Mittwoch, 19. September 2012

Fliesen in der Fremde: Rio de Janeiro

Dort, wo alles anfing, werden sie inzwischen abgeschlagen, zerstört und mit dem Bagger von den Wänden gerissen. Ihre Macher werden geächtet und verfolgt, nur des nachts können sie aus ihren geheimen Ateliers kommen und neue prächtige Fliesenkunstwerke an die Wände der grauen Innenstadt kleben. Niemand in Halle, der mitteldeutschen Kachelhauptstadt, hat je erkannt, welch riesiges Potential in der von einheimischen Fliesenkünstler Kachel Gott geplanten Komplettverfliesung der gesamten Innenstadt steckt, welche Touristenströme ein solches Projekt anlocken und welche Milliardenbeträge an Währungen aus der ganzen Welt ins Stadtsäckel fließen könnten.

Hoffnung auf ein Umdenken der Behörden kommt jetzt jedoch aus Brasilien, wo der chilenische Maler Jorge Selarón bereits vor Jahren begann, seine Version der halleschen Kachelkunst zu leben. Vor aller Augen und ungestört von kunstfeindlichen Eingriffen aus dem Rathaus von Rio de Janeiro ist es Selarón gelungen, im Stadtteil Santa Teresa eine ganze Treppe zum Kachelkunstwerk zu machen. Die mit tausenden bunter Kacheln – darunter auch einigen Exemplaren des halleschen Kachelmannes - verzierte „Escadaria Selarón“ ist das Lebenswerk des vielgereisten Keramikers, der mit der Arbeit an der Front seines Hauses begann, inzwischen aber den gesamten Bau verfliest hat.

Ganz am Anfang hätten ihn Nachbarn noch verspottet, weil er die Stufen in den Farben der brasilianischen Flagge gefliest hatte, erzählt der Kachel-Künstler. Später aber wurde sein großes Vorhaben von allen im Viertel unterstützt – Fremde brachten eigene Kacheln, kauften Gemälde und spendeten für neuen Fliesenkleber. Mittlerweise hat Selarón mit 2000 Fliesen aus 60 Ländern einen bunten Kachelkosmos geschaffen, der zeigt, wie die altehrwürdige Stadt Halle aussehen könnte, ließen die Behörden die engagierten jungen Kachelkünstler endlich ihre Arbeit tun.

Der Erfolg würde, auch das zeigt das brasilianische Beispiel, nicht lange auf sich warten lassen: Bei Jorge Selarón sind schon Werbespots für National Geographic Channel, American Express, Coca-Cola, Kellogg’s Corn Flakes, Time und Playboy gedreht worden, Videos von Snoop Dogg und U2 spielten hier und weltbekannte Reiseführer empfehlen einen Besuch an der Kacheltreppe als Touristenpflicht.

Weitere Ausstellungsstücke aus der öffentlichen Galerie des unbekannten Fliesenlegers in Halle finden Freunde der gehobenen Giebelgestaltung im offiziellen Kachelverzeichnis.

Eigene Funde können wie stets direkt an politplatschquatsch@gmail.com geleitet werden, jeder Fund wird von uns auf Wunsch mit einem mundnachgemalten Kunstdruck der inzwischen von Kachel-Gegnern vernichteten Ur-Fliese prämiert.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Dieser südamerikanische Kachel-Mann sieht nicht aus, als hätte er einen Abschluss einer von deutschen Behörden anerkannten Kunsthochschule. Also kann es auch keine Kunst sein, sondern nur mit südlichem laissez-faire geduldete illegale Fliesenlegerei. So etwas kann es bei uns niemals geben. Und solange der Hallensische Fliesenleger keinen Schein mit Stempel und Unterschrift eines Kunstprofessors vorweist und nicht die Hände aller zuständigen Beamten vor der Presse geschüttelt hat und die Stadt nicht mindestens 500'000 Euro Steuergelder in das Projekt gepumpt hat, solange ist es auch hier keine Kunst.

ppq hat gesagt…

leider sprichst du wahr, leider

derherold hat gesagt…

"Eigene Funde können ..., jeder Fund wird von uns auf Wunsch mit einem mundnachgemalten Kunstdruck ..."

Zunächst muß man mal das mit dem Preis klären. "Mundgemalt": mit Pinsel oder mit Zunge ?

Maria hat gesagt…

Ich finde diese Kachelkunst ist eine gute Sache. Guerilla-Kunst mit Fliesen hat doch Charme und kann das Stadtbild zu etwas Besonderem machen. Die Leuten werden bestimmt weiterhin Nachts ihre Fliesen ankleben, da kommt die Stadt niemals hinterher. Aus dem Beispiel kann Halle also nur lernen :-)

ppq hat gesagt…

wir hätten eine jungfrau an der hand, die auf wunsch auch mit zunge malen würde