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Im neuen Deuschlandtempo hat die Deutsche Post reagiert: Ab kommenden Mittwoch soll es eine Briefmarke mit dem Motiv "Wir sind eins. Wir sind Einheit." geben. |
Ein Neustart, ein neuer Aufbruch zur letzten Etappe und ein neuer Versuch, noch einmal "eine neue Einheit" anzugehen - zum 35. Jahrestag der Wiedervereinigung ließ Bundeskanzler Friedirch Merz kaum einen Zweifel daran, wie ernst die Lage ist und wie ernst er selbst es meint mit dem neuen Deutschland, das stehen soll, wenn er dereinst die Geschäfte übergibt. "Erinnern wir uns an die Zuversicht, mit der unsere ostdeutschen Landsleute vor 35 Jahren ihren Aufbruch wagten", zog der Mann aus dem Münsterland eine klare Trennlinie zwischen denen da drüben und uns hier in dem Teil des Vaterlandes, der immer noch ist, was er immer war. Fest verankert in der demokratischen Erde. Ein Hort, aus dem die Demokratie weit übers Land schauen kann, so dass sie genau sieht, wer schon wieder etwas was falsch macht.
Der positive Geist von Saarbrücken
In diesem "positiven Geist" waren sie alle zusammengekommen, die Bundespräsidenten, Bundeskanzler und Bundesrichter, umeinander geschart in Saarbrücken, eine der Städte im Westen, in deren Kulissen bis heute problemlos historische Schinken gedreht werden können, die in der DDR der 70er und 80er Jahren spielen. Sahra Wagenknecht lebt hier gemeinsam mit ihrem westdeutschen Partner Oskar Lafontaine, etwas abseits des Trubels, lesend und sinnend in der Villa zur sozialen Gerechtigkeit. Das Saarland hat von allen deutschen Regionen auch die größten Wiederreinigungserfahrungen, weil es schon zweimal glücklich zurückkehrte in den nationalen Schoß, der furchtbar noch ist.
Dass der 35. Jahrestag der neuen Republik, zugleich Geburtsstunde einer neuen Gemeinschaft, ausgerechnet hier stattfindet, tief im Westen und nur 350 Kilometer vor Paris, dafür aber von Berlin fast 600 entfernt, ist Zufall, aber ein sprechender. "Vieles muss sich ändern, wenn vieles so gut bleiben oder gar besser werden soll, wie es in unserem Land bisher ist", hat Friedrich Merz in seiner flehentlichen Ruckrede gesagt, die darauf abzielte "Kraft freizusetzen" und mit "Pessimismus und Weinerlichkeit" nicht noch mehr Energie zu vergeuden. Das Saarland war halt dran, so hieß es, und auch eine neue Republik könne nicht auf altbewährte Rituale verzichten.
Ein neuer Sound
Es kann sie nur neu deuten, vorsichtig den Takt ändern und den leeren Floskeln, die Jahr für Jahr verbreitet werden, einen neuen Sound geben. Angela Merkel, die sich in den endlosen Jahren ihrer bleiernen Kanzlerschaft zu einer Expertin in dieser Disziplin entwickelte, war die erste, die Zeichen zu deuten wusste.
Der französische Präsident Emmanuel Macron weilte dem Festakt in der Congresshalle Saarbrücken als special guest bei, dafür aber weder ein Spitzenpolitiker aus den Anschlussgebieten noch ein Staatsgast aus dem früheren Ostblock. Merkel, geübt darin, in Vogelflug und Knochenwurf zu lesen, bemängelte das vorab. "Vielleicht", sagte sie, "hätte man auch jemanden aus Osteuropa oder aus Ostdeutschland als Gastredner nehmen können, anlässlich von 35 Jahren Deutscher Einheit."
Aber nein. Nicht nur mit dem Programm, sondern auch mit dem Personal sendete die neue Koalition in Berlin ein klares Signal in das neue Deutschland, das sie sich vorstellt. Keine Trennung mehr zwischen Ost und West, Oben und Unten, Politik und gewöhnlichen Fernsehpromis. Kein ängstlicher Anstand mehr zwischen Verfassungsorganen, die einander kontrollieren. Und keine Scheu davor, die Vielfalt der Gesellschaft in ihrer ganzen Breite abzubilden, inklusive von sechs Versuchen, die berühmte Merkel-Raute nachzustellen.
Die Heldinnen und Helden von 1990
Zum Gruppenfoto vor der Saarbrücker Basilika traten demonstrativ nahezu alle wichtigen Repräsentanten des neuen, sich ganz auf westdeutsche Traditionen, Werte und westdeutsches Personal verlassenden Einheitsdeutschlands zusammen. Mit dem Hamburger Fernsehansager Jörg Pilawa und der Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, der Bundespräsidentin und dem Bundespräsidenten, dem Bundeskanzler und seiner Frau, der saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger und dem früheren CDU-Bundestagsabgeordneten und heutigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, standen gleich neun der Heldinnen und Helden der Jahre 1989 und 1990 Schulter an Schulter. Eine menschliche Brandmauer, aufgestanden, um zu zeigen, was Friedrich Merz gemeint hatte, als er in seiner großen Ansprache gesagt hatte: "Wir, das sind alle Deutschen".
Die neun Personen auf dem Foto, fünf Frauen, vier Männer, sind die Personifizierung des modernen Parteienstaates. Keiner von ihnen stünde hier vor der Kamera, gäbe es nicht die beiden großen Volksparteien, die heute noch knappe 40 Prozent der Wähler repräsentieren. Zwei der Frauen haben eingeheiratet ins Motiv, drei andere haben es selbst die Parteileiter hinauf geschafft. Es sind drei der Männer, für die höchsten Verfassungsorgane dort stehen - stellvertretend für die eine Generation von Politikern aus zwei Volksparteien, die das Land schon immer regieren. Sie haben mit gewirkt am großen Sanierungsstau, an der ausgebliebenen Modernisierung, am Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und am Versagen dabei, alte, sterbende Industrien durch neue innovative Ideen zu ersetzen.
Angedeutete Merkel-Raute
Selbstbewusst schauen Sie in die Kamera, der eine hat die Hände zu einer angedeuteten Merkel-Raute gefaltet, der andere scheint im Begriff, die berühmte Geste auch gleich nachzustellen. Diese Männer haben sich nichts vorzuwerfen, denn sie haben 20, 30 40 Jahren Parteilaufbahn erkannt, dass es so nicht weitergehen. Am Rand steht Jörg Pilawa, der im Grunde genommen die 99,999 Prozent der Restbevölkerung der Republik verkörpert. Der Moderator ist in Liebe zur Bundestagspräsidentin entflammt. Als ihr Partner durfte er mit vor die Kamera, denn schließlich haben Bundespräsident und Kanzler ihrer Frauen auch mitgebracht.
Wie im Fluge sind die Jahre vergangen, in denen Kanzler und Bundespräsidenten sich zwanghaft mühten, wenigstens so zu tun, als schauten sie nicht mit dem Blick faszinierter und zugleich ein wenig angeekelter Ethnologen auf das, was sich da an der Ostflanke ans Vaterland gepfropft hatte. Als Friedrich Merz jetzt an den Zusammenhalt in der Bevölkerung appellierte, meinte er damit nicht, dass sich irgendjemand ein Beispiel an denen nehmen sollte, die Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger für ihren Mut gelobt hatte, "gegen die in der DDR herrschenden Zustände auf die Straße zu gehen" und mit ihrer "Entschlossenheit Zukunft geschaffen" zu haben.
Vorsprung durch Zukunft
Nein, Merz Idee ist die "Zukunft durch Wandel", ein Mobilisierungsbegriff, den die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin erst Mitte September mit Hilfe der leicht umgravierten Musterplatte des legendären Audi-Claims "Vorsprung durch Technik" geprägt hatte. Diese Zukunft ist eine, in der eine "gemeinsame Kraftanstrengung" eine "neue Einheit" schafft, die "wechselseitige Missverständnisse und Vorurteile" ausräumt und "gegenseitige Abwertungen" unterlassen.
Es gibt doch keinen Grund. Im MDR, wo Friedrich Merz am Nationalfeiertag im Zuge des Wahlkampfstarts in Sachsen-Anhalt Hof hielt, berichtete der Kanzler von den vielen, vielen Investitionsangeboten, die sich im Kanzleramt stapeln. Viele viele sind es von Firmen aus dem Inland. Noch viele viel mehr aber von ausländischen Investoren.
Grund zum Optimismus
Die Menschen draußen im Lande könnten beruhigt sein und gelassen in die Zukunft schauen, sagt Friedrich Merz. "Wir werden das jetzt ordnen", kündigte er an. Und irgendwann eines Tages bald in ferner Zukunft wird bekannt gegeben wem der Staat die schlimmen Standortbedingungen mit wie vielen milliarden schmackhaft machen konnte, dass er nicht lieber nach Polen, Tschechien oder Ungarn geht.
Die Zukunft verschafft Deutschland einen Vorsprung. Diese Dimension, so Merz, müsse von allen verstanden werden. Zeit für Wandel. Zeit für Zukunft. Zeit für Veränderung. Zeit, dass sich was dreht. Zeit ist Geld. Wandel durch Handel. Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage. "Lassen wir uns nicht von Ängsten lähmen, wagen wir einen neuen Aufbruch", hat Merz im Herzen Europas gerufen und gemeint, dass Deutschland "ein demokratisches, rechtsstaatliches, wirtschaftlich starkes und soziales und auch ein europäisches Land bleiben" wolle, derzeit aber nicht so recht wisse, wie es das anstellen solle.
Am reinen Tisch
Noch, hat der Kanzler sich nicht gescheut, reinen Tisch zu machen und eine bittere Wahrheit offen auszusprechen, seien Ostdeutsche in Spitzenpositionen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft unterrepräsentiert wie auf dem Gruppenfoto von der Einheitssause. Kein Bürgerrechtler, kein Behördenchef, nicht einmal Kathrin Göring-Eckhardt, Gregor Gysi oder Joachim Gauck als Maskottchen. Das sieht traurig aus, ist aber notwendiger Teil des Wertewandels rund um die Einheitsinterpretation.
Saarbrücken symbolisiert einen notwendigen Schlussstrich. Der Westen ist sich einig. Und das ist gut so, denn es zeigt, dass nicht mehr danach geht, wo einer herkommt, welche Wurzeln er hat und auf dem Ticket welcher marginalisierten Gruppe er die Karriereleiter hinaufschleimt. Nur 35 Jahre nach der Wiedervereinigung ist damit eigentlich eine Grundlage für die Zukunft durch Wandel geschaffen.
Abgesehen von Brandmauer und Drohnenwall hat niemand die Absicht eine Mauer zu bauen. Die, die damals 20 waren, gehen auf die Rente zu. Ihre Kinder aber sind schon Söhne und Töchter des einigen Vaterlandes, denen die niedere Herkunft oft nicht einmal mehr anzusehen ist. Wenn in 40 oder 50 Jahren der letzte Mensch gestorben ist, dem das SED-Regime mit 14 Jahren einen DDR-Personalausweis aufgenötigt hatte, erfährt das Problem der Unterrepräsentation ganz von selbst eine biologische Lösung.
200 Jahre nach dem Rheinbund
Bis dahin gilt es, der Wiedervereinigung Deutschland und Frankreich zu gedenken, die erst durch den Kollaps der SED-Diktatur möglich wurde. 200 Jahre nach dem Rheinbund, jener Zeit der französischen Verwaltung, die so segensreich für die Bildung einer nationalen Identität der Deutschen war, nutzten die beiden Zentralmächte der EU die historische Chance, zusammenzuwachsen und sich sogar eine gemeinsame Währung, gemeinsame Schulden und gemeinsame Gesetze zu geben. Mit Fug und Recht verwies Friedrich Merz darauf, dass in den 35 Jahren seitdem "viel erreicht", aber die Einheit trotzdem noch nicht vollendet sei.
Aufrecht gilt es, der Zukunft, die erst durch Wandel entsteht, so entgegenzutreten, wie es ein altes Volkslied empfiehlt: "Vergessen die Sorgen und Leiden, es wird selbst die Arbeit uns leicht; denn alle wir sehen mit Freuden: das bessere Leben sich zeigt." Merz, mehr Man des Anpackens als der Poesie, hat es "Die Verantwortung für unsere Freiheit" genannt, die "bei uns allen" liege. Der Dichter damals, ein Russe namens Boris Kornilow, fasste es gefühlvoller in die Zeilen "Von Ort zu Ort entbieten wir die Bruderhand / dem neuen Tag entgegen geht jetzt unser Land".
6 Kommentare:
In Tschechien muss wohl eine Wahl wiederholt werden, wie in Rumänien. Ein böser Putinfreund hat gewonnen. Er ist auch ein Klimaleugner, das geht ja gar nicht.
Poutine will demnächst die Rosenstolz-Datei ins Netz stellen . Mehr Kell kriegt schon anschwellende Wärmewallungen . Schon bald känzelt der Kreml das ganze Blödfzntum dieser räppouplik
Durch Begattung seiner Julia scheint Romeo Pilawa inzwischen auch zur BRD-Politelite zu gehören. Den Mehrheitspöbel wird's freuen wie die Gladitorenspiele, in denen höchstbezahlte Toren Tore schießen, um Toren davon abzulenken, dass sie wie Frösche im nur langsam erhitzten Wasser gar nicht bemerken, wie sie gekocht werden, um von den Reichen in Teilen als luxuriöse Delikatesse verspeist zu werden. Kannibalismus auf Köterrasseart.
Besser wäre, er würde den Herrn Ole Claus bloßstellen - aber eher fließt das Wasser bergauf.
Einheits-Dinner mit Star- und DreiSterneKoch Christian Bau:
grüner Apfel mit Räucheraal und Gänseleber,
eine Tartelette von heimischen Pilzen mit Soja,
Bonito mit Koshihikari-Reis und Nori-Algen,
einen saarländischen Bio-Ochsen mit Räucherfischcreme,
Saibling aus dem nahen Losheim mit Katsuobushi und Myoga, das sind Bonito-Flocken und japanischer Ingwer; und schließlich eine Croustade von Ama Ebi mit Uni und Kombu, also eine rohe Kaltwassergarnele mit Seeigel und Seetang
eine ausgebackene Taschenkrebs-Krokette, Avocado,
Ossietra-Kaviar, hawaiianischen Palmherzen
und asiatischen Zitrusfrüchte
Die Stimmung im Speisesaal ist blenden,
und nach der Vorspeise wird sie noch
besser: einer Bernsteinmakrele als Sashimi und Tatar mit Austern-
Mayonnaise, Holunderblütenessig, einer Rettich-Rosette und einem halben
Dutzend hocharomatischen Strandpflanzen.
https://www.sol.de/saarland/tag-der-deutschen-einheit/drei-sterne-gipfel-christian-bau-bekocht-gesamte-deutsche-staatsspitze-re-2,645694.html
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