Mittwoch, 31. Dezember 2025

Das Jahr ohne Sommer: Märchenzeit am Ende

Bärbel Bas Performance die Rente ist unsicher
Die frühere Bundestagsvizepräsidentin Bärbel Bas schaffte es, der deutschen Sozialdemokratie wieder Siegeszuversicht zu geben.

A long December and there's reason to believe

Maybe this year will be better than the last

The smell of hospitals in winter

And the feeling that it's all a lot of oysters

But no pearls

A Long December, Adam Duritz, 1996

 

Es war ein Jahr zum Vergessen und vielen gelang das außerordentlich gut. Der neue Kanzler wusste schon nach Wochen nicht mehr, was er versprochen hatte. Seine Hilfstruppen von der SPD hatten verdrängt, dass sie wiedermal eine Wahl verloren hatten. In der Welt draußen wendete sich einiges zum Besseren. Deutschland aber blieb mit klarem Kompass auf Kurs.  

Der Rückblick auf 2025 zeigt zwölf Monate, die es in sich hatten. Nie mehr wird es so sein wie vorher.  

Sein Name wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in die Annalen schaffen, nicht einmal in die dieses verkorksten Jahres. Ein Hinterbänkler der CDU, ein wenig aufgeregt, dass es so kurz vor Toresschluss doch noch geklappt hat mit einem Fernsehauftritt. Wie es so gehe und wie es so steht und wie das alles zu bewerten sei, will die Ansagerin wissen, genau so, wie es abgesprochen ist. Und der Mann aus dem politischen Berlin liefert sogar mehr als er sollte: Man müsse jetzt schauen, sagt er, wie Deutschland weiter Wachstum produzieren könne.

Unangenehm tiefer Einblick 

Es ist dies ein tiefer, ein für manchen Zuschauer vielleicht sogar unangenehm tiefer Einblick in eine Welt, die nur noch wenig zu tun hat mit der des eigenen Erlebens. Der aufgeregte Politiker, der kurz vor dem Weihnachtsfest die Chance nutzen will, den Menschen draußen im Lande Mut zu machen, sie noch einmal anzuwerben für die gemeinsame Sache, er steht für ein Politikmodell, das in den zurückliegenden Jahren an seine Grenzen gekommen ist.

Und 2025 schließlich vor aller Augen über die Klippe kippte. Gestern standen wir vor dem Abgrund. Heute sind wir einen Schritt weiter. Diese alte Weisheit, meist dem mit Wort und Sinn zuweilen auf Kriegsfuß stehenden Kommunisten Walter Ulbricht zugeschrieben, beschreibt die Lage zutreffend. Deutschland hat sein Geschäftsmodell verloren. Es zehrt sich selbst auf, ganz genau so, wie es die 35 Jahre zuvor übernommene DDR jahrzehntelang getan hatte. Ein Leben von der Substanz, bequem wie die Restwärme eines Kachelofens. Aber endlich.

Wohlstand schmilzt, Unmut wächst 

Der Wohlstand schmilzt, der Unmut wächst. Seit fünf Jahren gibt es kein Wirtschaftswachstum mehr und seit 15, sagt der EU-Sonderberichterstatter Mario Draghi,  zahlten die Haushalte dafür "in Form eines entgangenen Lebensstandards". Auf der Bühne aber nimmt einer Aufstellung, der nicht davon spricht, planen zu wollen, wie Deutschland wieder, sondern wie Deutschland weiter Wachstum produzieren solle.

Kern jeder erfolgreichen Problemlösung ist die Bereitschaft, das Problem erkennen zu können und wollen. Als der Wahlkampf Anfang des Jahres tobte, nun ja, im Saal simuliert wurde, denn kaum ein Politiker wagte sich noch auf Straßen und Plätze, schien es, als seien Teile der selbsternannten politischen Klasse bereit dazu. Friedrich Merz wetterte gegen den Stillstand, er sprach von Entfesselung und Leidenschaft, vom Dickicht der Bürokratie, das er auslichten werde. Christian Lindner, die Älteren erinnern sich, stand kurz davor, mit einer Kettensäge in der Hand aufzutreten. Handwerker und Angehörige der hart arbeitenden Mitte klatschten. 

Gefährliche Nagelschere 

Selbst aus den demokratischen Parteien, für die die Nagelschere schon ein Instrument ist, das in die Hand zu nehmen eine große Gefahr bedeutet, war die sogenannte Entbürokratisierung ein Wahlkampfschlager. Das so lange als segensreich gefeierte Wirken der EU geriet selbst unter progressiven Bürgerinnen und Bürgern ins Zwielicht. Vor rund zehn Jahren hatte die Gemeinschaft die Mitgliedsstaaten noch mit 4.600 grundlegende Verordnungen, Richtlinien und Beschlüssen gefesselt. Inzwischen sind knapp 6.500 in Kraft. 

Es handelt sich dabei um eine ganz natürliche Folge der Ausdehnung des Machtanspruchs von Politik und politischer Verwaltung. All das, was sich selbst als "der Staat" begreift, sieht sich schon lange nicht mehr als politische Verwaltung auf Zeit, die im Bürgerauftrag versucht, das Leben für aller besser, einfacher und bequemer zu machen. Sondern als die Institution, die den eigentlichen Kern der Zivilisation bildet. 

Wachstum nur noch bei Behörden 

Ohne den Auftrag dazu zu haben, folgt sie dem wichtigsten Grundinstinkt jeder Entität: Sie will sich ausdehnen, sie will wachsen. Dazu maßt sie sich immer neue Aufgaben an. Um sie erfüllen zu können, braucht sie mehr Mitarbeiter, mehr Geld, mehr Behörden, mehr Zuständigkeiten. Niemals führt das dazu, dass etwas besser wird. 

Das allerdings ist aus Sicht der Betreuungsbehörden ein ermutigendes Zeichen. Es bedeutet nichts anderes als dass die betreffende Institution einfach noch nicht groß genug, die Anzahl ihrer Mitarbeiter zu gering und ihre finanzielle Ausstattung verbesserungsbedürftig ist. Denn wenn es mit der fürsorglichen Bemutterung nicht klappt, mit diesem Argument locken nicht mehr nur SPD, Grüne, Linke und BWS ihre Wähler,  führe das zum Verlust von Vertrauen in die Allmacht des Staates.
 

Pro Tag ein Rechtsakt 

Tag für Tag kommt deshalb in Europa ein sogenannter Rechtsakt hinzu. Ein Umstand, der schon den Stoiker Olaf Scholz  beunruhigt hatte. Der Sozialdemokrat, mit Wumms, Doppelwumms und grünem Wirtschaftswunder  so erfolglos wie später im Wahlkampf, erklärte Entbürokratisierung zum zentralen Thema seiner nächsten Amtszeit, um die deutsche Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Im Vorgriff darauf schrieb er einen unterwürfigen Bittbrief nach Brüssel, in dem er eine - bis zu jenem Tag von seiner Partei mitorganisierte - Überregulierung beklagte, um den "Abbau von Vorschriften" bettelte und ankündigte, selbst mit einem "Bürokratieentlastungspaket 4" (BEP 4) für "eine erfolgreiche Reduzierung von Bürokratie" zu sorgen.

Es hat Scholz nicht retten können. Und Nachfolger Merz hat nichts daraus gelernt. Auch der neue Mann im Kanzleramt, angetreten als Entfesselungskünstler wirtschaftlicher Dynamik, brachte in seinem ersten Jahr genau das zustande, was Scholz in seinem  letzten geschafft hatte. Fünf Monate war der erste Unionskanzler seit Helmut Kohl im Amt, als er Richtung Brüssel deutlich wurde. Sein Bittbrief  drängte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen zum zügigen Handeln beim Rückbau der Bürokratie. Und Merz drohte: "Darüber werden wir sprechen", denn bei der europäischen Regulierungsdichte müsse "grundlegend korrigiert" werden.

Immer zu viel und immer wird es noch mehr 

Dass es dazu kommen wird, steht allerdings nicht zu befürchten. Um ähnlichen Angriffen von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen, hatte Ursula von der Leyen selbst zweite Amtszeit noch einmal mit dem traditionellen EU-Versprechen angetreten, die Bürokratie um 25 Prozent abzubauen und "gegen zu viel Bürokratie" vorzugehen. Dabei griff die gewiefte Taktikerin aus Hannover auf ein Versprechen zurück, dass sie den 440 Millionen Europäern in ihrer ersten Amtszeit als Kommissionspräsidentin gemacht hatte - ein Bürokratieabbau um 25 Prozent. 

Der gilt in der EU bereits seit 2007 als unerlässlich. Damals hatte der frühere bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber den Kampf gegen das "bürokratische Monster" (Edmund Stoiber) in Brüssel aufgenommen. Er war es, der die 25 Prozent als Bürokratierückbau-Parole erfand und zu einer "beispiellosen Anstrengung zur Vereinfachung" (Manager-Magazin) aufrief. Stoiber hat damit Maßstäbe gesetzt: Seit 2007 halten alle EU-Kommissionen den Bürgerinnen und Bürgern die Zusage aufrecht, ein Viertel aller Vorschriften über Bord werfen zu wollen. 

Stoibers "bürokratisches Monster" 

Der Erfolg ist unübersehbar. Vor 15 Jahren noch musste die Verwaltung der Gemeinschaft mit schmalen 144 Milliarden Euro im Jahr auskommen. Heute stehen ihr 200 Milliarden zur Verfügung und morgen sollen es bereits weit über 300 Milliarden sein.  Das "bürokratische Monster" (Stoiber) ist in ganz Europa das einzige, was noch wächst, abgesehen von Unmut, Steuern, Abgaben und der Bereitschaft, bei der nächsten Wahl unter lauter untauglichen Angeboten das zu wählen, das man bisher noch nicht ausprobiert hat. 

Schlimmer könne es ja nicht werden, sagen sich Millionen nach einem halben Jahr Friedrich Merz, das gefühlt nicht das erste Jahr einer schwarz-roten, sondern doch das vierte der rot-grün-gelben Koalition war. Wenn selbst die Zentralorgane der Regierungssolidarität schlagzeilen "2026 wird kein gutes Jahr für das Nettogehalt" und die früheren Nachrichtenmagazine ihren Heilsbringer als "Parolen-Lars" verhöhnen, hat die Erosion die Bionadeviertel erreicht. 

Das Legitimationsproblem von Unseredemokratie 

Wenn die Demokratie nicht einmal mehr hier verteidigt wird, wo Beamtensaläre und Pensionen sicher und auskömmlich sind oder früher exorbitant hohe Gehälter den Kauf von Wohneigentum erlaubten, das sich heute kein Normalverdiener mehr leisten kann, bekommt Unseredemokratie ein Legitimationsproblem. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, behauptet der Volksmund.

Politik hat natürlich längst bewiesen, dass einmal kein Mal ist. Doch irgendwann passen Auftreten, Ankündigung und Ergebnis  auf eine Weise nicht mehr zusammen, dass selbst die solidarischste Feder über die verschwundende Autorität eines Regierungschefs nur noch sagen kann, dass ihr früherer Besitzer immerhin weiter um sie "kämpfe".

Der Zwiespalt zum Alltag 

Enttäuschungen bringt Politik stets mit sich. Nie bekommt jeder alles, was ihm zugesagt worden ist. Doch wenn die Enttäuschungen schneller produziert werden, als Wählerin und Wähler die ihnen gemachten Versprechen vergessen können, gerät die Demokratie der permanenten Versprechen an ihre Grenzen. Jede neue Kanzlerrede, jede pathetische Ansprache der EU-Chefin und jede Verkündigung des nun aber doch nahenden Umschwungs und Aufschwungs konfrontiert die Menschen mit dem Zwiespalt zwischen dem, was gesagt wird. Und dem, was sie im Alltag beobachten müssen. 

Die letzten zwölf Monate haben gezeigt, wie anhaltende Arbeitsverweigerung der Politik zuerst ein immer weiter wachsendes Misstrauen produziert. Die daraus erwachsende Gefolgschaftsverweigerung immer größerer Teile der Bevölkerung dann zu einer "Gefahr für die Demokratie" erklärt wird, um den  verweigerten Gehorsam über mehr Druck und Drohungen zu erzwingen. Die Politik simuliert die Lösung von Problemen bei Rente, Abgaben, Auflagen und Kriegsfinanzierung. Sorgt aber zuverlässig nur dafür, dass das drohende Systemversagen in die Zukunft verschoben wird.

Steuerprivilegien für Parteibeiträge

Für sich selbst sorgt die demokratische Mitte dabei zuerst. Im großen "Herbst der Reformen" gelang der schwarz-roten Koalition so zwar auch kein großer Wurf. Doch die steuerlich abziehbaren Höchstbeträge für Parteispenden wurden auf 3.300 Euro für Alleinstehende und auf 6.600 Euro für Zusammenveranlagte verdoppelt. Auch die verbliebenen Gewerkschaftsmitglieder bekamen ein Zückerchen gereicht: Ihre Mitgliedsbeiträge sind künftig zusätzlich zum Arbeitnehmerpauschbetrag, der trotz Inflation bei den 1.230 Euro aus dem Jahr 2023 bleibt,  in voller Höhe absetzbar. 

So war der Dezember: 

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