Montag, 8. März 2010

Rekorde für die Ewigkeit

"Ich bin grau, Du bist grau, lass uns zusammen grausam sein", sangen die jungen Musikanten in den staubigen Himmel. Morgens lag eine pelzige Schicht Sand auf dem Auto, die Fensterscheiben waren schmierig von chemischem Nebel, vor den Straßenlaternen schwebten Schleier aus Schmuddel und Schmand. Die Luft allein ernährte ihren Mann, zumindest in Merseburg und Halle, den beiden Herzkammern der karbidgetriebenen Hitlerschen Kriegswirtschaft, die vom deutschen Kommunismus im Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens einfach weitergenutzt wurde.

Hier regnete es trocken all die Jahre lang. Allein im finalen DDR-Jahr 1989 wurden von den Chemiefabriken in und um Merseburg 100.131 Tonnen Staub in die Luft geblasen - das Gewicht von 166.000 der begehrten Pkw der volkseigenen Marke Trabant. Dazu kamen 326.269 Tonnen Schwefeldioxyd, 18.341 Tonnen Kohlenmonoxyd und 18.137 Tonnen Stickoxyde.

Pro Kopf der Bevölkerung rieselten mehr als 11 Tonnen im Jahr vom Himmel, die Zukunft war eine Art Kleckerburg aus kondensiertem Abraum, die wie von selber wuchs. Himmelsstürmende Pläne, auf die Mielkes Geheimimperium und Mittags Wirtschaftsexperten nur noch kommen mussten: Ein paar tausend Jahre nur, und die Deutsche Demokratische Republik würde höher liegen als die Schweiz, ein sozialistisches Wintersportparadies mit Trockeneisgletschern, Kohlendioxidpisten und Schaumschanzen.

Die gesamte Bundesrepublik produzierte insgesamt nur knapp dreimal soviel Schwefeldioxyd wie allein die fleißigen Werktätigen in der Region zwischen Leuna und Buna aus den maroden Fabriken quetschten. "Die durchschnittliche Emission von 689 Tonnen in der Region pro Quadratkilometer und Jahr betrug im Vergleich zum Gebiet der alten Bundesrepublik somit sogar etwa das 165-fache", hat Peter Ramm, Mitbegründer des Neuen Forums in Merseburg, jetzt in der HZ vorgerechnet.

Auch die höchsten Schwefeldioxyd-Konzentrationen erreichte das sozialistische Merseburg, nicht das feinstaubsensible Spätrom der Umwelt-Postapokalypse. Im Jahresmittel schluckten der durch Immissionen nicht zu beeindruckende Menschenschlag hier 270 bis 380 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, der Münchner musste sich hingegen damals schon mit bescheidenen 17 Mikrogramm pro Kubikmeter zufriedengeben.

Rekorde für die Ewigkeit, Weltspitze, von der nichts mehr geblieben ist, nicht mal in Gedanken. Die Schaumkronen auf der Saale verschwunden, die Quecksilberseen trockengelegt, das grelle Grau der Fassaden übertüncht. Der Aufbau des Sozialismus war, lufttechnisch gesehen, eine vier Jahrzehnte andauernde Silvesternacht in einer knallbegeisterten Vorstadt ohne Finanzierungsprobleme. Chemie brachte Arbeit, Wohlstand und vor allem das Glück, dass man später schnell vergisst, was das alles gewesen ist.

2 Kommentare:

bpb hat gesagt…

Kindheit Merseburg. Der Nordwestwind brachte den Duft aus Buna, der Nordost den aus Bitterfeld. Der aus Süden den aus Leuna. Und wenn mal kein Wind blies, wurd eben kräftig Braunkohlegeheizt. Gerade gegenüber der Güterbahnhof, dazwischen die vierspurige F6, gleich nebenan der Russenflugplatz. Nach so einer Wohnlage muss man schon lange suchen heute.

Friederich hat gesagt…

Jetzt weiß ich endlich, wie es die DDR unter die führenden zehn Industrienationen gebracht hat. Man hat der Berechnung nicht den Warenausstoß, sondern die Emissionen zugrundegelegt.