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| Die Enttäuschung über die Friedensbemühungen der Amerikaner sitzen bei Norbert Röttgen so tief, dass er der US-Regierung Käuflichkeit und Verrat an den gemeinsamen Werten vorwirft. |
Sie stehen da wie die Kuh, wenn es donnert. Europa, erschrocken, ungläubig und blamiert. Kommt es zum Allerschlimmsten, verrät der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seine treuen europäischen Verbündeten, Unterstützer und Helfer. Um mit dem garstigen Feind von Übersee hinter dem Rücken der engsten Partner einen jener berühmten Deals abzuschließen, mit denen Trump seit zehn Monaten die Welt durchrüttelt.
Hohn für den ersten Anlauf
Im ersten Anlauf haben sie alle noch gehöhnt. Es folgten die üblichen Verschwörungstheorien. Trump stehe auf Putins Gehaltsliste. Er agiere im Auftrag des Kreml. Er sei natürlich verrückt, aber rational genug, um die Europäer zu zwingen, auf russisches Öl und Gas zu verzichten, damit seine Big Boys aus der Ölindustrie ihr Fracking-Zeug zu überhöhten Preisen losschlagen können.
Zugleich sei Trumps Friedensinteresse rein egoistisch geleitet. Der wolle doch nur den Friedensnobelpreis, also etwas, das die EU längst hat. Das Scheitern der Alaska-Mission wurde mit unübersehbarer Häme kommentiert. Hatte er sich wieder reinlegen lassen, der Depp im Weißen Haus! Hatte ihn der trickreiche Russe erfolgreich geködert und wie geplant ausmanövriert.
Aufatmen in der EU
Aufatmen in der EU, aber auch in Großbritannien. Zwei Jahre nach der Zeitenwende ist Europa nicht schon wieder für ein Wendemanöver bereit. Und schon gar nicht für eins, bei dem man den Menschen neuerlich erklären müsste, warum schon wieder alles ganz anders ist als bisher – das aber jetzt, genau wie vorher versprochen, garantiert für eine lange, lange Zeit bis zur Ewigkeit.
Dass Trump nicht locker gelassen hat, offenbar motiviert von seinem Erfolg im Nahen Osten, den ihm Europa noch immer nicht verziehen hat, war ärgerlich. Doch in Berlin, Brüssel und Paris glauben sie längst selbst an die endlos wiederholten Geschichten vom Russen, der sich in der Ukraine nur Appetit holt, um ab 2029 den Rest Europas aufzuessen. Lass ihn machen, sagten sich Merz, von der Leyen und Macron, die es ohnehin nicht ändern konnten.
Dicke Bände mit Prinzipienpapieren
Entsetzen aber nun, als der zweite Anlauf drohte, in eine Art Vorfrieden zu münden. Auf den letzten Drücker reichten die Europäer ihre Einwände ein. Dicke Bände voller Prinzipienpapiere, die nach einem dringenden Friedenswunsch riechen wie eine Abdeckerei nach Veilchen. Such fünf Tage danach ist noch unklar, ob irgendjemand in Washington, Kiew oder Moskau die als Verbesserungsvorschläge getarnten Sabotageversuche überhaupt gelesen hat.
Selenskyj jedenfalls hat sie nicht genutzt, um eine Allianz der Antiamerikaner hinter sich zu versammeln und den Krieg nur noch gestützt auf die Macht Europas weiterzuführen. Der ukrainische Präsident, der dem Druck aus Washington widerstanden hatte, bis der große Korruptionsskandal an seinem Hof wie ein Vulkan ausbrach, scheint plötzlich bereit, die alte Formel Land gegen Frieden in Erwägung zu ziehen. In seiner ersten Rede an die Nation sprach Selenskyj von Würde, die sein Land nicht aufgeben dürfe, aber vielleicht aufgeben müsse, wolle es den einzigen Verbündeten behalten, den es wirklich brauche.
Gellegende Friedensglocken
In Berlin klang das wie gellende Friedensglocken, gerade in den Ohren derjenigen, die ihre jüngere Karriere einer messerscharfen Profilierung als Falken zu verdanken haben. Marie-Agnes Strack-Zimmermann teufelte auf den „sogenannten Friedensplan“ ein, da hatte sie ihn noch kaum gelesen. Anton Hofreiter, der Grüne mit dem Haarschnitt eines niederländischen Hippie-Soldaten, bot sich als Kanonenfutter an. Der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter nannte die US-Vorschläge einen „Kapitulationsplan“, gegen den sich Deutschland aussprechen müsse.
Trump stehe aufseiten Russlands. Es so weit kommen gelassen zu haben, sei „Ausdruck des Versagens Europas“. Das müsse eingesehen werden. Wer das nicht tue, stelle sich gegen alles, was wir glauben. „Anstatt über sinnlose Pläne zu reden, sollte Europa endlich anfangen, die Ukraine so zu unterstützen, als wäre die Ukraine schon in EU und NATO“, schrieb Kiesewetter. Denn faktisch sei die Ukraine Europas erste Verteidigungslinie. Will heißen: Falle sie, ist der Weg bis Finistère frei.
Die neuen kalten Krieger
Enttäuschung überall. Donald Trump hat die EU fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Selbst der eine Punkt im Plan, der vorsieht, dass die NATO darauf verzichten müsse, die Ukraine als Mitglied aufzunehmen, stieß den neuen kalten Kriegern böse auf. Natürlich könnte die NATO die Ukraine ohnehin nicht aufnehmen, solange nicht alle Mitgliedstaaten inklusive der USA zustimmen. Aber auch der Verzicht auf etwas, das man sowieso nicht haben kann, fällt manchmal schwer.
Etwa dem stets als „Unions-Fraktionsvize“ vorgestellten Norbert Röttgen. Der Mann aus dem Rheinland hatte sich nach seiner erfolglosen Bewerbung um die Nachfolge der damaligen CDU-Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und der Wiederholung dieses Misserfolgs im Wettbewerb mit Friedrich Merz lange als Umweltpolitiker, Bürokratieabbauer und Digitalisierer angepriesen. Erst mit dem russischen Angriff auf die Ukraine wechselte die Pferde: Röttgen, ausweislich seiner öffentlichen Biografie ungedient, verwandelte sich in einen lupenreinen Wehrpolitiker.
Enttäuscht von Trump
Seine Enttäuschung über Trumps Friedensplan und die kaum mehr zu leugnende Wahrscheinlichkeit, dass er eines Tages aufgeht, frisst der 60-jährige Jurist aber nicht nur in sich hinein. Der „Zeit“ gewährte Röttgen jetzt einen Einblick in die verletzte Seele eines verratenen Mannes. Der Christdemokrat, immerhin stellvertretender Vorsitzender der amerikanisch-deutschen Initiative Atlantik-Brücke, in der deutsche Politiker gebacken werden, sieht einen „Einschnitt“, denn nach Monaten der Hoffnung auf Strenge aus Amerika „hat man sich eindeutig russische Forderungen zu eigen gemacht, mit dem Motiv, selbst Kasse zu machen“.
Die Methode ist bekannt, aber wirksam. Während Norbert Röttgen sich selbst und allen, die die Dinge sehen wie er, zubilligt, ausschließlich aus hehren Motiven heraus zu handeln, wertet er alle die, die angesichts einer verfahrenen Situation, die Menschen jeden Tag ihr Leben kostet, als eigennützige, nur am Profit interessierte Käuflinge ab. Das Muster fällt ins Auge: Röttgen meint es gut, wenn er den Krieg fortsetzen möchte, denn es geht um Höheres als ein paar tausend oder hunderttausende Leben. Es geht um Würde, Völkerrecht, Prinzipien, die Unverletzbarkeit von Grenzen. Trump, Vance und Rubio dagegen arbeiten nur für sich. Sie streben nach Profit. Nach dem Friedennobelpreis. Nach Macht und Reichtum.
Das Verfahren hat im politischen Nahkampf inzwischen die althergebrachte Sachauseinandersetzung vollkommen abgelöst. Es werden keine Argumente mehr getauscht, nur noch Bezichtigungen, je übler, desto besser. Hier lautet eins: "Genießt den Krieg, der Frieden wird fürchterlich". (Christian Vetter in "Die Abenteuer des Werner Holt", 1965).
Ein entsetzter Atlantiker
Dass jede einzelne Anwendung der Sudelmethode das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in die Ehrbarkeit der Politik und die lauteren Motive von Politiker weiter untergräbt, nimmt auch Norbert Röttgen in Kauf. Der Schaden, den er den US-Amerikaner zuzufügen erhofft, erscheint es ihm wert, einen Schaden an Unsererdemokratie in Kauf zu nehmen.
#Sogar die russischen Milliarden, die die EU am liebsten selbst verwenden würde, traut sie sich nur ran, wollten die Amerikaner sie wegnehmen – laut sogenanntem Friedensvertrag auch noch mit Zustimmung der Russen. „Die Amerikaner verlangen etwa, dass die in der EU eingefrorenen russischen Milliarden nicht etwa der Verteidigung der Ukraine zugutekommen, sondern in einen Fonds fließen, dessen Gewinne am Ende zur Hälfte an die USA gehen“, schildert Röttgen eine Ungeheuerlichkeit sondergleichen: Die Russen könnten den Amis russisches Geld freiwillig geben, um die Profite aus dem Wiederaufbau der Ukraine zu teilen. „Das hätte ich mir nicht vorstellen können.“
Krieg und Frieden
Für Norbert Röttgen spielt die Frage nach Krieg oder Frieden im Grunde keine große Rolle. Der Anwalt, der vor 31 Jahren direkt nach der Zulassung in den Bundestag wechselte und so vermeiden konnte, allzu sehr mit der Realität in Berührung zu kommen, wird in jedem Fall nicht mehr eingezogen. Er hat gute Chancen, den Dritten Weltkrieg am Rhein zu verbringen, jener Zentralregion der alten Bonner Republik, für die Russe noch naturgegebener Feind war. Aus der sicheren Distanz sieht Röttgen im Besuch des Bundeskanzlers bei Trump eine zweite Zeitenwende. Merz hatte den schweigend absolviert, sichtlich froh, nicht vorgeführt und zu unbedachten Äußerungen verleitet zu werden.
Dieser Tag habe einen „grundlegenden Bruch“ gebracht, glaubt Röttgen. Er fächert die Konsequenzen schon im Präteritum auf: „Wir durften unsere Geschichte und unsere Interessen nicht leichtfertig aufgeben und mussten versuchen, die USA unbedingt an unserer Seite zu halten.“ Vorbei. Vergangenheit. Es war vergeblich. Röttgen greift wieder ins Fach mit den Verschwörungstheorien: „Die aktuelle US-Administration hat den Gedanken einer Allianz für die gemeinsame Sicherheit schlichtweg verkauft“ und sich „bei Fragen der europäischen Sicherheit auf die Seite des kriegführenden Diktators“ geschlagen.
Enttäuscht und entsetzt
Ein verbitterter Mann, enttäuscht und entsetzt, weil die Amerikaner sich entschlossen haben, einen Frieden zu suchen, ohne auf den wild durcheinander plappernden Chor ihrer europäischen Verbündeten zu hören. Mit letzter Kraft versucht Röttgen, das Beste aus der Lage zu machen. In der zerstrittenen Koalition müssten nun „alle Differenzen angesichts dieser Bedrohung hintangestellt werden“. Nie war die Lage schlimmer, seit der Russe vor Berlin stand. Der mögliche Friede in der Ukraine sei eine „akute Bedrohung europäischer Sicherheit und Souveränität“. Das letzte ist ein Wort, größer als alles, was Röttgen zu beschreiben versucht.
„Es muss jedenfalls jedem klar werden, dass es in dieser Lage eine wichtigste Regierung und einen wichtigsten Regierungschef in Europa gibt für die Frage von europäischer Sicherheit.“ Bei dieser Regierung handele es sich um die deutsche, mit dem wichtigsten Regierungschef sei Friedrich Merz gemeint. „Die Bundesregierung und den Bundeskanzler in ihrer Autorität und Handlungsfähigkeit zu stärken, ist jetzt ein absolutes Muss.“ Denn „falls sich Putin durchsetzt“ – „Putin“ steht hier als Chiffre für Trump – „haben wir größere Schwierigkeiten als den Nachhaltigkeitsfaktor bei der Rente im Jahr 2032.“
Damit dürfte Norbert Röttgen richtig liegen. Mit Russlands Angriff auf Europa wird 2029 gerechnet.


2 Kommentare:
Das tut vielleicht erstmal weh, aber auf der ersten Geberländerkonferenz die Milliarden über den Umweg Ukraine zu den Investoren zu kippen fühlt sich dann wieder richtig gut an.
...die Friedensbemühungen der Amerikaner ...
Mit Dr. Erika Fuchs: "Har, Har!"
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