Donnerstag, 27. Oktober 2016

Nobelpreisboykott: Danke, Bob Dylan

Es ist eines der großen Rituale der westlichen Gesellschaft: Die alljährliche Vergabe der Nobelpreise, die seit 115 Jahren wie von einem Uhrwerk getrieben vergeben werden. Aufgeregt wird vorab gerätselt, wer den Preis erhält, den nach Willen von Alfred Nobel die bekommen, „der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“. Danach wird geklatscht und im Fall des Literaturnobelpreises freut sich ein bislang unbekannter Verlag eines unbekannten ägyptischen oder indischen Autoren über einen märchenhaften Aufstieg seiner bislang gänzlich unbeachtet gebliebenen Bücher in der Amazon-Verkaufshitparade.

So geht das, so funktioniert der Preis, der nur in den allerschlimmsten Weltkriegsjahren einmal nicht verteilt wurde. Nobels Nützlichkeitserwägungen, so sehr sie auch im Widerspruch zu Humanität und modernen Auffassungen von Gleichheit und Gerechtigkeit stehen, stehen zurück hinter den Promotioneffekten, die sie für alle Beteiligten abwerfen.

Und nun kommt Bob Dylan, auserkoren, als erster US-Bürger seit 23 Jahren dankbar zu sein dafür, dass ihm ein Preis für die Meisterschaft in einem Gewerk verliehen wird, das er nie zu betreiben behauptet hat. Dylan ist Texter, Texter aus der Not heraus, in seinen Liedern Worte singen zu müssen. Er hat sich nie zum Literaten ernannt. Und er scheint nun gewillt, die Auszeichnung mit dem Literatur-Nobelpreis nicht als "Ehre für die Literatur" zu verstehen. Sondern sie als Gelegenheit zu nutzen, dem verlogenen, auf äußeren Schein und sinnentleerte Routine gründenden Literaturgewerbe seine Verachtung zu demonstrieren.

Dylan tut das, wie er auf vielen seiner Konzerte kommuniziert. Er schweigt. Und die Großakademie, gewohnt, dass verkannte Großautoren auf die Knie fallen, wenn das Telefon klingelt und eine schwedische Nummer angezeigt wird, reagiert verwirrt. Man kömnnte Dylans Tourplan lesen, hinfahren und ihn ansprechen. Aber man will, dass er den Kotau macht, dankbar.

Tut er nicht. Was nimmt dieser Mann sich heraus? Geht nicht ans Telefon, ruft nicht zurück. Lässt keinen Agenten einen schönen Gruß bestellen, weigert sich, einen Termin auszumachen, ja, vielleicht sogar, den Preis anzunehmen?

Ein Mitglied der schwedischen Akademie nennt Dylan deshalb arrogant und unhöflich, Medienarbeiter fragen sich, was denn nun mit dem Preisgeld von 800.000 Euro werde. Die Süddeutsche Zeitung barmt schon kumpelhaft "Bob Dylan, bitte melde dich!"

Schön wäre, er würde es nicht tun. Würde alle Kontaktversuche weiter ins Leere laufen lassen. Würde die Ritualveranstaltung, bei der der schwedische König immer Anfang Dezember in Stockholm die Preise vergibt, ignorieren, wie er seit Jahrzehnten Marktmechanismen, gebräuchliche Tourneestrategien und herkömmliche Vermarktungsroutinen ignoriert.

Dylan, herabgesetzt schon mit der irrigen Preisbegründung, er habe „poetische Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition“ geliefert, bringt die Größe und das Gewicht mit, den ewigen Kreislauf der ewiggleichen Preisvergaben an die ewiggleichen Kandidaten, der ritualisierten Ehrung dauernd öffentlich Anwesender und das gegenseitige Beklatschen der Eliten zu unterbrechen.

Wenigstens für einen Moment.


10 Kommentare:

FDominicus hat gesagt…

Finde ich richtig gut von Bob Dylan. Ich wünsche mir, er bliebe dabei.

Gerry hat gesagt…

Pegida in Stockholm. Schweige das System an. Es gibt keine Berührungspunkte. Eine andere Welt. Wie Jesus und Pilatus.

Anonym hat gesagt…

Der erste Preisträger, dessen Anspruch auf den größten Literaturpreis des Universums Millionen Leuten auf Anhieb einleuchtet, lässt ihn einfach liegen. Die Akademie hat nicht das Gewicht, nicht die Befähigung, nicht die Autorität um Dylan die Qualität seines Schaffens zu bestätigen. Das ist das Signal, und es ist über alle Maßen amüsant.

Die Anmerkung hat gesagt…

Braucht der Robert Zimmermann die Knete nicht?

Anonym hat gesagt…

Trotz seines Zinkens, den Josef Lada oder Philipp Rupprecht nicht besser hinbekommen hätten: Das hat Pfiff, das hat Stil. So sauer es mich ankommt, das zu sagen.

ppq hat gesagt…

gerry, genau so.

Gernot hat gesagt…

Also, seine Kontonummer könnte er denen ja schicken. Praktisch denken, Särge schenken.

Umar Inforap hat gesagt…

Jean Paul Sartre hat ihn auch abgelehnt

Anonym hat gesagt…

Ja, @Umar, Sartre hat ihn offen abgelehnt - Zimmerman aber ignoriert die Truppe völlig, etwa wie lästige Bettler. Das zieht mehr.

Die Anmerkung hat gesagt…

Wochenlang hat er nichts zum Literaturnobelpreis gesagt, so dass sogar die Jury verärgert war. Jetzt taucht Musiklegende Bob Dylan wieder auf und bricht sein Schweigen.

Und erklärt auch gleich den Grund für seine verbale Abwesenheit: Er sei „sprachlos“ gewesen, wird er von der der britischen Zeitung „Telegraph“ zitiert.