Samstag, 3. April 2021

Klimawohlstand: Dicke Luft in der Bundesworthülsenfabrik

Rainald Schawidow ist eine Seele von Mensch, ein gelassener Profi, ein Gelegenheitsangler, aber auch mit allen wassern von zwei recht unterschiedlichen politischen Systemen gewaschen, die sich in einem allerdings gleichen, wie der gebürtige Bergmannssohn aus Ludwigslust nicht müde wird zu betonen. Sprachlich setzt auch die moderne Digitaldemokratie der Bundesrepublik auf dieselbe Reflexmotorik in der Bevölkerungsansprache, die Schawidow schon als junger Lehrling im damaligen VEB Geschwätz kennen- und schätzen lernte.  

Doch manchmal platzt eben auch dem Geduldigsten die Hutschnur - und so griff Schawidow trotz angeordneter Osterruhe auf freiwilliger Basis ("Osterruhe war übrigens ein Vorschlag aus unserem Hause", wird er später schmunzeln) zum Telefonhörer, um der PPQ.li-Redaktion die sprichwörtliche Hölle heißzumachen. Es fallen Worte wie "Lügenpresse", "Manipulation" und "Gegendarstellung". Eine echte Krise in der Zusammenarbeit.

Laschets Flirt mit fremden Federn

Was aber war geschehen? Eigentlich wie immer nichts Bedeutsames. CDU-Chef Armin Laschet hatte im bemühen, verlorenes Terrain im Zweikampf mit CSU-Chef Markus Söder um die Kanzlerkandidatenkandidatur in der Union gutzumachen, eine Rede gehalten, für die er die üblichen Satzbausteine hatte neu anordnen lassen. Bürokratieabbau, Digitalisierung, radikal, Neuanfang, Modernisierung und mehr Europa versprach der kleine Mann aus dem Rheinland - soweit, so üblich. 

Dann aber fiel doch noch ein Schlüsselbegriff, um den sich seitdem Legenden ranken: "Klimawohlstand" werde er als Kanzler im Gepäck haben, sicherte Laschet zu. Das sei der innovative Kern deutscher Politik für den Umbau Deutschlands zu einer Zukunftsnation, die von der steigenden CO2-Abgabe und der Abwärme aus amerikanische Cloudfarmen lebt.

Kunstwort Klimawohlstand

Klimawohlstand also - ein Kunstwort aus der Bundesworthülsenfabrik (BWHF), das Beobachter teilweise als Platzpatrone aus dem Bundeszentrallager für Beschwichtigungen abkanzlerten, während andere es als originelle Fortschreibung des Klimatrends im politischen Gesamtgeseiere lobten: Klimawohlstand schließe bruchlos an Begriffe wie "Klimanotstand", "Klimakanzlerin", "Klimasommer" und "Klimaanlage" an und werde "Merkels Man" (Bloomberg) zweifelos viele Herzen vor allem jüngerer Bewohner der Bionadeadel-Viertel zufliegen lassen.

Rainald Schawidow aber dennoch spürbar sauer. Der Doyen der deutschen Propagandawortfarmer fühlte sich und sein ganzes Haus in der Ehre gekränkt, als er die zum Teil auch hier bei PPQ.li verbreiteten Deutungen zur neuen zentralen Worthülse für den Bundestagswahlkampf las. 

Missachtung für die Schaffenden

Seien frühere Erfindungen wie der  Notbremsen-Mechanismus mit atmender Öffnungsmatrix eben noch zurecht ausgiebig in hohen Tönen gelobt worden, werde über ein vergleichsweise kompaktes Wort wie den Klimawohlstand nun wie beiläufig hinweggegangen. "Das ist nicht angemessen und wertet die Arbeit unserer Worthülsendreher, Verbalschweißer und Phrasendrescher unzulässig ab", findet er. 

Schawidow ist es wichtig, das der gesamte Unterbau des im ersten Moment so simpel wirkenden Wortes begriffen wird. "Klimawohlstand" bedeute eben nicht nur konkret gar nichts, sondern es verweise auf geschichtliche Wurzeln, die weit zurück reichen. "Wir haben tatsächlich den bekannten Reichsnährstand genommen, die unseligen Teile im Reinstraum amputiert und das übriggebliebene Stück mit feinen Anklängen an bekannte Begriffe wie Wohlbefinden und Wohlverhalten kombiniert."

Die Entzauberung des Reichsnährstandes

Nahezu problemlos seien beide Halbschalen zusammengewachsen, das neue Wort habe sich in ersten Testdebatten in der BWHF, die zum normalen Prüfprozedere gehören, ehe die hausinterne Ethik-Kommission ihre Empfehlung zur Freigabe an die Ständige Bundesbegründungskommission (StäBKo) gibt. Möglich sei das alles nur durch Fördermittel aus dem neuen Bundesprogramm zur Stärkung der Demokratie durch Hassabbau geworden. "Umso mehr ärgert es mich, wenn das alles dann abgetan wird, als hätte irgendein Fußballer einen unbedachten Satz getan." 

Man sei es gewohnt, dass kaum ein Politiker*in bei der Verwendung von Worten, die ihm aus der BWHF zugeliefert wurden, auf die Urheber verweise. "Uns freut einfach meistens, wenn inhaltsleeren Kampfbegriffe wie Benzingipfel, Rettungspakt, Energiewende, Stromautobahn oder Wachstumspakt für ein paar Tage die Debatte bestimmen." Doch hätten auch seine Mitarbeitenden eine Berufsehre, die sie nicht gern von - wörtlich - "hergelaufenen Schreiberlingen" beschmutzt sehen wollen. "Man sollte sich", empfiehlt Rainald Schawidow, "doch besser erstmal mit dem Gegenstand seines Schreibens beschäftigen und etwa unsere dreibändige Firmenchronik "Zur Geschichte des Verbalhülsens" lesen, die besondere Einblicke auch in Zeit des Nationalsozialismus gibt, als wir als "Reichsamt für Sprache und Bedeutung" (RASBD) den falschen Götzen dienen mussten."


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Jetzt wollte ich mir gerade die Chronik "Zur Geschichte des Verbalhülsens" bestellen, scheint aber ausverkauft zu sein. Schade, ich als Fan der BWHF hätte da gerne mal ein paar Euro investiert :-)
Ich frag mich manchmal,ob die BWHF eine Spezialabteilung für Politikernamen hat. So als Fingerzeig, wann die Leute wohl merken, dass man Schabernak mit ihnen treibt. Ein Herr Wanderwitz der vor falschen Kandidaten warnt, ein Verkehrsminister dessen Nachnamen an ein wenig schmeichelhaftes dennoch passendes Adjektiv zu seiner Person erinnert und eine Kanzlerin, die von all dem Regierungsversagen scheinbar nix merk(el)t und von der die Bevölkerung wohl auch gar nicht bemerkt, dass sie Teil der Regierung ist (Der Pispers meinte mal, dass bei einer Befragung 70 % der Leute unzufrieden mit der Regierung sind aber bei der gleichen Umfrage 70 % mit der Kanzlerin zufrieden sind).
Auf jeden Fall ein herzliches Dankeschön an Herrn Schawidow für sein vielen tollen Verbalhülsen!