Montag, 8. September 2025

Gesetzgeber, Wächter und Richter: Das Melk-Kartell

Ursula von der Leyen melkt Google Kümram
Ursula von der Leyen beim Mäusemelken. Zeichn ung: Kümram, Buntstift auf Karton


Es ist schon lange Zeit die einzige Art, in der das alte Europa von den neuen digitalen Technologien profitiert. Ohne eigene Internet-Großkonzerne, ohne KI-Giganten und Hightechschmieden nutzt die EU-Kommission die unumstrittene Weltmarktführerschaft der Wertegemeinschaft der immer noch 27 Mitgliedsstaaten im Bereich Regulierung, Bürokratisierung und Wettbewerbsbehinderung, um über die Verhängung von Strafen für sogenannte Wettbewerbsverstöße Milliarden einzunehmen. 

Die Einnahmen fließen in den Haushalt der EU - das rigide Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft wird dadurch zum sprudelnden Einnahmequell.

Theoretisch lukrativ 

Allerdings nur theoretisch. Obwohl die EU-Kommission nach einem Urteil Strafzahlungen innerhalb von 90 Tagen nach Benachrichtigung verlangt, hat noch nie ein US-Konzern wirklich Geld überwiesen. So groß die Schlagzeilen sind, die die Kommission produziert, wenn sie Bußgelder verhängt, so still und leise bleibt Brüssel in den Jahren danach.

Gegen Google wurde bereits 2017 eine Strafe in Höhe von 2,42 Milliarden Euro verhängt, 2018 folgte eine in Höhe von 4,34 Milliarden Euro und eben erst folgte eine aus rätselhaften Gründen als "Rekordstrafe" bezeichnete erneute Verurteilung in Höhe von 2,95 Milliarden Euro. Gerüchten zufolge soll Google einen unbekannt hohen Teil der Strafe von 2017 unter Vorbehalt gezahlt. Gerichtsverfahren in diesem Fall aber laufen noch, ebenso wie in den Fällen, in denen Apple und Meta bestraft wurden. 

Endlose Prozesse


Die EU-Kommission hält sich mit Nachrichten über die Vollstreckung ihrer Strafen lieber bedeckt. Zu peinlich wäre es, würde die Öffentlichkeit erfahren, dass die mit großem Tamtam angekündigten Verurteilungen am Ende ebenso enden wie tausende von Vertragsverletzungsverfahren gegen eidbrüchige Mitgliedsstaaten, aus denen in der Regel endlose Prozesse werden, an deren Ende eine zwielichtige Beilegung des Konfliktes anstelle der vorher angekündigten Geldbußen steht.

In allen Fällen agiert die EU allerdings genauso wie sie es Google im aktuellen Strafverfahren vorwirft: Der US-Konzern habe "eigene Online-Werbedienstleistungen zum Nachteil konkurrierender Anbieter bevorzugt", teilte die Brüsseler Behörde mit. Die Untersuchung der Kommission habe ergeben, dass Google eine marktbeherrschende Stellung einnehme und sie "seit 2014" missbraucht habe, um "seinen eigenen Produkten einen Vorteil zu verschaffen". 

Ein Verstoß gegen Artikel 102 des "Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union", der das Ziel hat, den Wettbewerb im Binnenmarkt zu erhalten, damit Verbraucher und Wirtschaft davon profitieren.

Die EU ist gleicher 

Die Kurven der Spaltung.

Ein Artikel, gegen die EU-Kommission selbst Tag für Tag verstößt - und das nicht etwa erst seit 2014. Europas technologische Rückständigkeit bezeugt es: Durch eine zentristische Planpolitik von oben, die den Wettbewerb zwischen verschiedenen Ideen, Methoden und Ansätzen mehr und mehr aushebelt, ist aus dem früheren Hochtechnologiestandort Europa ein Industriemuseum geworden. 

Bei der Arbeitsproduktivität, den Wachstumsraten und dem Wohlstand haben die Vereinigten Staaten die EU abhängt. Selbst der frühere EZB-Chef Mario Draghi musste in einem nach ihm benannten Bericht im vergangenen Jahr eingestehen, dass das "verfügbare Pro-Kopf-Einkommen in den USA seit 2000 fast doppelt so schnell gestiegen sei wie in der EU und die europäischen Haushalte den Preis in Form eines entgangenen Lebensstandards gezahlt" hätten.

Der Preis einer Politik, die wirtschaftliche Dynamik mit von Brüssel verordneten Richtlinien und Regeln wie dem KI-Gesetz, Digital Markets Act und Digital Service Act erstickt. Und die daraus erwachsenden Wettbewerbsnachteile auszugleichen versucht, indem sie die erfolgreiche Konkurrenz über Strafzahlungen zu melken versucht. Jeder einzelne Fall wirft ein Schlaglicht auf die einzigartige Rolle der EU-Kommission: Sie ist es, die die Richtlinien erlässt. Sie überwacht deren Einhaltung. Sie ermittelt zu vermeintlichen verstößen. Sie sanktioniert von ihr festgestellte Verletzungen der Vorgaben. 

Von der Leyen füttert X 

Allerdings nicht bei sich selbst und nicht bei ihren führenden Repräsentanten. Bis heute ist Kommissionschefin Ursula von der Leyen wie viele andere Kommissare beispielweise bei Elon Musks Hassportal X vertreten. Von der Leyen sorgt damit für die Produktion von Daten, die in die USA übermittelt und dort verarbeitet werden. Obwohl der Europäische Gerichtshof das Schutzniveaus für Daten von EU-Bürgen in den USA nicht für angemessen hält, weil das - inzwischen vom ähnlich laveden EU-US Data Privacy Framework-Abkommen abgelöste Privacy Shield-Abkommen keinen ausreichenden Schutz gegenüber nachrichtendienstlichen Aufforderungen zur Herausgabe von personenbezogenen Daten von EU-Bürgern bietet. 

Die EU-Kommission ist Gesetzgeber, Wächter, Staatsanwalt und Richter in Personalunion, ein vielarmiger Krake, der in seinem Kampf gegen Kartellverstöße selbst als Kartell arbeitet. Sie erlässt verbindliche Vorschriften, die Kartelle und den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verbieten. Aus ihrer marktbeherrschenden Stellung heraus prüft sie, ob Unternehmen diese Regeln einhalten. Ihre Organe führen die Untersuchungen. Und sie fungiert als Sanktionsinstanz, die Bußgelder in Milliardenhöhe verhängt oder - wie jetzt im neuerlichen Fall Google - gar strukturelle Maßnahmen wie Zerschlagungen androht.

EU in einer Dreifachrolle 

Diese Dreifachrolle – Gesetzgeber, Ermittler und Richter – ist einzigartig. Im Google-Adtech-Verfahren, das 2021 begann, zeigt sich dieses Zusammenspiel exemplarisch. Die Kommission warf Google vor, seine marktbeherrschende Stellung im Online-Werbemarkt zu missbrauchen, indem es gleichzeitig Nutzerdaten sammelt, Werbeflächen verkauft und als Vermittler auftritt. Daraus erwachse ein Interessenkonflikt, so die Behörde, der automatisch zu einer Wettbewerbsverzerrung führe. 

Für nachgewiesen hält die Kommission, dass Google seine eigenen Dienste gegenüber Konkurrenten bevorzuge. Binnen innerhalb von 60 Tagen müsse das Unternehmen deshalb einen Plan vorlegen, wie die Missstände abgestellt werden. Anderenfalls droht die Kommission dem US-Konzern mit einer Zerschlagung durch eine behördlich verordnete Abspaltung des Online-Werbegeschäfts. 

Eine digitale Kriegserklärung 

Eine digitale Kriegserklärung, abgegeben in einem Moment, in dem es schien, als hätten sich die kalten Technologiekrieger in Brüssel, Berlin  und Paris eines Besseren besonnen. Von ihrer vor einigen Monaten noch selbstbewusst heraustrompeteten Forderung, US-Konzerne müssten sich von Brüssel aus Grenzen der Meinungsfreiheit zuweisen lassen, was zuletzt nichts mehr zu hören. Das als Präzedenzfall zur Durchsetzung des Digital Service Act gedachte Strafverfahren gegen X verschwand lautlos. Die EU-Forderung, Musk müsse die X-Alghorythmen offenlegen, um ein Verbot seiner Plattform zu verhindern, wurde nicht mehr wiederholt.

Die gegen Google verhängte Strafe aber zeigt, dass die Kommission keineswegs vorhat, ihre Befugnisse nicht zu überdehnen. In ihrer Dreifachrolle als Behörde, die Regeln setzt, gleichzeitig ihre Einhaltung überwacht und Sanktionen verhängt, unterliegt die EU-Zentrale nur einer nachgelagerten Prüfung durch Gerichte. Deren Urteile fallen Jahre oder sogar Jahrzehnte später

Verfahren dauern Jahrzehnte 

Die Verfahren sind damit aber meist immer noch nicht beendet. Im Fall Apple kam die EU-Kommission 2016 zum Ergebnis, dass Irland dem Unternehmen in den Jahren von 1991 bis 2014 unrechtmäßige Steuervergünstigungen von bis zu 13 Milliarden Euro gewährt und Apple hierdurch einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil erhalten habe. Die irische Regierung wollte das Geld nicht. Sie musste es aber schließlich doch nehmen - 34 Jahre nach Beginn der Vereinbarung mit der Regierung in Dublin.

Die EU nimmt das als Beweis dafür, dass ihre zentrale Dreifachrolle Gesetzgeber, Ermittler, Ankläger und Gericht notwendig ist, um den digitalen Binnenmarkt fair zu gestalten und die Interessen kleinerer Akteure zu schützen. Die technologische Rückständigkeit der Gemeinschaft, die vom digitalen Fortschritt nur noch durch verhängte Milliardenstrafen profitiert, belegt das Gegenteil. 

Europa selbst hat nichts 

Während die USA Heimat von Innovationsführern wie Google, Apple oder Meta sind, hat Europa nichts Vergleichbares zu bieten. Mangels eigener Tech-Giganten müssen hier Steuergelder eingesetzt werden, um wenigstens so tu tun, als bleibe man auf Augenhöhe. Auch Europas "schnellster Supercomputer" (Deutschlandfunk) im Kernforschungszentrum Jülich liegt nur bei einer Bterachtung mit zugekniffenen Augen weltweit auf Platz 4, hinter drei Rechnern in den USA. In Wirklichkeit ist es eher Platz 14 oder gar Platz 66.

Vom eingeschlagegen Pfad aber weicht EUropa nicht ab. Auch wenn die Digitalsteuer, mit der die US-Tech-Konzerne noch Anfang des Jahres zur Kasse gebeten werden sollten, aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der regierung in Washington inzwischen im Orkus ewigen Vergessens verschwunden wurde, bietet die Unzahl strenger und detaillierter EU-Vorschriften für alles jederzeit die Möglichkeit, etwas von den Gewinnen dieser Konzerne abzuschöpfen. Auch die Strafen sind nichts anderes als eine Art Steuer auf den Erfolg der US-Tech-Branche - bis heute haben sie in keinem Bereich ihren vermeintlichen Zweck nachgewiesen, Monopole eindämmen und kleineren Unternehmen Chancen eröffnen zu können.

Brandmauern zur Zukunft 

Stattdessen schmälern sie Innovationsanreize, sie verhindern, dass neue Entwicklungen den Verbrauchern in der EU zugänglich gemacht werden und technologische Sprünge alltagstauglich werden. Die Behauptung der Kommission, sie wolle die Marktmacht der US-Konzerne eingrenzen und europäischen Akteuren Raum zur Entfaltung geben, wird von der Wirklichkeit konterkariert: Seit 2017 hat die EU Bußgelder in Höhe von über elf Milliarden Euro gegen US-Tech-Konzerne verhängt. Die Dominanz der amerikanischen Digitalriesen aber ist in dieser Zeit nur noch größer geworden. 

Ursula von der Leyen spricht vom "Tech Leadership" der EU. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Die wachsende Frustration der EU darüber, dass ihre Vorgaben zur Innovationsbremse werden und ihre Weigerung, den fragmentierten EU-Digitalmarkt wirklich zu öffnen, füjrt zu Urteilen wie dem aktuellen gegen Google. 

Der Schaden, der daraus erwächst, wird größer sein als jeder - sehr fernliegende - mögliche finanzielle Nutzen. Das haben schon die ersten Reaktionen aus den USA gezeigt.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Kümran muss aber aufpassen, dass Ursula nicht seine Ausstellungen känzeln lässt.

Die Anmerkung hat gesagt…

Alles über die Cashcow.

... make sure you build a herd of cash cows that work for you, and not the other way around.