Dienstag, 11. November 2025

Merz wird 70: Danke, Merkel!

Friedrich merz 70. Geburtstag
Seit seiner Wahl zum Bundeskanzler hat Friedrich Merz vieles richtig gemacht. Heute wird der CDU-Vorsitzende 70 Jahre alt und zur Feier des Tages steht kein Krisengipfel an.

Wenn das ein Grund zum Feiern ist! Friedrich Merz wird 70, aber er hat sich zu seinem Ehrentag ein wenig frei genommen. Nach dem offiziellen Kalender des Bundeskanzlers weilt der CDU-Vorsitzende noch in Brasilien, vermutlich, denn der letzte Eintrag im Dienstkalender lautet "Am Freitag nimmt der Bundeskanzler am World Climate Leaders‘ Summit in Belém in Brasilien teil und hält dort eine Rede." Erst morgen steht wieder Arbeit an - nach der Entgegennahme des Sachverständigengutachtens zum aktuellen Stand der Deindustrialisierung tauscht sich der Kanzler am Nachmittag mit den Sprecherinnen des Deutschen Behindertenrats über die Politik für Menschen mit Behinderungen aus.

Vollgepackte Tage 

Soll vollgepackt die Tage, so wenig Zeit hat der Chef der schwarz-roten Koalition, Glückwünsche entgegenzunehmen. Zum Glück, denn wo Kunst- und Kulturschaffende, Engagierte und einfache Menschen aus dem gemeinen Volk seiner Vorgängerin Angela Merkel noch mit Kränzen und Blumen die Aufwartung machten und große, kritische Medienhäuser ein feierliches Geburtstagsliedersingen für die Kanzlerin organisierten, fehlt es Merz bisher an genau dieser hingebungsvollen Zuneigung und Liebe seiner Bürgerinnen und Bürger.

Der Mann, der tut, was er kann, wird keineswegs so geschätzt, wie er es aus eigener Sicht zweifellos verdient hätte. Statt seinen Mut zu rühmen, an der Brandmauer zusätzliche Wachen aufzustellen, wird Merz als neuer Hitler mit Hakenkreuzaugen karikiert. Unterhalb der Strafbarkeitsschwelle, aber zumindest moralisch ein ernster Verstoß gegen den Majestätsbeleidigungsparagrafen, den dünnhäutigere Politiker wie der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck wahrscheinlich umgehend zum eigenen Nutzen und zum Schutz der Demokratie instrumentalisiert hätten.

Auf der größeren Bühne 

So einer aber ist der Neue im Bundeskanzleramt nicht. Merz spielt wie Merkel auf einer größeren Bühne. Seine Welt ist die Weltgeschichte. Er steht über den Dingen und er widersteht dem Drang, im Kleinklein eines politischen Alltags zu scheitern, in dem jedes akut erscheinende Problem sofort zur "Chefsache" erklärt wird. Olaf Scholz, Umfragen zufolge vielleicht schon der letzte Bundeskanzler der SPD für viele, viele Jahrzehnte, wenn nicht für alle Zeiten, hatte sich das zur Methode gemacht. Keine Krise, die er nicht selbst verwaltete. Kein Problem, dessen Lösung er nicht in seiner TikTok-Aktentasche mit sich herumtrug.

Vom Hamburger Heidi-Kabel-Platz, überlieferten Urkunden zufolge Scholzens allererste Chefsache, bis zu Bundeswehr und Tesla häufte Scholz seine Chefsachen zu Bergen an. Kurz vor seinem Scheitern hatte er es auf 13 aktenkundige Vorgänge gebracht. Ein echter Kümmerer, den das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" prompt fragte: "Wann führt der Kanzler endlich?" 

Das führt einer 

Bei Merz stellt sich diese Frage nicht. Der Münsterländer, den Angela Merkel so lange als Reserve für wirklich schlimme Zeiten zurückgehalten hatte, ist kein Zögerer, Zauderer oder Zupacker. In seinem Wahlkampf noch war der lange als konservativer Knochen gelesene Christdemokrat davon ausgegangen, dass seiner anvisierten Koalition mit einer geschwächten, enttäuschten und ideologisch ausgebrannten SPD  eine innere Mechanik zugrunde liegen werde, die die Entscheidungsfindung einfacher macht. Alle Probleme, die Deutschland seit Jahren quälen und einen so drastischen wirtschaftlichen Abstieg verursacht haben, dass es die Gesellschaft innerlich zerreißt, seien seit Jahren diagnostiziert, rief Merz seinen Anhängern zu. 

Zu viel soziale Hängematte. Zu viel Staat. Zu wenig private Investitionen. Zu wenig Zukunftstechnologie. Zu wenig Dynamik. Zu wenig Wagemut. Dafür Bürokratie ohne Ende, hohe Steuern, hohe Abgaben und ein Staat, der zwar teurer ist als jeder andere weltweit. Der aber einfach nicht mehr funktioniert. Da führt einer, wisperten sie sich in Wahlveranstaltungen leise zu. Vor manch innerem Auge tauchten Bilder von Kettensägen auf. Die Frage, wie das angesichts der Mehrheitsverhältnisse zu bewirken sein würde, stellte sich nicht. Merz hatte einen Plan.

Eine treue SPD 

Der Wahlkämpfer Merz, obschon auch vor einem Jahr kein junger Mann mehr, ging zumindest in seinen öffentlichen Erklärungen davon aus, dass die Einsicht in die unausweichliche Notwendigkeit grundlegender Veränderungen ihm die deutsche Sozialdemokratie zu einem Verbündeten machen würde. Immer, wenn es darauf ankam in der deutschen Geschichte, war die Sozialdemokratie schließlich bereit gewesen, nationale Interessen über ideologische Festlegungen zu stellen. Das würde, in Anbetracht der verzweifelten Lage hegte Friedrich Merz daran keinen Zweifel, auch diesmal wieder so sein.

Um die letzte Kugel der Demokraten, mit der die AfD noch tödlich getroffen werden könne, nicht zu verschwenden, müsse alles renoviert, saniert und modernisiert werden. Weg mit dem lähmenden Wust an Vorschriften.  Klare Ansagen an Brüssel, dass Deutschland, wie schon 2016 von Angela Merkel angekündigt, keine EU-Richtlinie mehr zu 200 Prozent übererfüllen wird.

Der Tiger brüllt 

Der Tiger brüllte, sprang und er landete im Suppentopf der Selbstzufriedenheit, in dem schon Merkel ihr Süppchen gekocht hatte - immer alles vom Ende her bedenkend und immer überrascht darüber, welche Konsequenzen die einsamen eigenen Entscheidungen hatte. Friedrich Merz ist neu im Amt, aber keiner, der an den alten Ritualen rüttelt. Der langen deutschen Tradition der medial beliebten Themengipfel, begründet bereits im Jahr 1934, hat er den "Stahlgipfel" und den "Chemiegipfel" hinzugefügt. Richtung Europa schrieb er einen Bittbrief. Ob man nicht, wenns nichts ausmache, eines Tages darüber nachdenken könne, die "Fesseln der Bürokratie" (Merz) vielleicht ein wenig zu lockern?

Seine grundstürzenden Veränderungen, allesamt bitter nötig, um wirtschaftliche Dynamik zu entfalten und die bleiernen Zeiten unter Merkel und Scholz zu beenden, setzt der Bundeskanzler wie ein Hütchenspieler durch. Gemeinsam mit Lars Klingbeil verschiebt er Milliarden von hier nach dort, aus einer Tasche in die andere, Netzentgelt weg und Gaszulage aus dem Haushalt, dafür Zusatzbeitrag bei den Krankenkassen hoch und Klimageld weg. Kein Sonderstrompreis für Arme, aber ein neuer Name für das Bürgergeld. 

Bestechende Merz-Logik 

Die Merz-Logik ist bestechend. Wenn deutscher Stahl durch die hohen Steuern und Abgaben und die astronomischen Energiepreise nun mal zu teuer ist, warum sollen dann nicht deutsche Unternehmen vom Steuerzahler die Mehrkosten erstattet bekommen, die sie tragen müssen, wenn sie mit deutschem Stahl bauen? Das bessert vielleicht nicht die Gesamtsituation, aber die Stimmung steigt. Und weil alles sowieso aus derselben Schatulle bezahlt wird, kostet es keinen Cent.

Keiner wird es viel schlechter gehen, vielen aber auch nicht besser, und das wäre schon ein Erfolg. Es ist ein Rundrum-Sorglos-Paket für alle, das Merz verspricht. Dass ihm von seinen Gegnern vorgeworfen wird, seine Eingriffe gingen "sogar über die Planwirtschaft von Robert Habeck hinaus" (Die Welt), ficht den früheren Blackrock-Manager nicht an. Für den Steuerzahler mögen die Belastungen im Augenblick schwer zu tragen sein. Aber für das Bild, das Deutschland global abgibt, ist es unumgänglich, am "klaren Kompass" (Merz) festzuhalten und keine Diskussion über die Klimaziele zuzulassen, deren Erreichen einen weiteren Rückbau der industriellen Basis zur Bedingung hat.

Weichen auf Minuswachstum 

Die Weichen sind auf Minuswachstum gestellt. Im September erst hatte Merzens Wirtschaftsministerin Katherina Reiche bekanntgegeben, dass der Stromverbrauch in Deutschland künftig weniger stark steigen wird noch als in der letzten Prognoserechnung angenommen. Die war noch vor dem Start der Welle an energiehungriger Künstlicher Intelligenz entstanden und hatte den deutschen Strombedarf auf  750 Terawattstunden im Jahr geschätzt. Nach dem von der EU geplanten "Aufholen des Innovationsrückstands gegenüber den USA und China bei KI" (von der Leyen) wird er bei nur noch  600 Terawattstunden erwartet.

Gut für die Welt, gut für die Umwelt. Im beim World Climate Leaders‘ Summit im brasilianischen  Belém hat Friedrich Merz mit seiner bemerkenswerten "Ich bin ein Indianer"-Rede klargestellt, dass er trotz Hader und Streit in seiner Koalition, trotz Syrien-Dissens mit seinem Außenminister und trotz der auch nach der Stadtbild-Debatte weiter desaströsen Umfragergebnisse "Klimaschutz, wirtschaftliche Stärke und internationale Zusammenarbeit" Hand in Hand gehen müssen. Deutschland und Europa haben, so verriet Merz den anderen Weltklimaanführern, dazu einen Weg gefunden: Sie setzen ganz einfach "auf Innovation und Partnerschaften, um Wohlstand und Klimaschutz zu vereinen".

Überzeugen durch Erfolg 

Noch spürt auch Friedrich Merz die Zweifel, von denen viele Bürgerinnen und Bürger nicht lassen können. Doch der Bundeskanzler, vielleicht schon der letzte der CDU für viele Jahre, lässt den Mut nicht sinken. "Wir werden dann Erfolg haben, und wir werden vor allen Dingen im Klimaschutz vorankommen, wenn wir ihn mit ökonomischem Erfolg verbinden können", hat er aus dem brasilianischen Regenwald wissen lassen. Ist das erst gelungen, "dann werden auch Unternehmer mehr investieren, und dann werden Bürgerinnen und Bürger auch überzeugter sein, den Weg mitzugehen."


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Kalenderspruch zum Jubiläum des Jubilars:
Merz ist so konservativ wie alle Forderungen, die er zurückgenommen hat.

Anonym hat gesagt…

OT c/o acta vom 10.
Lüfte meine Hut vor Zeller. Er kennt das Geschwätz und die Schwätzer.