Montag, 1. September 2025

Weltfriedenstag: Wie der Pazifismus zur Bedrohung wurde

Die Friedenstaube galt im kalten Krieg aus Ausweis einer verantwortlichen Haltung. Heute ist sie Merkmal von Menschen, die unsere Demokratie verraten wollen. Abb: Kümram: EU-Blau auf Rasengrün

Nicht einmal ein Hauch von Pazifismus ist übrig. Am 1. September 2025, seit 1918 der traditionelle Weltfriedenstag der Deutschen, ist die Losung "Nie wieder Krieg" verstummt. Die normative Kraft des Faktischen hat den Pazifismus zu einer Bedrohung gemacht, die sich auch nicht mehr mit Parolen schminken lässt. Mehr als hundert Jahre nach Bertha von Suttners Idee, mit einem Antikriegstag neue Schlachten zu verhindern, sind die deutschen Gedenklandschaften erfüllt von Friedenssehnsucht und zugleich von Angst der Menschen, als friedenssüchtige Kapitulanten abgestempelt zu werden.

Mahnung gegen die Gräuel 

Einst ein kraftvoller Mahnruf gegen eine Wiederholung der Gräuel des Zweiten Weltkrieges, ist der Tag heute nur noch eine Fußnote in der Geschichte. Wo alle kriegstüchtig werden wollen, ist kein Platz mehr für Relikte aus einer Vergangenheit, in der geopolitische Spannungen ausschließlich mit dem Ruf beantwortet wurden, es sei gerade jetzt Zeit zur Entspannung. Die Strategien, die in Zeiten galten, als die Weltmächte in Südamerika, Asien und Afrika Stellvertreterkriege ausfechten ließen, die dann und wann auch ihr eigenes Eingreifen erforderten, sind nicht kompatibel mit der Gegenwart. 

Heute gelten Wladimir Putin und Donald Trump als definitiv schlimmere Ungeheuer als Stalin, Mao, Lenin oder Ho Chi Minh, mit einiger Wahrscheinlichkeit, sagen berufe Instanzen, stehen auf einer Stufe mit Hitler. Die Konsequenzen dieser Lageeinschätzung sind ernst und allumfassend: Als der Kalte Krieg die Welt in Ost und West teilte und hier und da an heißen Fronten gekämpft wurde, wurden die Gesprächsfäden nie endgültig zerrissen. Washington sprach mit Moskau, Bonn mit Ostberlin und der Weltfriedenstag war ein Symbol für die Sehnsucht nach einer Welt ohne Konflikte, in der Verhandlungen die Wünsche der einen Seite so lange geduldig mit denen der anderen abgleichen, bis beide bekommen haben, was sie wollen. 

Ein Konflikt um den Friedenstag 

Schon im Ansatz ein Konzept, das auf Schwierigkeiten traf. Denn der Weltfriedenstag selbst war Auslöser eines Weltfriedenstag-Konfliktes: In der DDR wurde der Frieden am 1. September staatlich gefeiert. In der damals noch häufig als "BRD" bezeichneten Bundesrepublik feierte die - in den 80er Jahren freigiebig aus Ostberlin finanzierte - Friedensbewegung mit. Staatsnähere Organisationen wie der DGB aber begingen das Datum als "Antikriegstag", denn zusammen mit dem Feind wollte niemand gesehen werden. Schon gar nicht die Bundesregierung, die am Mitfeiern gehindert war, weil sie die  NATO-Nachrüstung betrieb, gegen die die Friedensbewegten protestierten.

Auch nicht einfach, für die Medien seinerzeit aber leicht nacherzählt. Auf der einen Seite standen die Menschen, bedrückt, besorgt und engagiert mit ihren Friedenstauben. Auf der anderen die Weltmächte, atombesoffen, berauscht von einer globalen Aufrüstungswelle, der sich der gesunde Menschenverstand beim Ostermarsch oder eben am Weltfriedenstag entgegenstellte. Von "Taz" bis "Tagesschau" gab es an der Rollenverteilung keine Zweifel. Gut war, wer für seine Hoffnung auf eine friedlichere Welt auf die Straße ging. Ein Teufel in Menschengestalt hingegen, wer Waffenlieferungen, Raketenstationierungen, Sanktionen und militärische Manöver für das richtige Mittel hielt, den Weltfrieden zu bewahren.

Kein Aufstand des Gewissens 

Verrückte Zeiten. 40 Jahre nach dem Höhepunkt des Aufstands des Gewissens gegen den Nato-Doppelbeschluss ist der Weltfriedenstag,  in Erinnerung an den 1. September 1939, als das nationalsozialistische Deutschland Polen überfiel, ist die Parole "Nie wieder Krieg" aus der Mode geraten. Nicht mehr Pazifismus und Antimilitarismus, nicht mehr Wehrdienstverweigerung und Proteste gegen die Hochrüstung gelten als probate Mittel zur Friedenserhaltung. Sondern der Ausbau der Rüstungsindustrie, die Verwandlung der Bundeswehr in eine kriegstüchtige Truppe und die Stärkung des Wehrwillens der jungen Generation.

Reden ist Silber, Schießen ist Gold. Längst ist es unvorstellbar geworden, dass diplomatische Kanäle die Frontlinien überbrücken. Jeder Versuch, vorzufühlen und an der Konfrontation vorbei Wege aus dem Jammertal des Todes zu suchen, finden sich als Verrat gebrandmarkt. Wer mit Putin spricht, ist sein Freund. Wem danach verlangt, wie vor 50, 60 oder 70 Jahren erst recht zu reden, wo die Positionen unvereinbar sind, dem wird schnell bescheinigt, dass es sich zum Idioten machen lasse.

Eingraben in der Stellung 

Die harte Kante, das tiefe Eingraben in der eigenen Stellung, sie sind alles, was derzeit als friedensschaffende Maßnahme Anerkennung findet. Russlands Angriffskrieg, begleitet von nuklearen Drohungen, hat die westlichen Staaten zu massiven Waffenlieferungen und Sanktionen veranlasst. Die Ukraine wird als Bollwerk der euro-atlantischen Welt gefeiert, ein trotziges Völkchen, dessen Deserteure man aufnimmt, während man denen, die es verpasst haben, abzuhauen, zu ihrem Mut gratuliert. 

Die Medien haben die Seiten gewechselt: In den 80er Jahren galt alle Sympathie den Friedensbewegten, die am Weltfriedenstag gegen eine globale Ordnung aufstanden, die von militär-strategischen Überlegungen geprägt war. Heute ist die vierte Gewalt zuverlässig dort zu finden, wo sich erste, zweite und dritte versammelt haben: Die ersehnte friedliche Weltordnung brauche Schutz und Trutz, die frommen Wünsche der Friedfertigen ließen Gewalt und Konflikte nun mal nicht aus der Welt verschwinden, der russische Angriff auf die Ukraine zeige, dass Europa aufrüsten, abschrecken und auf eine militärische Auseinandersetzung vorbereitet sein müsse.

Wiederbewaffnung statt Diplomatie 

Die Wiederbewaffnung einer Bundeswehr, die über Jahrzehnte als eine Trachtentruppe gehalten wurde, hat nicht nur Vorrang vor Diplomatie, sie ersetzt jedes Bemühen, trotz aller Konflikte im Gespräch zu bleiben. Mit Sätzen wie Putin wolle doch nicht und Putin habe doch gar kein Interesse wird die Frage abmoderiert, warum im Unterschied zum kalten Krieg heute gar nicht mehr miteinander geredet wird, während man hier und da aufeinander schießt. Wenn doch mal jemand einen Versuch unternimmt, wird er umgehend zum Paria erklärt.

Strafe einen, erziehe hundert. Medial und politisch findet der Weltfriedenstag kaum mehr statt, weil er der Erziehung zur Kriegstüchtigkeit entgegensteht. In deutschen Medien dominieren Berichte über Waffenlieferungen, Sanktionen und geopolitische Strategien, während Friedensinitiativen wie Chinas 12-Punkte-Plan für die Ukraine marginalisiert und Donald Trumps Versuche, zu irgendeinem Ende zu kommen, verhöhnt werden. Tagesschau und ZDF sprechen dann von einem "sogenannten Friedensplan", der im Westen auf Skepsis stoße. Trump wird immer wieder eine Parteinahme für Russland unterstellt und ein Verrat an der Ukraine. 

180-Grad-Wende 

Diese Art Berichterstattung ist das komplette Gegenteil der wohlwollenden Begleitung der Dialogpolitik der 70er Jahre und der Friedensproteste der 80er Jahre. Die Abkehr vom Glauben, eine Friedenskultur, wie sie der Weltfriedenstag einst herbeiprotestieren wollte, könne den Frieden retten, ist nirgendwo deutlicher zu sehen als in der neuen Schkagseite der Schlagzeilen: Nicht Ab-, sondern Aufrüstung wird als notwendige Antwort auf globale Bedrohungen dargestellt, während der Pazifismus als naive reaktion der Furchtsamen abgetan wird. Die politische Landschaft zeigt ein ähnliches Bild. Parteien quer durch das Spektrum unterstützen die militärische Aufrüstung. Nur am Rand existieren Kleinstparteien, die stoisch Abrüstung und Entspannung verlangen. Dafür aber als "umstritten" eingeordnet werden.

Der Konsens, dass Frieden durch nur durch militärische Stärke, Aufrüstung, Druck, Sanktionen und beharrliches Schweigen erreicht werden kann, hat sich nach dem Februar 2022 recht kurzfristig eingestellt, bisher aber dreieinhalb Jahre fortwährenden Scheitern der zugrundeliegenden Strategie schadlos überstanden. Der Friede muss bewaffnet sein, allein Abschreckung mit einer überlegenen militärischen Kraft hat ihren Preis: Nur eine Weltordnung, in der militärische Macht und zumindest die Androhung von Gewalt die Regeln bestimmen, ist eine, die Stabilität verspricht.

Deutschlands Wandel 

Deutschland, einst dermaßen Vorreiter des Pazifismus, dass die Entsendung von 15 Bundeswehr-Sanitätern "out of area" ins ferne Kambodscha eine wochenlange Diskussion bis in den Bundestag auslöste, diskutiert inzwischen sogar die Teheraner LösungBraucht das Land von Otto Hahn und Fritz Straßmann endlich eine eigene Atombombe? Wer sich der neuen, bellizistischen Logik nicht anschließen mag, dem wird vorgeworfen, er ignoriere die Realität einer Welt, in der das Böse nun mal keine Rücksicht nehme auf pazifistische Träume. Entspannung, Diplomatie, Abrüstung, alles gut und schön, aber nicht hilfreich.

Der unauffällig verpuffende Weltfriedenstag ist so auch im Jahr 2025 wieder ein Mahnmal für eine verblasste Idee, deren Zeit abgelaufen ist. In einer Welt, die von Kriegen, Aufrüstung und geopolitischen Rivalitäten geprägt ist, hat er seine Anziehungskraft selbst bei der jüngeren Generation  verloren, deren idealistischer Geist ihn in einer lange vergangenen Ära der Illusionen zu einer friedfertigen Kraft gemacht hatte. 

Die Medien haben sich von der Idee verabschiedet, nie wieder Kireg sei durch demonstrative Wehrlosigkeit  am besten zu erreichen. Die politischen Parteien haben erkannt, dass das Versprechen der Wiederherstellung militärischer Stärke nicht weniger anziehend auf Wählerinnen und Wähler wirkt als die Zusage, auf Diplomatie und Vermittlung zu setzen.

Ewiggestrig ist heute nicht der Mann in den Knobelbechern, der zum Vergnügen auf den Schießplatz pilgert, sondern der, der keine Stiefel und keine Uniform tragen will. Die Zeitenwende, die Olaf Scholz ausrief, als Wladimir Putin seine Truppen in die Ukraine hatte einmarschieren lassen, sie hat eine Weile gbraucht, ist aber jetzt manifeste Realität, zu sehen unter dem Brennglas der verschwundenen Beachtung des Weltfriedenstages.


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