Donnerstag, 25. Juni 2020

HFC: Fußball wie am Flippertisch

Pascal Sohm trifft per Kopf, auch eine Seltenheit.

"Schnorre" nennen sie ihn, den neuen Trainer des Halleschen FC, der aussieht wie ein großer Junge und spricht, als sei Abstiegskampf eine Quelle steten Vergnügens. Seit "Schnorre" an die Saale kam, hat die vierte Hälfte der HFC-Saison begonnen: War die erste noch geprägt von einem sportlichen Rekordlauf, der aussah, als könne er nur mit einem magischen Home Run in Liga 2 enden, bestand der zweite aus einem selbst in Halle noch nie gesehenen Absturz vom Tabellenführer bis in die Abstiegsränge. Teil 3 war dann das Missverständnis mit Kurzzeittrainer Ismail Atalan, ein irritierendes Interim, in dem alles noch schlimmer wurde, obwohl es ohnehin schlimmer war als überhaupt möglich.

Dann kam Florian "Schnorre" Schnorrenberg, ein hagerer Kerl, von dem noch zuvor irgendjemand gehört hatte. Er legte die Hand auf. Oder sprach Gebete. Und er leitete tatsächlich eine Wende ein, wie Egon Krenz es genannt hätte. Das lecke Schiff HFC fuhr wieder, die Stürmer trafen und einmal, ein einziges Mal, blieb die Abwehr sogar so dicht, dass Torwart Kai Eisele nicht noch einmal hinter sich greifen musste.

Das Wunder von der Saale machte Hoffnung, dass der Klassenerhalt doch noch gelingen kann - eine Hoffnung, die nach der Begegnung mit dem alten und bereits abgestiegenen Rivalen aus Jena nun neues Futter erhalten hat. Zahlen lügen nicht: Der HFC steht jetzt auf Platz 6 der Formtabelle der Liga, vor ihm nur Aufstiegskandidaten und Vereine, die sich dafür halten. Trotz des späten, unverdienten und nur durch eine miserable Schiedsrichterleistung ermöglichten 1:1 gegen Magdeburg und die Auswärtsniederlage der B-Elf bei 1860 Mölders ist der HFC aus dem Loch geklettert, in das ihn Werweißwasauchimmer im Spätherbst vergangenen Jahres gestürzt hatte.

Mehr noch. Schnorrenbergs Ausbeute liegt bei drei Siegen, einem Remis und einer Niederlage aus fünf Spielen mit 13:8 Toren. Das macht zehn von 15 Punkten - ein Punkteschnitt von 2, der jede Mannschaft zum sicheren Aufsteiger machen würde. Zum Vergleich:  Trainervorgänger Atalan hatte es auf ein Unentschieden und vier Niederlagen gebracht, mit 4 zu 12 Toren und einem Punkteschnitt von 0,2 - das liegt sogar nur bei einem Fünftel dessen, was Jena zustandegebracht hat, der erste Absteiger, der feststand.

Boyd macht das 5:3. Aufatmen in Halle.
So viele Rätsel immer noch, so viele Fragen. Und das Spiel gegen die frühere Oberliga-Konkurrenz von den "Kernbergen" (Waldefried Forkefeld) beantwortet im Grunde genommen nicht eine. Denn der HFC in Bestbesetzung, der im menschenleeren Erdgas-Sportpark antritt, gleicht über weite Strecken der furchtsamen Truppe aus dem Atalan-Interim. Es gibt wenig Zuordnung und es ist kein Plan zu sehen, außer vielleicht der, dass Julian Guttau schnell außen durchlaufen und nach innen auf Terrence Boyd flanken könnte. Davon abgesehen sollen es die langen Bälle von Sebastian Mai richten, scharf geschlagen, sehr gut gezielt. Doch jeder einzelne Versuch prallt an Jenas Abwehr ab wie an einer Gummiwand.

Es braucht deshalb eine der neuen, gerade noch im rechten Moment erfundenen Waffen des Schnorre-HFC, um das Spiel in die richtige, in die rettende Richtung zu lenken. Ecke Toni Lindenhahn, Kopfball Pascal Sohm. 1:0 in der 8. Minute, ein Standardtor, wiedermal - bis zum Amtsantritt des Neuen auf der HFC-Bank war das bei Halle so selten wie eine Klatschmohnblüte auf dem Rasen des früheren Wabbel-Stadions.

Statt aber nun mal langsam ins Spiel zu finden, hühnerhaufen die Roten weiter, als wüssten sie noch gar nicht, dass sie wieder der Aufstiegs-HFC sind, nicht her der Abstiegs-HFC. Nur fünf Minuten nach der Führung, fünf Minuten, in denen nur der FC Carl-Zeiss spielt, schlägt es bei Eisele ein. 1:1.

Die Köpfe runter, die Stimmung mit. Jena spielt weiter, schön über die Außen. Schnorres Rettungskommando ist damit beschäftigt, nicht die Übersicht zu verlieren. Und verliert sie dann doch: Daniele Gabriele bekommt einen Ball von rechts serviert, als er mutterseelenallein im Strafraum steht und so genug Platz hat, zu einem Seitfallzieher der sehenswerteren Art anzusetzen. Peng. 2:1 für den Absteiger.

Zum Glück für die jetzt sichtlich angeknockten Gastgeber betreibt dessen Abwehr eine noch größere Schießbude als der HFC. Drei Minuten und einen weiteren Sohm-Treffer braucht es, um den Rückstand zu egalisieren und das Ziel, drei lebenswichtige Punkte gegen den Abstieg zu holen, wenigstens im Blick zu behalten. Sohm diesmal per Fuß. Der Schnorre-HFC lebt wieder, aber es ist beileibe kein schönes Leben.

Besser wird es, als Julian Guttau, seit Wochen einer der Besten in Rot und Weiß, fünf Minuten nach Wiederanpfiff zu einer Ecke antritt, diesmal von links. Kommt so, wie HFC-Ecken jahrelang nicht kamen. Erwischt Kapitän Mai voll am Kopf, weil der ganz allein in die Luft gestiegen ist. Und prallt von dort unaufhaltsam zum 3:2 in die Maschen des Jenaer Kastens.

Das muss es nun gewesen sein. Souveränität und Gelassenheit, eine klare Linie und ein bisschen Siegesgewissheit, sie müssen sich doch nach diesem Spielverlauf einstellen. Aber nein, tun sie nicht. Jena lässt den Ball laufen, Halle läuft hinterher. Und nach knapp zehn Minuten steht es auf einmal 3:3, nachdem Aytac Sulu nach einer Ecke in Mai-Manier eingeköpft hat.

Ein Fußballspiel wie am Flipperautomaten. Wild springt der Ball, wild flackert die Anzeigetafel. Eine halbe Stunde ist nur noch zu spielen und Schnorres Männer scheinen der Verzweiflung nahe. Abgesehen von Guttaus Vorstößen auf der linken Seite ist immer noch keine Medizin in Sicht, die gegen eine Jenaer Mannschaft helfen könnte, die spielt, als machte ihr es ihr ziemlichen Spaß, Hale Abstiegsschmerzen zu  bereiten.

Zum Glück aber ist da ja noch Terrence Boyd, bis dahin weitgehend abgemeldet und mit erstaunlichen Schwierigkeiten, sich bei der Ballannahme zu behaupten. Doch in der 63. Minute wittert der selbsternannte "Zyklop" eine Chance, wo keine ist: Sulu hüpft der Ball vom Fuß, Boyd schnappt ihn sich, umläuft Jenas Keeper Niemann und trifft zur erlösenden erneuten Führung. Eine Anzahlung auf drei Punkte, die erst in der 82. Minute sicher sind, als Guttau noch mal außen durchläuft und nach innen passt, wo Boyd nicht einmal mehr schießen, sondern den Ball nur nur in Richtung Tor umlenken muss.

Dann endlich ist es vorüber, ein wichtiger, vielleicht überlebenswichtiger Sieg im Kasten, der drei der sechs Punkte bringt, die der Hallesche FC noch brauchen wird, um nicht in der kommenden Saison wieder gegen Jena spielen zu müssen, eine Elf, die seit Jahrzehnten einer der Angstgegner für Halle ist. Der letzte Heimsieg gegen die Thüringer vor diesem 5:3 datierte immerhin aus dem April 1991, als eine Mannschaft mit Torwart Jens Adler, Dirk Wüllbier und Lutz Schülbe mit 2:0 gewann.


5 Kommentare:

Carl Gustaf hat gesagt…

Aus meiner Sicht braucht es nur noch zwei Punkte, die eigentlich mit dem Spiel gegeb MD schon hätten drin sein müssen ... ja, wenn der Schiri hätte ...
Ich gehe aber davon aus, dass es den einen oder anderen trotz der grosszügigen Handhabung der Insolvenzregelung durch den DFB wirtschaftlich treffen wird. Von Türkgücü aus München heisst es, dass die noch nicht einmal ein Stadion für nächstes Jahr haben.

ppq hat gesagt…

das kommt wohl hin, aber bleiben wir mal lieber pessimistisch

Die Anmerkung hat gesagt…

>> die frühere Oberliga-Konkurrenz von den "Kernbergen" (Waldefried Forkefeld)

Das liest sich zwar fluffig, hab's trotzdem als Kopie an die Haßmeldestelle gekabelt. Ich weiß nur nicht mehr an welche.

Zwischen den Zeilen, auch wenn da nur eine ist, steht da, die an den Kernbergen Fußballernden mattern nicht. Heutzutage, wo alles unter dem Matternmikroskop betrachtet werden muß, ehe man sich zu dem äußert, was man im Okular wahrgenommen hat, heutzutage zählen auch Spaßballtreter aus der Nachbarschaft, auch wenn sie keinen zählbaren erfolg vorweisen können.

Oder war das das Makroskop.

Wann wird das Matterhorn umbenannt? Tuba ist viel wichtiger.

ppq hat gesagt…

was ist denn "mattern"? ham sie schon wieder was umbenannt? und das fax ist bei uns nicht angekommen?

Die Anmerkung hat gesagt…

Mattern ist, wo die jetzt alle dafür sind, oder dagegen protestieren. Ich weiß es auch nicht so genau. Die einen sagen black lives matter wie Sau, die anderen flugzeugen in der Gegend rum, daß white lives auch mattern.

Insofern muß das Matterhorn entweder rückbenannt werden, oder alle anderen Blasinstrumente bekommen auch das Matter vorne dran.

Halle mattert wie noch nie,
fickt die Jenenser fett ins Knie.

Früher wäre ja so ein Spruch von den Rängen ja drin gewesen. Aber jetzt schicken sie Papaufsteller von Bin Laden als Jubelperser.

Was für verrückte Zeiten.