Freitag, 12. September 2025

Gespräche im Zwischendeck: Versöhnung mit dem Bösen

Viele Vorurteile, die einige Sachsen über Besucher aus den alten Ländern immer noch haben, konnten ausgeräumt werden. 


Es versprach erst nur, ein typischer Samstagabend zu werden. Ausgehen, Spaß haben, trinken und lachen, diesmal aber eben nur in Sachsen. Auf der Rückreise aus Prag, der Goldenen Stadt, aus der noch Billigflieger starten, war unser Auto liegengeblieben. Werkstatt? Nicht mehr am Freitagnachmittag. Mietwagen? Und wie zurück? "Wartense hold bis Montag, dann jehd er widder", versprach der Meister, eine große, knurrige Gesatlt aus altem Sachsenleder, womöglich der letzte seiner urigen Art hier in der Stadt August des Starken.

Sachsen also, Dresden, ein Wochenende im tiefsten Osten. Wie von einem Magneten gezogen landen wir in der Neustadt, dem hippen Szeneviertel, das der Lonely Planet preist. Wir nehmen die erste Bar, eng und laut wie in New York oder Taipeh. Kein großes Hallo, aber auch kein peinliches Schweigen, als wir uns setzen. Wir schauen noch, da ruft es schon vom Nachbartisch. "Die Wessis sind wohl was Besseres", versucht einer zu provozieren. 

Der guckt doch freundlich 

Bre sagt gleich, komm, lass uns gehen. Ich sage: Der guckt doch ganz freundlich. Der ist einer von einer ganzen Gruppe, Hans heißt er und wir rutschen nach einem kurzen fröhlichen Geplänkel rüber an den Tisch seiner Truppe. Ein  Gespräch wie ein artifizioeller Tanz. Unsichtbare Andeutungen. Unhörbare Verweise und Fragen. Job, Herkunft, Alter? Fußballverein? Und was denkste so, sagt Bre, die irgendwann immer anfängt, über Politik zu reden.

In Sachsen keine gute Idee, denke ich. Und richtig: Während die Kippen der Kerle qualmen, stellt sich heraus, dass sie alle AfD-Wählende sind und sich auch noch dazu bekennen. "Nur blau", sagt eriner, der es schon beinahe geschafft hat. So weit so gut. Bre, das sehe ich, fühlt sich wie im Zoo. Paviangehege vielleicht. 

Die typischen Ausflüchte 

Aber ich habe es ernst genommen. Wollte dann wissen, was deren Beweggründe waren. Ich meinen Mensch, ihr schadet Euch doch nur selbst!, sage ich. Was ich zu hören bekomme, sind die typischen Ausflüchte, das Nazi-Framing, das man immer hört. Man dürfe ja nichts mehr sagen, sagt einer. Hier in Sachsen gehe es ja noch. Bei ihm in Zwickau drüben, wirft einer ein, sei das Leben noch in Ordnung. Aber bald kämen ja die Entlassungen beim VW.  "Die Medien lügen, die Eliten in Berlin verstehen uns nicht."

Wir haben keine Angst. Wir haben sie dann wissen lassen, dass wir die Grünen wählen. War kurz stioll am Tisch. Einer knirscht: "Wessis hold". Aber die Reaktion danach überraschte mich. Kaum hatten die Männer einen Schluck Bier genommen und fünf neue Kurze bestellt - "ihr wollt ja sicher nicht, moderierte einer unseren Durst kurz ab - kamen die Fragen. Keine Vorurteile, eher echtes Interesse.

Kein Eun der. Denn die wussten gar nicht, wofür die Grünen stehen! Erneuerbare Energien, soziale Gerechtigkeit, massig Investitionen in kritische Infrastruktur, Wohnraum für alle, aber bezahlbar! Ein Land, das einfach funktioniert, sage ich und aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie Bre sich freut, dass ich mich so gut schlage.

Der richtige Name 

Sie sind skeptisch, das ist unverkennbar. Einer kommt mit dem Heizungsgesetz. Ich erklär ihm erstmal den richtigen  Namen. "Gebäudeenergiegesetz". Das sitzt. In die Pause schiebe ich nach, dass die Grünen eben auch für wirtschaftliches Wachstum, aber nachhaltig und sauber und für alle. Wachstum, was es mit der AfD nicht geben würde, weil die nur Umverteilung von unten nach oben will eine Rezession und ein Ende für den starken Euro, mit dem man heute sogar in Irland und in Kroatien bezahlen kann.

Es ist wie ein Wunder. Sie hängen an meinen Lippen, der Strom an Widerworten verebbt. Samstagabend, der Wind trägt den Duft von Regen und Rebellion und die Bar ist verraucht, als häte uns eine Zeitmaschine ins Jahr 1975 katapultiert. Aber in diesem Ort, der wie ein Relikt aus vergangenen Epochen wirkt, mit Wänden, die Geschichten von Teilung und Wiedervereinigung flüstern, geschieht ein kleines Wunder. Keiner der Männer zieht sich die Hasskappe über. Keine prügelt und sticht zu. Die Luft ist dick vom Zigarettenrauch, der wirkt, als sei er in der Enge des Ostens gefangen. Doch die kleine Gruppe der Ewiggestrigen, eben noch überzeugt, bei den "Blauen", wie sie sie nennen, ihr Glück zu finden, wird weich und warm.

Wettergegerbte Felsen 

Auch Männern, deren Gesichter wie wettergegerbte Felsen wirkten, mit Händen, die hart sind wie Beton,  ist eine verborgene Zerbrechlichkeit zueigen. Der Älteste, ein Mann mit grauen Schläfen und Augen, die an stürmische Elbe-Wellen erinnerten, nippt an seinem Bier und lauscht aufmerksam. Die anderen – allesamt robuste Gestalten aus dem sächsischen Hinterland, mit Pranken, die Lust am Zupacken haben, lachen über meine Anekdoten aus dem Wahlkampfalltag in Essen. Sie lehnen sich vor, ihre Blicke hungrig nach Erklärung. 

Bre, mit ihrer sanften, aber unnachgiebigen Art, lässt sie immer wieder selbst zu Wort kommen. Sie fragt unumwunden nach ihren Wurzeln. "Aus dem Erzgebirge", brummt einer, "wo das Leben noch echt ist, nicht so verweichlicht wie drüben." Wir spüren beide den Riss, der durch dieses Land zog, eine unsichtbare Mauer, die tiefer reichte als ihre Fundamente. Doch wir sehen in diesem Augeblick auch die Heilungschance für die Psychose einer Nation, deren Osten in Isolation erstarrte, es dem Westen aber nicht verzeihen kann, ihn aus ihr befreit zu haben wie der Prinz das Dornröschen.

Funken im trockenen Laub 

Wie ein Funke in trockenem Laub entzündete sich das Gespräch über Politik. Bre und ich, wir konnten nicht anders; es war unsere Natur, die Worte wie Samen auszustreuen. Aber diese Männer? Sie fochten mit Worten  kaum weniger geschickt als mit ihren Baumaschinen, Schaufeln oder was sonst sie an Werkzeug benutzen. "Und ihr?", musste ich nur einmal fragen, während das Neonlicht über unsere Gesichter tanzte. "AfD, forever", sagte der Jüngste, ein Bursche mit tätowierten Armen, der "forever" wie "fohröver" aussprach als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. 

Sie wirkten zufrieden in ihrer generellen Unzufriedenheit mit allem. "Hier in Sachsen ist das Leben noch in Ordnung", begründete Hans den Widerspruch. Man dürfe nichts mehr sagen, "ohne dass die da oben einen mundtot machen." Aber aus der DDR wisse man doch genau, wie es gehe. "Mir machen unser Ding, immer." Die anderen nickten, ein stummer Chor aus Zustimmung, ihre schweigenden Stimmen wie ein Echo aus vergessenen Tälern.

Die typischen phrasen 

So also geht das, dachte ich. Das sind doch die typischen Phrasen, dachte ich auch. Sätze, die wie Gift in den Adern der Gesellschaft sickeren – Angst vor dem Fremden, Sehnsucht nach einer illusorischen Reinheit, saubere Städte, Leistung soll sich lohnen. Auch Bre lehnte sich vor, ihre Augen leuchteten jetzt wie Sterne in einer sächsischen Klimasommernacht. "Ihr irrt Euch aber gründlich", sagt sie und erklärrte in zehn, zwanzig Sätzen, wo der Hase hinläuft. 

Ich erwartete einen Proteststurm. Stattdessen: Stille, dann wieder unverhohlene Neugier. Offene Blicke, ohne Scheu. "Was swollns denn nu?", fragte der Älteste, ehrlich verwundert, als ob die Welt jenseits ihrer Dörfer ein fernes, unerforschtes Land sei. Diese Männer, weniger weltgewandt, Hinterwäldler in den Augen der Metropolen, lebten in einer Blase aus Tradition und Misstrauen. Sie hatten die Welt da draußen nicht gesehen – die Klimakrisen, die Ungleichheiten, die wie Risse durch Europa laufen.

Die den Wind einfangen 

Ich brauchte einen Moment, um die Frage zu übersetzen. Dann setzte ich es ihm geduldig auseinander, ihm und den anderen fünf Hinterwäldler, freundlich gemeint: "Erneuerbare Energien, wisst ihr? Windräder, die den Wind einfangen, Solarpaneele, die die Sonne in reine Kraft verwandeln – statt Kohle, die die Erde vergiftet." Bre ergänzte: "Soziale Gerechtigkeit, das heißt, dass niemand zurückgelassen wird. Investitionen in Infrastruktur, in Straßen, die nicht bröckeln, in Züge, die pünktlich kommen."

Die Männer lehnten sich zurück, ihre Gesichter eine Mischung aus Skepsis und Faszination. Einer, mit buschigem Bart, murmelte: "Und mei Diesel? Den brauch ich doch, um auf Kleche zu komm." Genau, hakte ich ein, wie ein Chirurg, der eine Wunde öffnet. Der Diesel muss nicht gleich weg, erst später. Wenn wir nachhaltiges grünes Wachstum haben. Der Staat wird die stützen, die es selbst nicht bezahlen können. Es gibt das sehr viele Ideen, sage ich. Nur mit der AfD? Da wird das nichts, denn die will nur Umverteilung von unten nach oben und dass die Reichen reicher, die Armen ärmer werden.

Warum eigentlich, fragt Hans. Ich bin kurz irritiert. Warum eigentlich was? Warum die AfD denn wolle, dass die Reichen reicher, die Armen ärmer werden? Und dass es eine Wehrpflciht gibt, obwohl die doch bekanntlich die Russen unterstützen und vom Kreml bezahlt werden? Hans' Kumpel gucken schräg. Hans sagt: Habe ich gelesen.

Eine Rezession wäre schlimmer 

Ich sage, eine Rezession wäre schlimmer als alles, was ihr kennt. Fabriken schließen, Jobs weg, Isolation." Der eine kleinere mit den Tattoos sagt, hamm wir doch alles schon. Die lauschen dem Klang seiner Worte nach, ihre Augen weiten sich, als ob sie aus einem langen Schlaf erwachten. Noch ein Schluck Bier. Eine Zigarette. Ich höre mich sagen, dass die Grünen Plöne haben, dass es nicht dazu kommt. Und wie wichtig das ist. Der Jüngste nickt: "Das wussten wir nicht. Klingt logisch." 

Bre lächelt jetzt, ihre Stimme weich wie Seide: "Miteinander reden ist so wichtig. Das zeigt uns dieser Abend sicher allen." Auch der Älteste, dessen Falten wie Kartenlinien einer vergangenen Epoche wirkten, nickt langsam, bedächtig, ein Schreitbagger. "Danke, dass ihr uns das erklärt habt", sagt er. Er glaube, dass auch siene Kumpels vieles nicht gewusst hätten. Nicken ringsum. "Kommt mal auf meine Farm, wenn ihr wieder in der Gegend seid, und dann lasst und weiterquatschen." 

Wir Brückenbauer 

Später stehen wir zwei draußen, Bre und ich, noch ganz geflasht vom Erlebten. Wir fühlen uns hier, nicht weit weg von der eingefallenen Carola-Brücke, als Brückenbauer, die einen Abgrund üwunden haben. Der Gedanke ist zerbrechlich wie ein Traum, doch er wa real, gerade noch in dieser Bar, wo der Rauch die Grenzen zwischen links und rechts, West und Ost, klug und ungebildet verwischte. In dieser Nacht, als wir hinaus in die Dresdner Straßen traten, fühlten wir beide die Seele der Republik pulsieren – geteilt, doch heilbar durch Worte. Fünf, einst in ihrer Welt gefangen und dem Bösen auf den Leim gegangen, hatten einen Blick in die Weite gestattet, in eine Welt, in der Erneuerung nicht Bedrohung, sondern Erlösung ist. 


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Sie sollten nach Thüringen weiterfahren und agitieren. AfD Thüringen (Nazi Höcke) bei 37%.