Donnerstag, 3. Juni 2010

Auf der Straße der Gewalt

Eines der letzten Abenteuer, das ein Mann allein heute noch erleben kann, ist ein Trail auf der Straße der Gewalt, die sich von Rostock-Lichtenhagen bis zum städtischen Freibad der sächsischen Kunstblumenmetropole Sebnitz zieht. Überall frisches Grün und altes Braun, Kopftuchmütterchen schämen sich still für Enkel ohne Haare, gelegentlich kommt ein "Spiegel"-Reporter vorbei, um nach den Rechten zu sehen, das aber natürlich nur in Gedanken. Die Gefahr wäre zu groß.

Der Berlinpankowblogger hingegen ist unerschrocken eingestiegen in den quer zur Straße der Gewalt verkehrenden Zug Magdeburg-Berlin. Eine Stunde und 35 Minuten Fahrtzeit hatte die Bahn versprochen und keinerlei Unterhaltungsprogramm. Doch kam alles anders: Die Bahn wat nicht pünktlich. Und die Fahrt führt durch Brandenburg. „Wir haben derzeit 20 Minuten Verspätung“, heißt es zwischen Magdeburg und Berlin. Nach 20 Minuten reiner Fahrtzeit. „Der Grund ist ein tätlicher Angriff auf unsere Kundenbetreuer und der damit verbundene erforderliche Polizeieinsatz.“ Tätlicher Angriff? Früh um 7 Uhr?

Normale Sache wohl, folgert der mit allen Schmierölen gewaschene Reporter. Die Straße der Gewalt ist nichts für Weicheier, hier heißt es abgebrüht tun und keinen Schlag schuldig bleiben. Aus den halboffenen Fenstern kann nicht geschossen werden, weil sich kein klares Ziel bietet. Doch die Wartegemeinschaft auf dem weg in die Metropole hält zusammen: Keiner der Fahrgäste muckt auf, keiner murrt. Nicht eine Beschwerde. "Nicht zu fassen", denkt der Berlinpankowblogger, als der Zug schon wieder anhält. Auf freier Strecke. Ein Angriff? Auf den Schaffner? Oder hat es diesmal den Lokführer erwischt? Wir werden es nicht erfahren, denn die Bahn hüllt sich in Schweigen. Kurze Zeit später dann doch noch eine Meldung. „Wegen der Verspätung wechselt der Zug in Brandenburg seinen Takt und fährt nicht nach Eisenhüttenstadt, sondern nach Frankfurt/Oder weiter. Wir bitten dies zu entschuldigen.“ Unser Zug fällt also ganz aus und ist ab sofort ein anderer. 

Soetwas erlebt niemand im Alptraum. Es wäre viel zu kompliziert. Hier aber geht es weiter, ein Stück. Kurz hinter Brandenburg bremst der Zug ab, wir fahren etwa fünf Minuten mit zehn Stundenkilometer durch die Botanik. Der zweite Juni 2010 in Brandenburg ist nasskalt und grau. So fügt sich der Monatsanfang perfekt in die Gegend, ergänzt die an der Strecke liegenden Orte und Bahnhöfe in einer fast beängstigenden Symbiose. Nicht einmal die gefürchteten Glatzen-Kommandos haben sich hinausgewagt in die schon vor Jahren national-befreiten Zonen, nach denen Qualitätsmagazine wie "Focus" und "Stern" seinerzeit nicht mal ernsthaft gesucht haben, weil er ehemaligen regierungssprecher, der sie auch nicht gesucht hatte, versicherte, jaja, sie seien auf jeden fall da.

Die meisten Bahnhöfe an der Strecke sind Haltestellen. „Der hält ja an jeder Milchkanne“, hat man in tiefsten Ostzeiten gesagt, wenn der Personenzug eben an jeder dieser Orte hielt. Das ist heute nicht anders. Nur sehen jene Haltestellen noch etwas vergammelter aus.

Zwei Bahnsteige links und rechts der Gleise. Zwei Wartehäuschen aus Vorkriegszeiten, ein Ortsschild. Götz. Oder Groß Kreutz. Glücklich, wer da nicht aussteigen muss. Da, wo es noch Bahnhöfe gibt, will man auch nicht aussteigen müssen. Zugemauerte Ruinenfenster erinnern an Halles Altstadt 1973. Oder an Erfurt vor der Wende. „Anti FCM“ steht da in großen Lettern.  Und Fuck und Hartz sieben. Manches Mauerwerk hat sich die Natur zurück geholt. Da sieht es schön aus.

2 Kommentare:

nwr hat gesagt…

Erinnert an das hier:
"Also diese Typen gehen ja wohl gar nicht! Das ist doch alles Cottbus! Genschrott aus dem Brandenburger Hinterwald."
http://www.welt.de/satire/article724764/der_Faschismus.html

Oder an das:
Rainald Grebe - Brandenburg
http://www.youtube.com/watch?v=uellmynA34U

ppq hat gesagt…

das brandenburg-liedchen hat der pankowblogger bei sich auch dazu verlinkt ;-)