Sonntag, 25. Oktober 2020

Staatspunk: Die Ärzte im Oktoberklub

Was passt besser in eine Pandemie als Ärzte in der Spätnachrichtensendung, umgeben von aktuellen Zahlen und warnenden Mahnungen zum weiteren Seuchenverlauf? Im neunten Corona-Monat war es soweit: Die Ärzte eröffneten die "Tagesthemen" im Gemeinsinnfunk, ordentlich ironisch in schwarzen Anzügen und weißen Hemden, dünne schwarze Binder um den Hals und aus ihren spätkapitalistischen Instrumenten die Erkennungsmelodie der Sendung wringend.

Punk, 34 Jahre nach "Anarchy in the U.K."  und Johnny Rotten gesellschaftsfriedensfeindliches Bekenntnis "I am an anti-Christ, I am an anarchist" und seinem Wunsch "God save the queen, the facist regime". Der Fortschritt ist unüberhörbar - die Ärzte hatten gar keinen Text mitgebracht. Es ist ja so schwer geworden, nichts Falsches zu singen, wo schon noch ältere Künstler wegen mangelnder Bereitschaft zur Verteidigung "pluralistischer Werte" als Beteiligte in "völkischen und rassistischen Diskursen" ans Ende der Meinungsvielfaltstoßen.

Die Ärzte, immer schon die Streber im deutschen Punk, sind viel zu schlau, sich in eine solche Gefahr zu begeben. Sie haben immer wieder vom "Ficken" gesungen, immer aber auch die richtige Position zu den großen Menschheitsfragen bezogen. Unvergessen ist ihr "Schrei nach Liebe", aber auch das feministisch-engagierte "Männer sind Schweine", eine Bezichtigungshymne, gegen die niemand etwas sagen konnte. Großtaten der deutschen Popmusik, die zugleich politisch korrekt und frankzanderhaft zum Schenkelklatschen geeignet waren. 

Die Selbstironie, die in einer Miniatur wie "Buddy Holly's Brille" noch so sagenhaft strahlte, überholte sich selbst, wie im DDR-Rock war die Botschaft so sorgsam dreifach verschlüsselt, dass alle Lesarten möglich wurden. Punk war das nie, weil Punk immer auch mit Wut und Ohnmacht zu tun hatte. Der Pop der Ärzte aber rebellierte nicht mit einem zynischen "God save the queen, the facist regime", das auf  Deutsch übersetzt womöglich "Danke, Merkel!" lauten würde. Sie waren die braven Partisanen vom Amur, ÖPNV-Rebellen mit Bahnsteigkarte, gut Freund mit dem Establishment.

Die Ärzte formulierten nie Wut, schon gar nicht auf ein System, denn sie sind selbst systemrelevant. Ihr Punk war Ware, spätestens ab „Beste Band der Welt sucht Plattenfirma“, mit dem das Trio die Reihenhaussiedlungen der Republik als Zielgruppe anvisierte.

Der Auftritt in den "Tagesthemen", die dort ebenfalls ihre Hauptzielgruppe sitzen wissen, ist nur eine logische Folge der Entwicklung. Hätten die Ärzte nicht ja gesagt, wären es zweifellos die Toten Hosen gewesen. Hier wuchs zusammen, was zusammengehört: Die als "Staatssender" verhöhnte  ARD holt sich, was sie für street credibility hält. Die Ärzte, Meister im Marketing, dekonstruieren mit ihrem Gastspiel die Mechanismen, mit denen im anderen Deutschland  Musikformationen popularisiert wurden. 

Niemand dort hatte so viele doppelte Böden in der Gitarre wie diese drei, denen heute geradezu Böll'sche Miniaturen aus dem deutschen Alltag gelingen. "Meine Freundin war einmal für eine Weile rechtsradikal, doch dann hat sie es sich überlegt: Liebe brachte sie auf den richtigen Weg, niemand wird als Faschist geboren, man muss um sie kämpfen, sonst sind sie verloren", heißt es in "Liebe gegen rechts", das den Puhdys zweifellos noch übelgenommen worden wäre. Heute formuliert es Hoffnung für Monika Maron, für Uwe Steimle und vielleicht sogar für Xavier Naidoo, die alle noch errettet werden können. Und sei es mit solchem Scherzrock, der Walter Ulbrichts großen Beatmoment zitiert: "Man braucht Liebe und ruhig Blut, denn mit Liebe wird am Ende alles gut (Oh yeah)". 

Wo es so singt, das lass dich ruhig nieder, denn wer so singt, der hat keine besseren Lieder. In der Rolle des Oktoberklub liefern Bela B., Farin Urlaub und Rodrigo Gonzales große Unterhaltung für großen Menschenmengen und gemeinsam mit "ARD aktuell" gelingt ihnen ein weiterer gewaltiger social media-Erfolg, zufällig punktgenau am Tag der Veröffentlichung des neuen Albums. Der Kunst geht es schlecht seit Corona. Drei Künstlern aber nun wenigstens nicht mehr.


7 Kommentare:

Florida Ralf hat gesagt…

> Der Fortschritt ist unüberhörbar - die Ärzte hatten gar keinen Text mitgebracht. Es ist ja so schwer geworden, nichts Falsches zu singen

ja-haa, aber es ist nicht mal mehr einfach, so mir nichts dir nichts das richtige richtig genug zu singen. so der chefrezensent des spiegel:

"Die Reime und der Rock sitzen noch, das Politische ist eher kompliziert ... Nicht ganz so viel Griffkraft zeigen Die Ärzte im Politischen, das ist ernüchternd ... Die Pointe als Selbstzweck. Das wirkt in "Liebe gegen Rechts" befremdlich verdreht, wenn die Freundin des Protagonisten von einer Strophe auf die andere erst rechtsradikal, dann kriminell, dann transgender ist - und die Ärzte insinuieren, dass alles gleich abartig ist und angeblich mit viel Liebe geheilt werden kann."

vielleicht koennte man ihn fuer eine grussadresse auf der parteischulung fuer lyrisch schaffende kuenstler des veb punk gewinnen.

ppq hat gesagt…

man muss auch den wohlmeinenden künstler, der sich nach kräften bemüht, natürlich immer daran erinnern, dass es nicht reicht, nur zu wollen, er muss auch können!

Anonym hat gesagt…

Ich habe nun Angst, Die Ärzte auf Youtube zu gucken, weil sie nicht klar genug sagen, wo sie stehen und welchen Weg sie gehen. So eine Suchhistorie wird irgendwann zu Erklärungsbedarf führen.

Anonym hat gesagt…

der westdeutsche "punk" war schon immer unfreiwillig komisch , auch die Ausflüge einiger "punk"-Darsteller ins Feuilleton waren dialektisch -diskursive Verrenkungen .

heute wirkt der Staatspunk wie Kattarina Witt 1988 beim Blümchenempfang in Wandlitz .

bin gespannt was passiert wenn der böse Kreml demnächst die Geheimkonten bundesdeutscher Bespaßungsspezialisten ins Internetz stellt .

Anonym hat gesagt…

Die Ärzte sind kein Punk, war es nie und wird es nie sein.
Wer Deutsch Punk hören will hört Angeschissen oder Daily Terror oder so.

Jodel hat gesagt…

Die deutschen Punk-Bands verkommen zu Staatskapellen. Traurig aber wahr.

Auf der anderen Seite des Spektrums sieht es aber kein bisschen besser aus.
Glaubte man doch früher, Rock und Metall seien durch eine gewisse staatsferne, eines über die Stränge schlagens und Argwohn gegenüber den Etablierten geprägt. So Sex, Drugs und Rock`n Roll mäßig halt. Wenigstes ein wenig in diese Richtung, die reine Lehre kriegt man ja nie.

Wer aber auf dem Haussender dieser Stilrichtung, der Rockantenne, reinhört wird umgehend eines besseren belehrt. Mehr Merkel-Verehrung, Trump-Bashing, Maske auf, alle halten sich an die Regeln und lieber grünen Tee statt Alkohol findet man auch bei den Punkbands nicht.

So weit ich das aus der Ferne mitbekommen habe, haben viele Bands in der DDR wenigstens versucht zwischen den Zeilen ihre Kritik an den Zuständen unterzubringen. Selbst das ist heute komplett weg. Alle ziehen nur noch an einem Strang. Jede Kritik gilt als Häresie.
Es ist zum gruseln.

derherold hat gesagt…

"der westdeutsche "punk" war schon immer unfreiwillig komisch"

"Punk" hat in Westdeutschland nie eine WIRKLICH wichtige gesellschaftliche Rolle gespielt. Die Ärzte, Tote Hosen, etc waren eher "Pop" ... nur weniger stylish als Adam Ant. :)

Ich könnte mir vorstellen, daß "Punk" politisch(!) in der DDR eine größere Rolle gespielt hat.

Großbritannien, vor allem England, ist eine ganz andere Kiste. Die englische Klassengesellschaft, eine stärker "wütende" proletarische Jugend, noch echte Bürgerkriegssituation mit der IRA, die nach Glasgow und England ausstrahlte, eine polarisierendere Staatslenkerin mit Thatcher ...