Mittwoch, 7. September 2011

Rette sich wer dann

Klares Urteil ohne viel Brimborium: Wenn die Bundesregierung beschließt, gegen Geist und Buchstaben geschlossener Verträge andere Staaten mit Milliardenzahlungen zu retten, dann darf sie das, wenn sie eine Möglichkeit findet, das Grundgesetz so auszulegen, dass sie das darf. Parlamentarier, die meinen, dass eine solche Auslegung grundgesetzwidrig ist, dürfen dagegen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erheben, das ihnen anschließend bestätigt, dass das ihr gutes Recht ist.

Gutes Recht des Bundesverfassungsgerichtes hingegen ist es, sich mit einer Klageabweisung aus der Verantwortung für den Zusammenbruch der Euro-Zone zu stehlen. Derzeit sind die Milliarden für Griechenland verfassungsgemäß, befanden die Richter. Erst das nächste Mal müssen dem Bundestag mehr Mitspracherechte eingeräumt werden. Rette sich wer dann! Für den Rettungsschirm für Griechenland spreche die zeitliche Befristung, die ähnlich wie der Solidaritätszuschlag und die Sektsteuer zwar nicht konkret, aber formal gegeben ist. Auch der Umstand, dass es keinen Automatismus für Zahlungen gebe, der die Rechte der Abgeordneten aushebele, spreche für die Verfassungsmäßigkeit der "Hilfen", so die Richter.

Während die Wirtschaft schwächelt und die Aktienmärkte einknicken, kann die Konjunktur der Rettungsschirme, die ein Blick auf die unbestechliche Google-Timeline belegt, ungebremst weitergehen. Auch die nächsten Hilfspakete werden, so, wie es das Gericht verlangt, bekanntlich sehr "klar definiert sein" und stets wird den Parlamentariern die Möglichkeit eingeräumt werden, ihnen zuzustimmen.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes in einer kleinen Inhaltsexegese: "Es kann nicht festgestellt werden, dass die Höhe der übernommenen Gewährleistungen die haushaltswirtschaftliche Belastungsgrenze derart überschreitet, dass die Haushaltsautonomie praktisch vollständig leerliefe."

Im Klartext: Überschreitet also schon. Nur eben nicht "derartig", dass die Hushaltsautonomie "vollständig leerliefe". Sie läuft leer. Aber das "kann nicht festgestellt werden". Übrigens schön formuliert.

Und weiter gehts: "Die Beurteilung des Gesetzgebers, dass die Gewährleistungsermächtigungen in Höhe von insgesamt rund 170 Milliarden Euro für den Bundeshalt tragbar seien, überschreitet nicht seinen Einschätzungsspielraum und ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden."

Im Klartext: Ob das stimmt, was der Gesetzgeber schätzt, weiß man nicht. Er weiß es wahrscheinlich auch nicht ("Einschätzungsspielraum"). Aber er sagt, es ist tragbar. Und das Gericht hat keinen Beurteilungsspielraum, ihm da zu widersprechen: Schönste Formulierung "verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden".

Nächster Punkt: "Gleiches gilt für seine Erwartung, dass selbst im Fall der vollständigen Realisierung des Gewährleistungsrisikos die Verluste über Einnahmesteigerungen, Ausgabenkürzungen und über längerfristige Staatsanleihen noch refinanzierbar wären."

Im Klartext: Der Gesetzgeber erwartet, dass es zur "vollständigen Realisierung des Gewährleistungsrisikos" kommt. Er behauptet aber, auch die dann anfallende Summe könne er über höhere Steuern, Streichungen bei Wahlaufgaben im eigenen Land und eine höhere längerfristige Neuverschuldung schultern. Die Belastung sei dann "noch finanzierbar" schreiben die Richter. Und meinen: Aber auch nur die. Das nächste Urteil wird es nicht mehr brauchen. Der "Gesetzgeber" dürfte verstanden haben, dass es im Falle eines Falles schon feststände, weil das Gericht ihm noch ein noch nicht zubillen würde.

Jetzt auch in der FAZ eine Urteilsanalyse
Das Thema bei Le Penseur

14 Kommentare:

derherold hat gesagt…

Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgendjemand ernsthaft erwartet hat, daß das Urteil anders gefällt wird.

Meine These ist ja, daß es bis zum allerletzten Euro geht.

Auferstanden für die Zukunft
und Ruinen zugewandt
Laßt uns Euch bis zum Ende dienen,
Deutschland, einig Steuerland.
Neue Not gilt es zu zwingen,
Und wir zwingen sie vereint,
Denn es muß uns doch gelingen,
Daß Wohlstandsvernichtung gelingt wie nie

ppq hat gesagt…

wie sagt die merkelin? wenn der euro scheitert, scheitert europa

da ist wieder das alternativlose.

mich würde interessieren, was sie mit euro scheitern" meint und was mit "europa scheitern".

gibt es dann keine zahlungsmittel mehr? keinen kontinent? keine menschen?

ppq hat gesagt…

ich kriege gerade mit: schäuble wird dann noch da sein.

nachdem ihm das gericht eben gerade zumindest bescheinigt hat, dass sie eben nicht ganz ohne zustimmung wenigstens des haushaltsausschusses machen können,w as sie wollen, und das dann auch noch wenigstens pro forma zeitlich befristen müssen, sitzt der knilch da und schatz etwas ausgedachtes dazu, das nun alle zweifel an der verfassungsmäogkeit des regierungshandeln ausgeräumt seien.

das muss man erstmal bringen. als würde einen der polizist anhalten, nachdem man über eine rote ampel gegangen ist und einem sagen, beim nächsten mal sind sie dran. und man sagt dann, kaum das er aus dem weg gegangen ist, "ich wusste doch imemr, dass es erlaubt ist, bei rot zu gehen"

Le Penseur hat gesagt…

@ppq:

gibt es dann keine zahlungsmittel mehr? keinen kontinent? keine menschen?

Schätze mal: keine Menschen. Denn wer dann noch da wohnt und das Projekt Sarkozy-Merkelstan mitträgt, kann mangels sapitentia nicht zur Gattung homo sapiens zählen ...

vakna hat gesagt…

@ppq:

An Tagen, an denen ich schlecht drauf bin, ärgert mich diese sprachliche Unkorrektheit maßlos. So wie man gedankenlos von "Amerika" redet, wenn man die USA meint, wird allerorten von "Europa" geredet, wenn die EU gemeint ist. Am meisten stört es mich bei Schweizern. Die sind ja nun Europa, aber nicht EU und selbst große EU-Beitrittstrottel wissen das inzwischen zu schätzen. Das hält nicht wenige nicht davon ab, beharrlich die Schweiz sprachlich aus Europa wegzuverlegen oder der EU zuzuschlagen.

vakna hat gesagt…

@Le Penseur:

Man muß den meisten Deutschen nur viel und billiges Bier und Fleisch liefern sowie Bundesliga live, dann ist Ruhe und auch kein Grund, Deutschland zu verlassen.

Fressen, ficken, fernsehn.

Le Penseur hat gesagt…

@vakna:

Das erste und dritte »F« glaube ich Ihnen unbesehen. Beim zweiten nehme ich an, daß das die fressenden, fernsehenden Deutschen längst den Zuwanderern überlassen (die es durch entsprechende Geburtenstatistik auch beweisen) und sich bestenfalls online einen runterholen (bzw. beim Betrachten eines verschlüsselten Privatsenders).

Volker hat gesagt…

Die "zeitliche Befristung" erinnert irgendwie an die "zeitweilig in der DDR stationierte Gruppe der Sowjetarmee".
Und es stimmte ja auch. 1991 war deren Zeit abgelaufen.

derherold hat gesagt…

"Man muß den meisten Deutschen ... "

Höre ich da Abitur-Dünkel, kommt gleich "BLÖD-Zeitung" ?

Man sollte nicht vergessen, daß vllt. unsere Eliten zynisch sind aber unser Mittelbau geistig verwahrlost. Die armen Kevins und Chantals, Silvios und Mandys werden ja wohl kaum als Abschnittsbevollmächtgte (Lehrer, Rechtsanwälte, Landtagsabgeordnete, Ressortleiter Zeitungen, etc.) für den reibungslosen Betrieb der Selbstabwicklung sorgen.

Ist das in den USA anders ? Ist das kleine guardian-Arschloch (Leser oder Journalist) auf "billiges Fleisch" angewiesen ?

Volker hat gesagt…

Wenn ich mal eine populärwissenschaftliche Frage stellen dürfte,
Kann mir jemand sagen, wir man heutzutage die Timeline aufruft?
Das archivesearch scheint nicht mehr im Angebot zu sein.

vakna hat gesagt…

@derherold:

Mangels Abitur kein Abiturdünkel möglich. Aber nach 40 Jahren DDR und BRD abseits der "Eliten" mit ganz normalen Bürgern verbracht, weiß ich, wie die Masse tickt.

Ein Kollege, aus Niedersachsen stammend, kam fast verzweifelt aus zwei Wochen Deutschlandurlaub zurück: Die Leute wären politisch total desinteressiert, würden sich fast weigern, über die Konsequenzen der "Rettungspakete" nachzudenken usw. usf.
Hauptsache sie können saufen und das Fressen wäre billig.

Beobachtungen, die sich mit meinen Erfahrungen im Mitteldeutschen decken. Man schafft sich im Häuschen oder Garten seine heile Welt und hofft, wenn man die Politik nur gewissenhaft genug ignoriert, gehen die Folgen spurlos an einem vorbei.
Und wenn man sich dann doch mal für politische Vorgänge interessiert, ist die Meinung ganz schnell gemacht und deckt sich seltsamerweise mit der der örtlichen DuMont-Presse.

vakna hat gesagt…

@Le Penseur:

Das FFF geht auf eine schwarz-rot-goldene Fahne zurück, die mit "Fressen, Ficken, Fernsehen" beschriftet war.

Ob Deutsche das zweite F nun mit anderen tun oder nur drüber reden und mit sich selbst tun weiß ich nicht wirklich, aber Selbstbefriedigung ist ja angeblich "Sex mit jemandem, den ich mag."
So weit würde ich nicht gehen, aber immerhin ist Selbstbefriedigung "Sex mit jemandem, der verfügbar ist".

ppq hat gesagt…

timeline ist jetzt anders. am einfachsten geht es, wenn du vor deinen suchbegriff "view:timeline" schreibst, ohne anführungsstriche.

danach unten lniks irgendwo bei erweitert oder optionen

und dann "zeitleiste"

es ist wirklich war, früher war nicht alles schlecht, auch bei google

Volker hat gesagt…

funktioniert

Danke