Freitag, 20. Januar 2023

Spitzenglättung: Ein warmer Mantel für die Elektro-Bremse

Es klingt federleicht, es enthält einen Hauch von alter Handwerkstradition und es beschreibt einen für Normalsterbliche fast unbeschreiblichen Vorgang auf eine Weise, die an Übungen in Leichter Sprache erinnern, wie sie führende Politikerinnen und Politiker zuweilen vorführen, um breite Kreise der Bevölkerung dort abzuholen, wo sie sind, und mitzunehmen. "Spitzenglättung" ist die Vokabel, um die es geht, ein Begriff, den die Jahrestagung der Worthülsendreher aus aller Welt (Global Sumit of Verbal Lathe Operators, GSVLO) bereits jetzt zum "schönsten Schlagwort 2023" gewählt hat.  

Schönstes Schlagwort

Ein eindeutiges Votum, das da in Lima als Signal in die Welt ging. Mehr als 2.167 Vertreterinnen und Vertreter der meistenteils sehr verschwiegen agierenden Branche, entsandt von 78 Staaten, entschieden sich mehrheitlich für das deutsche Wort, das die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) erst im Sommer 2022 öffentlich vorgestellt hatte. Die "Spitzenglättung" war damals feierlich in die öffentliche Diskussion um drohende Versorgungsmangellagen eingeführt worden, um die Zusicherung des Klimawirtschaftsministers zu untermauern, dass "wir kein Stromproblem" haben. "Spitzenglättung" betont, dass es immer Strom geben wird in Deutschland, nur künftig eben nicht immer zugleich überall.

Vorausgegangen war der Entwicklung der neuen Worthülse eine Bergungsaktion in einem weitgehend vergessenen alten Archiv im niedersächsischen Garbsen. "Dort konnten unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Verlauf einer nicht risikofreien Expedition tatsächlich genau diesen Begriff freigraben und sicherstellen", beschreibt BWHF-Chef Rainald Schawidow das riskante Manöver, das nötig geworden war, nachdem die Bundesnetzagentur (BNetzA) die Lieferung von Munition für den Umgang mit eventuellen Energiemangellagen beantragt hatte.

Neuer Krisenkampfstoff

In der BWHF, in der Vergangenheit mit der Serienproduktion von zusammengesetzten Substantiven wie "Rettungsschirm", "Energiewende", "Schulden-" und "Strom"- und "Mietpreisbremse", "Stromautobahnen" oder "Wachstumspakt" immer wieder Retter der Politik vor unzulässiger Sprachlosigkeit, versuchte wohl anfangs, einen neuen Krisenkampfstoff wie immer in der Verbalwerkstatt zu entwickeln. "Dazu gehört natürlich stets das Studium von Quellen", erläutert Schawidow die normale Vorgehensweise seiner Verbalschmieden, Worthülsendrehern und Propagandapoeten. Im Zuge dieser Quellenrecherche seien Hinweise auf ein bereits existierendes Wort aufgetaucht. "Es hieß, es werde im Friseurhandwerk genutzt und könne ideal zu unserem Anspruchsprofil passen."

Der Fundort, bis dahin nur aus Legenden und grob gezeichneten alten Karten bekannt, versprach nicht zu viel. "Als meine Mitarbeiter mit das Wort präsentierten, wusste ich sofort: Das ist es." Wie ein Hybrid aus dem auch dem Duden bekannten "Kantenglättung" und der optimistisch nach vorn weisenden "Spitzenleistung" sei ihm das Wort vorgekommen. "Es war Liebe auf den ersten Blick", schmunzelt Rainald Schawidow, der große Erfahrung hat mit der verbalen Bewältigung akuter Krisen und symbolischen Sprechhandlungen als entschiedenes Rezept der Außendarstellung überwältigender politischer Tatkraft.

Begeisterte BNetzA

Bei der Bundesnetzagentur, 1998 eigentlich als Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post gegründet, aufgrund des russischen Angriffskrieges und der eingeleiteten Energieausstiegsanstrengungen aber längst mit viel weitergehenden Aufgaben betraut, war man ähnlich begeistert. Die Stilllegung von Teilen der nationalen Energieversorgung als "Spitzenglättung" zu bezeichnen, halte er für einen Geniestreich, lobte auch ein mit den Zusammenhängen vertrauter Mitarbeiter des Klimaministeriums. Die Verwendung der Vokabel werde den Zusammenhalt in der Bevölkerung zweifellos stärken.  

Man assoziiert mit dem Wort ja nicht Blackout, Dunkelheit, kalte Wohnungen und stillgelegte Produktionsanlagen", beschreibt auch Rainald Schawidow den Charme der neuen Worthülse, "sondern eine angenehme Kopfmassage, leise geraunte vertrauliche Gespräche und das schöne Gefühl, sich gleich wie ein neuer Mensch fühlen zu dürfen." Dass "Spitzenglättung" die gezielte Abschaltung der Stromversorgung häuslicher E-Auto-Ladepunkte und privater Wärmepumpen bedeute, sobald durch einen Angebotsmangel und einen Nachfrageüberschuss wilde Ausfälle im Netz drohen, werde durch das Wort "hervorragend bemäntelt", lobt auch die Jury der GSVLO. 

Absage an Elektro-Bremse

Rainald Schawidow aber will die Vergabe des angesehenen Preises nicht zu hoch hängen. Einerseits seit die BWHF bereits zwölfmal für innovative Schlagworte ausgezeichnet worden. "Und außerdem: Hätten wir die Absichten der Bundesregierung, Verbraucher zeitweise gegen deren Willen und ohne deren Zustimmung vom Netz abzuklemmen, etwa Elektro-Bremse nennen sollen?" Nein, er sehe die Aufgabe der BWHF darin, zu bemänteln, zu beschönigen und Stellungen zumindest verbal zu verteidigen, die womöglich unhaltbar seien, aber notwendigerweise weiter besetzt bleiben müssten.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Bundesnetzagentur c/o Klaus Müller:
Wärmepumpen und Wallboxen sollen in Zukunft vor allem dann betrieben werden, wenn der Strompreis aufgrund hoher Einspeisung von Erneuerbaren Energien gering ist. „Hierdurch entstehenden höheren Gleichzeitigkeiten können Netzbetreiber durch das zur Konsultation gestellte Instrument wirksam begegnen. Steuerungshandlungen dürfen im Zielmodell nur unter der Voraussetzung einer objektiven Notwendigkeit erfolgen“

'Höhere Gleichzeitigkeiten' sieht nach einer Sonderanfertigung der BWHF aus. Oder Schawidow arbeitet nebenher als Ghostwriter für Klaus Müllers Behörde.

Anonym hat gesagt…

Steuerungshandlungen dürfen im Zielmodell nur unter der Voraussetzung einer objektiven Notwendigkeit erfolgen ...

Das ist Deutsch, und doch kein Deutsch* - Märchen von der klugen Bauerntochter - wenn zwei Ochsen ein Fohlen kriegen können, dann kann sich einer im Knast wohl auch an seinem Tieschört aufhängen.

*...straßenbauend nach Osten geführt ... nebbich ...