Samstag, 7. Januar 2023

Syrien: Der verschwundene Krieg

Nicht nur der Syrienkrieg, sondern gleich das ganze Land sind aus dem medialen Fokus verschwunden.

Er sandte Schockwellen um die Welt, raubte Millionen die Heimat und war für Jahre das bestimmende Thema der Auslandsberichterstattung der deutschen Medien. Syrien rückte zwischen 2014 und 2020 ganz nah an die deutschen Grenzen. Die Gräueltaten von Diktator Bashar al Assad, der Vormarsch der Freien Syrischen Armee, der heldenhafte Kampf der Jesiden und die fürchterliche Treiben des Islamischen Staates, sie waren Standardware in jeder Nachrichtensendung. Mit dem letzten Stand zur Lage in Syrien endete jeder Tag. Und mit den neusten Entwicklungen begann der nächste.

Wer gegen wen

Selbstverständlich verstand niemals jemand, wer da eigentlich gegen wen. Wieso waren die Amerikaner mit den Feinden ihres Nato-Partners Türkei verbündet? Weshalb unterstützten die Europäer eine offiziell anerkannte Terrororganisation? Wer waren die "freien Kräfte" und wieso waren ihre Kindersoldaten besser als die anderer Konfliktparteien? Details, die im Großen und Ganzen nicht weiter störten. Der Übersichtlichkeit halben wurde einfach alles weggelassen, was nicht ins Bild passte. Die "Taz" forderte Waffen für Assad. Die Nato sah sich gezwungen, zu Verletzungen des Völkerrechts zu schweigen. Die damalige Bundeskanzlerin beklagte, dass nicht alle Beteiligten friedlich bomben.

Aus deutscher Sicht aber waren es die in Massen flüchtenden Syrer, die als bedeutendste Auswirkung des Krieges eingeschätzt wurden. Vom zynischen Sklavenhändlerspruch "wir bekommen Menschen geschenkt" bis zur kompletten Ablehnung der Neuankömmlinge reichten die Facetten des Umgangs mit einem zunehmend rätselhafter werdenden Phänomen: 1,2 Millionen Syrer nahmen allein die EU-Staaten seit 2014 auf, 350.000 Menschen starben. Zugleich liegt die Bevölkerungszahl des immer noch von Bashar Al Assad beherrschten Landes heute wieder dort, wo sie 2010 gelegen hatte, vor dem Bürger- und Glaubenskrieg und der großen Fluchtwelle, die nach Angaben der Uno 6,3 Millionen Menschen aus dem Land trieb.

Ist nun wieder Frieden?

Sind sie zurück? Geht das überhaupt? Wie steht es eigentlich um den Syrienkrieg? Läuft er noch? Wer kämpft jetzt gegen wen? Die "Tagesschau" weiß es nicht, die übrigen deutschen Medien haben das Interesse verloren.  Irgendetwas ist wohl noch, zumindest vermutete das SPD-Parteiorgan "Vorwärts" das, allerdings mit Stand von vor einem Jahr, als den Genossen angesichts des Ukraine-Krieges der Verdacht kam, Syrien könne "ein russisches Versuchslabor für den Ukrainekrieg" sein. Seitdem ist wieder Ruhe im Schiff, Ruhe wie überall von "Spiegel" über Taz, FAZ und SZ bis zum anderen SPD-Parteiorgan RND.

Es scheint vorbei zu sein. Sicher, der Nato-Verbündete Türkei bombardiert hin und wieder noch friedliche PKK-Verbündete. Auch lässt es der deutsche Wertepartner Israel immer mal wieder Bomben regnen, um Assads Hisbollah-Verbündete zu treffen. Aber das, was vor knapp elf Jahren aus westlicher Sicht so vielversprechend mit dem Aufstand der syrischen Demokraten gegen den Dauer-Diktator begann, um wenig später zu einem blutigen Schlachten zwischen Assads Armee, den Muslimbrüdern, Islamisten des IS, Hisbollah-Truppen, russischen Einheiten, den Türken, den Jesiden, den vom Iran unterstützten Schiiten und Saudi-Arabiens sunnitischen Verbündeten zu werden, findet nirgendwo mehr Erwähnung. 

Nähe entscheidet immer

Aus medialer Sicht ist der Syrien-Krieg beendet, seit mit der Corona-Pandemie ein neuer mächtiger Verbündeter im Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums auftauchte. Mit den ersten Nachrichten über Inzidenzen, Lockdowns und eine rundum weitsichtige und kluge Seuchenpolitik der - erst später in Ungnade gefallenen - Bundesregierung verschwand Syrien, verschwanden Assad, seine Verbrechen und seine unmenschlichen Pläne  von der Bildfläche. Seit dann Russland im vergangenen Jahr auch noch beschloss, die Ukraine anzugreifen, hat Syrien, so nah im  Osten es auch liegt, gar keine Chance mehr: Bis Damaskus sind es 2.800 Kilometer. Bis Donezk 2.000. Nähe entscheidet über Interesse. Immer. 

Von Assad bis IS ist der Schwund unübersehbar. Selten, sehr selten sind Berichte über Vorgänge im Kriegsgebiet, das vielleicht ein früheres Kriegsgebiet sein könnte, man weiß es nur nicht so genau, denn selbst Syrien als Land ist nahezu vollständig aus dem Fokus verschwunden.  Und das im Rekordtempo: Was 2017 noch eine historische Bewährungsprobe für Deutschland, die EU und ein wenig auch für den Rest der Welt war, gemeinsam zu lösen in den nächsten 14 Tagen, hat sich in nur fünf Jahren in Nichts verflüchtigt.


4 Kommentare:

Hase, Du bleibst hier.... hat gesagt…

https://www.focus.de/panorama/welt/angriffe-auf-feuerwehr-und-polizei-neue-erkenntnisse-zu-tatverdaechtigen-nach-silvester-krawallen-in-bonn_id_182324957.html

Nee nee, die sind alle noch da. Kämpfen jetzt nur anderswo in der EU, z.B. in Bonn.

Anonym hat gesagt…

„…sowie ein junger Mann mit rumänisch-somalischen Wurzeln.“
Wat et all jibt!

ppq hat gesagt…

mein erster gedanke. meltingpot EU! inhaltlich: hier handelt es sich um polizeibekannte jungs, das ist also alles gar nichts ungewöhnliches. zudem: bonn? die meisten menschen denken doch, dass das damals eingebnet worden ist, als die (teile der) bundesregierung in die alte hauptstadt preußens zurückzogen

Anonym hat gesagt…

Wenn nicht jeder dieser Jungs seinen eigenen Integrationminister kriegt, seid ihr selber schuld am Ergebnis!

Dr. lol. Franzi Giffey