Montag, 2. Februar 2009

Wirklicher als die Wirklichkeit

Was ist noch Realität? Was schon Erfindung? Wie erfunden ist die Wirklichkeit? Und wie real die Erfindung? "Bernd das Brot", eine aus Kunststoff nachgebildete Gummifigur aus dem Kinderfernsehen, wurde nach Angaben der einzigen amtlichen deutschen Nachrichtenagentur dpa in diesen Tagen glücklich aus den Händen von Entführern befreit. Unbekannte hatten den tumben Plastikklumpen in ein Kellergewölbe verschleppt und dort gefangengehalten. Die Sendung "Anne Will" nutzt die Gelegenheit, anhand des inzwischen als Dokumentarfilm geltenden Krimis "Tatort" die Arbeitsbedingungen in deutschen Discountmärkten zu diskutieren. Immer öfter, so steht nach wenigen Sätzen fest, wird zwischen den regalen mit den billigen Lebensmitteln geschglagen, vergewaltigt und gemordet.

"Müsste die Politik da nicht mehr tun", fragt Anne Will, bekannt geworden durch ihre Rolle als Elbin Arwen in der Verfilmung des Klassikers "Herr der Ringe". Noch so eine große Kinodokumentation. Die Runde ist ratlos, gibt aber teilweise zu, selbst in Supermärkten einzukaufen. Der nächste Einspieler zeigt Discounterkunden, die Rotweinflaschen in ihren Vans verstauen. Unklar ist, ob es sich dabei um Schauspieler handelt oder um echte Menschen oder ob beides dasselbe ist.

Es kommt schon lange nicht mehr darauf an. "Frauentausch" und "Meine neuen Wände", "Mein Auslandstagebuch" und die "Tagesschau" mit ihren Bildern von Politikern, die ein Kameralächeln anknipsen, sobald das rote Lämpchen leuchtet, und Polizisten, die eine überdimensionale Spielfigur aus einer Ruine tragen - in der Inszenierung ist die Wirklichkeit allemal wirklicher als in echt. Vor dem allzeit offenen Bühnenvorhang werden "Rettungspakete geschnürt" und Managerhäuser gestürmt, Raser gestellt, "Entführungen" imaginiert und Popstars kreiert, bis die "Idee zur materiellen Gewalt" wird, weil sie "die Massen ergreift" (Marx).

"Bernd das Brot", ohne Komma, ist wirklich, weil es wahr ist. Der "Tatort" könnte wirklich sein, weil er in der ARD läuft. Auf dem anderen Kanal gibt es zeitgleich "Harry Potter", eine einzige Anklage gegen die unhaltbaren Zustände in englischen Edel-Internaten, in denen Aberglaube, brutale Gewalt und Mobbing herrschen. Demnächst im Gespräch bei Frank Plasberg.

1 Kommentar:

Christian hat gesagt…

"Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig", sagte schon G.W. Hegel. Und wer wäre vernünftiger als der Spielverderber Bernd das Brot, der jeder Gefahr aus dem Weg gehen will?
Inwiefern die Politik unter diesen Umständen als wirklich zu betrachten ist, muss allerdings noch geklärt werden.
Der fiktive Frank Plasberg wird da weiterhelfen können.