Samstag, 13. Juni 2020

Die Wiedergeburt des Halleschen FC: Der Wundertäter

Corona-Test, erster Sieg, zweiter Corona-Test, dann zum Friseur, dann zweiter Sieg: Florian Schnorrenberg (3.v.l.) feierte in Meppen bereits Sieg Nummer 2 im zweiten Spiel.

Fußball-Archäologen werden dereinst vielleicht darangehen, herauszufinden, was passiert ist in diesen sechs Monaten, die die wildesten waren, die der Hallesche FC seit dem Tag seiner Gründung erlebt hat. Platz 3 in der Oberliga, Europacup und Hotelbrand, Ligaabstieg, Oberliga-Comeback mit Wosz, Tretschok und Karl, der Absturz in die 5. Liga, die lange Rekonvalezenz und die Eroberung eines Stammplatzes in der 3. Liga - all das verblasst gegen dieses halbe Jahr.

Ein Aufstiegsanwärter spielte die beste Halbzeit seiner an Höhepunkten nicht armen Hinrunde. Gegen einen Gegner in Unterzahl. Die graue Maus von der Saale, von Trainer Torsten Ziegner zu einem Tiger umgemodelt.

Und am Ende steht ein 3:3 auf der Anzeigetafel. Ein Bruch, dem der zweite folgte, als die Tormaschine Terrence Boyd den Aufstiegsfavoriten Duisburg in letzter Sekunde abschoss. Dass es der letzte Sieg des HFC für die nächsten 190 Tage bleiben sollte, ahnte niemand.

Es waren düstere Monate, gerade weil eine Ursache für den beispiellosen Absturz sich nie zu erkennen gab. Zwischenmenschliche Verwerfungen? Privater Streit? Als der als Heilsbringer und Aufstiegstrainer gefeierte Torsten Ziegner vor Weihnachten öffentlich bekundete, er benötige für den Aufstieg eins, zwei, vier, ganz viele neue Spieler, kam das womöglich als Misstrauensbekundung bei einer Mannschaft an, die in eine Ergebniskrise gerutscht war. Wem aber gesagt wird, dass er nicht reicht, der reicht danach häufig wirklich nicht mehr.

Der Betriebsfrieden war gestört, die Neuen schlugen nicht ein. Als es weiterging, spielten überwiegend doch wieder die, die zuvor die Aufstiegsträume befeuert hatten. Nur spielten sie jetzt schlecht und immer schlechter und selbst der im Fußballgeschäft probate Versuch, mit einem neuen Mann auf der Bank neues Glück herbeizuzwingen, fruchtete nicht.

Ismail Atalan, als Retter geholt, kam, sah und verlor. Der Westdeutsche wirkte in den wenigen Wochen seines Engagements an der Saale nie wie der Mann, der Lösungen mitgebracht hatte. Sondern eher wie einer, der geglaubt hatte, die Mannschaft des HFC sei so gut, dass jedes andere Gesicht auf der Trainerbank sie sofort von den Toten aufwecken würde.

Nicht jedes. Es brauchte noch einen Trainerwechsel, von der Mannschaft in Zwickau mit einer fast baugleichen Wiederholung des 1:6-Debakels gegen Bayern München II mutwillig provoziert. In einem sicher auch finanziellen Kraftakt - immerhin stehen mit Ziegner und Atalan weiterhin zwei Fußballlehrer auf der Lohnliste des HFC - wurde Florian Schnorrenberg verpflichtet, ein hörbar westdeutscher 43-Jähriger ohne Meriten, dessen Leistungsnachweis dem Atalans mehr ähnelt als dem Ziegners.

Aber wie das so ist: Fallen die richtigen Zahlen, ist es egal, in welcher Filiale der Lottoschein abgegeben worden ist. Schnorrenberg, ein hagerer Kerl mit dicken schwarzen Augenbrauen, feierte im ersten Spiel den ersten Sieg. Ein nicht für möglich gehaltenes 3:0 gegen Aufstiegsanwärter Mannheim. Und im zweiten folgte nun ein 3:2 in Meppen, glücklich, aber verdient. Was hat der Mann gemacht? Handauflegen?

Für den HFC-Anhang ist das die längste Siegesserie seit November, als Jena und Duisburg hintereinander geschlagen wurde. Noch ein Sieg mehr, und schon wären die beiden längsten Siegesserien der Saison eingestellt, noch errungen unter Ziegner in der Zeit der endlosen Euphorie jenes Herbstes im Himmel der Aufstiegsträume. Und nur noch einen mehr, dann wäre der Wundertäter Schnorrenberg, der mit Nichts kam und gemeinsam mit dem neuen Co-Trainer Daniel Ziebig aus Nichts Alles zauberte, erfolgreicher als sein auf dem Höhepunkt seines Schaffens heiliggesprochener Vorgänger Torsten Ziegner.

Soweit ist es nicht, noch lange nicht. Doch was die Mannschaft des HFC, personell weitgehend identisch mit der, die in den letzten Monaten in jener rätselhaften, weil augenscheinlich grundlosen Abwärtsdynamik steckte, in den beiden Spielen unter "Schnorre" auf dem Platz zeigte, unterschied sich grundsätzlich von dem, was sie Ismail Atalan zu geben bereit gewesen war.

Plötzlich wird wieder gelaufen, gegrätscht und miteinander gespielt. Sebastian Mai, der wochenlang wirkte, als glaube er, er solle, wolle und müsse den Abstieg allein verhindern, ist wieder Mannschaftsbestandteil, weil es wieder eine Mannschaft gibt. Die Abwehr, in den dunklen Stunden nur eine Behauptung auf der Taktiktafel, steht wieder, zumindest zumeist. Guttau und Sohm liefern Vorlagen und treffen. Boyd trifft. Und es werden sogar Tore nach Standards erzielt, eigentlich traditionell ein Totalausfall beim HFC.

Noch sind es nur drei Punkte bis zum ersten Abstiegsplatz und ein Verbleib in der Liga ist angesichts des Restprogramms mit Spielen gegen den ebenfalls abstiegsbedrohten Regionalrivalen Magdeburg, den ums Überleben kämpfenden FC Kaiserslautern, die abgeschriebenen Jenaer und die Aufstiegskandidaten 1860 München, MSV Duisburg und Würzburger Kickers alles andere als sicher. Aber wenn Florian Schnorrenberg weiter seine Wunder tut, werden Fußballarchäologen später vielleicht nicht nur die Frage zu klären haben, warum eine der erfolgreichsten Mannschaften der Liga erst schleichend, dann aber schlagartig zur erfolglosesten werden konnte. Sondern auch, wie es anschließend gelingen konnte, ein Restprogramm von neun Spielen zu nutzen, um nicht nur unten raus, sondern sogar wieder oben dran zu kommen.

2 Kommentare:

Carl Gustaf hat gesagt…

War auf Magenta ganz deutlich zu hören, noch vor dem ersten Ausgleich durch Meppen: "Beissen ... wir brauchen Dich!". Vielleicht sind es diese Worte, die die Mannschaft braucht, um das nötige aus sich rauszukitzeln.

Jodel hat gesagt…

Das Drama beim HFC ist einer griechischen Tragödie würdig. Hoffentlich steht nach der Katharsis der Klassenerhalt fest. Nicht das ich mir schon wieder einen neuen Trainernamen merken muss. Für dieses Jahr reicht es.