Er ist einer der ältesten Träume der Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Idee der Verfassungsväter und Mütter, die deutsche Armee der Kontrolle der Regierung zu entziehen. Nach den bitteren Erfahrungen der Hitlerzeit sollte die neue deutsche Streitmacht, geboren aus dem Gedanken des "Nie wieder", eine Parlamentsarmee sein.
Kein Oberkommandierender, womöglich wieder ein Gefreiter, würde sie auf eigene Faust gegen einen Gegner schicken können. Kein Regierungschef ohne demokratische Kontrolle einen Befehl zum Angriff oder auch nur zur Verteidigung geben dürfen.
Eine heilige Idee
Mehr als 70 Jahre lang sicherte das Prinzip der parlamentarischen Kontrolle Deutschland den Frieden. Zuweilen schien es von außen betrachtet wie ein deutscher Spleen, mehrere hundert hochbezahlte Abgeordnete darüber befinden zu lassen, ob ein unbewaffneter Sanitäter nach Kambodscha in Marsch gesetzt werden darf. Doch viele Jahrzehnte lang war die Idee heilig: Ohne Befehl einer Mehrheit des Bundestages bewegte sich kein bundesdeutscher Soldat out of area.
Der Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), ein Bayer namens Manfred Weber, hat das Tabu nun wieder ins Visier genommen. Versteckt in einem großen Interview mit seiner Heimatzeitung, in dem der Schwierigkeiten schildert, die marode deutsche Autoindustrie gegen den Widerstand der Sozialdemokraten und Sozialisten zu retten, kündigte der frühere Spitzenkandidat der Volkspartei an, auf dem CSU-Parteitag eine europäische Armee fordern zu wollen.
Vertrödelte Zeit
Mit deren Gründung sei "viel zu viel Zeit vertrödelt" worden, schimpft der CSU-Mann, der in seiner Spitzenkandidatenzeit Bürgernähe mit seiner Parole "Power of We" gezeigt hatte. Weber hatte im Mai 2024 den Bau einer "europäischen Atomwaffe" vorgeschlagen. Bis die fertig sei, solle Deutschland das Angebot Emmanuel Macron annehmen und unter Frankreichs Atomschirm schlüpfen.
Weber, der seit mehr als 30 Jahren im EU-Parlament sitzt, traut den Franzosen durchaus zu, im Verteidigungsfall Deutschlands Interessen vornan zu stellen. Die "Europalösung zur nuklearen Abschreckung" (Merz) müsse aber eben flankiert werden mit dem Aufbau jener "echten europäischen Armee", von der Macron hatte sie auch, Meiko Haas und natürlich auch Ursula von der Leyen schon geträumt haben.
Aus der Klamottenkiste
Eine Idee, die regelmäßig aus der Klamottenkiste der Ratlosigkeit gezogen wird. Olaf Scholz erbte die Vision von Gottkanzler Martin Schulz. Der hatte sie von Angela Merkel. Die wiederum hatte bei Jean-Claude Juncker zugehört. Für sie alle war diese "28. Armee" (Der Spiegel) kein Mittel zum Zweck, Frieden zu erhalten oder die Freiheit zu verteidigen. Sondern eins, das ihre Verantwortung für die Sicherheit des eigenen Landes und die "Kriegstüchtigkeit" (Boris Pistorius) der Armee auf eine andere Instanz verlagern würde.
Wären die frischen Divisionen direkt der Kommission in Brüssel unterstellt, müsste sich kein deutscher Kanzler mehr mit der Frage herumschlagen, wann er das Parlament um den Einsatz von Truppen bitten muss, die sein Verteidigungsminister ohnehin nicht hat. Jeder würde von den Bürokraten in Berlaymont-Palast entschieden.
Selbst ein dritter verlorener Krieg fiele nicht der heimischen Politik auf die Füße. Das bisschen Brandmauer, das zwischen einer Übertragung der Befehlsgewalt über deutsche Soldaten vom Bundestag auf einen europäischen Verteidigungskommissar steht, spielt keine Rolle. Auch nicht, dass der EU in den europäischen Verträgen gerade keine Kompetenz in Verteidigungsfragen zu gestanden.
Armee der Europäer
Ursula von der Leyen ist da bereits dran. Ihr Vorschläge für "europäische Truppen, die den Frieden in der Ukraine sichern" werden, sind nur ein anderer Satz für ihre "Armee der Europäer". Dass die imaginäre Streitmacht "schwierige Fragen aufwerfe, etwa im Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt des Bundestages", räumte die frühere deutsche Verteidigungsministerin bereits vor zehn Jahren ein. Dass diese nicht "trivial zu lösende Frage" einer Antwort bis heute nicht nähergekommen ist, ficht die Gründerin der Verteidigungsunion nicht an. Die Bundeswehr werde eine Parlamentsarmee bleiben, versprach sie. Zu klären sei nur, "welches Parlament in welcher Form" über die Einsätze der gemeinsamen Armee entscheide.
Gewissermaßen Kinkerlitzchen, denn die Truppe, die es nicht gibt, soll nach den Vorstellungen von Manfred Weber schon in Kürze gleich zur Sicherung eines Waffenstillstands in der Ukraine eingesetzt werden. Aus der schwerfälligen Parlamentsarmee wird im typischen Deutschland-Tempo eine blitzschnelle Eingreiftruppe. "Wenn es zu einem Waffenstillstand kommt, muss Europa bereit sein, ihn zu sichern", sagt der Niederkatzenhofener, der vor Jahren beinahe EU-Kommissionschef geworden wäre, dann aber den europäischen Ränkespielen scheiterte.
Von der Leyen vor der Nase
Angela Merkel musste damals dringend eine Anschlussverwendung für von der Leyen finden. Macron wollte seine Christine Lagarde trotz ihrer Vorstrafe zur Chefin der Europäischen Zentralbank machen. Manfred Weber musste der überraschenden Lösung begeistert applaudieren,um die Gnade Merkels nicht zu verlieren.
Er ließ sich einen Bart wachsen, um seine wahren Gefühle zu verbergen. Und überlebte tatsächlich. Dadurch kann der 53-Jährige jetzt vorpreschen, wie es schon so viele vor ihm getan haben. Mag da auch dieser üble Parlamentsvorbehalt sein. Mögen die Russen auch kategorisch ausgeschlossen haben, dass Truppen aus Nato-Staaten irgendwann irgendetwas in der Ukraine überwachen, was über eine Botschaftstür hinausgeht.
Weber sieht die Zeit gekommen "für europäische Einsatzstrukturen" an der Ostfront, die jetzt "Ostflanke" heißt. Natürlich "mit Soldatinnen und Soldaten unter europäischer Flagge". Seit 81 Jahren hat dort keine geschlossene deutsche Einheit mehr. Es wurde viel zu viel Zeit vertrödelt. "Natürlich sind dann auch Deutsche dabei", sagt Manfred Weber, der sich sicher ist: "Ja, Kohl und Strauß würden heute die europäische Armee fordern."
Die Toten sind mit ihm
Der studierte Physiker muss es wissen. Strauß starb, als Weber 16 war. Kohl war bei seiner Partei gerade in Ungnade gefallen, als Weber seine politische Karriere startete. Doch Theo Waigel hat er an seiner Seite, auch der stehe für die EU-Armee, die weniger äußere Feinde bekämpfen als inneren Streit befrieden soll. "Mit dem Euro wurde die europäische Einigung nicht rückabwickelbar, nicht mehr auflösbar", beschreibt Weber das Vorbild seines geheimen EUndeswehr-Planes. "Das Gleiche brauchen wir jetzt bei der Verteidigung."
Ein wenig Zeit ist noch, um das Heer aufzustellen, das Weber schon im Sommerloch vergeblich gefordert hatte. Den ursprünglichen 28-Punkte-Friedensplan, den US-Präsident Donald Trump mit einem Überraschungsmanöver ins Spiel gebracht hatte, haben Europäer und Ukrainer gemeinsam erfolgreich zerpflückt, in mehreren Versionen umgeschrieben und gekürzt. Der Rest liegt jetzt auf der langen Bank.
Weber ist soweit ganz zufrieden. "Dieser Plan käme einer Kapitulation der Ukraine gleich. Es kann keine Übergabe unbesetzter Territorien der Ukraine an Putin geben, keine Amnestie für Kriegsverbrecher, keine Demilitarisierung der Ukraine", betont er. Europa verlange immer noch eine Kapitulation Moskaus. Wenn es noch lange genug dauert, vielleicht zwei, drei Jahrzehnte, wäre auch die EU-Armee so weit, im Donbas zu patrouillieren.


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