Samstag, 31. Mai 2025

Freispruch vom Parteigericht: Olaf war's nicht

Olaf Scholz hat weder etwas gewusst noch etwas gesagt. Wie seine SPD-Genossen Hans Eichel und Peer Steinbrück konnte er durch Nichtwissen beweisen, dass Cum-Ex-Geschäfte nie seine Sache waren.

Die Gerüchte wollten nicht verstummen. Die Kritiker gaben keine Ruhe. Nicht einmal nach dem Ausscheiden von Olaf Scholz aus dem Amt des Bundeskanzlers gaben dessen Gegner ihre hartnäckigen Versuche auf, das Andenken des vierten sozialdemokratischen Kanzlers zu beschädigen. Natürlich richten sich solche Nachstellungen immer gegen die gesamte Partei. Und mit ihr gegen den fortschrittlichen Flügel innerhalb der demokratischen Mitte.

Scholz wird vieles vorgeworfen. Der Ex-Kanzler sei wankelmütig aufgetreten, er habe gezögert, Deutschland entschlossen an der Seite der Ukraine zu platzieren, ausreichend Waffen für eine Befreiung der Ostgebiete durch die ukrainische Armee zu liefern und die Amerikaner im Boot zu halten.  

Verwickelt in dunkle Geschäfte

Innenpolitisch habe er das Land weiter gespalten, die AfD noch erfolgreicher gemacht und zugelassen, dass ein studierter Philosoph als Wirtschaftsminister die industrielle Basis ruiniert. Der schlimmste Vorwurf aber ist der, dass der Sozialdemokrat als Regierender Bürgermeister von Hamburg in  düstere Geschäfte verwickelt gewesen sein: Scholz habe der Warburg-Bank geholfen, sogenannte Cum-Ex-Geschäfte zu vertuschen. Den Steuerzahler soll das Millionen gekostet haben.

Scholz hat sich immer auf seine eigene Art gegen die Behauptungen gewehrt. Er erinnere sich nicht, erinnere sich nicht genau und er habe keine Erinnerungen an Termine, Gesprächsinhalte und Absprachen. Der studierte Jurist weiß: Bis zum Beweis des Gegenteils reichen die Selbstschutzbunker, um sicher vor jeder Gefahr zu sein. Scholz gelangt es wirklich, bis zum letzten Tag im Amt unbehelligt von Staatsanwälten zu bleiben. 

Abgang einer Schlüsselfigur

Scholz' Genosse Johannes Kahrs, eine der Schlüsselfiguren der Affäre, zog sich zurück. Dem früheren Hamburger Bundestagsabgeordneten, bekannt für sein sektenartiges System an Anhängigkeiten, mit dem er in der Hamburger SPD ein mächtiger Mann geworden war, hatte sich eigentlich ausgerechnet, dank seines Wissen weiterhin steil aufzusteigen in der Partei. Doch statt Wehrbeauftragter werden zu dürfen, wurde er aussortiert. Kahrs wurde mit Hausdurchsuchungen und Strafverfahren überzogen, ihm wurde Bargeld wegbeschlagnahmt und Zeitungen und Magazine wurden mit Details für große Schlagzeilen gefüttert. 

Anschließend war der ehrgeizige und stets medienpräsente Sozialdemokrat mit seinen Kenntnissen keine Bedrohung mehr. Im Dezember 2024 wurde das Verfahren gegen den inzwischen ins Privatleben geflüchteten Ex-Politiker "mangels hinreichenden Tatverdachts" eingestellt.

Drohung über dem Kanzler

Olaf Scholz stand da auch schon vor dem Abschied, nur er selbst wusste es noch nicht. Immer noch schwebte über dem Kanzler die Drohung, dass ihm nach dem Ausscheiden aus dem Amt neu nachgestellt wird. Eine frühere Staatsanwältin, aus naheliegenden Gründen längst aussortiert, gibt keine Ruhe. Medien reiten das tote Pferd, als gebe es keine anderen Themen.  

Umso wichtiger war es, dass seine Partei solidarisch blieb: In einem abschließenden Gutachten hat die Hamburger SPD ihrem Kanzler einen Persilschein ausgestellt. Alles wieder gut. 17 Jahre nach den ersten Schlagzeilen über die Praxis der gezielten Ausnutzung eines Steuerschlupfloches, das die Wochenzeitschrift "Die Zeit" im Jahr 1992 als schönen Trick zur "alternative n Altersvorsorge"  empfohlen hatte, sind die letzten Fragen geklärt.  

Drei Finanzminister schauten zu

Dass die Finanzminister Hans Eichel, Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble die Ausnutzung der bekannten Regelungslücke als legalen Steuertrick über fast 20 Jahre duldeten, sei nie nur unmoralisch und unanständig gewesen, sondern immer schon eine Straftat. Auch wenn kein Gesetz es verbot, eine Aktie rund um den Tag der Dividendenzahlung zu kaufen, um Kapitalertragssteuern erstattet zu bekommen, die man niemals gezahlt hatte, sei das keine  smarte Gestaltungsmöglichkeiten gewesen. Sondern Steuerbetrug. 

An dem waren nach der Lesart der Hamburger Sozialdemokratie Unzählige beteiligt. Nicht aber Olaf Scholz. Der habe getan, was er konnte, aber nichts Falsches. Dadurch sei auch niemandem ein Schaden entstanden, denn die "Warburg-Bank hat alle Cum-Ex-Gelder plus Zinsen in Millionenhöhe zurückgezahlt". Wegen der inzwischen angefallenen Hinterziehungszinsen in Höhe von gut 85 Millionen Euro habe Hamburg sogar ein erhebliches Plus in der Staatskasse zu verzeichnen. Wenn das nicht die Handschrift des Olaf Scholz ist, der auch als Bundesfinanzminister stets ein einfallsreicher Sachwalter der Interessen des Staates war.

Mit sauberen Händen

Und das mit sauberen Händen, wie seine Hamburger Genossen nun nachgewiesen haben. Der Freispruch vom Parteigericht beendet eine Kampagne gegen Scholz, die anfangs mit der Behauptung losgetretenw orden war, dass die Cum-Cum-Deals den Steuerzahler geschätzte 28 Milliarden Euro gekostet hätten. Spätere Schätzungen kamen auf Summen von 50 bis 80 Milliarden, der hart arbeitenden und ehrliche steuerzahlenden Mitte entwendet unter den Augen von Eichel, Steinbrück und Schäuble. 

Zehn Jahre lang weigerten sich alle Bundesfinanzminister, irgendetwas zu unternehmen, damit findige Anleger nicht mehr durch das sperrangelweit offenstehende Tor zur Dividendensteuerrrückerstattung trampeln konnten. Ebenso lange fanden die Amtsblätter nichts dabei, dem jahrzehntelangen Regierungsversagen stillschweigend zuzuschauen.

"Steuerdiebstahl in gigantischem Ausmaß"


Erst seitdem der "Steuerdiebstahl in gigantischem Ausmaß" (SZ) sich als wunderbares Thema herausstellte, auflagenfördernd Wut auf "Superreiche", "Banken", "Manager" und "Spekulanten" zu schüren, geht es regelmäßig um "spitzfindige Juristen, blitzschnelle Aktienhändler, skrupellose Banker" (SZ), die "jahrelang zusammengewirkt haben, um superreiche Geldgeber noch reicher zu machen". 

Die Blicke richteten sich dann aber immer noch nicht auf die Bundespolitiker, die das System mit einem Federstrich hätten zerstören können. Sondern auf den Regionalpolitiker Scholz, der es in seiner Hamburger Zeit mit der aus heutiger Sicht lächerlichen Summe von 161 Millionen Euro hinterzogener Steuern zu tun bekam.

Kleckerbeträge in der Provinz

161 Millionen, das war vor ein paar Jahren noch viel Geld. Doch gemessen am Gesamtvolumen der Cum-ex-Geschäfte fiel die Summe schon damals kaum ins Gewicht. Wenn sich also nach drei Jahren Aufklärungsarbeit herausstellt, dass es in Hamburg "keine Einflussnahme durch die Politik auf Steuerentscheidungen gegeben hat", dann hat Olaf Scholz Warburg-Chef Christian Olearius niemals telefonisch geraten, seine Argumentation für eine Rücksichtnahme auf die finanzielle Lage seines Bankhauses nicht ans Finanzamt, sondern direkt an Finanzsenator Peter Tschentscher – heute Scholz‘ Nachfolger als Erster Bürgermeister – zu schicken. 

Olearius - das ist nach der Befragung von über 50 Zeugen aus unterschiedlichen Abteilungen, Ämtern und Behörden klar - konnte dem Rat mithin gar nicht folgen und die Hamburger Finanzverwaltung ihre Meinung nicht ändern.

Kein einziger Zeuge

Sie tat es dennoch. Einfach so, denn wie es der Zufall will, konnte sich "keine einzige Zeugin und kein einziger Zeuge" an Versuche der Einflussnahme auf sich oder andere erinnert, keiner hatte sie erlebt oder davon auch nur gehört. Olaf Scholz war also niemals der Pate des Hamburger Bankwesens, der aus Angst davor, dass ein wichtiges Geldhaus in seinem Beritt zusammenbrechen könnte, nach Möglichkeiten suchte, am Rande der rechtlichen Grauzone allen Anforderungen gerecht zu werden. 

Scholz habe sich vor der Entscheidung der Finanzverwaltung, die Steuern zunächst nicht zurückzufordern, zwar zweimal mit den Inhabern der Warburg-Bank getroffen und einmal mit Olearius telefoniert. Doch obwohl er sich an die Einzelheiten der Gespräche nicht erinnere, sei klar: Scholz habe weder Zusagen gemacht noch überhaupt Einschätzungen abzugeben, sondern nur zugehört und - im Grunde genommen - geschwiegen.

Mit sauberen Händen

Die Hände des Mannes, der sich gerade unfreiwillig aus der ersten Reihe der Politik zurückgezogen hat, sind sauber geblieben. Scholz hat nichts getan, er war an nichts beteiligt, ihm ist überhaupt nichts vorzuwerfen. Wie Eichel, Steinbrück und Schäuble, die über Jahre geduldig beim "Steuerraub" (Spiegel) zugeschaut hatten, ohne dass später jemals jemand fragte, warum eigentlich, ist auch Olaf Scholz ein Finanzpolitiker geblieben, dessen politischen Tugend außer Frage steht. Er hat richtig entschieden, indem er an keiner Entscheidung beteiligt war und nirgendwo Einfluss nahm. Auch sein Nachfolger Peter Tschentscher hat damaliger Finanzsenator nicht an der Behandlung von Steuerfällen mitgewirkt, sondern sich "in besonders bedeutenden Einzelfällen" nur "über den Stand des Verfahrens informieren lassen".

Dass Landesbanken, beaufsichtigt von Landespolitikern, in der ersten Reihe der Cum-ex-Profiteure standen, tut nichts zur Sache. Nicht nur im Süden, wo die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) den Staat nach Kräften um Steuern prellte. Nicht im Norden, wo die HSH Nordbank am großen Betrugsrad drehte.  Wie immer, wenn staatliche Akteure und private Profiteure zusammenarbeiten, stehen die einen am Ende als Saubermänner da.

Schuld sind die anderen


Die anderen aber haben die Schuld zu schultern und damit zu signalisieren, dass auch beim nächsten niemand mitbekommen werde, wenn die Politik ein paar Augen zudrücke und einige Regeln so auslegen, dass die BayernLB in Auslandsniederlassungen in New York und London über 500 Mitarbeiter zum Wohle ihrer staatlichen Eigentümer beschäftigten können, die Sachsen LB in Irland am großen Rad dreht, die Bayern LB mit der Hypo Alpe Adria (67 Prozent) und der MKB Bank nach Österreich und Ungarn expandiert und die LBBW mit der LBBW Securities LLC sogar insSteuerparadies Delaware, USA.

Scholz hatte mit alldem nichts zu tun, die  ruchlosen Machenschaften, die den deutschen Fiskus um Milliarden erleichterten, spielten sich auch in seiner Stadt ab. Doch wie alle Finanzminister und Ministerpräsidenten aller Parteien wusste er lange von nichts. Und später konnte er sich nicht mehr erinnern: Dass die Existenz der Warburg-Bank auf dem Spiel stand? Dass eine neue Finanzkrise hätte ausbrechen können, zumindest in Hamburg? Dass die jahrelange stillschweigende Verwicklung zahlreicher Politiker in den "größten Steuerraub der Geschichte" (Spiegel, SZ) öffentlich werden könnte? 

Keine Belohnung für Verschonung

Niemals hätte das einer wie Scholz vergessen. Wenn er es also nicht mehr weiß, dann hat er es zweifellos nie gewusst. Der "teulische Plan", von dem die Beamtin P. als Zeugin im Untersuchungsausschuss sprach, war einer, den sich sich alleein ausgedacht hatte. So groß waren die Millionensummen seinerzeit ja nicht, um die es ging, als dass es eines Eingreifens bedeutsamer Politiker bedurft hätte. 

So wie sich Eichel und Steinbrück als Sachwalter der Interessen von Arbeitern und Angestellten stets stabil in ihrer Haltung zeigten, Cum-Ex-Praktiken stillschweigend zu dulden, bezeugte Olaf Scholz seinen Wählerinnen und Wählern Respekt, indem er versicherte, dass die 45.500 Euro, die Warburg der SPD gespendet hatte, keine Bezahlung für die verhinderte Steuernachzahlung in Höhe von 161 Millionen gewesen seien. 

Ein Zufall mehr, der im Rückblick unglücklich wirkt. Aber nichts hat mit nichts zu tun, eine politische Verantwortung lässt sich nirgendwo feststellen. Wie seine SPD-Genossen Hans Eichel und Peer Steinbrück konnte auc Olaf Scholz am Ende eines langen Weges durch Nichtwissen beweisen, dass Cum-Ex-Geschäfte nie seine Sache waren.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sinngemäß: Ab einer gewissen Summe aufwärts spricht man nicht mehr von Betrug. Es heißt Finanzoperation oder Transaktion.
Aus (((Jerzy Jurandot))) - "Operation Sodom".

Volker hat gesagt…

Da fällt mir aber ein Stein vom Herzen. Wenn ihn sogar die SPD freispricht, gibt es keine Zweifel mehr.

Maurice Höfgen ist ein Hohepriester in der MMT-Sekte. Man soll ihm nicht blindlings glauben.
Zuhören kann man ihm schon. Z.B. wenn er den Cum-Ex-Skandal ausrollt

ppq hat gesagt…

hier waren auch alle froh