Donnerstag, 16. November 2023

"Wer wir sind" in der ARD: Verlorener Osten

Die Mundwinkel schleifen der engagierten Luise hinterher, ebenso der verhaltensgestörte Niklas, ein später TV-Nachbau des berühmten Revolutionärs Daniel Cohn-Bendit.

Sie sitzen in der piekfeinen Bürgervilla des Staatssekretärs und planen den Aufstand. Das hochbegabte Mädchen mit dem beeindruckenden Instinkt für theoretische und praktische Chemie ist dabei, dann die Tochetr eines vietnamesischen Blumenhändlerpaars aus der Betonvorstadt, der Politikersohn selbstverständlich, noch einen zarten Hauch dunkler als der Vater und manchmal noch wütender als der vierte im Bunde, ein junger Altkader mit Cohn-Bendit-Blick und Wuschelfrisur, der im Kampf für die Umwelt ein Ventil gefunden hat, seinen Hass auf die ganze verdammte Welt der Erwachsenen rauszulassen.  

Am schlimmsten Ort der Gegenwart

Das Quartett ist am schlimmsten Ort gelandet, den sich irgendwer auf der Welt zum Großwerden jenseits der 2000er Jahre vorstellen kann: Ostdeutschland, eine Gegend, die am schlimmsten betroffen wäre, gäbe es nicht Westdeutschland, das auch diesen Titel wie selbstverständlich immer wieder für sich zu reklamieren versteht.

Aber hier sind sie nun, die Helden des ARD-Mehrteiler "Wer wir sind", dessen Titel natürlich eine augenzwinkernde Referenz an Sabine Friedrichs gleichnamigen Roman über den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist. Menschen in einem verlorenen Land, gebeugt vom Schicksal und verraten von der Gesellschaft. Selbst jung sein ist nur Last, selbst engagiert sein bringt nicht einen einzigen Moment lang Freude oder Spaß. 

Ein  weiterer großer Fernsehmehrteiler

Die Mundwinkel schleifen den Akteuren in diesem späten Nachfolger der großen Fernsehmehrteiler "Seewolf", "Sandokan" und "Die Schatzinsel" auf dem Boden hinterher. Der neue Abenteuerfilm spielt allerdings in Deutschland, beginnt aber mit einer Straßenschlacht zwischen diesen und jenen, genau weiß das niemand. Für die 17-jährige Luise wird die adrenalingeschwängerte Nacht zum Erweckungserlebnis. Das Mädchen aus einem Polizistenhaushalt fühlt sich auf einmal hingezogen zu Vanessa, der Anführerin einer winzigen Widerstandsgruppe, und damit zum Widerstand selbst. 

Vorher hatte Luise - der Name ist eine augenzwinkernde Referenz der Filmemacher an das Vorbild Luisa Neubauer - keine Freunde und nichts weiter zu tun als sich auf ein Auslandsstudium in den USA vorzubereiten. Nun aber wirft sich das Mädchen, dessen kindlicher Auftritt als augenzwinkernde Referenz an die frühere Klimaikone Greta Thunberg verstanden werden darf - mit vollem Einsatz in den Kampf gegen den verbrecherischen Unternehmer Daniel Noll, den Jörg Schüttauf als miesen fiesen Greenwasher spielt, dessen einziger Lebenszweck in der Vernichtung der Welt besteht.

Weißer, alter Müllverbrecher

So weiß und alt der Müllverbrecher, so bunt ist die winzige Schar der Aktivisten, die vom gewalttätigen Auftakt an durch apokalyptische Ostlandschaften stolpern, vom Drehbuch mit allen Lasten der Gegenwart beladen und gezwungen, inmitten einer Handlung zu agieren, die - womöglich von einer KI - aus logischen Löchern und den Charakterschäden der Besetzung gestrickt wurde. Der Boden hier - der immer wieder genutzte Begriff ist eine augenzwinkernde Reminiszenz an die nationalsozialistischen "Blut und Boden"-Ideologie - ist chemieverseucht. Die Polizei besteht aus Nazis, DDR-Altfunktionären und ermittelnden Gluckenmüttern, die so korrupt sind, dass sie in eigener Sache Aktenteile löschen, Geheimhaltungsvorschriften verletzen und die wichtigsten Tatsachen um die Tätersuche für sich behalten.

Im Osten ist das usus. Der Staatssekretär ist nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Die Mutter des kriminellen Problemkindes, das in einem zweiten Erzählstrang vorkommt, um den neugierigen Zuschauern in Hamburg, Köln und München gelegentlich die gewohnten Bilder aus den Banlieus des "Hartz-aber-herzlich"-Milieus zeigen zu können, säuft und lebt mit einem Nazi zusammen. Die Chefermittlerin schläft mit dem Nazikollegen. Ihr Mann ist Jude. Immerhin sprechen alle schnellintegrierten Ukrainer, die zufällig auf demselben Flur leben und hier die echt richtig leidgeprüften und unverstellt ehrlichen Angehörigen eines Naturvolkes spielen, das gelegentlich als gesunder Menschenverstand auftreten, sprechen perfekt deutsch. Und das Polizeipräsidium ist renoviert, natürlich.

Ich trage eine Fahne

Blühende Landschaften, aber eben nur für den, der sie von früher kennt. Die Umweltgruppe, als Reminiszenz an die "Letzte Generation" klein, aber fein modelliert, nennt sich im Film allerdings nicht zufällig "Red Flag". Eine Anspielung auf die rote Fahne der Arbeiterbewegung, die Älteren gerade im ehemals kommunistischen Ostdeutschland bis heute als Gesslerhut gilt, dessen einzig sinnfälliger Zweck über viele Jahrzehnte die öffentliche Erzwingung untertänigen Verhaltens war. Ein humorvoller Einfall der Filmemacher, die damit wohl auch leise Kritik üben wollen an der jahrelangen Schulschwänzerei  der Generation Greta, die wohl in Chemie aufgepasst, in Geschichte aber immer gefehlt hat.

"Think global, act local", bestimmt der verhaltensgestörte Niklas die Strategie der Gruppe, als die Luise als neues Mitglied aufnimmt. Felix, der Sohn des Staatssekretärs, sieht das auch so. Die "Pattie" genannte Blumenhändlertochter, die dem Cast zugeteilt wurde, damit die Filmförderung nicht erst um mehr Diversität bitten muss, schlägt dann vor, die eigenen Eltern zu beklauen. Man fährt mit dem Benziner hin. Vater Tran, mit Sprechrolle, aber zu unwichtig, um in der Besetzungsliste genannt zu werden, erwischt die Täter. Auch er, der nach mehr als 30 Jahren in Deutschland alles andere als perfekt Deutsch spricht, hat als Angehörigen eines Naturvolkes anschließend herkunftsgerecht eine große Szene als gesunder Menschenverstand. 

Warten auf den Rollstuhlfahrer

Das Warten auf den Auftritt des ersten Rollstuhlfahrers, des ersten richtig dicken Menschen und eines Westdeutschen, der alles in die richtigen Bahnen leitet, es gestaltet sich so zu einem kurzweiligen Fernsehabenteuer. Wie oft werden die Polizeibeamten noch versuchen, die gehirnoperierte Vanessa als Zeugin zu verhören? Wird Kommissarin und Mutter Catrin ihrem Nazikollegen weiter lüstern zu Willen sein, um ihre Löschaktion im Polizeicomputer zu decken? Und wie verzweifelt wird die Lage noch werden rund um das Haus des Jugendrechts (HDJ), in dem Ehemann Simon benachteiligten Jugendlichen vergeblich zu helfen versucht? 

Die Abkürzung ist natürlich eine augenzwinkernde Referenz der Filmemacher an die 2009 verbotene Heimattreue Deutsche Jugend, die von Schleswig-Holstein aus versucht hatte, in den Fokus der Öffentlichkeit zu geraten. Doch sie verweist auch auf aktuelle Versuche, der Gewalt auf den ostdeutschen Straßen mit Liebe, Geld und neuen Verwaltungsstrukturen zu Leibe zu rücken. "Wer wir sind" steht am Ende nicht fest, nur auf "Was wir sind" würde "nicht bei Trost" als Antwort gelten. Zu retten ist hier jedenfalls niemand mehr, niemand und nichts. Den Rufen nach einem sofortigen Fall der Schuldenbremse, wie sie seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes über die schwarze Transformationskasse der Ampel-Koalition von überallher kommen, sollte allerdings sofort gefolgt werden. 

Wenn diese Kinder erst groß sind, sich selbst die Schuhe zubinden und den ganzen Rest des gesellschaftlichen Alltags vorwärtszerren müssen, werden noch mehr und noch viel mehr Schulden nicht ihr größtes Problem sein.


13 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

taz:
Fehler auf taz.de entdeckt?
Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Ja, Fehler:

Der Plan der Ampel, Restgeld aus dem Coronatopf in die Klimapolitik umzuleiten, funktioniert nicht.

Korrektur:
Der Plan der Ampel, Restgeld aus dem Coronatopf in die Klimabranche umzuleiten, funktioniert nicht.

ach aber gern

Der lachende Mann hat gesagt…

Ich vermute, daß Mitteldeutschland gemeint ist.

ppq hat gesagt…

womit?

Anonym hat gesagt…

@ Pittiplatsch den Lieben: Mit "Ostdeutschland", was Dir durchaus kund sein dürfte.

Anonym hat gesagt…

OT
<<< abc sagt:
16. November 2023 um 16:43

diverses OT:
a) Gestern kurz mal in der Flimmersynagoge was gesehen... ... ...
Wer nicht für uns ist, ist wieder uns. <<<

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Nicht schon wider.
Und DER ist für die Verhältnisse auf Vitzlis Freakshow noch verhältnismäßig gewitzt.

Anonym hat gesagt…

OT
>Weltwoche Daily: Deutschlands Verantwortung gegenüber Israel ist nicht blinde Gefolgschaft<

Der Köppel hat ofenkundig einen ziemlichen Ratsch an der Waffel. Vielleicht Jodmangel?
Andererseits, die Physiognomie ist weder germanisch noch keltisch .. .

Kreuzweis hat gesagt…

"Flimmersynagoge" verstehen nur noch die alten weißen Männer.
Die heutigen "Flimmersynagogen" flimmern nicht mehr.

Anonym hat gesagt…

>Deutschlands Verantwortung gegenüber Israel ist nicht blinde Gefolgschaft

Das sind ja zuerst mal völlig inkompatible Kategorien. Er ist manchmal für einen guten Spruch gut, aber auch mal für einen schlechten. Das war's dann auch.

Anonym hat gesagt…

Das sind ja zuerst mal völlig inkompatible Kategorien. --- Und sonst so?

Was Ananas, bei RTL gerade Anna Ermakova. Allein dafür gehört Moritz Mecker kapaunt und Nigeria mit Neutronenbomben entvölkert. Pfui Deibel, ist die Schratze schiech.

Anonym hat gesagt…

>Und sonst so

Köppel hat recht. Verantwortung ist keine Gefolgschaft. Und eine Bratpfanne ist kein Kaffee.
Das muss jetzt aber reichen.

Anonym hat gesagt…

WIR HABEN KEINERLEI "VERANTWORTUNG", UND EINE "BESONDERE" SCHON GLEICH GAR NICHT!!!

Anonym hat gesagt…

>WIR HABEN KEINERLEI "VERANTWORTUNG"

Ich wollte sagen, das Sprachverständnis von Köppel ist unterdurchschnittlich, aber für einen Journalisten noch völlig ausreichend.
Natürlich verstehen wir, was der mit seinem Spardeutsch zu sagen versuchte und müssen nicht zustimmen.

Anonym hat gesagt…

Anspielung auf die rote Fahne der Arbeiterbewegung ...

Meyer Amschel aus Frankfurt seine Wappenfarbe ...