher irrte seinerzeit. Die Entlastungen kamen später, sie waren niedriger als erhofft und sie hielten nicht lange vor.
Das Richtige tun
Genschers Nachfolger Guido Westerwelle, im Gegensatz zum gebürtigen Ostdeutschen nicht verehrt, sondern meistenteils verhöhnt, hat seine Verzweiflung darüber später in einem Satz ausgedrückt: "Es gibt kein Land auf der Welt, in dem es offenbar schwerer ist, Steuern zu senken, als zu erhöhen", sagte der liberale Bundesfinanzminister. Westerwelle glaubte, es gehe "nicht darum, das Populäre zu machen, sondern das Richtige zu tun". Unter ihm erreichte die FDP bessere Wahlergebnisse als unter Genscher. Sie stürzte nach vier Jahren Regierung an der Seite Angela Merkel allerdings auch schrecklicher ab als je zuvor. Zwei von drei FDP-Wählern wandten sich ab. Den Liberalen blieb nur ein Bodensatz aus Unentwegten. 4,8 Prozent. Schlimmer war es seit 1949 nie gewesen.
Aber es wurde. Mit Christian Lindner als neuer Frontfigur katapultierte sich die FDP zweimal in die Zweistelligkeit. Einmal entschied der Parteivorsitzende, lieber nicht zu regieren, als in einer Jamaika-Koalition schlecht zu regieren. Beim zweiten Mal aber war die Versuchung doch zu groß. Obwohl mit SPD und Grünen von Anfang an klar war, wer hier Koch, wer Kellner und wer Küchenjunge sein würde, starteten die Gelben mit den Roten und den Grünen in "das eigentliche Projekt" (Karl Lauterbach).
Die Ampel auf Grün
Die Ampel sprang auf Grün für eine großangelegte Gesellschaftstransformation nach planwirtschaftlichen Vorgaben. Genschers "totaler Versorgungsstaat" sein "Steuer- und Beitragsmoloch", die allgegenwärtige "Fremdbestimmung durch Funktionäre, die Hydra der Bürokratie" und der Subventionsrausch, sie konterkarierten alles, wofür die FDP in den Wahlkampf gezogen war. Es gelang Lindner und seiner Truppe, das bisschen Vertrauenskapital, das sie in den zehn Jahren nach der Nahtod-Erfahrung bei der Bundestagswahl 2013 aufgebaut hatten, in nur 24 Monaten komplett zu vernichten.
Zum Schluss brach auch intern alles auseinander. Die Minister folgten ihrem Parteivorsitzenden nicht mehr oder nur unter Gequengel. Die FDP, im Unterschied zu den Grünen keine Partei, die jemals geliebt worden war, zerfiel vor aller Augen. Lindner schmiss nach dem Wahldebakel hin. Seine Partei verlor alle Bundestagssitze. Mit Christian Dürr übernahm ein Nachfolger, dessen Charisma sich zu dem Lindners verhält wie Lindners zu Westerwelle oder - drüben bei den Grünen - Dröges zu Habeck.
Unsichtbarkeit als Aggregatzustand
Der Name ist Programm, die Unsichtbarkeit Aggregatzustand. Selten nur gelingt es dem Chef der 4,3-Prozent-Partei, in ein Talkshow-Studio geladen zu werden. Gäbe es nicht den kantigen Wolfgang Kubicki, wäre die EU-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann das bekannteste Parteimitglied. Noch schwerer scheint es, mit einem Programm, das auf "Digitalisierung und Bürokratieabbau" setzt, Schlagzeilen zu machen und Aufsehen zu erregen. Dass jetzt die "Zeit für echte Reformen" gekommen ist, wie die Partei ihr neues Grundsatzprogramm überschrieben hat, wissen viele Menschen landauf, landab seit drei, vier Jahren. Aber gelernt haben sie eben auch, dass von der FDP diesbezüglich nichts zu erwarten ist.
Es ist, vielleicht, schon das Ende einer Partei, die vor einem Jahrzehnt noch jede Chance gehabt hätte, den Platz einzunehmen, den heute die AfD okkupiert hat. Damals, direkt nach der großen "amerikanischen" (Peer Steinbrück) Finanzkrise, verpassten die Blauen wie die Gelben bei der Bundestagswahl knapp den Einzug ins Parlament. Der Unterschied lag bei 0,1 Prozent der Stimmen. So viele Wähler konnte die FDP mehr überzeugen.
In verschiedene Richtungen
Vom gleichen Startniveau aber ging es in verschiedene Himmelsrichtungen weiter: Die AfD ruckte nach rechts, auf der Suche nach dem größtmöglichen Abstand zum Weiterso. Und das beförderte sie nach oben. Die FDP nach hingegen zog es nach links, dem vermeintlichen Zeitgeist hinterher, der sie schließlich mit Haut und Haaren fraß.
Ihr letztes Aufgebot versucht es nun mit Rebellion. "Die Menschen haben es satt, dass es in wolkigen Worten nur ein Weiter so gibt", hat Christian Dürr der FAZ eine für seine Partei offenbar grundlegend neue Erkenntnis mitgeteilt. Mit diesem Wissen wollen die Freien Demokraten in Zukunft Politik machen: "Wir wollen die Partei sein, die für radikale Veränderungen in Deutschland steht."
Bei allem, was man der FDP vorwerfen kann. Sie wird vermutlich nicht einmal fehlen.


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