Sonntag, 9. Mai 2021

Geimpftinnen: Wie weiter mit der Corona-Sprache?

Wäre sie geimpft, würde sie in der öffentlichen Debatte oft nicht mitgemeint werden: Svenja Prantl.

Inklusive und zutiefst gendergerechte Sprache war zuletzt nachhaltig auf dem Vormarsch, der fortschrittliche Sprachwandel griff Raum und der hinhaltende Widerstand zumeist mächtiger alter Männer in den Medien schien zu erlahmen. Doch das ist nun anders, seit die Rückübertragung von Grundrechten durch sogenannte "Geimpfte" beantragt werden kann.

PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl wagt einen Blick auf die hitzige Debatte, bei der inklusive Sprache für jedermann und jedefrau hintenrunterzufallen droht. Denn schlüssig scheinende Konsens-Argumente für die Durchsetzung einer geschlechtergerechten Sprechweise entpuppen sich plötzlich als verzichtbare Ornamente. Und selbst führende Gendermedien und -Minister offenbaren ein tief sitzendes Unbehagens mit der Art, wie sich die Gesellschaft und ihr Umgang mit verordneten Sprachregelungen wandelt.

Ausgeschlossen vom Moment der Freiheit

Ausgerechnet der Moment der Befreiung vom harten Corona-Regiment der vergangenen Monate offenbarte die Oberflächlichkeit, mit der der wichtige Wandel der Verwendung des sogenannten generischen Maskulinums in den vergangenen Seuchenmonaten vorangetrieben worden war. Im festen Vertrauen darauf, dass die Verwendung der richtigen Worte in der Lage ist, eine magische Macht auf das menschliche Denken auszuüben, waren Medien, Instituionen und Behörden mehr und mehr dazu übergegangen, für die Nennung von Berufs- oder Bevölkerungsgruppen statt der im deutschen üblichen männlichen Form wie etwa bei "Lehrer" Fantasiebildungen wie "LehrerInnen", "Lehre:Innen" oder "Lehre*innen" zu nutzen. 

Sie machen sehen, sie machen glauben, sie machen handeln", hatte der  französische Philosoph Pierre Bourdieu empfohlen - Sprechen verwandelt das Denken, wer *innen sagt, der kennt keine Geschlechterungerechtigkeit mehr. Doch wie blauäugig diese Annahme war, zeigt sich jetzt in der Diskussion um neue Freiheiten für "Geimpfte und Genesene" (Jens Spahn). Die kennt nämlich plötzlich keine geschlechtergerechte Sprache mehr, die Frauen und diverse Menschen ausdrücklich mitmeint. Stattdessen wird wie in der Kaiserzeit männlich gesprochen: Der Geimpfte und der Genesene, aber auch der Getestete, sie sind Herren der Schöpfung, die - ähnlich wieder bei "Lehrer" - auch im Plural männlich bleiben.

Frauen strukturell benachteiligt

Frauen, die geimpft, genesen oder auch nur getestet wurden, werden von der Gesellschaft, der Politik und sämtlichen Medien damit ein weiteres Mal strukturell benachteiligt. Sie sind der blinde Fleck der Impfkampagne, sie sind die Fehlstelle im Corona-Management. Die Sprache, die eben nicht auf das gendergerechte "Geimpfinnen oder "Geneseninnen" vertraut, das bei anderen Anlässen längst zum guten Brauch geworden ist, ist nur ein Aspekt, in dem die Realität und damit auch die gesellschaftliche Diskriminierung abgebildet wird. Die Nichtbeachtung der Frauen, aber auch vieler Nicht-Binärseiender hat darüber hinaus auch einen großen Einfluss auf die mediale Wirklichkeit und kann diese mitverändern. 

Die schlimme Folge: der bürgerliche backlash im Zuge der Lockungsorgiendiskussion hat daher ernste Folgen. Mit dem einfachen Mittel der Vermeidung der geschlechtergerechten Benennung ist es gelungen, die bisher erreichten Veränderungen in der Wahrnehmung der Mitmeinung anderer Lebensentwürfe rückabzuwickeln. Was beim "Lehrer" oder dem "Studenten" noch als Standard galt - ihn als "LehrerIn" oder "Studierenden" anzusprechen - ist beim "Geimpften" schlagartig wieder stures Mittelalter. Ein Mann, ein Wort. Die Frau aber kommt als ebenfalls Geimpftseiende einfach nicht vor.

Genesinnen kommen nicht vor

Geschlechtersensible Sprache trägt auf diese Weise nicht mehr dazu bei, dass sich mehr Menschen angesprochen fühlen, sie kann sich nicht positiv auf gesamtgesellschaftliche Diskriminierungsstrukturen auswirken und alte Freiheiten dorthin zurückbringen, wo sie ebenso fehlen wie in der Männerwelt. Schrieben die Medien und sprächen die Politiker_:*Innen nicht nur von Professor*_:Innen und Lehrer_:*Innen, Politiker:_*Innen und Talkshowgäst*:_Innen, sondern auch von Geimpftinnen und GenesenInnen, gäbe es dann womöglich tatsächlich mehr Geimpftseiende in Deutschland. Schleißlich gehen wir ja auch davon aus, dass sich mehr Männern für diesen Berufszweig entscheiden, wenn wir konsequent von Krankenpflegern und Krankenpflegerinnen statt von Krankenschwestern sprechen.

Die sprachliche Sichtbarmachung ist wichtig, besonders dort, wo das jeweilige Geschlecht keine Rolle spielt. Es ist genauso wichtig, von Professorinnen zu sprechen, wie von Erziehern, aber eben auch von Geimpftinnen und Genesinnen. Schließlich käme niemand auf die Idee, nicht Genossinnen und Genossen zu sagen!

Die Bedeutung von Sprache in geschlechtersensibler Form wird hier besonders deutlich, da sie  beeinflussen kann, was Mediennutzer:_*Innen wahrnehmen, damit auch glauben und für ihr eigenes Leben nachnutzen. Auch in der Anspannung der Pandemiezeit darf deshalb keine Oberflächlichkeit und Laxheit bei der Frage aufkommen, ob angesichts vermeintlich viel größerer Probleme Kraft in die zukunftsentscheidende Frage investiert werden soll, gendersensible Sprache allumfassend, das heißt immer und bei jeder Gelegenheit zu nutzen. Die Gleichstellung aller Geschlechter in der Gesellschaft kann nur so erreicht werden.


3 Kommentare:

Kanagsprag hat gesagt…

Jedes Demokraturvolk bekommt, was es an der Wahlurne bestellt ... wenn diese Wünsche mit denen der Herrschaft übereinstimmen.

Wir bekommen also Genderotika und Islam, die beiden Seiten der neuen Toleranzmedaille, die unser Dasein zukünftig extrem beeinflussen werden. Ob nun dieser oder jener Irrsinn die Überhand gewinnen wird, bleibt abzuwarten. Ein harmonisches Miteinander stelle ich mir jedoch etwas holperig vor, wie die rustikalen Traditionen in rechtgläubigen Ländern erahnen lassen.

Jodel hat gesagt…

Steter Tropfen höhlt den Stein. Aber eben langsam und nicht hopplahopp. An die Lehrerin und die Krankenpflegerin haben sich sich eine Mehrheit inzwischen gewöhnt. Das klingt nicht mehr ganz so falsch im Ohr, wie es eigentlich ist. Das hat man akzeptiert, das ist gefühlt richtig.

Geimpftinnen oder Genesenseiende hört sich aber derzeit noch so falsch an, das es selbst der größten Schlafmütze auffallen würde, was da für ein dekadenter Quatsch verzapft wird. Das kann aber doch keiner unserer Medienschaffenden wollen. Daher wird sich hier vornehm zurückgehalten. Mit der Faust in der Tasche wird das überkommene Maskulinum in die Tasten gehauen, nicht das ein Michel zu heftig spürt wohin die Reise geht.

Bei der nächsten Pandemie sind wir dann aber sicher schon so weit, das auch das endlich korrigiert werden kann. Dann werden sie mal sehen, wie die Artikel vor Geimpftinnen nur so strotzen werden um die Schande der aktuellen Nachlässigkeit wieder auszubügeln.

Anonym hat gesagt…

@ Kanagsprag:
Nö. Spätestens seit dem FED-Act von 1913 bekommt jedes Volk, was dem Großen Sanhedrin angemessen scheint. Ausnahmen bestätigen die Regel.