Freitag, 7. November 2025

Zeit-Befragung: "Ich habe erlebt, wie Rechte gemacht werden"

Als Hartmut Ferworn den Mitte-Test der "Zeit" absolviert hatte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.

Alle berufen sich darauf, selbst die Randparteien links und rechts beschwören, sie stünden keineswegs am Rand, sondern allerhöchstens am Rad der Mitte. Die ist seit einiger Zeit der ultimative Götze einer politischen Klasse, die sich selbst die Aufgabe gegeben hat, über die Zugehörigkeit zu Unsererdemokratie zu entscheiden. 

Wer dazugehört, darf mitreden. Neben denen aber, die wegen ihrer Ansichten aussortiert werden müssen, darf sich nicht einmal mehr jemand im Stadtbild zeigen. Er läuft sonst Gefahr, sich mit Radikalität zu infizieren und zu denen gerechnet werden zu müssen, mit denen keine Diskussion mehr möglich ist.

An der Grenze des Mittigen 

Wo aber verlaufen die Grenzen? Wer steht noch auf der richtigen Seite der Brandmauer und wer ist schon verloren wie die mehr als 35 Prozent der Deutschen, die die trotzig zugeben, sie wollten bei der nächsten Gelegenheit ganz rechts außen oder aber ganz links wählen. Die renommierte Wochenschrift  "Die Zeit" fand, es sei höchste Zeit, es mit einer aufwendigen Umfrage herauszufinden. Der Experimentalaufbau ist einfach: Eine Handvoll Fragen wie "Sind Sie für ein Tempolimit", "Sind Sie für eine härtere Migrationspolitik" und "Sind Sie für eine Absenkung des Bürgergeldes" geben in der Gesamtschau eine Antwort auf die Frage, ob einer noch zur politischen Mitte gehört. 

Die hat die "Zeit" vorab durch eine repräsentative Umfrage unter 7.000 Menschen bestimmen lassen, die auf Daten der German Longitudinal Election Study (Gles) beruhen, einem Gemeinschaftsprojekt der Deutschen Gesellschaft für Wahlforschung und des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften (Gesis). Was die Mehrheit dieser Befragten sagt, gilt amtlich als die "Mitte" Deutschlands. 

Wer auf der Skala nach links abweicht, ist folglich ein Linker. Wer nach rechts tendiert, aber ein Rechtsextremer. Migration, Klima und Wirtschaft werden wild abgefragt. Wer nicht genau aufpasst, den führen die Tester in die Irre, weil nicht alle rechten Antworten mit einer Verschiebung von teils teils nach rechts zu beantworten sind und nicht alle linken Thesen links zu finden. 

Viele rechte Antworten 

Und was heißt überhaupt "rechte" Antworten? Bei der "Zeit" etwa, dass die Entscheidung zwischen  "Weniger Steuern & Sozialleistungen" und "Mehr Steuern & Sozialleistungen" oder die gegen ein Tempolimit den Befragten als Rechten outet. Begriffe wie liberal, freiheitlich, individualistisch und unwillig, staatliche Überregulierung zu ertragen, kennt das Blatt nicht. Der Kollektivismus steht hier immer gegen den Individualismus, der starke Staat gegen das Verlangen nach privatem Glück ohne Gängelung. Wen es aber danach verlangt, der ist - politisch gesehen  - ein Rechter.

Für Hartmut Ferworn, der bei der Deutschen Bahn als Speisewagenkellner arbeitet, war der Test ein erschütterndes Erlebnis. "Ich habe erlebt, wie Rechte ‚gemacht‘ werden", sagt er, noch sichtlich geschockt. Ferworn hatte sich bis zu seiner Mitte-Prüfung für einen entspannten Demokraten gehalten. 

Der gelernte Koch aus den neuen Bundesländern verweist darauf, dass er im Verlaufe seines  Lebens schon viele Parteien gewählt hat, von der SED über die CDU und die SPD bis hin zu den Grünen, den Liberalen und, in seinen Jahren in Bayern, auch einmal die CSU.  "Ich bin so viel Mitte, wie man nur sein kann, davon war ich überzeugt". 

Der Algorithmus widerspricht 

Zumindest bis zu dem Moment, in dem der "Zeit"-Algorithmus sein Testergebnis ausspuckte. Ferworn, geboren in Leipzig, ehemals Mitglied der SED, glücklich verheiratet, drei Kinder, fand sich ganz rechts außen in der grafischen Darstellung. Ein Schock. Obwohl nicht einmal nach seiner Meinung zur Stadtbild-Debatte gefragt worden war, "da hätte ich schon einig Bammel gehabt, weil wir ja im Beruf viel erleben", sagt er, sprachen ihm die Tester seine Zugehörigkeit zur Mitte ab. Ferworn erspähte das "Sie", das seine politische Verortung anzeigt, ganz außen. Begleitet vom Hinweis "0 % rechts neben Ihnen".

Es war ein Augenblick in seinem Leben, an den er vermutlich ewig zurückdenken werde, sagt Mann, der sich unversehens zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt fand. Seine damals gesellschaftlich durchaus geachtete Zustimmung zu Gerhard Schröder, der sich als "Kanzler der Mitte" in sein Herz geworben hatte, nur eine Anwandlung. Sein Glaube an die Merkel-CDU, die ihn mit ihrer Selbstbezeichnung als "Die Mitte" abgeholt hatte, ein Fake. Seine Sehnsucht, so wie früher auch heute wieder zu denen zu gehören, die dort sind, wo alle sind, und glauben, was alle glauben, bitter enttäuscht. 

Sehnsuchtsort Mitte


Die politische Mitte war der Sehnsuchtsort dieses einfachen, hart arbeitenden Mannes aus dem Volk. Wie konnte einer wie ich, habe er sich gefragt, im amtlichen Mitte-Test so weit außen landen? Welche radikalen Anwandlungen habe er, welche extremistischen Vorlieben, welche Fragen, "dachte ich, haben mir denn nur das Genick gebrochen?" 

Niemals im Leben habe er in sich aufrührerisches Begehren verspürt. Selbst bei der friedlichen Revolution damals in der DDR sei er erst mit auf die Straße gegangen, als alle unterwegs waren. Dass er nun gebrandmarkt sei als einer, der die erste wirkliche und dauerhafte deutsche Demokratie von rechts außen aus zerstören wolle, empfinde er als kränkend.

Er tickt wie die Mitte 

Ferworn hat lange gegrübelt, er hat sich selbst befragt und seine Verortung inmitten der Verteilung der politischen Einstellungen im Land wieder und wieder mit der seiner Nachbarn, Kollegen und Freunde verglichen. Bei welchen Themen liege ich denn bloß am Rand, marterte er sich in schlaflosen Nächten. Warum tickt die wirkliche Mitte des politischen Spektrums so anders als ich? Mit seinem ausgleichenden Wesen, das sei ihm vielmals bescheinigt worden, widerstrebe ihm jede Maßlosigkeit. "Niemand hat mich bisher einen Exzentriker oder Radikale genannt."

Es brauchte einige Zeit, bis ihm ein Verdacht kam. Kurz vor seinem Selbsttest, den er  während eines Spazierganges in Budapest absolvierte, wo er einige Stunden Aufenthalt gehabt hatte, sei ihm von einem unbekannten Deutschen "mit Leipziger Dialekt"  eine Tasse Kaffee angeboten worden. Zudem spendierte ihm und eine Ungarin eine Mentholzigarette, die er arglos annahm. Ferworn wusste nicht, dass diese Art Rauchwerk seit dem Tod des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt europaweit verboten ist. 

Lohn für den Verrat 

Dass er sich an die Beantwortung der "Zeit"-Fragen nur dunkel erinnern könne, liege wohl daran, dass man ihn betäubt habe. Was ihm später beim Grübel wieder eingefallen sei: Der Mann mit dem Leipziger Idiom habe am Rande seines Sichtfeldes einen ganzen Packen Geldscheine entgegengenommen. Mutmaßlich als Lohn dafür, dass er Ferworn zu falschen Antworten verleitet hatte.

Nichts illustriert das besser als diese Geschichte, mit welchen Mitteln Menschen der Mitte entfremdet werden, um die radikale Rechte stärker wirken zu lassen als sie wirklich ist. "Ich weiß mittlerweile, dass es anderen ähnlich ging", sagt Ferworn, der eine Selbsthilfegruppe für missbrauchte Mitteanhänger gründen will. "Menschen wie ich verlieren ja in der Regel in Windeseile Freunde, oft auch die Familie, manchmal den Job, auf jeden Fall aber ihren guten Ruf." Seine Gruppe wolle anderen helfen, die es "genau so erwischt" habe, wie Ferworn formuliert. "Gemeinsam sind wir stark", hofft er.

Betroffene wehren sich 

Als Betroffener einer von ihm selbst als ungerecht empfundenen "Zeit"-Brandmarkung, die ihm ein bürgerliches Leben nahezu unmöglich mache, wisse er, wovon der spreche. "Wenn sich Einordnungen ändern, ohne dass sich Überzeugungen geändert haben, dann muss man davon sprechen, dass sich die Diskursebene verschiebt", sagt er. 

Dass die Mitte von gestern heute der ausgegrenzte Rand sei und er als langjähriger treuer Wähler Union und SPD für Positionen angegriffen werde, die vor 20 Jahren noch gesellschaftlicher Konsens gewesen seien, habe sein Selbstbild erschüttert. "In jeder Diktatur werden Demokraten unweigerlich zu Extremisten erklärt", beschreibt er, "doch dass eine Demokratie Demokraten zu Extremisten macht, das hätte ich nie erwartet".

Ferworn hat lange darüber nachgedacht, ob er seine illiberalen und menschenfeindlichen Ansichten ändern solle, um die liberale Demokratie zu stärken. "Machbar wäre das, weil meine Festlegung auf niedrige Steuern, ein niedriges Bürgergeld und dafür hohe Geschwindigkeiten auf der Autobahn und bei den Abschiebungen für mich keine Glaubenssätze sind." Allerdings gehe es ihm nach seiner Verurteilung als Faschist und Rechtsextremist inzwischen ums Prinzip. "Ich denke, ich werde meine Ansichten nicht ändern, sondern einfach warten, bis sie wieder das geworden sind, was die demokratische Mitte insgesamt kennzeichnet."

Die versteckte Mitte 

Aus Hartmut Ferworns Sicht kann das nicht mehr lange dauern. Seit er sein Untersuchungsergebnis in den sozialen Netzwerken veröffentlicht habe, bekomme er Zuspruch und Aufmunterung von allen Seiten, sagt er. Nicht nur Menschen, die im Test ebenso wie er durch falsche Überzeugungen oder - wie in seinem Fall - versteckte Manipulation versagt haben,  sprächen ihm Mut zu. "Es schreiben mir auch viele aus der versteckten Mitte, der distanzierten Mitte und der deutschen Mitte." 

Diese Mitbürgerinnen und Mitbürger seien meist überzeugt davon, dass sich jeder selbst für jemanden halten dürfe, der politisch genau in der Mitte stehe, solange ihm kein Gericht strafbare Ansichten oder gar ein strafbares Tun gerichtsfest nachgewiesen habe. "Eine ältere Dame, die früher eine Gaststätte betrieben hat, sagte mir, dass in einer Demokratie alles Mitte ist, was sich an die geltenden Gesetze halte." 

Daran ändere auch der Versuch eines großen Medienhauses nichts, bestimmte legale und vernünftige Auffassungen wie den Wunsch nach niedrigen Steuern, niedrigen Staatsausgaben und einer an den gesetzlichen Vorschriften orientierten Migrationspolitik an den rechten Rand zu drängen. "Sie meinte, wir Betroffenen sollten stark bleiben und uns nicht kleinmachen lassen von Menschen, die  die Gesellschaft spalten wollen, indem sie sich anmaßen, bestimmen zu können, was Mitte ist."


6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die Fragen sind wirklich subtil.

· haben sie ein Che Guevara T Shirt
· sind sie für die Wiedereröffnung des Steinbruchs bei Buchenwald
· halten sie Mein Kampf von Adolf Hitler für einen brauchbaren Leitfaden
· möchten sie, dass die Reichshauptstadt Germania errichtet wird

Da kann man schon ins Schleudern kommen.

Anonym hat gesagt…

top notch

Anonym hat gesagt…

OT vorhin in der Mall im Blödenfernsehen

COP30 Climate Protest: Protesters Don Giant Trump, Lula and Starmer Masks Environmental NGOs staged a creative protest outside the COP30 venue...

Ein 'kreativer' Protest.
Allein die Kostüme haben mit Sicherheit eine satte 4-stellige Summe gekostet. Dort wird noch immer heftig in angebliche Proteste investiert.
https://www.youtube.com/shorts/DvqwYnLT4n4

Anonym hat gesagt…

Früher kaufte ich Montags den Spiegel, Donnerstags die Zeit und Samstags FAZ und SZ Und wenn ich ihnen heute begegne mache ich um sie einen Bogen wie um jede andere Hundewurst auf der Straße auch. Übrigens gute Nachrichten heute von Trump für alle deutschen Vertreter der US-Ostküstenmedien:
"Biden actually pushed for that war to happen. Okay, if you can believe it, nobody can believe it, but it's one of those things. And now, look what happened. Look what's happened to Ukraine. It's much smaller country. A lot of people are dead," Trump said.

Anonym hat gesagt…

OT A propos Der Spiegel
Am Kiosk langgelatscht, Titel aus dem Augenwinkel gesehen.
'Kult um Merkel' oder so ähnlich

Online werden Fotos von Merkel gepostet, geklickt und gelikt [sic!].
https://cdn.prod.www.spiegel.de/stories/299490/index.amp.html

Die Merkelisten bei der Presse sehnen sich wohl nach den Zeiten, als sich mehr Leute als heute mit verbogenen Sätzen und verbogenen Wahrheiten haben verarschen lassen.

Anonym hat gesagt…

Thekla hat viel für ihre reichen Freunde getan - dafür gibt es auch Gegenleistungen.