Freitag, 1. August 2025

Habeck Visionen: Er fehlt so sehr

Robert Habeck, europäische Autonomie, digitale Souveränität, EU-Google, demokratisches X, Handelsdeal EU-USA, wirtschaftliche Diversifikation
Auch die handfesten Kumpel, die Habeck im Wahlkampf an ihren Küchentischen besuchte, vermissen den Klimawirtschaftsminister bis heute schmerzlich.

Eben war er noch da, immer und überall. Wie Magier tauchte Robert Habeck über Jahre hinweg auf, wo immer irgendjemand zuschaute. Er war im Fernsehen und im Kabinett, auf der Bühne und in der Partei, er streichelte die Seelen der weniger Begüterten, er half den Armen und forderte die Elite intellektuell heraus. Tiefe Spuren gruben sich in dieser Zeit der Allgegenwart nicht nur in die politische Landschaft ein, wo immer der frühere Grünen-Chef den Nahkampf mit dem politischen Gegner suchte. Tiefe Spuren zeigte auch der Antreiber, Visionär und Vordenker selbst. Das Haar wurde grau. Erste Falten zeigten sich.

Für Robert Habeck war die Niederlage seiner Partei bei der Bundestagswahl schmerzlich, aber zweifellos gesund. Kaum war die Wahl gelaufen und die Regierung gebildet, verschwand er, erleichtert lächelnd und mit einer Schreibtischlampe als Erinnerung in der Hand aus dem Amt.

Kurze Zeit der Trauer 

Die Zeit der Trauer war kurz, selbst in seiner eigenen Partei. Neues Personal schob die Erinnerungen beiseite. Weggefährten versuchten, sich auf Kosten ihres Mentors zu profilieren. Inhalte wurde gewechselt wie Unterhemden. Viele Erbstücke aus der Zeit der Grünen als Volkspartei wurden kurzerhand entsorgt. 

Doch wie schlecht es ohne Robert Habeck als erfahrenem Kapitän auf dem Staatsschiff läuft, wird langsam klar. Die Wirtschaft, die der Mann aus Schleswig-Holstein gerade erst fast wieder auf Kurs gebracht hatte, schwächelt erneut. Die EU ist uneins wie nie, weil niemand mehr da ist, der ihr den gemeinsamen Weg weist. Während von Olaf Scholz zumindest ab und an noch zu hören ist - die Zukunftspläne des Sozialdemokraten für seine "nachamtliche Tätigkeit" werden immer wieder in aller Öffentlichkeit beschwatzt und seziert.

Der einstige Vize-Kanzler aber ist abgetaucht. Und dort, wo er war, klafft eine gewaltige Lücke. Zuletzt zeigten die so blamabel ausgegangenen transatlantischen Verhandlungen mit den USA auf demütigende Weise, was Europa fehlt: Ein politisches Genie, das in einer Ära der Schwäche und Orientierungslosigkeit wie ein Leuchtturm in stürmischer Nacht Orientierung gibt. Ein moralisches Naturtalent, das seine Visionen von europäischer Souveränität, digitaler Unabhängigkeit und wirtschaftlicher Diversifikation populär vermitteln kann und ganz sicher verhindert hätte, dass die EU unter Ursula von der Leyen in einem Akt beispielloser Unterwerfung vor den USA kapituliert.

Blamabler Handelsdeal

Die jüngsten Zollverhandlungen zwischen der EU und den USA, die im Frühjahr 2025 ihren Höhepunkt fanden, waren mehr als eine Niederlage – sie waren eine Demütigung. Ursula von der Leyen, nie zur Wahl angetretene und nie gewählte Präsidentin der Europäischen Kommission, begab sich in Donald Trumps Golfclub, erstarrte zur Salzsäule und nickt ein Geschäft ab, das Europa zur verlängerten Werkbank und zur Warenauslage der USA macht. 1,5 Billionen Euro musste von der Leyen Trump versprechen. Sie musste auf Zolleinnahmen verzichten, mit denen sich die EU finanziert und zustimmen, dass amerikanische Importeure ab sofort 15 Prozent des eingeführten Warenwertes als Zoll abführen.

Die wenigen verbliebenen Fans und Freunde des Mannes, der sich seit Anfang April in eine tiefes Nachsinnen zurückgezogen hat, sind sicher, dass ein solcher Akt der Unterwerfung unter ihrem Robert mit seinem ganzen Charisma niemals stattfinden hätte haben können. Denn Habeck verstand, dass Europa nur dann stark ist, wenn es auf Augenhöhe verhandelt – mit Rückgrat, Strategie und einem klaren Blick für die eigenen Interessen. Auch ohne Trümpfe in der Hand hätte er sein Blatt entschlossen ausgespielt. 

Gefangen im Zwang 

Auch gefangen im Zwang, nach Jahren der gemütlichen Vorbereitung auf die große grüne Transformation von den USA wirtschaftlich, technisch und militärisch dermaßen abhängig zu sein, dass ein Leben ohne deren Technologie und Militär undenkbar geworden ist, wäre Habeck zweifellos etwas eingefallen. 

Er hat doch schon vorgedacht und gewarnt. Deutschland, das 2024 einen milliardenschweren Handelsüberschuss mit den USA erzielte, hätte unter seiner Führung keine Zugeständnisse gemacht, sondern Gegenzölle und neue Handelsachsen mit Partnern wie Kanada, Indien oder Südostasien forciert.

Die Skepsis Amerika gegenüber, böse Zungen nennen es Antiamerikanismus, ist den Grünen bei Geburt eingeschrieben worden. Habeck war zu klug, sich jemals so zu äußern. Doch er umschrieb es klug: Wer sich auf einen einzigen Markt konzentriert, wird erpressbar. Wer ausländische Firmen nicht stärker reguliert, setzt sich ihrem Eigensinn bei sensiblen Themen wie Hetze, Hass und Meinungsfreiheit aus.

Er wollte die strategische Neuausrichtung, er schlug ein Ende der Politik der nationalen Zugeständnisse vor, ein Drüberregieren der Kommission über die 27 Egoismen in den Hauptstädten. Doch er wurde nicht gehört. 

Ein demokratisches X

Und wird nun nach der Kapitulation von Turnberry wird Habecks Weitsicht umso schmerzlicher vermisst. Er hätte der Architekt europäischer Autonomie werden können, ein Reichsgründer wie Bismarck oder de Gaulle auf europäisch, dessen Name mit goldenen Lettern im Buch der Geschichte geschrieben steht.

Seine Initiativen zur Schaffung eines "EU-Google" und eines nach den Vorgaben des DSA demokratisierten europäischen "X" zeugen von einem Verständnis, das weit über den Horizont seiner Zeitgenossen hinausging. Habeck erkannte früh, dass die digitale Abhängigkeit Europas – mit sensiblen Daten, die 2024 fast ausschließlich auf US-Servern lagerten – eine strategische Achillesferse ist. Sein Engagement für das Projekt Gaia-X, eine europäische Cloud-Infrastruktur, war ein Versuch, diese Abhängigkeit zu brechen. Das wirkte hilflos, das wirkte verzweifelt. Doch Gaia-X scheiterte nicht am bescheidenen Ausmaß der Ambitionen, sondern an den üblichen nationalen Lobbyinteressen und an mangelnder politischer Einigkeit der Mitgliedsstaaten. 

Bedauerliches Scheitern 

Ein Scheitern, das Habeck zutiefst bedauerte. Auch seine Batteriebaupläne, sein Einsatz für eine - aus den USA geborgte - eigene Chipindustrie gingen leider nicht auf. "Aber ohne digitale Souveränität", wurde er nicht müde zu warnen, "verliert Europa seine strategische Unabhängigkeit."

Die es nicht hat und nie mehr haben wird, weil der Vorsprung, den die Vereinigten Staaten und China mittlerweile haben, nicht mehr aufzuholen ist. Schon mit Habecks Ideen wäre es schwer geworden: So wichtig es wäre, ein demokratischen X zu bauen, so klar ist, dass es X bereits gibt. Selbst das "europäische Google", das Habeck zu erfinden anregte, ist schon da, nur eben nicht europäisch, weniger gut zu kontrollieren, mehr den Interessen der US-amerikanischer Tech-Giganten verpflichtet als denen der politischen Parteien und Institutionen in der EU.

Die bleiben nun weiter auf einen Raum für freie Meinungsäußerung angewiesen, der nur notdürftig durch Trusted Flagger und Schwerpunktstaatsanwaltschaften geschützt wird. Auch der letzte Versuch, wenigstens Strafzölle für falsche Meinungen als zusätzliche Digitalsteuer zu erheben, gab die EU unter von der Leyen kampflos auf. Der Kontinent bleibt in der digitalen Steinzeit stecken, gefangen in der würgenden Umarmung von Silicon-Valley-Monopolen.
 

Energiepolitik und wirtschaftliche Diversifikation


Auch in der Energiepolitik hat einzig Robert Habeck ein Vorstellung davon gehabt, wie strategische Autonomie aussehen muss. Seit dem Aus für Nord Stream 2 stammten über 40 % der deutschen Gasimporte aus den USA – teuer, klimaschädlich und riskant. Habeck kaufte viel davon aus Katar, einem Emirat, das seinen schlechten Ruf seit der letzten Fußball-WM abgestreift hat. Den  Ausbau erneuerbarer Energien wollte Habeck mit 30 bis 40 Gaskraftwerken absichern - seine Nachfolgerin Katherina Reiche hat den Plan nicht etwa weggeworfen, sondern zur Grundlage ihrer Strategie gemacht.

Von den Speichertechnologien und dem Wasserstoff, mit dem Habeck Europa von der Energieabhängigkeit befreien wollte, hat sie sich jedoch verabschiedet. Wsaserstoff wolle niemand, der Champagner der Energiewende sei zu teuer, damit gekochter Stahl lasse sich nirgenwohin verkaufen. Habecks Vision war allerdings sehr viel breiter aufgestellt: Kommunen und Ministerien hätten es sein sollen, die den teuren Stahl kaufen. Finanziert worden wäre das aus den durch die höheren Gewinne der Stahlkocher steigenden Steuereinahmen. 

Das hätte auch die geopolitische Handlungsfähigkeit der EU gestärkt und ein zeichen für die ganze Welt gesetzt. Doch statt seiner Strategie setzte die EU auf kurzfristige Lösungen, die die Abhängigkeit von US-Flüssiggas vertieften.

Auch in der Wirtschaftspolitik plädierte Habeck für Flexibilität und Diversifikation. Bäcker und andere Handwerks- wie Industriefirmen hätten zeitweise zumachen können, um die Verhandlungsstärke Europas zu sichern. Sie wären später wieder in Aktion getreten, wenn es der EU gelungen wäre, neue Partnerschaften mit aufstrebenden Volkswirtschaften einzugehen. Seine Idee: Europa müsse global agieren, um nicht zum Spielball externer Interessen zu werden. 

Ruf nach Eigenständigkeit

Auch in der Sicherheitspolitik war Habeck ein überzeugende Vordenker. Er kritisierte die Abhängigkeit von US-Technologien bei Raketenabwehr, Drohnen, Kampfjets und Software. Er war dafür, die europäischen Armeen lieber mit eigenen waffen auszurüsten als mit den besten. Seine Forderung nach mehr europäischer Kooperation, eigenen Standards und Investitionen in Verteidigungsforschung war kein Angriff auf das transatlantische Bündnis, sondern ein Plädoyer für Eigenständigkeit in de Nato. "Kooperation ja, aber ohne Erpressbarkeit", war sein Mantra. Doch die EU unter von der Leyen hat diesen dringenden Ruf ignoriert und sich stattdessen in eine noch tiefere Abhängigkeit begeben. 

Habecks Vermächtnis

In einer Zeit, in der Deutschland in der Rezession versinkt und die EU sich vor den USA erniedrigt, erstrahlt Robert Habecks Vermächtnis heute umso heller. Der Norddeutsche, dem die Frauenherzen zuflogen, war kein Träumer, sondern ein träumender Realist mit Weitblick. Seine Forderung nach europäischer Autonomie war kein Bruch mit den USA, sondern ein Appell, das transatlantische Bündnis auf Augenhöhe zu gestalten. Seine Initiativen – das EU-Google, das deutsche X, eine Energieallianz mit Katar, neue Handelsachsen und eine eigene Verteidigungsfähigkeit – wären Bausteine für ein souveränes, robustes und zukunftsfähiges Europa gewesen.

Doch während Habeck den Weg wies, drehten ihm die Bürgerinnen und Bpürger den Rücken zu. Er wollte die großen Sondervermögen schon vor allen anderen, er wollte die Schuldenbremse ausbremsen, seine Partei ließ TTIP damals scheitern, um den USA die Instrumente zu zeigen. Ohne ihn musste die EU in das demütigende Scheitern von Turnberry stolpern.

Mitten in der ohnehin angespannten wirtschaftlichen Lage trifft der vermeintliche Handelsdeal Deutschland wie ein Blatschuss. Von der von Habeck ersehnten strategischen Gestaltungsfreiheit ist kaum mehr ein Hauch übrig, der leise davon säuselt, wie sehr der Mann fehlt, der mit wirtschaftlicher Kompetenz, politischer Klarheit und visionärem Mut Europa aus der Krise hätte führen können.

Petition der "Kulturschaffenden": Ölige Solidarität

Nach dem Willen der deutschen Kulturschaffenden muss Friedrich Merz den Nahen Osten befrieden.

Sie sind Moderatoren, Komödianten, Musikerinnen und Musiker und Schauspielende, sie gendern nicht und haben keine Zweifel daran, dass der Schlüssel zur Macht, den Nahen Osten zu einem besseren Ort zu machen, im Berliner Kanzleramt liegt.  "Lassen Sie Gaza nicht sterben, Herr Merz", haben 200 sogenannte "Kulturschaffende" 91 Jahre nach dem ersten "Aufruf der Kulturschaffenden" und nur fünf Jahre nach dem letzten einen Prominentenappell überschrieben, der die Bundesregierung auffordert, Israel nicht her nur mit Worten in den Arm zu fallen.  

Deutschland hat es in der Hand 

Handeln müsse Deutschland, an dem einmal mehr das Schicksal von Millionen hängt. Um dem Judenstaat zu zeigen, wie man richtig auf einen Angriff von Terroristen reagiert, die ein benachbartes Gebiet mit zwei Millionen Einwohnern regieren und seit Jahrzehnten als sicheren Rückzugsraum nutzen, brauche es einen Stopp aller deutschen Waffenexporte an Israel, ein Aussetzen des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel, eine erneute Wiederholung der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand und den ungehindertem Zugang für humanitäre Hilfe.

Vier Forderungen, im Nachrichtenmagazin als "drei" gezählt, die die Absender in eine große historische Linie stellen. Wer von den Älteren erinnert sich nicht an das Jahr 2018, in Berlin regierte eine schwarz-rote Koalition und ein CSU-Innenminister namens Horst Seehofer sägte am Sockel der Willkommenskultur. 

Migration sei die "Mutter aller politischen Probleme", brüskierte der Christsoziale das Milieu der Künstlernden, die nach einer Bierzeltrede in Oberbayern zum Stift griff. Im Vorgriff auf einen späteren Konsens bis hin zu SPD und Grünen hatte Seehofer gestanden, dass er  "froh über jeden" sei, "der bei uns in Deutschland straftätig wird, straffällig, und aus dem Ausland stammt", denn diese Leute könne man dann abschieben.

Nie schmutzige Finger 

Selten hat sich ein Spitzenpolitiker so verrechnet. In einem entsetzten offenen Brief von Schauspielernden, Filmemachenden, Musizierenden und Anthropologen äußerte das bessere Deutschland, das sich bei der Arbeit nie die Finger schmutzig macht, sein Entsetzen. Überschrift  "Würde, Verantwortung, Demokratie", Forderung: Seehofer solle zurücktreten, er "beschädigt die Werte unserer Verfassung, sein Verhalten ist provozierend, rückwärtsgewandt und würdelos gegenüber den Menschen". Damit "verstelle er den Weg in eine zukunftsfähige deutsche Gesellschaft", denn er einige das Land nicht, "er spaltet es".

Mancher, der da mutig aufstand gegen den alten weißen Mann aus Ingolstadt, war schon dabeigewesen, als der für ein ganzes Vierteljahrhundert tote und begrabene Berufsstand des "Kulturschaffenden" seine Wiedergeburt erlebte. 2016, Tatort Kanzleramt. Angeführt vom Regietitanen Volker Schlöndorff eilten große Künstler wie Andrea Sawatzki, Christian Berkel, Michel Friedman und Nico Hofmann am Frauentag zum Hofe, bewaffnet mit roten Rosen, Gäsenhaut und ein paar Tränen, um der damaligen Kanzlerin Angela Merkel von Herzen Dank zu sagen für alles, was sie für alle getan hatte.

Singen für Merkel 

Es waren die Zeiten, in denen bösartige Boulevardblätter unschuldige Kinder und Berufskollegen für Merkel singen ließen. Nachdem die Behörden Diktaturenvergleiche verboten hatten, malten die Teppichweber von Bannewitz für die Ostdeutsche aus Hamburg und junge, ehrgeizige Maler schufen große Ölgemälde, die das gottgegebene politische Genie der bescheidenen Physikerin rühmten und priesen. Immer vornweg waren die, die so lange weg gewesen waren.

"Kulturschaffende" hatte es im Dritten Reich gegeben und die sozialistische DDR-Diktatur hatte die Sprachprägung aus dem von den Nationalsozialisten gegründeten Reichsamt für Worte und Benennungen (RWB - Forschungsbehörde AO) bereitwillig übernommen, obwohl Wilhelm Emanuel Süskind den Begriff 1946 in sein "Wörterbuch des Unmenschen" aufnahm. 

Mit der Gründung der Reichskulturkammer im Jahr 1933 war der Begriff zum Gattungsnamen geworden. Mit jenem ersten Aufruf der Kulturschaffenden, der sich für eine Übernahme von Reichspräsidenten- und Kanzleramts durch Adolf Hitler aussprach, schrieb er sich unauslöschlich ein ins Buch der Geschichte. Doch ein Wort, das Künstler als Kollektive vereinnahmt, erschien den Genossen der SED unwiderstehlich: Der "Kulturschaffende" war kein individueller Künstler mehr, sondern ein Geistesarbeiter im Auftrag der Sache. 

Wie die Reichskulturkammer der Nazis verteilte die Kulturbürokratie der Kommunisten Kunstschaffungszulassungen an alle künstlerisch Tätigen, die bereit waren, zu künstlern, wie man es ihnen auftrug. Das SED-Parteiorgan "Neues Deutschland" lobte die Zuverlässigen nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns. Der Staat war zufrieden mit der "überwältigenden Zustimmung der Kulturschaffenden der DDR zu Politik von Partei und Regierung". 

Ein einzigartiges Wort 

Mit dem Ende der Kommandowirtschaft auch in der Kultur aber starb der Kulturschaffende einen stillen, unbeachteten Tod. Es gab ihn einfach nicht mehr, weil niemand einer sein wollte. Der Begriff war kontaminiert, denn er stand für eine ölige Anbiederung an Unrechtsregime. Künstler ja, auch Künstlerin. Aber kulturschaffend?  Große Zweifel weckte vor allem die Einzigartigkeit des bereits in den 20er Jahren vom späteren RWB-Chef Guntram Kaiser erdachten Kunstwortes. Im Deutschen gibt es weder Brotschaffende noch Autosschaffende, keine Gesundheitsschaffenden und nicht einmal Politikschaffende. 

Allein Frauen und Männer, die an Theatern, vor Kameras, in Studios und Veranstaltungsbüros tätig sind, rühmen sich, "Kultur" zu schaffen, obwohl es im besten Falle Kunst ist, was sie produzieren. Etliche unternehmen nicht einmal den Versuch dazu. Unter den 200 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Gaza-Petition sind Fernsehansager, DJs und Content Creators, Podcaster und Sozialunternehmer. Eine Frau hat als Beruf "Starköchin" angegeben. Eine andere ist am Kulturschaffen als Casting Director beteiligt. Auch Agentinnen sind vertreten, die mit Kulturschaffen so viel zu tun haben wie ein der Manager eines Fußballclubs mit dem Toreschießen.

Keine Glasmaler, keine Maskenbildner 

Kunstschaffen ist nach dem Verständnis der Unterzeichner ein exklusives Geschäft, das nur kleine, elitäre Kreise ernsthaft betreiben. Keine Töpfer, keine Glasmaler, keine Bildhauer sind unter den Unterzeichnern, kein einziger Maler, kein Zeichner, kein Comickünstler. Selbst Maskenbildner und Grafikdesigner und Opernsänger fehlen, selbstverständlich auch sämtliche technischen Gewerke des Bühnenhandwerks, ohne das die Kunstschaffenden im Dunkeln stehen und ohne Mikrofone auskommen müsste. 

Der typische Kulturschaffende von heute wohnt in Berlin, schauspielert beruflich, er sitzt auf seinem Sofa, schaut in seinen Drehplan und denkt sich: Oh, heute könnte ich heute eigentlich mal Gaza retten. Der typische Kulturschaffende von heute muss keine Angst haben, dabei von einer Hamas-Rakete getroffen zu werden. Er hat auch keine Sorgen um Bekannte oder Verwandte, die seit Jahren in einem Foltergefängnis der Terrortruppe sitzen, mutmaßlich wenigstens zum Teil mit europäischen Hilfsgeldern gegraben. Der typische Kulturschaffende von heute ist hauptberuflich sensibel, sein Leiden leitet ihn dorthin, wo es für jedermann zu sehen ist, denn das zahlt kräftig auf sein Rufkonto ein. 

Zusammengebracht auf Initiative der US-Lobbygruppe Avaaz, "positionieren sich die  Kulturschaffenden" (Tagesspiegel) wie üblich: Kein offener Brief jemals richtete sich an die Hamas, den Kanzler aber "drängen sie auf einen Waffenstillstand", als führe Friedrich Merz den Oberbefehl über die IDF und deren Räder ständen alle still, wenn sein starker Arm es will. Pflichtschuldig werden die "grauenvollen Verbrechen der Hamas aufs Schärfste" verurteilt. Kulturschaffende wissen, wie man sich rückversichert, denn sie haben alle zugeschaut, was mit denen geschieht, die unachtsam sind. 

Das Beschwören der Kinder 

Deutlich ausführlicher fällt das Beschwören der "Kinder, abgemagert bis auf Haut und Knochen, die Augen leer, die Handgelenke dünn, Babys, vor Hunger zu schwach, um zu weinen". Auch Kulturschaffende, die ihr Gewerbe frei ausüben können, weil die Alliierten Hitler nach dessen Niederlage in Afrika 1943 keinen Waffenstillstand anboten, sind nicht gefeit vor Vergesslichkeit: "Kein Verbrechen", appellieren sie an Merz, rechtfertige es, "Millionen von unschuldigen Menschen kollektiv zu bestrafen". 

Die Hamas-Terroristen, das sind für die, die sich als Kulturschaffende freiwillig entindividualisieren und es für ein gemeinsames kollektivistisches Ziel mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, immer die anderen. Mögen inzwischen selbst arabische Staaten den Terror der Hamas verurteilen und sich für deren Entmachtung aussprechen, der deutsche Kulturschaffende kennt seine Pappenheimer. Natürlich sei es Israel gewesen, das die Zwei-Staaten-Lösung torpediert habe, heißt es in einem endlosen Sermon, in dem die Ablehnung der Hamas nie vorkommt.

Hauptziel Auslöschung 

Wie sollte sie auch, schließlich steht und fällt das Erklärungsmuster vom unmenschlichen Israel, das mit überlegenen Waffen gegen leider, leider auch schon mal "grauenvolle Verbrecher" vorgehe, mit der zentralen Illusion nicht nur der Kulturschaffenden. Auch andere fantasiebegabte Straßenkämpfer glauben, dass ein richtiger Palästinenserstaat, geführt von einer oder mehreren Befreiungsbewegungen, deren Hauptziel die Auslöschung des Judenstaates ist, ein prima Nachbar für Israel wäre. Dabei zeigen Umfragen aus der Zeit vor dem Krieg, dass mehr als die Hälfte der Palästinenser für die Rückkehr zu einem bewaffneten Aufstand sind. Attentäter werden von großen Teilen der palästinensischen Gesellschaft als Helden im Kampf gegen die israelischen Unterdrücker gefeiert.