Sonntag, 23. Mai 2021

ESC: Wie der Hass den Krieg verlor

Spalterisch und nationalistisch spottet der ESC jeder Bemühung, die Menschenfamilie zu einen.

Einmal im Jahr, wenn nichts dazwischenkommt, dürfen sie raus, die alten, atavistischen Nationalgefühle einer längst multikulturell und transnational aufgelösten Vergangenheit. Beim "European Song Contest" werden sie aufeinander losgelassen, die Gruppen in alten Grenzen, der folkloristische Ukrainer, der Schlagermann aus Turkestan, ein paar finstere Pseudo-Rocker aus dem dunklen Skandinavien und Europaletten voller Europop vom Autotune-Fließband. Erlaubt ist, was billig klingt und angezogen ist wie eine bizarre Blüte aus der Karibik, Turmfrisuren, Latexleder und Kulissen, die zu bauen mehrere hundert Berliner Sozialwohnungen gekostet hat - beim ESC treffen alle schlechten Angewohnheiten von Fußballwettbewerber zusammen, ohne dass es wenigstens großen Sport zu sehen gibt.

Opfer der deutschen Konsenskultur

Deutschland will hier traditionell gewinnen wie überall, traut sich allerdings nie, das zuzugeben. Die öffentlich-rechtlichen Sender, die den ESC als Teil der Grundversorgung der Bevölkerung alljährlich in den Äther verklappen, suchen zuvor immer etwas aus, das allen gefallen könnte, ehe sich immer wieder herausstellt, dass das allgemeine Programmprinzip des Gemeinsinnfunks auch beim Singen nicht funktioniert. Die Opfer der deutschen Konsenskultur, stromlinienförmig designte Singsklaven vom Reißbrett westberliner oder württembergischer Pop-Fabrikanten, gehen in den internationalen Gewässern der singenden Konkurrenz unter wie Steine, bedauert nicht einmal von den Fans an der Heimatfront, die so sehr gern sagen würden, wir sind wieder wer.

Der ESC ist dennoch gerade deshalb ein event, das Europa im Innersten zusammenhält. Bis nach Australien, ins einstige Dominion des einstigen EU-Partners Großbritannien, reicht der Kontinent hier, bis Israel sowieso, denn dort, wo das liegt, wird im Allgemeinem wenig gesungen, weshalb die Palästinensergebiete keinen ihrer Popstars entsenden dürfen. Wettbewerb nach Punkten, in der Kunst so sinnvoll wie Fußballspielen ohne Ball, ist hier ausdrücklich erlaubt. Alle tun, als mögen sich alle. Alle hassen sich und neiden einander den Erfolg. Und Deutschland tritt in Gestalt eines jungen Mannes mit Vogelnestfrisur auf, der allen versichert, er fühle keinen Hass.

Eine Welt, eine Ablehnung

Ein Ruf, der die Welt aufrütteln und in der Ablehnung des - in Deutschland inzwischen verbotenen - Gefühls vereinen soll. One world, one rejection, der Hass als Treibmittel zum nächste Titel für die globale Vorbildnation in Sachen Moral. Jendrik hampelt nicht anders als alle hier über die Bühne, die gleich zehn G8- oder gar G20-Gipfel mit ausreichendem Abstand fassen könnte. Aber die Ablehnung, die dem Teilnehmer aus dem Lande von Beethoven, Kraftwerk, Rammstein und Ernst Busch entgegenschlägt, zerstört alle Illusionen von der einen Welt, im Missklang vereint. 

Es kommt, wie es kommen muss, wenn nationale Gefühle aufs Schlachtfeld geführt werden dürfen. Regression statt Fortschritt, Frontlinien entlang von Landsmannschaften, Allianzen über gemeinsame Währungen und zusammen gehaltene Sitze in EU-Rat, Uno-Menschenrechtsrat und gemeinsamen Klima-Verträgen hin. "Die Hunde des Krieges" (John Irvin) sind los, der Rhythmus treibt die Völkerschaften aufeinander, nicht irgendwo fern im Osten, sondern in Rotterdam, wo die Inzidenz so hoch liegt, dass hier die Bundesnotbremse gülte, stände die Stadt unter fürsorglicher Berliner Betreuung.

Spalterisches Kräftemessen der Nationen

Das UnMusikalische ist hier allerdings stets nur Vorspiel zum spalterischen Kräftemessen der nationalistischen Punkteverteiler. Und die strafen auch diesmal wieder die ab, die bei den Völkern der Erde in Ungnade gefallen sind. Die Briten, natürlich, die sich abgewandt haben von der  europäischen Gemeinschaft. Aber auch die Deutschen, die ihre Klimaziele zu spät und erst auf Anweisung eines Gerichts nachgeschärft haben. 

Eine Rolle bei der Entscheidung der ESC-Gemeinde, eine der großen Finanzierungsmächte des Wettbewerbs mit nur drei traurigen Punkten abzustrafen, mag auch die Tatsache gespielt haben, das die Instrumentierung des Hasses zum eigenen Vorteil zu plump, zu durchsichtig und zu deutsch angelegt war. "I don't feel hate, I just feel sorry", heißt es im Liedkadaver, vorgetragen mit der kleinsten Gitarre der Welt, denn niemand soll denken, dass Deutschland womöglich den Größten haben könnte. "So you can wiggle with that middle finger, it'll never wiggle back to you", heißt es im Text - geradezu biblisch in der jesushaften Attitpüde, denn wo sonst auf der Erde sind Menschen stolz darauf und glücklich damit, die andere Backe hinzuhalten, eine geknallt zu bekommen und dann höflich um Nachschlag zu bitten?

Blindenpunkte für deutschen Hass-Pop

Die drei deutschen Punkte - das aus dem krisengeschüttelten Italien entsandte Siegerkommando fährt mit irgendetwas über 500 heim - ließen sich auf einer Blindenbinde prima anordnen, beweisen aber auch, dass Hass gerade bei Sangeswettbewerben in Seuchenzeiten keine Chance hat, nicht einmal, wenn er weltgewandt auf Englisch Gassi geht. 

Feinsinnig spürt die Gemeinschaft der Fernsehteilnehmer an der nahezu endlosen Veranstaltung, dass ihr hier noch Schlimmeres untergejubelt werden soll als schlechte Musik, schrilles Kostüm und eine gefühlsfeindliche Agenda nach deutschem Geschmack. Gnadenlos urteilt der Kontinent, der in dieser magischen Nacht im Hochinzidenzgebiet bis fast hinunter zum Südpol reicht, den Angriff der deutschen Volkserzieher auf die ehemals so rebellische Rockmusik ab.

Die siegreichen Italiener triumphieren als dröge Parodie auf frühe popmusikalische Missbildungen wie Mud, Gary Glitter, Kiss und Spinal Tap. Der Sänger jedenfalls ruft laut "Rock'n'Roll never dies", ein verballhorntes Neil-Young-Zitat. Der deutsche Fernsehansager schreibt es umgehend Keith Richards zu. Dass der Schlagzeuger der lederuniformierten Formation Manskin zum Finale nicht explodiert, wie es sich eigentlich gehört, ist ein Schönheitsfehler, über den hinweggesehen werden muss. Die Zeiten sind keine, in denen bei Witzen die Pointen reimen.


14 Kommentare:

Veteran hat gesagt…

Ich werde niemals jemanden akzeptieren oder gar lieben können, der eine Kultur oder Religion zelebriert, die mich zutiefst mit Abscheu und Ekel erfüllt.

Die mag er bei sich austoben, nicht jedoch direkt vor meiner Haustür.

Irgendwo muss Toleranz auch Grenzen haben, sonst wird einem alles scheißegal.

Die Anmerkung hat gesagt…

SNA

https://snanews.de/20210523/esc-maneskin-damiano-david-2211034.html

Italienischem ESC-Teilnehmer platzt im Siegestaumel die Hose

Und beim Eishockey steht Nationalmannschaft auf dem Trikot und Beid er Siegerkürung schmettern sie mit Inbrunst, die einen mehr, die anderen weniger, Texte aus der Barberei.

Anonym hat gesagt…

Zitat von https://www.rnd.de/medien/ndr-verzichtet-auf-esc-vorentscheid-das-publikum-bleibt-aussen-vor-U4YDDLA6BRF4DMEZI45QEUTQNU.html

Das TV-Publikum darf nicht mitentscheiden. Der NDR erhofft sich dadurch bessere Siegchancen – und hält den ESC-Kandidaten für Rotterdam noch geheim.

Ahahahahaha. Das haben wir doch noch in der DDR gelernt, was musikalisch rauskommt, wenn die Partei entscheidet.


Wenn man Youtube anklickt (mute nicht vergessen) kann man außer dem Doofi und seiner doof beklebten Ukulele (nicht Gitarre) auch das like/dislike Verhältnis von 45000 zu 22000 bewundern. Das ist zwar besser als bei Beauty-Bibis Popversuch vor Jahren, aber schon recht gut ratio'd wie man in Fachkreisen sagt.

ppq hat gesagt…

ukulele, ich weiß.

Liebestöter hat gesagt…

Wie man an den Kommentaren deutlich ablesen kann, kümmert man sich hier im besten Maasregel- und Anetteketteblog, wo man verschiedene Sprachen spricht und dennoch etwas anderes meint, mal wieder emsig um die wirklich weltbewegenden Ereignisse.

Es ist ja auch sensationell, wenn einem ESC-Italorocker beim Gewinnerhüpfen die wurstpellenenge Glitzerhose genau vor den Kronjuwelen aufplatzt.

Zum Glück lag unsere Anmerkung auch diesmal wachsam auf der Lauer, um uns solche feinstofflichen Überstrapazierungen im Showbiss sogar mit Videolink sofort brühwarm zu berichten.

Ohne diese wertvolle Info samt dem anonymen Hinweis auf die Ukulele hätten wir vermutlich dumm sterben müssen.

Doch schon Kohl erkannte in seiner Bimbesbirne: "Wichtig ist, was hinten raus kommt." und sein Mädchen IM Erika ergänzte das später mit: "Weiter so! Wir schaffen das."

Es ist also immer wieder ein Highlight, hier ein wenig herumzustöbern, um den kreativen Pulsschlag des klugen Ossi-Zeitgeistes zu spüren.

Anonym hat gesagt…

@liebestöter

Ja, nicht wahr. Wenn man genau liest, könnte man aber denken, dass es ppq.li gar nicht so sehr um die neuesten Ereignisse aus der Schlagerwelt ging. Und wenn man dabei trotzdem up to date mit den angesagtesten Medientrends bleibt, freuen 'wir' (A. Merkel) uns doch alle.

Die Anmerkung hat gesagt…

@Liebstöter

>> Zum Glück lag unsere Anmerkung auch diesmal wachsam auf der Lauer, um uns solche feinstofflichen Überstrapazierungen im Showbiss sogar mit Videolink sofort brühwarm zu berichten.

Es freut mich außerordentlich und bevollmächtigt,, daß mein für sie völlig unentgeltlicher Service so regen Zuspruch fand und sie obendrein auch noch etwas gelernt haben über die Veranstaltung öffentliches Wichsen für Entscheidungsträger der Eurovision und des ersten deutschen Staatsfunks.

Weiter so, aus ihnen wird noch was. Für sie das "Ihnen" klein geschrieben.

ppq hat gesagt…

dem liebestöter ist es nicht möglich, in buchstaben mehr zu erkennen als Buchstaben und sätzen mehr zu entnehmen als deren formalen inhalt. ein bedauernswertes schicksal, das uns alle, die wir es nicht teilen müssen, mahnen sollte, demütig und bescheiden zu bleiben, gerade heute, wo früher pfingsten gefeiert wurde

Liebestöter hat gesagt…

@ Anonym

Wenn man genau liest, könnte man denken, dass es mir primär gar nicht um den obigen ppq.li-Text, sondern um die Kommentare darunter ging.

Liebestöter hat gesagt…

@ Die Anmerkung

ach nee, wieder mal als Prophet unterwegs? Ist schließlich nicht Ihre erste mich betreffende Zukunftsprognose. Letztes Mal ging es um Jobaussichten.

Und dazu erneut diese alberne verächtliche Kleinschreibung in der persönlichen Anrede.

Ausgerechnet von Ihnen, der Sie mit einem Konterfei von Mr.Bean prahlen zu müssen meinen, weil Sie sich vermutlich für so genial wie das Original R.Atkinson halten, was in einer Ihrer früheren Aussage bereits mal durchschimmerte.

Für jemanden, der so verdammt gerne gegen andere austeilt, sind sie verdammt dünnhäutig.

Liebestöter hat gesagt…

@ ppq

Vielleicht sorgte die besondere Bildung in der DDR dafür, dass Sie aus Sätzen mehr als den formalen Inhalt herauslesen können.

Mir als frei aufgewachsener Wessi fehlt diese Sonderbegabung. Wenn da also einer weiß oder schwarz schreibt, dann dichte ich nicht diverse Grautöne dazu, sondern nehme ihn -wie man so sagt- beim Wort. Das ist Grundlage jeder Absprache, jedes Vertrages. Was also soll daran verwerflich sein? Wer sich nicht daran hält, gilt darum als asozial bis kriminell.

Oder baut auch ihr euch eure Welt, wie es euch gerade gefällt? Satire, wenn die Kritik andere betrifft, geifern, wenn es um euch selber geht. Dieses zweierlei Maas scheint auch hier längst Normalität zu sein. Wahrlich kein Ruhmesblatt, aber wohl die hohe Schule des Sozialismus. Und den in seinem Lauf hält bekanntlich weder Ochs' noch Esel auf.

ppq hat gesagt…

wir sprechen verschiedene sprachen, aber sie (klein, vorbild im westen) meinen definitiv etwas völlig anderes

Anonym hat gesagt…

Da hilft nur, die “ESC“- Taste zu drücken und schon ist das bedrückende Fremdschämgefühl vorbei ;-)

Die Anmerkung hat gesagt…

über den Beitrag von Jendrik Sigwart

„Deutschland zeigt der Welt vier Minuten lang den Stinkefinger“