Dienstag, 25. September 2018

In der Fankurve: Kanzlerschützer und Jubelstürmer

Was soll man dieser Regierung noch glauben? Fragen Zeitungen, deren Leser sich fragen, was man den Zeitungen noch glauben soll.

Es herrscht große Sorge in den Großraumredaktionen und Einzelschreibstuben. Die Kanzlerin, ja, die ganze große Koalition und darüberhinaus auch die assoziierten Parteien der Opposition, sie verlieren an Vertrauen. Das Volk wendet sich ab, in Teilen zumindest, deren Umfang noch vor drei Jahren nicht zu erahnen war. "Volksparteien" zerfallen im Staub, die auch sich selbst über Jahrzehnte allmächtig scheinenden Parteivorsitzenden rollieren ihre Taktik täglich. Und kommen doch stets zu spät, um dem einzigen Ziel näherzukommen, das sie noch haben: Überleben.

Alle lachen nur noch


Niemand hört mehr zu, alle lachen nur noch. Es ist ganz egal, ob SPD-Chefin Andrea Nahles beim "#SPDerneuern" binnen 48 Stunden in drei Richtungen läuft oder der von Angela Merkel wegen sanfter, aber wiederholter Widerworte auf einen Frühstücksdirektorposten verbannte Wolfgang Schäuble mit Hilfe eines Interviews drei Jahre Wirschaffendas-Politik in den Mülleimer stopft.

Der Unmut der Regierten mit den Regierenden ist so groß, dass er selbst in den hermetischen Korridoren der Macht zu riechen ist. Angst herrscht da, Angst davor, eines nicht allzu fernen Tages nicht mehr mitregieren zu dürfen. Angst, die sich als Angst vor einer Unregierbarkeit des Landes tarnt: Die Frauen und Männer, die das, was nun ihre Machtbasis erodiert, selbst angerichtet haben, können sich gar nicht vorstellen, dass es eine Zeit nach ihnen und ohne sie geben wird. So wie es eine Zeit vor ihnen gegeben hat, die ohne sie auskam.

Sie sind aber beileibe nicht die Einzigen, denen solche Gedanken Furcht einjagen. Von "Tagesschau" bis "heute", von SZ über Zeit, Spiegel, Stern, taz und Frankfurter Rundschau bis zu den politischen Fernsehmagazinen, der allesbeherrschenden Nachrichteagentur DPA und den um die nackte Existenz kämpfenden regionalen Zeitungen bibbert und fiebert eine ganze Branche mit der Groko-Republik und ihrer Kanzlerin. was soll nur werden, wenn Merkel nicht mehr ist? Wenn Maas nicht mehr Außenminister spielen darf? Und die Wieheißtsienochgleich als Justizministerin nicht so wunderbare Gesetze machte?

Den Mächtigen eine Stimme geben


Dort, wo früher kritischer Journalismus war, der als seine Aufgabe verstand, die Mächtigen zu kritisieren und den Ohnmächtigen eine Stimme zu geben, stehen heute die letzten Bastionen der Kanzlerschützer und Jubelstürmer. Verkehrte Welt: Die Mehrzahl der politischen Kommentatoren scheint es als ihre Aufgabe zu sehen, den Mächtigen eine Stimme zu geben und die Ohnmächtigen zu kritisieren.

Angela Merkel ist, das hat zuletzt eine Umfrage unter festangestellten Redakteuren der sogenannten Leitmedien ergeben, bei den Männern und Frauen hinter den Schreibmaschinengewehren der Großverlage heute beliebter als jemals zuvor. Nichts geht über die Kanzlerin bei den im Durchschnitt um die 40 Jahre alten und inzwischen überwiegend mit Pressemitteilungsumschreiben beschäftigten Beschäftigten - das ist kaum ein Wunder, denn ein Großteil der Redakteure, die im Durchschnitt mit etwa 27 Jahren ins Berufsleben treten, hat im Job nie eine andere Kanzlerin kennengelernt.

Angriffe auf Merkel kommen bei diesen eigentlich gut gebildeten, oft historisch interessierten und auslandserfahrenen Menschen an wie Angriffe auf sie selbst: Wer "Merkel muss weg" ruft, schreit auch "Lügenpresse", wer das eine meint, ist des anderen verdächtig, diese Auffassung hat sich unter Reportern und Redakteuren früh manifestiert. Seitdem marschieren Kanzleramt und Edelfedern im Gleichschritt gegen ihre Kritiker: Je mehr die Angst wächst, Andersdenkende nicht mehr überzeugen zu können, desto lauter wird die Ansprache. Mit Hilfe von selbstgemachten Fake News, an die man selbst als einziger glaubt, suggeriert man sich Erfolge, die es nicht gibt.

Der Schulterschluss zwischen Politik und Berichterstattern, er hält. 2008 zeigte sich Angela Merkel ebenso generös den Sorgen der Branche gegenüber wie 2014. 2018 gab es dafürt nun den "Ehren-Vitoria" für die "bisherige politische Gesamtleistung". Ein Signal. „Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu“ heißt es in einem Liedtext von Max von Schenkendorf aus dem Jahr 1814, dessen Melodie vom französischen Jagdlied „Wer jagen will, muss früh aufstehen“ übernommen wurde.

Jagd ist nicht geplant


Was die Berichterstattung betrifft, ist Jagd nicht geplant. So trampelig die Großkoalitionäre auch durch die politische Landschaft stampfen, so schnell sie auch eine Demokratie zerlegen, die mehr als 50 Jahre recht kommod funktioniert hat - auch im ARD-Hauptstadtstudio herrscht nur die Sorge, dass "irgendwie untergeht, dass die Groko arbeitet". Toll sogar, wie "Tagesschau-Kommentatorin Nina Barth findet. Ist das "Gute-Kita-Gesetz" nicht ganz fantastisch? Hat nicht der Gesundheitsminister "Pläne vorgelegt für Verbesserungen in der Pflege oder auch für schnellere Arzttermine"? Und sollen nicht "im kommenden Jahr Familien entlastet werden"?

Wo die Liebe hinfällt, fällt Kritik aus und das Begreifen schwer, dass sich auch mit verzehnfachten Bemühungen kein Mensch ein X für ein U vormachen lässt, wenn er erstmal Lesen gelernt hat. Stattdessen wendet er sich ab und verzichtet auf Teilnahme am Versuch, sich Fakten durch die Brille regierungstreuer Schreibbeamter anzuschauen.

Ein "Konjunkturprogramm für rechte Protestbewegungen" nennt es die Frankfurter Rundschau, die selbst als bestes Beispiel für publizistisches Totalversagen gelten kann. In den letzten sechs Jahren verlor das früher linksliberale Blatt 70 Prozent seiner Auflage. Mit unter 30.000 verkauften Exemplaren spielt das frühere Gewerkschaftsblatt in einer Liga mit randständigen Publikationen wie Junge Welt und Junge Freiheit.

Erstaunlich sind die Schlussfolgerungen, die nicht nur die Frankfurter Rundschau, sondern die gesamte Branche aus ihrem galoppierenden Relevanzverfall ziehen. Selbst im Moment des Offenbarungseides einer Regierung, die nicht mehr als Ziel eint als Sehnsucht, gegen alle Widerstände an der Macht zu bleiben, wird gelobt: Nun hat sich Merkel, die damit ihre letzte Karte spielt, entschuldigt. Große Geste. Alle Achtung.

Noch mehr vom Selben, nur lauter. Noch radikaler in der Verteidigung der Regierenden und noch nachdrücklicher in der Verurteilung aller, die es wagen, Groko-Entscheidungen infrage zustellen.

Regierungskritik ist verantwortungslos


"Unverhältnismäßig und verantwortungslos" handele, so die "Tagesschau", wer wegen einer Nebensächlichkeit wie der Affäre Maaßen, die das ganze Ausmaß der zerrütteten Verhälnisse an der Spitze des Landes zeigt, ein Ende der großen Koalition fordere. Jetzt müsse mal Ruhe sein, damit die Regierung mal regiergen könne, zum Besten aller! Die mühen sich doch! Sie tun doch, was sie können! Sie lieben uns doch, sie lieben uns doch alle!

So wenig die Frauen und Männer an der Spitze der Parteien und im Kabinett zu spüren scheinen, wie sie mit jedem tolpatschigen Rettungsversuch nur noch immer tiefer in den Sumpf der Überflüssigkeit sinken,  sowenig schrillen in den Redaktionsstuben Alarmglocken, wo aus dem Versuch, Lesern das Gute und Richtige mit dem Knüppel einzuprügeln, gruppen- und personenbezogene Menschenfeindlichkeit wird, die auch wieder nur das Gegenteil all dessen erreicht, was sie zu erreichen sucht.


5 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Ich weiß nicht, ob es gar so toll ist, was sich der Spahn da hat ausdenken lassen, weil es ihm selber an der Denkfähigkeit mangelt.

Gleich nach unserem Ableben mögen wir in eine Ausweiderei gekarrt werden, also zu den Eingeweide-Ludolfs dieser Welt, um nach noch Verwertbarem zu schauen, um dies für lau in andere Wracks reinzubasteln.

Florida Ralf hat gesagt…

> Sie lieben uns doch, sie lieben uns doch alle!

hier lachte ich soeben unvermittelt meine partnerin aus dem schlaf, welche daraufhin munter zu keifen anbegann. danke, ppq!

ppq hat gesagt…

dann ist etwas schrecklich schiefgegangen. eigentlich sollte jeder gar bitterlich weinen, der den text gelesen hat

derherold hat gesagt…

Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu

DaSS würde ich nicht zitieren wollen. Das ist 6.5 auf der nach oben offenen Höcke-Skala.

ppq hat gesagt…

@herold: mit korrekter quellenangabe darf man das, wir haben da extra freigabe von BBAA erbeten