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Auch die handfesten Kumpel, die Habeck im Wahlkampf an ihren Küchentischen besuchte, vermissen den Klimawirtschaftsminister bis heute schmerzlich. |
Eben war er noch da, immer und überall. Wie Magier tauchte Robert Habeck über Jahre hinweg auf, wo immer irgendjemand zuschaute. Er war im Fernsehen und im Kabinett, auf der Bühne und in der Partei, er streichelte die Seelen der weniger Begüterten, er half den Armen und forderte die Elite intellektuell heraus. Tiefe Spuren gruben sich in dieser Zeit der Allgegenwart nicht nur in die politische Landschaft ein, wo immer der frühere Grünen-Chef den Nahkampf mit dem politischen Gegner suchte. Tiefe Spuren zeigte auch der Antreiber, Visionär und Vordenker selbst. Das Haar wurde grau. Erste Falten zeigten sich.
Für Robert Habeck war die Niederlage seiner Partei bei der Bundestagswahl schmerzlich, aber zweifellos gesund. Kaum war die Wahl gelaufen und die Regierung gebildet, verschwand er, erleichtert lächelnd und mit einer Schreibtischlampe als Erinnerung in der Hand aus dem Amt.
Kurze Zeit der Trauer
Die Zeit der Trauer war kurz, selbst in seiner eigenen Partei. Neues Personal schob die Erinnerungen beiseite. Weggefährten versuchten, sich auf Kosten ihres Mentors zu profilieren. Inhalte wurde gewechselt wie Unterhemden. Viele Erbstücke aus der Zeit der Grünen als Volkspartei wurden kurzerhand entsorgt.
Doch wie schlecht es ohne Robert Habeck als erfahrenem Kapitän auf dem Staatsschiff läuft, wird langsam klar. Die Wirtschaft, die der Mann aus Schleswig-Holstein gerade erst fast wieder auf Kurs gebracht hatte, schwächelt erneut. Die EU ist uneins wie nie, weil niemand mehr da ist, der ihr den gemeinsamen Weg weist. Während von Olaf Scholz zumindest ab und an noch zu hören ist - die Zukunftspläne des Sozialdemokraten für seine "nachamtliche Tätigkeit" werden immer wieder in aller Öffentlichkeit beschwatzt und seziert.
Der einstige Vize-Kanzler aber ist abgetaucht. Und dort, wo er war, klafft eine gewaltige Lücke. Zuletzt zeigten die so blamabel ausgegangenen transatlantischen Verhandlungen mit den USA auf demütigende Weise, was Europa fehlt: Ein politisches Genie, das in einer Ära der Schwäche und Orientierungslosigkeit wie ein Leuchtturm in stürmischer Nacht Orientierung gibt. Ein moralisches Naturtalent, das seine Visionen von europäischer Souveränität, digitaler Unabhängigkeit und wirtschaftlicher Diversifikation populär vermitteln kann und ganz sicher verhindert hätte, dass die EU unter Ursula von der Leyen in einem Akt beispielloser Unterwerfung vor den USA kapituliert.
Blamabler Handelsdeal
Die jüngsten Zollverhandlungen zwischen der EU und den USA, die im Frühjahr 2025 ihren Höhepunkt fanden, waren mehr als eine Niederlage – sie waren eine Demütigung. Ursula von der Leyen, nie zur Wahl angetretene und nie gewählte Präsidentin der Europäischen Kommission, begab sich in Donald Trumps Golfclub, erstarrte zur Salzsäule und nickt ein Geschäft ab, das Europa zur verlängerten Werkbank und zur Warenauslage der USA macht. 1,5 Billionen Euro musste von der Leyen Trump versprechen. Sie musste auf Zolleinnahmen verzichten, mit denen sich die EU finanziert und zustimmen, dass amerikanische Importeure ab sofort 15 Prozent des eingeführten Warenwertes als Zoll abführen.
Die wenigen verbliebenen Fans und Freunde des Mannes, der sich seit Anfang April in eine tiefes Nachsinnen zurückgezogen hat, sind sicher, dass ein solcher Akt der Unterwerfung unter ihrem Robert mit seinem ganzen Charisma niemals stattfinden hätte haben können. Denn Habeck verstand, dass Europa nur dann stark ist, wenn es auf Augenhöhe verhandelt – mit Rückgrat, Strategie und einem klaren Blick für die eigenen Interessen. Auch ohne Trümpfe in der Hand hätte er sein Blatt entschlossen ausgespielt.
Gefangen im Zwang
Auch gefangen im Zwang, nach Jahren der gemütlichen Vorbereitung auf die große grüne Transformation von den USA wirtschaftlich, technisch und militärisch dermaßen abhängig zu sein, dass ein Leben ohne deren Technologie und Militär undenkbar geworden ist, wäre Habeck zweifellos etwas eingefallen.
Er hat doch schon vorgedacht und gewarnt. Deutschland, das 2024 einen milliardenschweren Handelsüberschuss mit den USA erzielte, hätte unter seiner Führung keine Zugeständnisse gemacht, sondern Gegenzölle und neue Handelsachsen mit Partnern wie Kanada, Indien oder Südostasien forciert.
Die Skepsis Amerika gegenüber, böse Zungen nennen es Antiamerikanismus, ist den Grünen bei Geburt eingeschrieben worden. Habeck war zu klug, sich jemals so zu äußern. Doch er umschrieb es klug: Wer sich auf einen einzigen Markt konzentriert, wird erpressbar. Wer ausländische Firmen nicht stärker reguliert, setzt sich ihrem Eigensinn bei sensiblen Themen wie Hetze, Hass und Meinungsfreiheit aus.
Er wollte die strategische Neuausrichtung, er schlug ein Ende der Politik der nationalen Zugeständnisse vor, ein Drüberregieren der Kommission über die 27 Egoismen in den Hauptstädten. Doch er wurde nicht gehört.
Ein demokratisches X
Und wird nun nach der Kapitulation von Turnberry wird Habecks Weitsicht umso schmerzlicher vermisst. Er hätte der Architekt europäischer Autonomie werden können, ein Reichsgründer wie Bismarck oder de Gaulle auf europäisch, dessen Name mit goldenen Lettern im Buch der Geschichte geschrieben steht.
Seine Initiativen zur Schaffung eines "EU-Google" und eines nach den Vorgaben des DSA demokratisierten europäischen "X" zeugen von einem Verständnis, das weit über den Horizont seiner Zeitgenossen hinausging. Habeck erkannte früh, dass die digitale Abhängigkeit Europas – mit sensiblen Daten, die 2024 fast ausschließlich auf US-Servern lagerten – eine strategische Achillesferse ist. Sein Engagement für das Projekt Gaia-X, eine europäische Cloud-Infrastruktur, war ein Versuch, diese Abhängigkeit zu brechen. Das wirkte hilflos, das wirkte verzweifelt. Doch Gaia-X scheiterte nicht am bescheidenen Ausmaß der Ambitionen, sondern an den üblichen nationalen Lobbyinteressen und an mangelnder politischer Einigkeit der Mitgliedsstaaten.
Bedauerliches Scheitern
Ein Scheitern, das Habeck zutiefst bedauerte. Auch seine Batteriebaupläne, sein Einsatz für eine - aus den USA geborgte - eigene Chipindustrie gingen leider nicht auf. "Aber ohne digitale Souveränität", wurde er nicht müde zu warnen, "verliert Europa seine strategische Unabhängigkeit."
Die es nicht hat und nie mehr haben wird, weil der Vorsprung, den die Vereinigten Staaten und China mittlerweile haben, nicht mehr aufzuholen ist. Schon mit Habecks Ideen wäre es schwer geworden: So wichtig es wäre, ein demokratischen X zu bauen, so klar ist, dass es X bereits gibt. Selbst das "europäische Google", das Habeck zu erfinden anregte, ist schon da, nur eben nicht europäisch, weniger gut zu kontrollieren, mehr den Interessen der US-amerikanischer Tech-Giganten verpflichtet als denen der politischen Parteien und Institutionen in der EU.
Die bleiben nun weiter auf einen Raum für freie Meinungsäußerung angewiesen, der nur notdürftig durch Trusted Flagger und Schwerpunktstaatsanwaltschaften geschützt wird. Auch der letzte Versuch, wenigstens Strafzölle für falsche Meinungen als zusätzliche Digitalsteuer zu erheben, gab die EU unter von der Leyen kampflos auf. Der Kontinent bleibt in der digitalen Steinzeit stecken, gefangen in der würgenden Umarmung von Silicon-Valley-Monopolen.
Energiepolitik und wirtschaftliche Diversifikation
Auch in der Energiepolitik hat einzig Robert Habeck ein Vorstellung davon gehabt, wie strategische Autonomie aussehen muss. Seit dem Aus für Nord Stream 2 stammten über 40 % der deutschen Gasimporte aus den USA – teuer, klimaschädlich und riskant. Habeck kaufte viel davon aus Katar, einem Emirat, das seinen schlechten Ruf seit der letzten Fußball-WM abgestreift hat. Den Ausbau erneuerbarer Energien wollte Habeck mit 30 bis 40 Gaskraftwerken absichern - seine Nachfolgerin Katherina Reiche hat den Plan nicht etwa weggeworfen, sondern zur Grundlage ihrer Strategie gemacht.
Von den Speichertechnologien und dem Wasserstoff, mit dem Habeck Europa von der Energieabhängigkeit befreien wollte, hat sie sich jedoch verabschiedet. Wsaserstoff wolle niemand, der Champagner der Energiewende sei zu teuer, damit gekochter Stahl lasse sich nirgenwohin verkaufen. Habecks Vision war allerdings sehr viel breiter aufgestellt: Kommunen und Ministerien hätten es sein sollen, die den teuren Stahl kaufen. Finanziert worden wäre das aus den durch die höheren Gewinne der Stahlkocher steigenden Steuereinahmen.
Das hätte auch die geopolitische Handlungsfähigkeit der EU gestärkt und ein zeichen für die ganze Welt gesetzt. Doch statt seiner Strategie setzte die EU auf kurzfristige Lösungen, die die Abhängigkeit von US-Flüssiggas vertieften.
Auch in der Wirtschaftspolitik plädierte Habeck für Flexibilität und Diversifikation. Bäcker und andere Handwerks- wie Industriefirmen hätten zeitweise zumachen können, um die Verhandlungsstärke Europas zu sichern. Sie wären später wieder in Aktion getreten, wenn es der EU gelungen wäre, neue Partnerschaften mit aufstrebenden Volkswirtschaften einzugehen. Seine Idee: Europa müsse global agieren, um nicht zum Spielball externer Interessen zu werden.
Ruf nach Eigenständigkeit
Auch in der Sicherheitspolitik war Habeck ein überzeugende Vordenker. Er kritisierte die Abhängigkeit von US-Technologien bei Raketenabwehr, Drohnen, Kampfjets und Software. Er war dafür, die europäischen Armeen lieber mit eigenen waffen auszurüsten als mit den besten. Seine Forderung nach mehr europäischer Kooperation, eigenen Standards und Investitionen in Verteidigungsforschung war kein Angriff auf das transatlantische Bündnis, sondern ein Plädoyer für Eigenständigkeit in de Nato. "Kooperation ja, aber ohne Erpressbarkeit", war sein Mantra. Doch die EU unter von der Leyen hat diesen dringenden Ruf ignoriert und sich stattdessen in eine noch tiefere Abhängigkeit begeben.
Habecks Vermächtnis
In einer Zeit, in der Deutschland in der Rezession versinkt und die EU sich vor den USA erniedrigt, erstrahlt Robert Habecks Vermächtnis heute umso heller. Der Norddeutsche, dem die Frauenherzen zuflogen, war kein Träumer, sondern ein träumender Realist mit Weitblick. Seine Forderung nach europäischer Autonomie war kein Bruch mit den USA, sondern ein Appell, das transatlantische Bündnis auf Augenhöhe zu gestalten. Seine Initiativen – das EU-Google, das deutsche X, eine Energieallianz mit Katar, neue Handelsachsen und eine eigene Verteidigungsfähigkeit – wären Bausteine für ein souveränes, robustes und zukunftsfähiges Europa gewesen.
Doch während Habeck den Weg wies, drehten ihm die Bürgerinnen und Bpürger den Rücken zu. Er wollte die großen Sondervermögen schon vor allen anderen, er wollte die Schuldenbremse ausbremsen, seine Partei ließ TTIP damals scheitern, um den USA die Instrumente zu zeigen. Ohne ihn musste die EU in das demütigende Scheitern von Turnberry stolpern.
Mitten in der ohnehin angespannten wirtschaftlichen Lage trifft der vermeintliche Handelsdeal Deutschland wie ein Blatschuss. Von der von Habeck ersehnten strategischen Gestaltungsfreiheit ist kaum mehr ein Hauch übrig, der leise davon säuselt, wie sehr der Mann fehlt, der mit wirtschaftlicher Kompetenz, politischer Klarheit und visionärem Mut Europa aus der Krise hätte führen können.