Donnerstag, 20. Mai 2021

Annalena Baerbock: Ferienjobs im Paradies

Kaum hatten Deutschlands Meinungsführer Annalena Baerbock zur Hoffnungsträgerin der Nation ernannt, begannen alte weiße Männer einen Kleinkrieg gegen die erste grüne Kanzlerin.

Sie haben eine Heidenangst vor ihr, so viel Angst, dass sie alles aufbieten. Vom kritischen Blick auf den offiziellen Lebenslauf bis zu Hinweisen auf Ungereimtheiten in den erwähnten Ausbildungsabschlüssen bis zu Vermutungen, dort stimme doch etwas nicht, haben "schäbige Diffarmierungsversuche" (Aminata Touré) gegenüber der nach Lage der Dinge nächsten deutschen Bundeskanzlerin gezeigt, mit welchen Mitteln und mit welchen Waffen die Feinde des Fortschritts bereit sind, um Privilegien und Pfründe zu kämpfen.  

Erbärmliche Angriffe

PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl, selbst häufig Opfer von catcalling und Unterpriorisierung, hat die erbärmlichen Angriffe auf die beliebteste grüne Politiker:_*In seit Renate Künast und Claudia Roth allerdings lange nicht ernst genommen. Bis dann das im politischen Berlin zuweilen als "Reichsnachrichtendienst" verspottete Informationsangebot RND (Redaktionsnetzwerk Deutschland) in der Causa faktencheckte und Annalena Baerbock in einem aufwendig langgezogenen Beitrag freisprach. Sie habe sehr wohl studiert. Ihr Herz sei rein. Es habe dennoch bösartige Unterstellungen gegeben, aber auch Abschlüsse in Völkerrecht und anderen naturwissenschaftsnahen Fächern. 

Nun war die signalsensitive Kolumnistin alarmiert. Eine amtliche Gegendarstellung direkt aus dem Regierungsviertel, das entspricht im internationalen Nachrichtenverkehr der früheren Praxis des "Tass ist ermächtigt, zu erklären". Dementiert werden auf diese Weise Nichtwissen und allgemein Unbekanntes, häufig mit der Folge, dass nun nach dem sogenannten "Streisand-Effekt" auch die wissen wollen, was das Gegenteil dessen besagt, das als lautere Wahrheit ins Off gesendet wurde. 

Neues Leben für alte Vorwürfe

Welches Interesse kann eine zumindest SPD-nahe Kommentarfabrik haben, die bereits wieder eingeschlafenen Vorwürfe gegen die grüne Kanzlerin wiederaufleben zu lassen? Indem sie halbgar widerlegt werden? Svenja Prantl, die Anfang der 2000er Jahre selbst in London lebte und wirkte, stolperte dann beim Studium der vermeintlichen Freispruch-Papiere für Baerbock über ein auffälliges Detail, das der gelernten Linguistin für leichte Sprache verdächtig vorkam. Schnell konnte sie es dann mit Hilfe formulierungsforensischer Verfahren als perfiden Trick enttarnen, die Empörungsmaschine gegen Annalena Baerbock weiter zu befeuern.

"Ich frug mich vom ersten Moment an, warum zur Hölle tun nun alle so, als müsse man studiert haben, um Politik machen zu dürfen? Um irgendwas beanspruchen zu dürfen? Um sagen zu können, ich bin Völkerrechtler? Ich bin Hausfrau? Ich bin müde?", erklärt sie ihre Motivation, der bedrohten Grünen zur Seite zu springen. Aus ihrer Sicht könne das "jeder halten, wie er möchte", denn ihrer Erfahrung nach seien "Lebensläufe immer Kunstwerke, zusammengesetzt aus einigen Teilen Wahrheit, etwas Schminke und viel Vergessenem, das durch Bausteine einer alternativen Lebensgeschichte ersetzt wird."

Wachsende Bedeutung der Biografie

Hobbys? Eben noch "ich reise gern", im Licht neuester Entwicklungen dann schon "ich interessiere mich sehr für Pflanzen". Auch die Ausbildung, im jugendlichen Alter häufig eher zufällig zustandegekommen, gewinnen in der Regel erst mit der Höhe angestrebter Ämter und Posten eine Bedeutung, die sie nie hatte, als sie absolviert wurde. So würden Schlosser, Maurer, aber auch Imbissverkäuferinnen und Toilettenfrauen in ihren Leben aktuellen Untersuchungen zufolge etwa 73 mal weniger häufig nach ihren Lebensläufen gefragt als Politiker, Spitzensportler und Gewährsträger öffentlicher Einrichtungen.

Dabei, betont Svenja Prantl: Ob nun Völkerball oder Völkerrecht studiert wurde, das zeige die Geschichte eindrucksvoll, sei vollkommen unwesentlich. Winston Churchill gewann den Literaturnobelpreis mit einer Ausbildung als Kavallerieleutnant. Helmut Kohl vereinigte Deutschland mit den profunden Kenntnissen eines bei der BASF ausgebildeten Steinschneiders. Michail Gorbatschow hingegen, der ihm dabei zur Hand ging, studierte zwar Jura an der Lomonossow-Universität in Moskau. Deren Abschlüsse aber wurden seinerzeit in Deutschland gar nicht anerkannt.

Debatte um Studienleistungen als Vorwand

Die "Debatte um die Studienleistungen" (RND) der Annalena Baerbock führe deswegen in die Irre. Vielleicht hat sie getrickst, vielleicht geflunkert, vielleicht gar nicht und vielleicht kommt sie nur insofern vom Völkerrecht, wie sie selbst so selbstbewusst sagt, dass ihre Angaben im Lebenslauf mit entsprechender Interpretation auch zutreffen könnten. Wenn eine Völkerrechtlerin keine Juristin ist, die einen Master ohne Bachelor gemacht hat, das aber an einer renommierten Privatuniversität, die mehr Studiengebühren pro Semester nimmt als grüne Parteiprogramme für ein lebenslanges Studium erlauben, kommt das hin.

Eben bis zu diesem Punkt, sagt Prantl, sei das alles mit Schummelei und Kosmetik erklärbar, wenn auch nicht ganz einfach. Doch was motiviert das RND, nach dem Abflauen der ersten Beschuldigungswelle einen Keil in den Zwiespalt zwischen offenkundigen Erklärungslücken und den erbärmlichen Versuchen von Feinden der künftigen Kanzlerin zu treiben? Statt neidlos anzuerkennen, was Baerbock, ein Mädchen aus Pattensen bei Hannover, das in seinem letzten Schuljahr beim Schülerprojekt ZiSH (Zeitung in der Schule) der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung  erste publizistische Meriten gesammelt hatte, damals in der ihr fremden Großstadt zu leisten vermochte? Ist es der Drang, dem sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Heiko Scholz beizuspringen? Macht die junge Grüne den alten weißen Männern solche Angst? Kann man es nicht dabei bewenden lassen, das es war, wie es gesagt wird?

Angst vor der Dominatorin

Stattdessen werden neue Zweifel geschürt, perfide gestützt auf offizielle Erklärungen der Grünen. Die hatten auf Nachfrage des RND offenbar vollkommen arglos geantwortet, dass die damals 24-Jährige Baerbock die regulären Studiengebühren ihrer britischen Privat-Universität - nach RND-Schätzungen wohl um die 10.000 Pfund pro Semester, also 20.000 pro Studienjahr selbst gezahlt habe. Nach damaligen Kursen entsprach das einer Summe von etwa 30.000 Euro, die Annalena Baerbock den Grünen zufolge verdiente, indem sie "in den Semesterferien jobbte, unter anderem in einer Fabrik", wie RND aus der Grünen-Zentrale erfuhr. 

Wer wie Prantl die Preise in London kennt, das nie ganz günstig war, ahnt, dass ein Leben dort allein mit der Zahlung von 30.000 Euro Studiengebühr kaum komplett durchfinanziert ist. Selbst der bescheidenste Studierende muss essen, irgendwo schlafen, hin- und herfahren und gelegentlich socialisen. Ein pint Bier kam damals um die 2,35 Pfund, erinnert sich Prantl, die noch genau weiß, dass ihr wohlhabender Vater und ihre getrennt lebende ostdeutsche Mutter ihr seinerzeit mit namhaften Summen hatten helfen müssen, "damit ich nicht auf der Straße liege und was anzuziehen habe".

Annalena Baerbock schaffte das allein, mit Ferienarbeit. In den Semesterferien, die etwa fünf Monate dauern, verdiente die blitzgescheite Hannoveranerin nicht nur die für die Absicherung ihres Auslandsstudiums notwendigen 30.000 Euro, sondern, so schätzt Svenja Prantl, zudem weitere 10.000 Euro, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. "Sie muss sehr fleißig gewesen sein", sagt Prantl heute, denn immerhin habe Annalena Baerbock in nicht einmal einem halben Jahr deutlich mehr netto verdient als ein normal-fleißiger ungelernter Angestellter damals im gesamten Jahr brutto bezahlt bekam. "In einem Jahr Fabrikarbeit wäre sie auf 80.000 Euro Einkommen netto gekommen", hat die frühere Wahllondonerin errechnet.

Zehntausende brutto im Monat

Diese Zahlen deuteten auf einen Bruttolohn von um die 10.000 Euro hin, den Baerbock damals für sich ausgehandelt haben müsse. Für eine so junge Frau, nur mit einem Vordiplom, ohne Fachausbildung oder Abschluss ist das eine beeindruckende Zahl, findet Svenja Prantl. Sie deute auf das große Durchsetzungsvermögen der künftigen Kanzlerin, ihr großes Verhandlungsgeschick, aber auch ihren Fleiß und eine Leistungsbereitschaft, die sich der kapitalistischen Verwertungslogik nicht verschließe. 

Ganz Deutschland wird zweifelsfrei von einer solchen agilen Führungskraft profitieren", glaubt die heute in Fernost lebende Kolumnistin. Umso fragwürdiger sei der durchsichtige Versuch des RND, mit der Veröffentlichung der Finanzierungsgrundlagen des Baerbockschen Studiums im damals noch befreundeten Großbritannien Zweifel an der Eignung der Spitzengrünen für das Spitzenamt zu sähen. "Da warne ich davor, darauf hereinzufallen", sagt sie in aller Deutlichkeit.


6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sie hat ihre Bestückung mit Abschlüssen vor dem Fall Guttenberg bekommen. Die haben nicht vorhergesehen, dass es eine Zeit geben würde, in der es sich Leute zum Hobby machen, designte Karrieren genauer abzuklopfen. Dabei reicht es seit J. Fischer, ohne aktenkundige Ausbildung nur mit Erfahrung in Taxifahren und Randalieren Minister zu sein. Es geht auch ohne Flunkerei, aber ist eben etwas schmucklos im Lebenslauf einer Quotenperson.

Animateur hat gesagt…

Im besten aller Schlands gilt es längst (wieder) als schäbig, die Schäbigkeiten der Politeliten aufzudecken und zu kritisieren.

Wenn das kein sozialistischer Fortschritt zurück ins Lüge-ist-Wahrheit-Paradies 1984 ist, was dann?

Und der Mehrheitspöbel grunzt nur zustimmend, wenn ihm zum x-ten Mal vor einer Wahl mehr Kohle versprochen wird, die danach nie kommt. Auf die Dummheit des Job-Nutzviehs ist echt Verlass.

Anonym hat gesagt…

Wirklich merkwürdig, warum für Grüne plötzlich Bildung einen Wert besitzt? Das Spitzenpersonal der Töchter und Söhne der Gaia-Hypothese verkörperten bisher doch jene, die sich erfolgreich dem rassistischen, imperialistischen und faschistischen Bildungsweg entzogen hatten? Macht sich Annalena mit ihren Bildungsanspruch da nicht eher verdächtig bei den Gaianern?

Anonym hat gesagt…

Nach Erinnerungslücken beim Bildungsweg und Einkünfte hat Annalena wieder etwas völlig vergessen. Kurz Anmerkung, dürfen sich die Deutschen überhaupt über Biden lustig machen?
Hier führt Annalena ihre Mitgliedschaften fast bis runter zum Kleingartenverein auf.
https://annalena-baerbock.de/lebenslauf-und-fotos/

Was fehlt – ihre Mitgliedschaft beim Neocon-Club WEF. Ihre Wikiautoren müssen auch schon wieder Überstunden abreißen, das mit der Agenda „Großer Umbruch“ musste raus - weil Verschwörungstheorie.
Interessante Auflistung: https://twitter.com/Aarefrank/status/1395106506408873984

Der lachende Mann hat gesagt…

@ Anonym 3 mit dem ersten Link: Eine Frau aus guter Familie reißt beim Sitzen nicht so die Beine auseinander.

Anonym hat gesagt…

Pro Tipp: Beim Trampolintraining einfach darauf achten, dass die Halle höher als 3m ist.

p.s.: Der erste Tipp ist kostenlos