Samstag, 9. Januar 2021

Kampf ums Kanzleramt: Die Iden des Merz

Vier Männer sind angetreten, die CDU und damit auch das Land zu führen.
Ein bisschen Pech ist immer dabei. Jens Spahn weiß es inzwischen ziemlich genau, denn das Unglück, das dem Bundesgesundheitsminister auf eine so klebrige Weise durch das erste Pandemiejahr folgte, dass er zum beliebtesten Politiker der Deutschen aufstieg, zugleich aber als größter Versager unter der Seuchensonne fürchten muss, sich tausende Tote auf die Rechnung schreiben lassen zu müssen, begann nicht erst mit dem ersten Infektionsfall in Bayern, der eine ganze Bundesregierung erwischte, als habe noch niemals zuvor irgendwer von ansteckenden Viruserkrankungen gehört. 

Vergebene Chance

Nein, Spahn, gestartet als ein Kandidat für die Nachfolger der Überkanzlerin Angela Merkel, hatte sich schon zuvor verpokert: Weil er die Pandemie von Anfang an für nicht so schlimm hielt, glaubte er auch nicht daran, als Gesundheitsminister eine einmalige Chance auf Profilierung zu bekommen. Statt also die Gelegenheit zu nutzen und auf der Krisenpolitik ins Kanzleramt zu rutschen, schloss Jens Spahn einen Pakt mit dem Merkel-Favoriten auf das Erbe von Parteivorsitz und Regierungsführung.  

Armin Laschet, ein windelweicher Rheinländer mit dem Charisma eines Mehlbrötchens, avancierte so zum Favoriten auf die nächste Kanzlerschaft. Jens Spahn aber wurde zum Reservehelden, dessen Abkommen mit Laschet dessen Nachfolge beinhaltet. Später, aber allerspätestens in acht Jahren, wenn der gebürtige Aachener 67 wird und, wie es bei Hofe üblich geworden ist, einen Nachfolger ernennen darf, ist Jens Spahn dran, das haben sich die beiden Männer in die Hand versprochen. 

2028 Kanzler werden

Sicherheit gegen Schnelligkeit, Gemeinsamkeit gegen eine Konkurrenz, die die Menschen nur verwirrt und, die Süddeutsche Zeitung hat das angesichts von Spahns Impfstoffstratie herausgearbeitet, am Ende doch nur zu höheren Preisen führt. 2028 Kanzler werden reicht, wenn es dann ganz bestimmt so kommt. Und Angela Merkel ist es auch recht, denn das Interesse der scheidenden Kanzlerin liegt angesichts der prekären Lage von Partei, Staat und Europäischer Union nicht mehr darin, zu bestimmen, wer ihr Nachfolger wird. Sondern allein darin, zu verhindern, wer es werden könnte.

Friedrich Merz ist einmal von der ostdeutschen Hamburgerin ausgebremst worden. Auch Norbert Röttgen, der andere Bewerber um das Erbe der Rekordkanzlerin, hat in seiner Biografie ein Kapitel stehen, das eine bis heute rätselhafte Entlassung durch Merkel nach einem bis heute unaufgeklärten Absturz vom Lieblingskind der Parteichefin zum verachteten Paria beinhaltet. Röttgen, einem schulbubenhaften Eiferer, gibt niemand in der CDU echte Chancen. Merz dagegen gilt als gefährlich, weil der in der Regel als "Sauerländer" (DPA) geschmähte frühere Oppositionsführer im Bundestag verdächtigt wird, zwei Jahrzehnte des modernisierenden Linksrutsches der Union rückabwickeln zu wollen.

Allianz gegen Merz

Die Allianz Laschet/Spahn ist so vor allem eine Allianz zur Verhinderung von Friedrich Merz, inspiriert von Angela Merkel, die im wenig dynamischen Duo aus Nordrhein-Westfalen das kleine Übel sieht. Als das betrachten sich die beiden Not-Kandidaten selbst auch, wie ihr eben vorgelegtes Wahlprogramm verrät: Natürlich als klassischer Zehn-Punkte-Plan organisiert, enthält die Ausarbeitung mit dem Titel "Impulse 2021" für jeden etwas und nichts Falsches. Von der Luft, die in dem Papier steckt, könnten 70 Taucher ein Leben lang atmen.

Mehr Klima und mehr Sicherheit, nicht mehr "Beinfreiheit" (Steinbrück), aber mehr Staat jetzt auch beim Versuch, neue Unternehmen in jungen Branchen zu gründen, mehr Europa, mehr Digitalisierung, mehr Modernisierung, mehr Zusammenarbeit mit den USA, mehr Schulpflicht und ein Handschlagversprechen für die Industrie, zumindest vorerst nicht mehr weiter an der Steuerschraube drehen zu wollen - nichts davon wird irgendwen begeistern und zu Jubelstürmen hinreißen. Aber 17 Mehrs in einem Angebotspaket, da muss die Konkumerz erstmal nachziehen.

Alles irgendwie voll gut

Nichts davon aber wird irgendwen entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und ins Merz-Lager flüchten lassen. Niemand wird das lesen. Und wenn doch: Klingt doch alles gut, irgendwie. Oder jedenfalls nicht so schlimm, wie man hätte denken wollen. Das Erbe der amtierenden Kanzlerin in besten Händen, ein "Weiter so" als Versprechen an alle, die es sich noch leisten können.

Höhere Erwartungen hat schon niemand mehr. Das nach 16 Jahren Merkel noch vorhandene Personal insgesamt wirkt ähnlich inspirierend wie das neue Gesicht Joe Biden auf der anderen Seite des Atlantik. Einer muss halt machen, das ist die ganze Vision dahinter, und aus Sicht der Kanzlerin ist eigentlich nur wichtig, wer es nicht machen soll: Merz, der "Spalter der Fraktion" (Die Zeit), der gedroht hat, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch niedrige Steuersätzen zu erhöhen, eine Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung auf einem Bierdeckel einzuführen und Bürger zum Respekt gegenüber einer angeblichen "Leitkultur" zu zwingen.


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