Freitag, 13. April 2012

Titanic: Tod zweiter Klasse

Hundert Jahre und kein bisschen leiser, aber sovergeht die Zeit. Als es geschah, war der Untergang der "Titanic" nach der Kollission mit dem Eisberg eine Katastrophe, die mehr als 1.500 Menschen das Leben kostete. Ganz nebenbei erschütterte das Unglück den Fortschrittsglauben der westlichen Welt, es ernährte über Wochen Zeitungen und Zeitschriften, es kostete die, die überlebten, den Seelenfrieden, und die, die das Grauen nicht hatten verhindern können Job und Karriere.

Nur zehn Jahrzehnte später taugt das Desaster allerdings schon zum Spektakelum: Theatermacher kochen "Das letzte Gericht" nach, auf dass ihr Publikum "geschmackvoll untergehen" möge. Fernsehsender werben mit "Ihre Reise endet, wo unsere beginnt".

Empathie wie nie allerorten, Mitgefühl und tiefe Trauer angesichts der Leiden der Opfer und der schrecken, die ihre Familien erdulden mussten. "Läbbe geht weiter", steht über den Jubiläumsfeiern der Jahrhundertkatastrophe, deren unmittelbar Beteiligte verglichen mit Opfern anderer Katastrophen nur einen Tod zweiter Klasse vorzuweisen haben.

Wie viel schlimmer ist es doch aus derzeitiger Sicht, in weniger weit zurückliegenden Unglücksfällen gestorben zu sein. Doch die Zei, die vergeht und nie stillsteht, macht Hoffnung auf noch viel mehr noch viel größere Kunst: Warum nicht auch mal das letzte Kantinenessen der "Deepwater Horizon" als Operette wiederaufführen? Wieso nicht mal ein Musical zur Tragödie in der Eishalle von Bad Reichenhall, in dem Kati Witt den Todesengel tanzt? Oder Hurrikan Katrina, a capella nachgesungen von einem Chor missbrauchter Kinder? Oder eine Quizshow, bei der die Namen der drei Menschen geraten werden müssen,  die letzte Nacht beim Zusammenstoß eines Regionalzuges mit einem Bagger starben?

Wer kocht das letzte Gericht nach, das die Toten der "Costa Concordia" im Magen hatten, als sie gezwungen wurden, Salzwasser nachzutrinken? Wessen Reise beginnt, wo die der Feuerwehrleute von Fukushima endete?

5 Kommentare:

Nebelhorn hat gesagt…

Erschließt sich mir auch nicht, was die für ein Gedöns mit diesem alten Blechkahn machen. Ich sage nur Gustloff! Das war doch mal eine Tragödie nach Maß. Aber das war im Krieg und die Opfer nur ein paar dämliche Hunnen. Keine Ahnung woher diese Hysterie kommt.

Anonym hat gesagt…

Zumindest hat seitdem keine Werbeagentur mehr gewagt, das Schiff eines Klienten als unsinkbar anzupreisen.
Es dürfte auch diese Hybris gewesen sein, die die Phantasie der Menschen anspricht. Jeder wünscht sich Zeichen von Gott, und da wurde vermeintlich eines geliefert, als dem schwimmenden Turm zu Babel ein Eisberg in den Weg gelenkt wurde.

Oels hat gesagt…

Ich habe auch eine super Idee. Wie wäre es wenn sich eine Gitarrencombo nach einem Ort benennt, bei dem während einer Flugschaufehlfunktion hunderte Menschen in brennendem Kerosin gebraten wurden ? Ein Großteil der Überlebenen würde heute noch was davon haben und könnte ihr Erlebtes mit passender Musik sicher besser verarbeiten. Die Liveshows wurde ich dann immer mit viel Feuer und Pyrotechnik inszenieren. Eine Riesenparty !

Anonym hat gesagt…

Unsere Titanic heißt Euro.
Und der Eisberg ESM.

Kurt hat gesagt…

Es ist der Luxus, der anzieht. Es werden immer nur die Menüs der ersten Klasse nachgekocht. Niemand interessiert sich für andere Tatsachen auf der Titanic, wie die strikte Klassentrennung. Die Unterdecks waren abgesperrt, damit sich die "verlausten" Proletarier nicht von der vierten Klasse aus aufs Oberdeck schummelten. Und die Mahlzeiten der Unterdecks haben keinen Glamour-Faktor.
Genaugenommen ist es der britische Luxus, der anzieht. Die Titanic wird ja auch überwiegend von Angehörigen des Kommonwälz ausgebeutet. Und dann passierte dieser Unfall zu einer Zeit, als das britische Weltreich auf dem Höhepunkt war. Da ist das Absaufen eines Teils des damaligen, englischsprachigen Jet-Sets in einem Schiff des unbesiegbaren Imperiums natürlich ein Schlag ins Kontor.

Wenn man mit dem Nachkochen der letzen Mahlzeit auf der Gustloff keinen hinterm Ofen hervorlocken kann, dann wäre es doch interessant, die Bordmahlzeit des letzten Concorde-Flugs anzubieten.