Jeder Mensch ist gleich, keinem darf seine Würde genommen werden. Wer ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt, heißt es im Talmud. Und wer ein einziges Leben nimmt, tötet damit nicht nur sein Opfer, sondern zahllose Menschen. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben aus dieser jüdisch-christlichen Erkenntnis die Lehre gezogen, dass selbst Mörder ein Recht auf Leben haben. Und der normal fühlende Bürger bräuchte nicht einmal diese Vorgabe: dass es sich verbietet, über Tote Schlechtes zu sagen oder sich gar über den Tod eines Menschen zu frohlocken, ist Teil der abendländischen Kultur.
Auf dem absteigenden Ast
Einer Kultur auf dem absteigenden Ast, einer Kultur, die von innen heraus zu verfaulen scheint. Nach dem Mord am US-Influencer Charlie Kirk flog der dünne Firnis von den Werten unserer Demokratie wie von einer Schleifmaschine abgerissen. Die Freude darüber, dass es einen getroffen hat, der es wegen seiner politischen Auffassungen schon irgendwie verdient hat, war nicht mehr nur klammheimlich.
Von El Hotzo, dem garstigen Fernsehclown, der in einem gerichtsfest als Witz anerkannten Post bei X schon Donald Trump vor den Bus Tod gewünscht hatte, bis zur revolutionären Linksjugend, die dem Opfer nachwies, dass er selbst schuld sei, wurde Klartext geschrieben. Mario Sixtus, ein Verbalextremist, der für das ZDF arbeitet und seine Hassblase bei Bluesky seit Jahren mit Hitlervergleichen und Holocaustverharmlosungen füttert, ließ wissen: "Wenn Faschisten sterben, jammern Demokraten nicht." Die "Linksjugend" applaudierte: Mit einem gezielten Schuss wurde das Ende seiner rechtsradikalen, menschenverachtenden und ausbeuterischen Politik besiegelt."
Schon von Monaten hatte def Linken-Chef Jan van Aken eine entsprechende Neudefinition von politischer Gewalt vorgenommen. Kämen sie von links, seien Straftaten dem Gemeinwohl dienlich", erklärte der Co-Vorsitzende der inzwioschen als "Linkspartei" auftretenden SED.
Sie sind noch da, die Stalinisten, Trotzkisten und Sozialisten, die andere erst zwingen wollen, zu sein und zu denken wie sie, ehe sie ihnen die unveräußerlichen Menschenrechte zugestehen. Ein brutaler Mord an einem Rechten, Influencer und "Verführer der Jugend" genügt, um die traurige Fassade einstürzen zu lassen. Nur gut, dass er tot ist, so lasen sich die Urteile auch in großen Medien. Wenn Donald Trump ihn als "Märtyrer" ehrt, dann wurde niemand ermordet.
Nein, Kirk "starb an den Folgen einer Schussverletzung" schreibt die Taz. Im "Tagesspiegel" st der Mord der "Tod eines Brandstifters", also schon wohlverdient. Natascha Strobl, bei der ARD in der Regel als "Expertin für Rechtsextremismus" aufgeboten, setzt den US-amerikanischen Konservativen mit Reinhard Heydrich gleich, Hitlers Holocaustplaner.
Auch in der "Tagesschau" gibt es keinen Mord, sondern nur den "Tod des rechtskonservativen US-Aktivisten Charlie Kirk", der, das ist offenbar das eigentlich Schreckliche, "das ohnehin gespaltene Land noch stärker polarisieren" wird. Der unübertreffliche Georg Restle hörte zuerst "Schüsse" (Restle). Und erging sich dann in der Anmoderation eines kurzfristig noch umgeschnittenen Beitrags zu Trumps geplanter Zerstörung der - 238 Jahre alten - Demokratie in den USA Verschwörungstheorien: Trump ist schuld, dass einer seiner Anhänger ermordet wurde. Die Republikaner stecken hinter allem.
Keine Tränen, nirgendwo
Tränen gab es nicht zu sehen. Trocken wurde das Ende des " berühmtesten rechte Aktivist der USA" (Spiegel) kommentiert: Wie Trump habe auch "Kirk die Lüge von der gestohlenen Wahl 2020" verbreitet und er haben "vor Glück geweint, als Donald Trump 2024 erneut gewann - nun ist der rechte Aktivist tot, erschossen im Alter von 31 Jahren.
Das geschieht se recht, was fährtse mits Rad, sagen die Alten im ländlichen Ostdeutschland achselzuckend, wenn die Nachricht im Dorf die Runde macht, dass sich die 77-jährige Elsbeth bei einem Sturz mit dem Fahrrad bei Glatteis die Hüfte gebrochen hat. Immerhin aber bringen sie dann doch Blumen und gute Wünsche, sie fühlen mit und es tut ihnen leid.
Kirk darf darauf nicht hoffen, jedenfalls nicht bei denen, für die weniger Mensch als - unbekannterweise - Feindbild ist. So wie Thilo Sarrazin sich einst als "lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur" beschimpfen lassen musste, weil er zwar nicht lispelte, stotterte und zuckte, aber nicht davon abließ, anderer Meinung zu sein, liefert Charlie Kirk die perfekte Vorlage für korrekte Menschenfeindlichkeit.
Selber schuld
Ein "rechtskonservativer Aktivist" (Die Zeit). Ein "rechter Influencer, Netzwerker, Jugendorganisator und Trump-Vertrauter" (SZ). Ein "Ultrakonservativer" (ZDF) und "Einflüsterer der MAGA-Bewegung" (Spiegel) darf keine Gnade von denen erwarten, die ihre höhere Moral an gewöhnlichen Tagen wie eine Monstranz vor sich hertragen. Wenn so einer ermordet wird, eignet sich ein Affenbild am besten, die Genugtuung darüber auszudrücken, dass ein 31-Jähriger hingerichtet wurde. Mit "Oh nein, was soll..." kommentierte der Sprecher der Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek (37), Felix S. Schulz, den Tod des Vater von zwei Söhnen. Das hat er nun davon.
Abgründe tun sich auf, Abgründe, die schon lange zu erahnen sind. Sie sind randvoll mit dem Gegenteil von Empathie, einer Wesensart, die weniger bekannt, durchaus aber weit verbreitet ist. Die sogenannte Ekpathie ist die Fähigkeit, das dem Menschen eigentlich angeborene Einfühlungsvermögen in andere nicht zu besitzen oder aber bei Bedarf unterdrücken zu können.
Aufstieg der Ekpathiker
Jeder normale Mensch kennt das Gefühl, das aufsteigt, während er an einer auf dem kalten Boden einer innerstädtischen Einkaufsstraße hockenden Bettlerin vorübergeht, ohne ihr wenigstens einen Euro in ihren alten Kaffeebecher zu werfen. Obwohl der moderne Großstädter weiß, dass der Chef ihrer Bettlergang ihr am Abend ohnehin alles Geld wegnehmen wird, erscheint das sogenannte schlechte Gewissen automatisch. Man muss wegschauen. Und - wissenschaftliche Untersuchungen haben das bestätigt - im Durchschnitt gehen Passanten in der Nähe von Bettlern schneller.
Die, die das nicht tun, sind die Ekpathiker. Ihr Innenleben ist immun gegen Mitgefühl, ihr Anstand ist nur oberflächlich angelernt, sie können ihn in jedem beliebigen Moment ausschalten. Diese kalte, Nicht-Ekpathikern oft grausam erscheinende Gegenteil von Empathie ist vor allem im beruflichen Umfeld nützlich. Ekapthiker können rücksichtslos sein, ohne Reue zu empfinden. Sie können andere verletzen und dabei Freude empfinden. Wie sensible Empathiebegabte den Schnupfen eines Kätzchens in heißen Tränen beweinen können, sind sie in der Lage, die kleine Katze ohne Zögern vom Balkon eines Hochhauses zu werfen.
Der nützliche Mangel
Ekpathie ist ein Mangel, aber ein im Aufmerksamkeitsgeschäft sehr nützlicher. Ekpathie ist eine Gnade, die hilft, die Realität so zu verstehen, dass sie stets ins eigene Weltbild passt. Ein Terroranschlag auf eine Ostseepipeline ist eine gute Sache. Ein Terroranschlag auf ein Datenkabel in der Ostsee ein empörender Angriff auf die kritische Infrastruktur. Eine theaterreif inszeniertes Vertreibungstreffen in Potsdam raubt über Wochen den Schlaf. Ein Brandanschlag auf die kritische Infrastruktur, der Pflegeheimen für Tage den Strom abdreht, allenfalls ein bisschen ärgerlich. Nein, "da sind die jungen Leute ein wenig übers Ziel hinausgeschossen" schreibt niemand. Aber gemeint ist es.
Empathie entwickelt sich im Kleinkindstadium. Ekpathie im harten Alltag des politischen und medialen Überlebenskampfes. Sieht ein kleines Kind ein anderes Kind weinen, kann es sich zunächst noch nicht in dessen Situation hineinversetzen, dann aber doch. Hat es erst selbst geweint und ist getröstet worden, weiß es, dass es hilft, die Traurigkeit oder den Schmerz eines anderen zu teilen. Der Ekpath lernt das Gegenteil.
Regimenter an Relativierern
Hotzo, Sixtus, die Regimenter an Relativierern, Opferbeschuldigern und Keinwunder-Erklärern - sie alle finden ihre mentale Stabilität darin, die Grundrechte nicht zu verteidigen, sondern sie wie auf dem Gnadenhof zu verteilen. Wer zu uns gehört, dem steht Menschenwürde zu. Wer nicht, dem nicht einmal das Recht auf Leben.
In der Pandemiezeit zeigte sich erstmals, dass die Gesellschaft nicht mehr in der Lage ist, den einfachen Anstand gegen die durchzusetzen, die ekpathisch agieren, sobald sie mit ihrem Weltbild auf Unerklärliches stoßen. Später zeigten sich das Phänomen immer wieder und immer öfter, zwei oder drei Maßstäbe anzulegen und Moral als Waffe zu benutzen, wurde in Politik und Medien zur Alltagsübung.
Mancher glaubte, es gehe nicht schlimmer, verdorbener, verkommener. Aber es war doch nur eine Zwischenstufe auf dem Weg zu moralischen Bankrott.
3 Kommentare:
Anscheinend können diese Leute ihr Mitgefühl als Resultat eines bewußten Prozesses ein- und ausschalten. Christian Klar hat dafür bereits 2001 den zeitlos schönen Satz gefunden: "Ich überlasse der anderen Seite ihre Gefühle und respektiere ihre Gefühle, aber ich mache es (das Leid der Opfer) mir nicht zu eigen"
Einen Gedanken von Hadmut dem Weisen aufgreifend: Wir legen fest, wer der nächste Hitler sein wird. Ihr wisst, was ihr zu tun habt.
Der, und der, und der, und der...
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Zwischenüberschrift im Interview mit einer 'Clüver Ashbrook':
Gewalt auf den Straßen zu befürchten
Meinen die wie die monatelange Aufruhr nach der tödlichen Überdosis des St. Georg Floyd oder wie die Alltagsgewalt von US-Negern?
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