Montag, 11. Januar 2021

Spiegel-Titelbildanalyse: Impfstoff-Helden als Wiedergänger von Hasspredigerin

Der Blick schweift in ein unbekanntes Morgen, die Komposition orientiert sich an historischen Vorbildern (unten).

Immer wieder hat sich die Medienwissenschaft zuletzt mit den ikonografischen Phänomenen auseinandergesetzt, die im Zuge des Erscheinens und der Etablierung der US-Präsidentenfigur Donald Trump in Erscheinung getreten waren. Zahlreiche Studien widmeten den hinter dem Markenauftritt als das ultimativ Böse, Verdorbene und "Irre" (FR) liegenden Kommunikationsstrategien sowie der medialen Berichterstattung über Trump ihre Aufmerksamkeit, im Zuge dessen dekonstruierten Forscher zwar auch die textuellen Botschaften, die sich mit dem gesamten Bereich des rechtspopulistischen Abweichlertums befassten. Doch erst der Kultur- und Medienpsychologe Hans Achtelbuscher hat jetzt den Versuch unternommen, die Leeren aus der Trump- und AfD-Forschung umfassend auf andere Teilbereiche der berichterstatteten Realität anzuwenden.

In einer sogenannten Spiegel-Titelbild-Analyse, einem anerkannten Fachbereich der visuellen Medienkritik,hat sich Achtelbuscher, der am An-Institut für angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung auf Usedom lehrt, den subkutanen Botschaften angenommen, die ein eben erst erschienenes Magazin-Cover des immer noch weitverbreiteten Blattes aus Hamburg streut. Dabei handelt es sich um ein vermeintlich im Stil des realsozialistsichen Realismus aufgemachtes Doppelporträt der beiden Biontech-Gründer*innen Özlem Türeci und Ugur Sahin, deren Leistungen bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffes durch die ikonografische Darstellung als unverkennbare Titelhelden gerühmt werden: Türeci und Sahin schauen heldisch streng, aber entschlossen in eine gute, womöglich sogar bessere Zukunft. 

Der Blick beider Forscher*innen geht dabei nach oben, das Göttliche des eigenen Tuns wird so über eine enge Verbindung mit dem Höheren im Himmel dargestellt. Eine solche Gruppierung von Inhalten in einem Bild, die Orientierung an Symmetrien, die Blickachsen und die Verwendung von Kontrasten nutzen Medien, um gezielt bestimmte Effekte zu erzielen. Bei Magazincovern handelt es sich formal betrachtet um journalistische Inhaltsverpackungen, faktisch aber sind es werbebanner mit einer Komposition, die "unser Verständnis und unsere Interpretationen von Impfstoffentwicklung zweifellos  beeinflusst", wie Hans Achtelbuscher im Gespräch mit PPQ.li klarstellt. Das Motiv, zweifelsohne äußerst sorgsam komponiert, zeige auf den ersten Blick, dass die politische Botschaft der Bundesregierung - hier: "Deutschland wird ausreichend Impfstoff bekommen" - sich mittels eines bildbezogenen Ansatzes besser verbreiten lasse als über eine reine Textfläche.

Allerdings warnt Hans Achtelbuscher davor, die Pelle für die Wurst zu halten. In einer tieferen Reflektion der Bildbotschaft, durchgeführt mit Unterstützung einer hochentwickelten Künstlichen Intelligenz, die viereinhalb Tage lang bildvergleichende Datenbanksuche durchführte, seien von seiner Forschergruppe gleich mehrere, äußerst versteckte Botschaften im Titelbild entdeckt worden. "Die ikonographisch-ikonologische Analyse hat uns zuerst gezeigt, dass das gleiche Motiv zuletzt genutzt worden ist, um die damals als Hitlers Nachfolgerin geltende AfD-Chefin Frauke Petry als Hassprediger zu enttarnen", so Hans Achtelbuscher. 

Zum Transport der Botschaft wurde seinerzeit - im Jahr 2016, die verbliebenen Abonennten erinnern sich - eine Darstellung genutzt, die erstmals auf dem von Hein Neuner im Jahr 1939 auf dem für das Presse- und Propagandaamt der Reichsjugendführung geschaffenen Plakat "Jugend dient dem Führer" auftauchte. Der Blick geht frei nach seitlich-oben, die Miene ist ernst, aber hoffnungsfroh, der Dargestellte - bei Neuner ein blonder, dem damaligen gesellschaftlichen Ideal entsprechender Junge - ist sich sicher, seine Aufstiegs- bzw. Etablierungsphasen ausleben zu können.

Ein Vergleich der Darstellung von Petry, die 77 Jahre später in derselben Pose gezeigt wurde, die in der deutschen Geschichte nicht nur im rechten Spektrum erfolgreich war, belegt nach Achtelbuscher die historische Kontinuität, die Medienarbeit zwanghaft innewohne, wenn sie erfolgreich sein wolle. Der Medienforscher führt zum Beweis ein Plakat aus realsozialistischen Zeiten ein, das die Nutzung der sogenannten Herrenmenschen-Pose für einen Aufruf zum damals hochrangig wichtigen "1. Mai" illustriert: Das visuelle mediale Framing zeigt diesmal zwei missbrauchte junge Menschen, die schräg, streng und doch optimistisch nach oben schauen. Es handele sich bei den beiden, einem Mann und einer Frau, um "Werktätige" heißt es dazu, damals wiederum die Bevölkerungsgruppe, die dem gesellschaftlichen Ideal entsprach.

Diese explorative Analyse zeigt, wie "Der Spiegel" mit seinen Titelbildern immer wieder Bezug auf die Geschichte der beiden Diktaturen nimmt, Vergleiche zum Nationalsozialismus wie auch zum übersteigerten Nationalismus zieht und dabei auch nicht davor zurückschreckt, entsprechende visuelle Frames zur unterschwelligen Diskreditierung von Hoffnungstragenden wie Özlem Türeci und Ugur Sahin zu nutzen. Gerade vor dem Hintergrund ihrer potentiellen Bedeutung für den Impfstandort Deutschland und der Tatsache, dass es sich bei den beiden Vakzin-Erfindern um Persönlichkeiten mit migrantischem Hintergrund handelt, als um Angehörige einer Bevölkerungsgruppe, die einmal mehr dem gesellschaftklichen Ideal entspreche, sei es entweder ein "schwerer Missgriff", so Achtelbuscher, die totalitäre Ikonografie des Trias Hitlerjunge-Maimarschierer-Nazipetry für die Präsentation der Corona-Retter*innen zu nutzen. "Oder aber es ist denunziatorische Absicht." 

Aus dem Umstand, dass Parteien rechts der Union in Deutschland grundsätzlich mit besonderer Skepsis betrachtet werden, da sie geschichtlich bedingt im „Widerspruch zu einer deutschen Mehrheitskultur“ (Jaschke 2016, S. 121) stehen, leitet Hans Achtelbuscher ab, dass die Darstellung Frauke Petrys im Jahr 2016 der Absicht entsprang, eine Etablierung der damals noch jungen AfD auf nationaler Ebene zu verhindern. "Das Bild war kein Heldenbild, sondern es sollte an die falschen Heldenbilder der diktatorischen Propaganda erinnern", stellt der Wissenschaftler klar. 

Die Nutzung derselben Ikonografie in einem positiv zu wertenden Kontext stelle einen Tabubruch dar: "Eine massenmediale Visualisierung der besten Impfstoffforscher der Welt auf AfD-Niveau diskreditiert die Impfstoffkampagne der Bundesregierung." Es sei davon auszugehen, dass diese falschen Bilder mit ihren Ablehnung provozierenden Urreizen zu einer Sinnkonstruktion politischer Wirklichkeit beitrügen (Aiello und Parry 2020; Müller 1999), die im Gegensatz zum gedsamtgesellschaftlichen Interesse einer schnellen Erreichung der Herdeimmunität stünden.

Der Schaden könne sich als immens herausstellen, warnt Hans Achtelbuscher nach der Entdeckung möglicher Kontinuitäten eines diktatorischen Bilderkanons (Paul 2008), der auf ein  kommunikationszentriertes Verständnis von Politik zielt, das die Medien als Mittler zwischen Politik und Bürger*innen in den Mittelpunkt stellt. Werde diese Mittlerrolle maßgeblich von ikonischen Elementen geprägt, wie das im Dritten Reich und in der formaligen DDR Brauch war, entsprächen sich auch die Sinnkonstruktionen, die durch emotionale Bildbedeutungerkenntnis beim Betrachter entwickelt würden. Hier zeige sich die Bedeutung eines visuelles Verständnisses von Politik bei einer Generation von Blattmachern, denen das für ihre Arbeit relevante Verständnis von visueller Geschichte abgehe. "Böse Absicht oder Unkennntnis", urteilt Hans Achtelbuscher rigide, "im Ergebnis haben wir ein Muster politischer Deutungskultur,  die auf mehr oder weniger verfestigte Einstellungen abhebt, ohne zu verstehen, was sie damit auslöst."

Die Gleichsetzung der deutschen Impfstoffhelden mit Nazis und kommunistischen Straßenmarschierern beweise die Überlebens- und Anpassungsfähigkeit der diktaturgeprägten Symbolsprache, mit der im "Spiegel" auch schon der frühere US-Präsident Barack Obama zynisch in eine falsche historische Kontinuität gestellt wurde. Eine Vernachlässigung der visuellen Dimension von Historie, wie sie im aktuellen "Spiegel"-Titelbild zutage trete, warnt Hans Achtelbuscher, könne eine von Massenmedien geschaffene politische Wirklichkeit vermitteln, die einer rein assoziativen Logik folge. "Das automatisch abgerufene Bild hat eine so starke emotionale Komponente, dass der gemeinte Inhalt vor dem vermittelten verschwimmt", sagt der Medienforscher. Es komme jetzt darauf an, die weitere Erforschung der Zeichenwelten von Magazincovern zu vertiefen. "Denn es ist klar, dass solche Cover gleichermaßen Informations- wie Manipulationszwecken dienen können, so dass die Macht solcher Ikonografie mit Händen zu greifen ist."



10 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Bekanntlich lebt man bei Der Spiegel seit Jahren in einer Hitlertitel-Abstinenz. Diese Titel könnte man auch als Resultate eines immer wieder hervorbrechenden Hitlerentzugs ansehen. Das Sehnen nach dem Führer auf dem Titel und den mit seiner Hilfe erzielten Rekordverkäufen führt zu einer vermutlich unbewussten Replikation der Stilmittel vergangener, besserer Zeiten.

Gerry hat gesagt…

Vielen Dank für das Titelbild mit den Biontechleuten. Ich kannte es nicht, aber meine bessere Hälfte, geschult im sowjetischen Kommunismus, erzählte mir von ihrem Triggererlebnis genau durch dieses Bild. Dieser Tandemblick schräg nach oben in die Ferne: wir optimistisch gestimmten Technokraten, ausgestattet mit den ML-wissenschaftlich abgestimmten Lösungen, führen euch in eine bessere Zukunft.

Volker hat gesagt…

Mehr davon

Anonym hat gesagt…

Und Fefe?

Fefe so: Heute heißt Freiheit, dass du dir aussuchen kannst, für welchen rechten [Flügel] der CDU du bei der Wahl stimmst.

Fefe, ca. 2021

Anonym hat gesagt…

könnte man den Führer jetzt klonen ?

Anonym hat gesagt…

>könnte man den Führer jetzt klonen ?

Auf Wunsch der Fans wartet man noch, bis man ihn zu einem Animecharakter modifizieren kann.
Die düstere Backgroundstory hat er ja schon.

Anonym hat gesagt…

Bei d e r HO! Handelsorganisation. Siehe auch: Die Plebs.
Gern geschehen.

Anonym hat gesagt…

Hallo

Die sehen dem Elliott und Gretchen Schwartz von Braking Bad sooo ähnlich selbes Casting......

Anonym hat gesagt…

bei der HO , myné fanbase passt gut auf :-)

Anonym hat gesagt…

könnte man den Führer jetzt klonen ?

Das haben doch in den Neunzigern, als das Internet für das gemeine Volk noch nicht so zugänglich war, einige Besengte (Die Rebellion der Besengten) "angedacht" - die Blah-Zeitung vorneweg. Um ihn dann beim Erreichen der Volljährigkeit - morte moriatur. Pervers ist noch geschmeichelt.
Dieses ist wenig bekannt in oppositionellen Kreisen, wie es auch wenig bekannt ist, daß es seit 1918 mindestens ein halbes Dutzend hohler Grause gegeben hat - und zwar genau mit jeweils sechs Millionen Opfahn. Meinen zynischen Gruß an Le Penseur.
Fakten, Fakten, Fakten ...