Freitag, 10. Dezember 2021

Körpersprache: So tickt der neue Kanzlernde

Nicht Expressionist ist Scholz, sondern Impressionist.

Er gilt nicht als große Rednerin oder Freundin ausladender Gesten. Olaf Scholz agiert eher nordisch karg, sein Lächeln ist schmal, seine Körpersprache zurückhaltend. Scholz, kein echter Hamburger wie seine ostdeutsche Vorgängerin Angela Merkel, sondern gebürtiger Osnabrücker, inszeniert sich gern als Impressionist mit leicht schiefgelegten Binderknoten, kurzgeschorenem Haar und Jackettschultern, die für einen etwas größeren Mann geschneidert zu sein scheinen. Wie aber funktioniert der Mann wirklich? Was treibt ihn innerlich an? Und wohin?

Der Körpersprecher

Die bekannte Gebärdendolmetscherin Frauke Hahnwech hat sich öffentliche und nichtöffentliche Auftritte des 63-Jährigen angeschaut und die Rhetorik und das Auftreten des neuen Mannes im Bundeskanzleramt nach mehr als 20 Jahren in zahllosen Spitzenpositionen der Bundespolitik analysiert.  Scholz sei derzeit zwar noch nicht einer der mächtigsten Frauen und Männer der Welt, sagt die Spezialistin für subkutane Gesten, aber unumstritten heute schon eine politische Ausnahmeerscheinung. "Kaum jemand schafft es, immer wieder in Skandale verwickelt zu werden, sie aber rückstandsfrei hinter sich zu lassen", sagt die ausgebildete Körpersprachmittlerin. 

Scholz sei dabei definitiv nicht der begnadete, mitreißende Redner, als der seine Vorgängerin in die Geschichte einging. Doch seine Geschichte sei eine einer stilstabilen Figur, die jede Verwandlung vermeide. „Er hat an der Seite Gerhard Schröders die Regeln eines sicheren Auftritts mit großem Führungsanspruch gelernt", analysiert Hahnwech, "heute zeigt er sich als entschiedener Leiter gleich welcher Prozesse, der höflich für Fragen dankt, dann aber in der Regel mit dem antwortet, was er sowieso sagen wollte." 

Der Umgang mit der Öffentlichkeit sei nie ein Problem für Scholz gewesen, weil er sich auf die Solidarität zahlreicher Medienarbeiter verlassen konnte. "Weder nach den anarchischen Zuständen in Hamburg beim G20-Gipfel noch in der Folge seiner Arbeit im Umfeld des Wirecard-Skandals und der Cum-ex-Skandale hat Scholz Schaden genommen."

Teflon-Anzug vom Merkel-Schneider

Sichtlich stamme der Teflonanzug des neuen Kanzlers vom selben Schneider wie die berühmten Pokémon-Jacken seiner Vorgängerin. "Da bleibt nichts hängen, da dringt nichts durch ", sagt die Gebärdenspezialistin, die auch als Führungskräftetrainerin für Rhetorik und Auftreten arbeitet. Scholz profitiere dabei vom doppelten Nachfolgeeffekt: "Nicht jeder mochte Angela Merkel, aber niemand mochte den Gedanken, nicht zu wissen, was nach ihr kommen könnte", folgert sie, "und niemand liebt Olaf Scholz, aber der Gedanke, dass es ohne ihn noch viel schlimmer ausgehen könnte, der ist sehr beliebt." 
 
Die politische Position des Neu-Kanzlers sei dabei sichtlich äußerst bequem. "Scholz hat sich aus medienkommunikativer Sicht die beste Regierungskoalition gezimmert, die man sich nur vorstellen kann", klärt Frauke Hahnwech auf. Der Sozialdemokrat sitze wie der Kutscher auf einem Wagen mit zwei Pferden. Als eines davon imitierten die Grünen einen Hengst, der ständig steigen wolle, vorwärts galoppieren, "alles immer schneller, schneller, schneller, gleich und das Morgen schon im Heute." Der andere Gaul sei die FDP , eine ständige Bremse, "der Hemmschuh, der bei allen immer aber, aber, aber ruft". Für Scholz eine ideale Kombination: "Er sitzt auf dem Bock, lenkt, treibt die einen an, bremst die anderen und hat immer die Wahl, für alles, was ihm nicht gelingt, das eine Pferd oder das andere verantwortlich zu machen."

Ohne vertikale Frequenz

An seiner Sprache, seiner Mimik und Gestik und seinem Bewegungsstil habe der Osnabrücker in den Jahren seit seinem Rückwechsel nach Berlin gearbeitet. Nach dem Vorbild der Angela Merkel ruhe er in sich, seine Körpersprache verzichte auf jede Dynamik, sie habe "null Amplitude und keine vertikale Frequenz". In agilen Zeiten wirke das beruhigend auf eine Öffentlichkeit, bei Angela Merkel mit  scharfen Zischlaute hatte leben müssen, die nicht das sopranisch Schrille  anderer Politikerinnen ersetzte, die buddhistische Regungslosigkeit, mit der die Alt-Kanzlerin auftrat, aber zuweilen doch karikierten. Nicht Expressionist sei Scholz, sondern Impressionist. "Wollte man ihn mit einem erläuternden Wort charakterisieren, müsste man sagen, er ist nicht Politiker, sondern der von einem Politiker hervorgerufene Eindruck."[3]

Olaf Scholz ist sicher kein Volkstribun, urteilt die Expertin. Mitreißende Ansprachen dürfe man von ihm nicht erwarten, aber dafür verlässlich Signale für ein ruhiges Auftreten. "Scholz' Lächeln ist schmal, aber natürlich." Nach einem Markenzeichen, das die „Merkel-Raute“ ersetzen könne, suche der neue Mann im Kanzleramt noch, das aber sei trotz guter Berater nicht einfach. "Man muss mit den  Fingerspitzen, den Fingern und den Händen etwas machen, das für sich selbst steht, anhand der reiner Geste aber nicht beurteilt werden kann." Frauke Hahnwech ist zuversichtlich, dass Olaf Scholz auch diesbezüglich liefern wird. "Das ist ein Prozess, denn die personalisierte Gestik muss stimmig sein, universell einsetzbar und im jeweiligen Gesamtkontext immer passende Signale aussenden."



4 Kommentare:

Jolina hat gesagt…

An seiner Stimme muß er noch arbeiten. Am besten möge er schweigen.

Carl Gustaf hat gesagt…

Apropos: muss das im Nominativ Singular nicht "der Kanzelnde" statt der "der Kanzlernde" heissen? Ersatzweise ginge auch der "der Thronende".

ppq hat gesagt…

ich denke, seine arbeit ist das kanzlern, nicht das kanzeln, oder? das macht ihn zum kanzlernden, aus hiesiger sicht

Anonym hat gesagt…

Und ich denke, daß es deren Aufgabe und Zweck ist, es mag etlichen derer wegen kognitiver Defekte nicht bewußt sein, einigen aber schon, uns in aller Welt verhasst, vor allem aber zum Klops zu machen.