Dienstag, 29. August 2023

Reformen: Der stille Tod eines Zauberworts

Grafik Google Trends Reformen
Das Zauberwort "Reformen" hat seit seiner Einführung unter Gerhard Schröder an Wirkungsmacht verloren.

Den Staub von gefühlten fast 1.000 Jahren wegzublasen waren sie unerlässlich. Als der Sozialdemokrat Gerhard Schröder vor einem Vierteljahrhundert antrat, den kaisergleich seit Jahrzehnten regierenden CDU-Kanzler Helmut Kohl aus dem Amt zu treiben, führte er in der Hand ein scharfes Schwert: Schröder verunglimpfte Deutschland als den kranken Mann Europas, ein Land, wie festgebacken in seiner Vergangenheit, berauscht von längst zurückliegenden Erfolgen und unfähig, seine geschrumpfte Bedeutung selbst einzusehen.

Reformen gegen Weiterso

Konkurrent Kohl, der alte, weiße Mann, rief Weiterso. Schröder aber predigte "Reformen", ein Zauberwort, das die damals noch weitgehend unbekannte Bundesworthülsenfabrik (BWHF) dem ehrgeizigen Niedersachsen auf den Leib geschneidert hatte. "Reform", gebildet aus dem Lateinischen "re" wie zurück und "formare" wie bilden oder gestalten, bedeutet eigentlich zwar so etwas wie Wiederherstellung. signalisierte im schröderschen Niedersächsisch aber eine geplante Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse, einen Neuanfang mit neuer Glaubenslehre für Politik und Gesellschaft, die sich am Ende eines - ja, sagte Schröder, auch schmerzhaften Prozesses - von Fesseln befreit finden würde, bereit zu neuen großen Taten.

Das Zauberwort, es wirkte. Obwohl Kohl für seine letzten Wahlplakate die Brille absetzte, um eine Art eigenen Egon Krenz als Nachfolger für sich selbst zu markieren, ritt der SPD-Mann ins Kanzleramt. Und Schröder, der als junger Mann angetreten war, eine Revolution loszutreten, meinte es ernst mit mit allerlei Änderungen, die für deutsche Verhältnisse auch schon einen radikaleren Wandel bedeuteten. Hartz IV brachte die Massen auf die Straßen, damals noch unter lautem Applaus der Medien. Schröder, der Sozialist mit der Zigarre, verwandelte sich in einen Neoliberalen, dessen "Reformen" als lästig, schädlich und überhastet kritisiert wurden. Die Wiederwahl gelang dem Sozialdemokraten nur mit Hilfe eines als Friedenserklärung verkleideten Antiamerikanismus.

Abgesetzt von der Tagesordnung

Von Reformen aber, wie der geschwächte Kanzler sie weiter zu betreiben beliebte, hatten Land und Leute genug. Der kranke Mann, er konnte doch wieder gehen. Die Wirtschaft nahm Fahrt auf. Die Arbeitsmarkt-Reformen der "Agenda 2010" (BWHF) schmerzten noch immer, doch man hatte sich weitgehend arrangiert. Noch einen "Ruck" für Deutschland, wie ihn der frühere Bundespräsident Roman Herzog gefordert hatte, konnte niemand gebrauchen. Mit Schröder, der im Juli 2005 eine Vertrauensabstimmung im Bundestag und im September schließlich die vorgezogene nächste Bundestagswahl verlor, verschwand auch der Begriff "Reformen" von der politischen Tagesordnung.

Verbraucht, abgeschliffen, ausgelutscht. Wer nach 2005 noch von Reformen sprach, hatte die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Angela Merkel vermied es deshalb nicht nur vom ersten Tag an, das Wort in den Mund zu nehmen, sie vermied es sogar, irgendetwas zu tun, was Menschen als "Reform" missverstehen könnten. Die Zauberkraft des Begriffes war erschöpft wie die des ebenfalls von der BWHF an Schröder gelieferten magischen Wortes "Agenda", das seitdem nie wieder regierungsoffiziell verwendet worden ist.  Stattdessen übernahmen die "Maßnahmen", die Schutzpläne und Förderrichtlinien.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die konnten ihren eigenen Bullshit selber nicht mehr hören.

Anonym hat gesagt…

Ich zitiere hier mal Danisch, manchmal hat er echt geniale Sätze.
"Merkel war, genau genommen, nicht die Kanzlerin Deutschlands, sondern die Gattin. Der Gatte verdient das Geld und sie gibt es aus"

Der lachende Mann hat gesagt…

Manchmal gelingen Hadmut ausgesprochen lustige Formulierungen, z.B. am 30. August im Zusammenhang mit dem Projekt, Fördergelder an Amigos zu überweisen, die mit einer Studie beweisen sollen, daß es dem Klima nützt, wenn man entsalztes Ostseewasser nach Berlin leitet.
"Als nächstes kommen sie auf die Idee, dass wir ja alle nur noch in Hochhäusern leben sollen, keine Einfamilienhäuser, und man ja enorm viel Wasser sparen kann, wenn man jede Dusche einfach an den Ablauf der Dusche in der Wohnung über einem anschließt. Wenn also alle gleichzeitig unter die Dusche steigen, muss nur noch der im obersten Stock das Wasser aufdrehen."