Sonntag, 11. Dezember 2022

Wort des Jahres Zeitenwende: Ein Machtwort für den Kanzler

Astrid Lindgren wusste noch nicht von Zeiten, die sich wenden.

In der alten Zeit, als noch kein Krieg war und keine Pandemie, war es "Heißzeit", danach,im letzten Friedensjahr, die "Respektrente", 2020 fiel wegen der "Lockdowns" aus und 2021 unterstützte der "Wellenbrecher" verbal die Bemühungen von Bundesregierung und Opposition um eine Einhegung der Corona-Seuche nicht nur durch eine "Osterruhe" und zeitweise "Kontaktsperren". Für die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin und ihren langjährigen Chef Rainald Schawidow, Sohn eines Bergmanns aus Ludwigslust, waren es Jahre fleißiger Arbeit, aber auch Jahre großer Erfolge. Mit insgesamt zwölf Auszeichnungen bei der Wahl zum "Wort des Jahres" hintereinander hat die bundeseigene Sprachschmiede BWHF mittlerweile sogar die Erfolgssträhne des Fußballvereins Bayern München übertroffen.

Grüße von der Gala zur Verleihung

Für Rainald Schawidow, der aus kleinen Verhältnissen in den entleerten Flächen Ostdeutschlands stammt, ist das alles immer noch unfassbar. "Ich weiß, dass meine Familie zuschaut", sagte er bei der knapp vierstündigen, live für das Fernsehen aufgezeichneten Gala zur Verleihung der auch "WdJ" genannten Auszeichnung. "Ich bin so auf alle unsere Mitarbeitenden, auf unsere Propagandapoeten, die Hülsenschmiede, die Programmierer unserer fantastischen Kommunikations-KI." Ihn selbst habe nicht verwundert, dass es seinem Haus im letzten Winter nach dem Überfall der Russen auf die Ukraine binnen weniger Stunden gelang, das Bundeskanzleramt und die angeschlossenen Medienanstalten mit einer Vorrat an kämpferischen Vokabeln für den Kriegseinsatz im Inneren zu versorgen. "Wir sind Beamtinnen und Beamte, aber immer zu raschen Innovationen in der Lage."

Die BWHF, hervorgegangen aus dem DDR-Betrieb VEB Geschwätz, arbeitet dabei in der Regel mit Schnittmusterbögen aus dem werkseigenen Sprachlabor. Von "Euro-Rettungsschirm", "Energiewende" und "Wachstumspakt", "Mietpreisbremse", "Stromautobahn", "Ökoflation" und "Basisschutz" bis zur "Respektrente", der "Klimagerechtigkeit" und dem "Sondervermögen" reicht die Palette der Neuentwicklungen der zurückliegenden Krisenjahre. Auf "Zeitenwende" aber ist das Kollektiv der BWHF besonders stolz. "Wir haben hier etwas geliefert, das weltweit einmalige ist", verweist Rainald Schawidow auf einen öffentlich bislang kaum beachteten Aspekt. Die "Zeitenwende" gebe es überhaupt nur im Deutschen. "Übersetzen Sie das ins Englische, bekommen sie bloß einen turning point, der sich zurückübertragen als simpler ,Wendepunkt' herausstellt."

Ein großes deutsches Schicksalswort

Zeitenwenden aber sind mächtiger, größer, gewaltiger, sie sind vor allem deutsch bis in Mark und Knochen. Die erste Zeitenwende wurde hier kurz vor dem Ersten Weltkrieg aktenkundig, als selbst Sozialdemokraten nur noch das Vaterland kannten. Die Bundeszentrale für politische Bildung datiert die nächste Zeitenwende dann auf den 1. September 1939, eine weitere folgte nach dem 11. September 2001. Ein großes Wort für große Tage - nicht zuletzt das erkannte auch die Gesellschaft für deutsche Sprache an, als sie ihre Wahl zum "Wort des Jahres" auf den Begriff fallen ließ, der erfunden worden war, um der zum Zeitpunkt des Kriegsausbruches völlig unvorbereiteten und mehrdimensional überforderten Bundesregierung Zeit zu kaufen, damit sie einen Anflug von Überblick zurückgewinnen konnte. 

Faktisch, gesteht Schawidow ein, sei es natürlich unmöglich, die Zeit zu wenden oder sie gar herumzudrehen. "Die Zeit kennt nur eine Richtung, immer weiter nach vorn ins Unbekannte." Die Menschen draußen im Lande aber verlangten stets nach Orientierung von oben, nach Handreichungen, Wegweisern und nach Licht am Horizont. "Für uns war es daher naheliegend, im Stil unseres modernen Klassiker ,Energiewende' ein zusammengesetztes Substantiv zu entwerfen, das in der großen deutschen Tradition von "Autobahn", "Weltschmerz" und "Blitzkrieg" steht." 

Menschen abholen, ohne dass sie stutzig werden

Menschen abholen, wo sie sind, ihnen ein X für ein U vormachen, ohne dass sie stutzig werden - Rainald Schawidow, über dessen Schreibtisch auch die Leerworte und Krisenvokabeln "Freiheitsgas", "Tankrabatt" und "Strompreisbremse" gingen, schaut mit Genugtuung auf die letzten Monate zurück. Es sei viel erreicht worden durch angestrengte, leidenschaftliche Arbeit seines ganzen Teams. "Sie müssen sich vorstellen, dass wir in manchen Augenblicken völlig überraschende Aufträge aus der Politik bekamen, bestimmte Sprachregelungen zu liefern." Binnen Stunden aber sei es gelungen, insbesondere den Bundeskanzler mit Machtworten zu versorgen, die die Lage im Land beruhigten. 

Ich denke, auch wir haben unseren Anteil daran, dass das über Monate hinweg erratisch erscheinende Regierungshandeln nicht zu den Aufständen geführt hat, die Frau Baerbock vorhersagte", glaubt Rainald Schawidow. Heute spreche dank eines steten Stroms an neuen Worthülsen, die sein Haus liefere, niemand mehr über Schwerewaffen, den sofortigen Gasausstieg, den versprochenen Neubau von 30 bis 40 Erdgaskraftwerken, Russland unmittelbar bevorstehende Staatspleite oder gar an jene schicksalhafte Turbine, die noch im Sommer bereitstand, die Russland-Sanktionen des Westens im Auftrag der Ampel-Regierung zu unterlaufen. "Oft habe ich Zweifel, ob wir wirklich so gut sind, wie wir immer denken", sagt Rainald Schawidow. Aber diesmal sei er sicher: "Die Auszeichnung zum ,Wort des Jahres' haben meine Leutinnen und Leute sich verdient."


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Dass das Wort kaum wahrgenommen wurde, kann man der Jury aus den besten Geisteswissenschaftlern des Landes nicht vorwerfen. So wurde das Wort 'Nordstream' sicher häufiger verwendet und ist weiter geläufiger. Es ist aber wichtig, eine Botschaft positiv zu betten: Russe schlecht, wir gut.

Anonym hat gesagt…

OT gab es eigentlich schon irgendwo Kommentare zum gegenwärtigen Klimawinter, der bisher eindeutig regierungsfeindlich agiert?

Anonym hat gesagt…

Wieso Klimawinter? Im Staatsfernsehen klingt es anders: Heute ist der wärmste 11. Dezember seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen! Die klebende Habeck-Jugend ist noch lange nichts arbeitslos.

Anonym hat gesagt…

Im Staatsfernsehen klingt es anders: Heute ist der wärmste 11. Dezember seit ...

Haben die wirklich und wahrhaftig? --- Zuweilen scheint es, sie wollten ausschließlich oder fast ausschließlich Vorwitzige aus der Deckung locken, erst zum Registrieren, später zum Internieren bzw. Eliminieren.

Jodel hat gesagt…

Zum Glück wollte die brandgefährliche reußsche Terrortruppe nur den Reichstag stürmen.
Nicht auszudenken, wenn diese statt dessen die Bundesworthülsenfabrik in ihre Gewalt gebracht hätten. Mit einem endlosen Nachschub an maßgeschneiderten Begriffen hätten sie die tumbe Bevölkerung ohne Probleme auf ihre Seite gezogen. Gleichzeitig hätten unserer Regierung und ihren Behörden die passenden Worthülsen gefehlt, um um diesen Staatsstreich verhindern zu können.

Falls hier eine noch unentdeckte Reichsbürgereinheit mitliest. Als Entlohnung für meinen perfiden Masterplan zur Übernahme des besten Deutschlandes aller Zeiten begehre ich den Posten des Reichsoberhausmeisters. Die Stelle als Reichskoch ist ja leider schon vergeben.