Montag, 21. Oktober 2019

Ein Terrornetz aus Löchern: Einsam, aber nicht allein


Zwar handelte der Todesschütze von Halle allein, doch widerstrebt es den deutschen Medien auch in Woche zwei danach, ihn nur deshalb einen "Einzeltäter" zu nennen. Irgendwo wird sich irgendwann sicher noch eines der berühmt-berüchtigten "Netzwerke" finden, die immer zur Stelle sind, wenn Terror von rechts die Republik erschüttert. Während islamistischer Terror automatisch dazu führt, dass der Urheber von "Lkw-Vorfällen", Messerstechereien mit unklarer Motivlage oder antisemitischen Synagogenbesuchen als verwirrt, psychisch labil oder schon länger als drogensüchtig und kriminell bekannt abgelegt werden kann, ist der sich selbst radikalisierende deutsche Antisemit eine einzige Einladung zur Spekulation über seine Hintermänner, Inspiratoren und Finanziers.

Überall sind Netzwerke, vor allem dort, wo sie nicht zu sehen sind. Gerade fehlende Hinweise auf irgendwelche Verbindungen zu Gleichgesinnten deuten auf die besondere Raffinesse, mit der "eine sich immer weiter radikalisierende rechte Szene" (Tagesschau) heutzutage ihre Querverbindungen tarnt: Der Mörder von Halle etwa nutzte "die Sprache einer rechtsorientierten Online-Subkultur, die sich in anonymen Plattformen und Gameforen vernetzt und gegenseitig aufstachelt" (Tagesschau), so dass kein Zweifel daran bestehen kann, dass er Helfer, Freunde und Gleichgesinnte hatte, die nur noch nicht gefunden worden sind.

Einsam, aber nicht allein, dumm, aber gerissen, dieses Bild zeichnen deutsche Medien von einem feigen Killer, dessen absurd unsinnige Tat so im Nachhinein vom Unternehmen eines augenscheinlich schwer psychisch Gestörten zum strategisch angelegten rechtsextremen Kommandounternehmen verklärt wird. Stephan Balliet wird so trotz seines aus seiner eigenen Sicht grausamen Versagens bei der Tatbegehung zum dem rechten Rächer im Namen einer von ihm imaginierten weltweiten Bewegung, der er zu werden geplant hatte.

Ein Einzeltäter, dessen Lebensgeschichte auch nach fünf Tagen intensiver Ermittlungen von 150 Beamten und 2000 Reportern keinerlei Hinweise darauf geliefert hat, dass er einer rechten Kameradschaft angehörte, rechte Demonstrationen besuchte oder auch nur Wähler einer rechten Partei gewesen sein könnte. Den größten Teil seiner Terrorvorbereitungen finanzierte nicht der Klu-Klux-Clan, die NPD oder die AfD, sondern das Jobcenter. Und das Training an der Waffe absolvierte Balliet nicht in einer Wehrsportgruppe, sondern bei der Bundeswehr.

Doch es kann nicht sein, was nicht sein darf, und wenn er schon allein gehandelt hat, dann muss dieses allein eines der kollektiven Art gewesen sein: Baillet wird zum "Teil eines großen virtuellen Netzwerks" (Spiegel), weil er seine Tat für fünf Zuschauer live streamte und dabei ein rudimentäres Englisch sprach. So einfach ist es, Mitglied einer rechtsextremen "Internationale der Menschenhasser" (Spiegel) zu werden, lautet die Botschaft, die deutsche Leitmedien in diesen Tagen an alle senden, die bisher vielleicht noch meinten, sie müssten sich tatsächlich ein Unterstützernetzwerk besorgen, eine Terrorgruppe gründen oder sich mit anderen Gleichgesinnten zusammentun, um ihre wirren Fantasien unüberhörbar zu vermitteln.

Das ist nicht nötig. Nachdem die NPD als Urheber allen Unbills auf Erden ausfiel und Trump oder Putin schwerlich für den Nazikiller aus Bennstedt verantwortlich gemacht werden können, richten sich alle Blick wie automatisch auf die AfD. Die eigenen Politik des Kaputtsparens der Polizei, der Schließung von Schulen und der Renaturierung weiter Flächen in Ostdeutschland keinesfalls Ursache oder Anlass wahnwitziger Taten irgendeiner Art sein können, müssen es die Rechtspopulisten oder wenigstens die - von ihrer Wirkungsmacht längst vollkommen bedeutungslose - "Identitäre Bewegung" sein, die als dunkle Mächte am Werk sind und eine gleichermaßen elegante wie nachnutzbare Erklärung dafür liefern, dass ein an einer deutschen Schule ausgebildeter, über zwölf Jahre von deutschen Lehrern und einer Lehrerinnenmutter betreuter junger Mann, der nicht einmal in der DDR geboren und deshalb weder Mitglied der FDJ noch der Jungen Pioniere gewesen sein kann, eine irrwitzige und ekelhafte Tat wie die begehen konnte, mit der dieser Stephan Balliet halb kaltblütig und halb debil vor sich hinstotternd eine ganze Nation schockte.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Danke für diesen Text!