Donnerstag, 28. November 2013

Geheimnisvoller Hauptausschuss: Endlager für offene Fragen

Es gibt ihn nicht, es hat ihn nie gegeben, er ist im Grundgesetz nicht vorgesehen und dennoch ist er nun da: Unbemerkt von der Bevölkerung hat sich der Bundestag im zweiten Monat der parlamentarischen Agonie ein Notstandsparlament namens „Hauptausschuss“ gegeben, das weder die Väter des Grundgesetzes vorgesehen noch die Wähler gewählt haben. Bei Radio Utopie wird die ganze Geschichte einer bizarren Erfindung zur Vermeidung von Verantwortungsübernahme durch die gewählten Volksvertreter erzählt.

In Kurzfassung aber spricht schon das höchst amüsante Protokoll der Parlamentssitzung vom 18. November Bände über den parlamentarischen Betrieb unter den Ausnahmebedingungen einer rot-rot-rot-grünen großen Koalition: Weil das Hohe Haus vor Abschluss des Koalitionsvertrages zwischen CDU und SPD keine Ausschüsse wählen will, obwohl es von der Verfassung gefordert ist, das zu tun – man weiß ja nicht, wie die Posten darin verteilt werden müssen, so lange die Koaltion nicht steht – schiebt der Bundestag gestellte Anträge einfach in jenen „Hauptausschuss“.

Den es allerdings bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gegeben hat, weil die Verfassung ihn nicht vorsieht. Und den es auch zu dem Zeitpunkt noch nicht gibt, in dem der Bundestag Anträge in ihn verweist.

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache.

Wir kommen jetzt zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/56 sowie zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/65. Die Fraktion Die Linke sowie die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen wünschen jeweils Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen jeweils Überweisung an den geplanten Hauptausschuss.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den es noch gar nicht gibt! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Ausschuss?)

Wir haben uns im Bundestag schon häufiger mit einer vergleichbaren Fragestellung beschäftigt. Nach einer vom Plenum bestätigten Auslegung der Geschäftsordnung kann die antragstellende Fraktion der Überweisung eines Entschließungsantrages bei vereinbarten Debatten nicht gemäß § 88 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung widersprechen. Daher stimmen wir nach ständiger Übung über Anträge auf Ausschussüberweisung zuerst ab.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch überhaupt keinen Ausschuss! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welche Ausschüsse denn?)


Dazu hat die Kollegin Haßelmann das Wort zur Geschäftsordnung erbeten. – Frau Kollegin Haßelmann.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wir möchten uns in der Tat gemäß § 29 der Geschäftsordnung gegen das vorgeschlagene Verfahren aussprechen. Zu Recht kam ja aus meiner Fraktion gerade schon der Zwischenruf: „In welche Ausschüsse denn?“

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Damen und Herren, es ist völlig klar: Der Bundestag hat sich bis zum heutigen Tag keinen Ausschuss gegeben. Bis kurz vor der Sitzung waren CDU/CSU und SPD ja noch nicht einmal einig, an welchen Ausschuss – in Klammern: den es gar nicht gibt – das Ganze überwiesen werden soll.

(Günter Krings [CDU/CSU]: Ja, eben! Das ist doch konsequent!)

Auf der einen Seite war auf der Arbeitsebene zu hören: an den Innenausschuss. Auch der, meine Damen und Herren, ist noch nicht eingerichtet. Auf der anderen Seite war zu hören: an den Hauptausschuss. Auch den gibt es noch nicht.

Aber jetzt.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…




Wie wäre es wenn man dem Hauptausschuss den wunderbaren Namen „Wohlfahrtsausschuss“ geben würde. Hört sich das nicht gigantisch an? Was keiner der Abgeordneten weiß: Es gibt sogar ein historisches Vorbild. Zitat aus Wikipedia: „Nachdem die weniger radikalen Girondisten Mitte 1793 beseitigt worden waren, gelang es den Führern der Jakobiner (Robespierre, Danton [der sich bereits unter den ersten Mitgliedern des Ausschusses befunden hatte und an dessen Stelle Robespierre am 27. Juli 1793 eingetreten war] und Louis Antoine de Saint-Just), den Ausschuss unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie bauten den Wohlfahrtsausschuss bis Ende 1793 zur zentralen Schaltstelle der Macht um. Am 10. Oktober erhielt das Gremium unbeschränkte Vollmachten zugebilligt. Vor allem unter dem Einfluss Robespierres wurde der Wohlfahrtsausschuss, ausgestattet mit diktatorischen Vollmachten, zum Organ der jakobinischen Schreckensherrschaft. Die Terrormaßnahmen durch den Wohlfahrtsausschuss und das Revolutionstribunal führten letztlich zu Sturz und Hinrichtung Robespierres und seiner Anhänger am 27. / 28. Juli 1794 (9. Thermidor II).“
Gut, mir gefällt besonders das Ende Robespierres. Aber „Wohlfahrtsausschuss“– wem als kleiner schmutziger Nichtskönner, Sozialwirt oder Popbauftragten dieser Name nicht auf der Zunge zergeht.

Geier hat gesagt…

Man hätte das Ding ja auch »Zentralkomitee« nennen können. Aber ich habe den Verdacht, daran hättet Ihr auch wieder was zu meckern gehabt. Stimmts?

Anonym hat gesagt…

@ Geier: Oder "Kongregation für die Glaubenslehre" - was bin ich heute wieder für ein Schelm.

Friederich hat gesagt…

Ich werfe mal »Präsidium des Obersten Sowjets« und »Provisorischer Rat der Volkskomissare« in die Runde.

Anonym hat gesagt…

weil die Verfassung ihn nicht vorsieht

wir haben eine Verfassung?toll! wußte ich noch garnicht.