Samstag, 24. Februar 2024

Alternative Denkschule: Das Orakel von Filderstadt

Unter den alternativen Denkschulen ist die Langsche eine der innovativsten. Abb: Kümram, Glasmalerei


Kann fehlender Strom genutzt werden, um ein Land binnen weniger Jahre zu elektrifizieren? Reichen viel zu wenige fossile Kraftwerke aus, die Preise für Elektroenergie wie in der Sonne dahinschmelzen zu lassen? Kann die Ansicht der Umwandlung des im Winter oder nachts erzeugten Überflussstroms in grünen Wasserstoff verwandelt werden, der trotz eines Wirkungsgrades in der Größenordnung der verbotenen Glühbirnen eine neue Wohlstandsexplosion auslöst?  

Das Orakel von Filderstadt 

Diese und andere Fragen der Zeit zu erörtern, wenn sie schon nicht gelöst werden können, kommen die klügsten Köpfe der Nation mehrfach pro Woche in Fernsehstudios zusammen, um dieselben zusammenzustecken. Immer wieder geraten dabei Maßstäbe durcheinander, werden Bürgerinnen und Bürger mit Zweifeln, Falschmeldungen und schrägen "Faktenchecks" konfrontiert, bei denen auch Nachrichtenschaffende eine ungute Rolle spielen. 

"Angenommen, eine Astrophysikerin sagt in einer Talkshow, die Erde sei eine Kugel und dann sitzt da noch einer, der behauptet, die Erde sei eine Scheibe", hat der Fernsehmoderator Dirk Steffens jüngst eine häufig zu bemerkende Unwucht kritisiert. Entgegen allem, was die Zuschauer nun annehmen müssten, liege die Wahrheit aber "verdammt nochmal nicht in der Mitte", so Steffens, der nicht nur Geschichte, sondern auch Politik studiert hat und weiß: "Wenn von zwei Aussagen eine völliger Unsinn ist, darf der Journalismus den Unsinn nicht genauso zu Wort kommen lassen wie die Wahrheit." Denn da draußen vor den Empfängern sitzen Millionen Betreuungsbedürftige, unsicher über die Form der Erde, in Unkenntnis, wo vorn und hinten ist. Ihnen muss geholfen werden, sie benötigen Belehrungen, Hinweise, wie was zu verstehen ist, und zur Not auch strenge Ermahnungen, wie gut gedacht werden sollte.

Ende des Endes

Als die Grünen-Chefin Ricarda Lang jetzt bei  "Maybrit Illner" vorbeischaute, zum ersten Mal ihrer vorweihnachtlichen Show im Dezember 2023, in der sie angekündigt hatte, dass "wir handeln und finanzieren und auch die Notlage ausrufen", wenn die USA sich erst aus der Ukraine-Unterstützung zurückziehen, war deutlich zu sehen, wer diese Lehre zu beherzigen entschlossen ist. Lang rief diesmal gleich am Anfang das "Ende vom Ende der Geschichte" aus, das nur noch verhindert werden könne, wenn der Staat mit "gezielten Investitionen" dafür sorge, dass die Wirtschaft modernisiert werden und dann gleich anschließend "die Technologieführerschaft in einem geopolitischen Wettbewerb" erreiche. 

Welche Technologie ist ziemlich egal, genannt wurde keine speziell. Mit welchem Geld der Staat genau investieren würde und woher er weiß, worauf er am besten zielen sollte, spielte auch keine Rolle. Um solche Peanuts mögen sich später irgendwelche Bürokraten kümmern, wenn das große Rad erst in Schwung gekommen ist. Ricarda Lang, der erst über Weihnachten George Orwells Buch "1984" zur Kenntnis gelang war, ist keine Politikerin für die Mühen der Ebene. Sie schwebt über den Dingen des Alltagsgeschäfts - nicht zufällig ist der "lange Marsch durch die Institutionen" einst nach der Filderstädterin benannt worden.

Der blasse Bedenkenträger

Gegen diese Vision einer Entfesselung der Staatskräfte wirkten die Bedenken des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner kleinlich, der eigentlich so erfahrene Finanzminister nur noch blass und schmal. Fast schon verzweifelt heischte der frühere Liberale nach Aufmerksamkeit für einen "Zukunftsplan", an dem seine Beamten wohl schreiben - vermutlich mit den Klassikern Bürokratieabbau, Steuersenkungen, Digitalisierung und Dynamisierung. Dass Politik direkt über die Wirtschaftsstruktur entscheiden solle, widerspreche seinem Grundverständnis, kommentierte der 45-Jährige die Vorschläge der Grünen-Chefin zu einer Engführung der Industrie. Fassungslos schien er angesichts des Umstandes, dass die Vorsitzende einer Ampelpartei das alles wirklich ernst meint.

Lang ließ sich davon selbstverständlich nicht einschüchtern. Glaube hin, Wirtschaftstheorie her, Zweifel über Bord. "Wir kommen aus unterschiedlichen Denkschulen", erläuterte die 30-Jährige ihrem älteren Kollegen, warum seine Rezepte dermaßen schlecht ankommen, dass seine Partei in Umfragen abstürzt, während ihre alle Dauerkrisen bisher unbeschadet überstanden hat. Der Begriff meint dabei die Methode, eine bestimmte Tätigkeit unter Beachtung bestimmter Prämissen zu betreiben: So unterscheidet sich die Grüne Physik etwa grundlegend von der sogenannten Schwarzen Physik, weil sie weniger auf Zahlen und Formel setzt als auf ein gutes Gefühl, speichernde Netze und völlig neue Wege der Innovation unter Ausnutzung komplett anderer Eigenschaften der bekannten Materie.

Kein Entwederoder

Das punktet beim Publikum. Während der FDP-Politiker und die ihm in der Sendung assistierenden Wissenschaffenden mit vermeintlichen Berechnungen und Zwängen argumentierten, erlaubt es Ricarda Langs Weltbild, Abweichungen zwischen Vorstellung und Wirklichkeit als Chance zu sehen. Wo Geld fehle, gibt es "andere Möglichkeiten der Finanzierung", wo die Schuldenbremse störe, lasse sich die Verfassung mit Sondervermögen aushebeln. Klar sei, dass es kein Entwederoder geben dürfe, kein Krieg, Klima oder Brosamen für die Leute. "Dann verlieren wir den Rückhalt", weiß Lang um die realen Gefahren, die drohen, wenn rauskommt, dass es weder einen Plan noch einen Idee gibt, das Schiff wieder auf Kurs zu bringen, weil nicht mal klar ist, welcher Kurs es denn sein soll.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Von Dominik Lippe
Freier Autor

Bei „Maybrit Illner“ treten die unterschiedlichen Denkschulen von Finanzminister Lindner und Grünen-Chefin Lang offen zutage.

Das ist eine Perle. In Ricardas Denkschule bekommt sie eine Packung Steppke-Stifte ('Gelernte' erinnern sich) in die Patschhändchen gedrückt und malt die sich die Welt widewidewie sie ihr gefällt.

irgendwer hat gesagt…

So weit ist es also schon gekommen, dass Klimawissenschaft im Gemeinwohlfunk als Unsinn von "Flatearthern" geschmäht wird und der schmuddelige Finger tief in die Wunde gebohrt: Die Klimawissenschaftler haben keine ausreichende(n) Computerkapazität(en) und müssen daher die Erde als 2-dimensionale Fläche ("Scheibe") rechnen, statt als 3-dimensionale Kugel.

Doch sie machen aus der Not das Beste - und spielen einfach Minecraft.
https://www.nzz.ch/wissenschaft/klimawandel-wie-funktionieren-eigentlich-klimamodelle-ld.1655016