Sonntag, 12. Oktober 2008

Blasen mit Bill

Josef Joffe von der "Zeit", der neulich herausgefunden hat, dass 2048 die letzte Zeitung in die Briefkästen gesteckt werden wird, liest bis dahin offenbar schonmal PPQ und schließt sich in seinen Texten dann gelegentlich den unseren an. So hat auch er jetzt mit zwei Tagen Verspätung die Ursachen für die große, gräßliche Finanzkrise gefunden: Bill Clinton und sein Entschluss, auch den ärmsten Amerikanern zu Wohneigentum zu verhelfen, selbst wenn die es gar nicht bezahlen können:

Gier – neutraler: Gewinnstreben – ist so alt wie die Menschheit, folglich kann sie nicht erklären, warum diese Blase so maßlos angeschwollen und umso lauter zerplatzt ist. Dass dabei so manche quasistaatliche Bank in Deutschland in den Strudel geriet, zeigt, dass Gier nicht nur privates Laster ist. Aber das ist nur eine hübsche Pointe. Entscheidend ist der Staat als Schrittmacher, ja als Anstifter.

Am Anfang der Tragödie stand im Lande des »Raubtierkapitalismus« die staatlich verordnete Aufblähung der Nachfrage nach Wohneigentum im Namen dessen, was in Deutschland »soziale Gerechtigkeit«, in Amerika »a nation of homeowners« genannt wird. Zwischen 1997 und 2005, rechnet Ökonomie-Professor Russell Roberts vor, habe sich der Durchschnittspreis eines Hauses mehr als verdoppelt. Und warum?

Weil der Staat von 1992 an die öffentlich abgesicherten Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac dazu »ermunterte«, immer mehr Hypotheken für die Ärmeren zu finanzieren; bis 2005 stieg die Quote auf 52 Prozent! Bis dato hatten Freddie und Fannie Aberhunderte von Milliarden abgesichert, darunter, wie vorauszusehen war, allzu viele Hypotheken von Schuldnern ohne Bonität (»subprime«), die nicht mehr als zehn Prozent des Kaufpreises hinblättern mussten. Jimmy Carters Community Reinvestment Act von 1997 tat Gleiches den normalen Banken an: mehr Darlehen für »Schlechtergestellte«, also Risikoschuldner. Das war »sozialer Wohnungsbau«, der die Staatskasse nicht belastete – Gerechtigkeit »für lau«. Dritter wohlgemeinter Zockerfaktor: Um Wohneigentum zu fördern, haftet ein US-Schuldner nur mit dem Häuschen, nicht mit dem Gesamtvermögen. Das fördert nicht Umsicht, sondern Leichtsinn.

Schließlich bedurfte es noch einer weiteren staatlichen Wohltat, um die Zockerei überhaupt zu ermöglichen: billiges Geld. 2002 senkte die Zentralbank die (Interbank-)Zinsen (Federal Funds Rate) auf zwei Prozent und 2003 auf ein 40-Jahres-Tief von 1,25 Prozent. Der Roulette-Tisch war gedeckt, faites vos jeux. Die Häuserpreise stiegen und stiegen, also fiel und fiel die Pleite-Gefahr, also schossen die Einsätze (Hypotheken an Risiko-Kunden) in die Höhe. Und jeder sahnte gern ab, von Lehman bis zu den Landesbanken.

Die wirkliche Moral von der Geschicht’? Eine freundliche Sozialpolitik (die in Amerika die Wohnungseigentumsquote auf 70 Prozent hochtrieb) ist nicht immer kluge Wirtschaftspolitik, und schon gar nicht fördert sie kluges Einzelverhalten bei Reich und Arm. Der Staat war bei dieser Blase der wohlmeinende Anstifter; warum betrachten wir ihn dann als Heilsbringer? PS: In Amerika überwachen acht Bundesagenturen sowie die einzelnen Staaten die Finanzmärkte – eine unglaublich hohe Regulierungsdichte. PPS: Federal Funds kosten seit Dienstag wieder läppische 1,25 Prozent. Freuen wir uns auf die nächste Blase.

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