Montag, 8. Dezember 2025

Schutzschild gegen Russland: Abschreckung durch Armut

Deindustrialisierung als Abschreckung, Morgenthau-Plan für Russland, Putin abschrecken durch Armut, Deutschland abrüsten statt aufrüsten, Rentenkassen leer als Verteidigung, Abschreckung durch Verfall, satirische Verteidigungsstrategie
Deutschland komplett zu Deindustrialisieren und die Rentenkassen nicht zu reparieren, wäre die sicherste Gewähr, dass Putin von seinen Angriffsplänen ablässt.

Es war wohl knapp, denkbar knapp. Als die Russen und die Amerikaner in Moskau zusammensaßen, um über einen Frieden in der Ukraine zu beraten, klapperten in Brüssel die alten Knochen. Beim Nato-Treffen waren die Demokraten diesmal unter sich.  

Die Vereinigten Staaten ließen sich am Katzentisch durch einen subalternen Stellvertreter von Verteidigungsminister Peter Hegseth vertreten. Das hätte schiefgehen können. Im schlimmsten Fall, so tuschelte es am Tisch, erfahren wir morgen aus der Zeitung, wie es ausgegangen ist. "Und was wir zahlen müssen", soll ein Diplomat aus der Reihe an der Wand gesagt haben.

Eine fröhliche Natur ist betrübt 

Selbst der ewige Optimist Mark Rutte, ungedient, aber wegen seiner grundfröhlichen Natur nach langem Suchen zum Nachfolger des ewigen Nato-Chefs Jens Stoltenberg befördert, sei wegen der demonstrativen Ausbootung durch die Amerikaner  "ernüchtert". Und auf der Suche nach neuen Geldquellen, die die EU-Staaten brauchen, um wie versprochen Waffen in den USA zu kaufen, geht es auch  nicht voran. 

Gut, dass wenigstens eintrat, was Elmar Theveßen,  US-Korrespondent des ZDF, schon vorab als frohe Botschaft verkündet hatte. Auch Trump werde lange brauchen, den Krieg in der Ukraine zu beenden. "Die gute Nachricht ist, es wird nicht am ersten Tag schon der Frieden ausbrechen" beschwichtigte der Amerika-Experte die Furcht vieler europäischer Staatenlenker vor einer erneuten jähen Wendung. Er behielt recht. 

Das Treffen von Trumps Sondergesandten Steve Witkoff mit Putin ging gerade noch mal gut aus. Der Frieden ist für die Ukraine noch weiter entfernt als die Zurückeroberung von Pokrowsk.

Wappnen für den Fall

Und so bleibt den europäischen Verbündeten Zeit, sich weiter zu wappnen für den Fall, dass das schlimmste eintritt: Ein als "Frieden" verbrämter kalter Krieg, diese Information hat der deutsche Verteidigungsminister Boris Palmer selbst verbreitet, 2029 mit einem Angriff der Russen auf breiter Front enden wird. Putins Truppen, die derzeit so tun, als hätten sie Mühe auf den 600 Kilometern der Donbas-Front Richtung Westen voranzukommen, werden dann auf der ganzen 3.000 Kilometer langen Westfront antreten.

Guter Rat ist teuer, denn in den Zeitrahmen, in dem deutsch-französische Rüstungsprojekte vorankommen, passt das nicht. Auch das Bundeswehrbeschaffungswesen, obschon von Pistorius "durch ein neues Gesetz und Maßnahmen zur Beschleunigung von Prozessen bereits maßgeblich reformiert", rechnet in ganz anderen Dimensionen. 

Auch nach dem, was Pistorius als "Quantensprung" für die  Beschaffung von Großgeräten wie Panzern, Schiffen und Flugzeugen nennt, wird die nächste P-8A Poseidon für die Bundesmarine erst im fünften Jahr nach der Bestellung Marinefliegergeschwader 3 "Graf Zeppelin" in Nordholz eintreffen.

Höchste Zeit für Plan B 

Es sei höchste Zeit für Plan B, Zeit für  eine alternative Verteidigungsstrategie, sagt der Friedensforscher Herbert Haase, der am Rande des Nato-Gipfels in Brüssel zu einer Pressekonferenz ins Hauptquartier des transatlantischen Bündnisses geladen hatte. Es gehe darum, ein klares Signal nach Moskau zu senden, sagt der Wissenschaftler. Haase leitet in Grimma, mitten im ländlichen, abgehängten Sachsen, den Verteidigungs-Think-Tank Climate Watch (CWI). Hier wird über den Tag hinaus gedacht, auch mal quer zu den allgemeinen Erwartungen.

Russland setze seinen brutalen Krieg gegen die Ukraine fort und greife die Bevölkerung und die kritische Infrastruktur an, gerade jetzt vor dem Winter, betont der Institutsleiter. Es bestehe aber noch kein Grund, wegen des drohenden Friedens in Hektik auszubrechen. "Ich sehe keinen ernsthaften Willen auf russischer Seite, auf einen Verhandlungsmodus einzugehen." Man müsse als Europa aber nachdenken, "wie wir uns jenseits des begonnenen Ausbaus Europas zum stählernen Stachelschwein wirksam schützen."

Zurück zu Morgenthau 

Haase hat gemeinsam mit seinen Mitarbeitenden am CWI eine Strategie ausgearbeitet, die Wladimir Putin wirksam davon abhalten könnte, Polen zu überrennen und Deutschland anzugreifen. Die Idee orientiert sich am legendären Morgenthau-Plan. Dieser 1944 vorgelegte Vorschlag des damaligen US-Finanzministers Henry Morgenthau Jr. sah vor, Deutschland in einen Agrarstaat zu verwandeln. 

Sämtliche Industriebetriebe sollten demontiert werden. Durch Teilung, Demontage, Stilllegung und Entindustrialisierung sowie der Internationalisierung bestimmter Regionen sei das aggressive Land, das zwei Weltkriege begonnen hatte, am sichersten davon abzubringen, die Welt erneut mit Unheil zu überziehen.

Diesmal allerdings soll nicht Deutschland davon abgehalten werden, gestützt auf seine kriegstüchtigen Streitkräfte in andere Staaten einzumarschieren, sondern Russland. Das Reich des neuen Zaren gilt seit Putins berüchtigter Brandrede im Bundestag, in der er von Berlin als "einer Stadt mit einem so komplizierten Schicksal" sprach, als größte Gefahr für die globale Grundordnung. In 100 Jahren, so hatte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas erst kürzlich vorgerechnet, hat niemals ein Land Russland angegriffen, Russland dagegen marschierte bereits 19 Mal ohne jeden Grund in andere Staaten ein. 

Unterjochen und erobern 

Russland, so hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eben erst gewarnt, sei darauf aus, "die Landkarten ständig neu zu zeichnen". Die Eroberungsfeldzüge der Russen sind eine Kette ohne Ende, sie führten russische Soldaten nach Georgien, Syrien, Armenien und Tschetschenien. Dort unterjochte die grausame Soldateska im Auftrag der Staats- und Parteiführung sogar einen integralen Bestandteil des eigenen Staatsgebiets.

 "Die Kreml-Herrscher waren dabei stets auf der Suche nach Bodenschätzen, gut ausgebildeten Arbeitskräften für ihre Gulags und modernen Industrieanlagen, wie sie Russland nicht hat", erklärt Herbert Haase die Motivation, die aus dem Russen an sich einen von Haus aus aggressiven Charakter macht. Diesem durch die vielen Jahrzehnte unter despotischen Herrschern wie Alexander dem Großen, Katharina der Großen, Lenin, Stalin und Putin auch untertanisch geprägten Wesen lasse sich der Drang zu Eroberungen militärisch kaum aberziehen. 

Der Westen kann sich nur Armut leisten 

"Dazu bräuchte es eine Militärmaschine, die nach unseren Berechnungen mit über 3,4 Millionen aktiven Soldaten mehr als doppelt so viele wie Russland mit etwa 1,3 Millionen haben müsste."  Um eine solche erdrückende Übermacht aufzubauen, müssten die Nato-Staaten jedoch bereit sein, etwa zehnmal mehr für ihre Streitkräfte auszugeben wie Russland. 

Europas Weg zu mehr Sicherheit, insbesondere der deutsche, müsse vor diesem Hintergrund ein anderer sein. "Wo Reichtum den Russen lockt, kann er der Versuchung, ihn sich zu nehmen, aufgrund seiner eher einfachen Natur kaum widerstehen", haben die Wissenschaftler aus Sachsen mit Hilfe einer Künstlichen Intelligenz aus dem Verlauf der Geschichte herausgelesen. Sicher sei nur, wer sich entsprechend sicher aufstelle.

Abschreckung durch Rückbau 

"Wenn wir Richtung Osten schauen, können wir das klar erkennen", sagt Haase. So sei Russland zwar 1921 in die Mongolei einmarschiert und sowjetische Truppen hätten unter dem Deckmantel, gegen den konterrevolutionären General Baron Ungern kämpfen zu müssen, das gesamte Land besetzt. "Aber das Interesse erlahmte schnell, als sich herausstellte, wie wenig dort zu holen war."

Für Herbert Haase und seine Kolleg*innen ist das der Weg zu mehr Sicherheit, den Deutschland einschlagen muss. "Ein Aufbau wirklich abschreckender Militärpotenziale in kürzester Zeit ist unmöglich, der Rückbau der deutschen Industriekapazitäten hingegen hat ja bereits begonnen und da er sich zunehmend beschleunigt, sehen wir gute Chancen, bis zum beabsichtigten Angriff Putins in vier Jahren so weit zu sein, dass niemand mehr ein Interesse daran haben kann, Deutschland zu besetzen." 

Haase empfiehlt dazu auch ein möglichst langes Offenhalten der Rentenfrage und eine weitere Erhöhung von Staatsschulden zu Finanzierung laufender Ausgaben. "So verführerisch jede junge Industrienation mit hoher Produktivität und hohen Exportüberschüssen auf expansive Charaktere wie Putin wirken, als so abschreckend empfinden sie Staaten mit einer überalterten Bevölkerung, die sich finanziell nicht mehr selbst aushalten kann." 

Den Eroberer nicht anlocken 

Selbst eine sehr schwache, desorganisierte Armee, in der heute schon jeder 15. Soldat im Beschaffungswesen beschäftigt ist und nicht einmal sechsmal so viele in der fronttauglichen Truppenteilen, reize einen Eroberer dann, das betreffende Land einzunehmen. "Konsequent gemacht, ist Armut die größte Gewähr für Sicherheit, die es überhaupt gibt", fasst Herbert Haase zusammen. Neben der möglichst komplett zurückgebauten Industrie seien auch leeren Sozialkassen ein "echter Trumpf, mit dem sich wuchern lässt", sagt er. 

Die rechtliche Situation ist eindeutig. "Nach Völkerrecht ist eine Besatzungsmacht verpflichtet, eine humane Behandlung der örtlichen Bevölkerung und die Erfüllung ihrer Bedürfnisse sicherzustellen, darunter zählen auch die Unterhaltung öffentlicher Dienstleistungen und der kritischen Infrastruktur, der Betrieb von Bildungseinrichtungen und der Betrieb medizinischer Dienste", fasst Herbert Haase zusammen. All das seien Aufgaben, an denen der deutsche Staat seit vielen Jahren zusehends scheitere. 

Der Verfallsprozess als Schutzschild 

Doch wenn Bundesfinanzminister Lars Klingbeil die Ergebnisse dieses Verfallsprozesses "peinlich" bezeichne, verkenne er die abschreckende Funktion, die eine überalterte Infrastruktur mit großen Schäden, eine auf ewiggestrige Verbrennertechnologien ausgerichtete Industrie, Fachkräftemangel und ein beständig wachsendes Milliardenloch in den Versorgungskassen auf russische Expansionsgelüste habe. 

"Selbst ein Putin wird sich diesen Klotz nicht ans Bein hängen wollen", sagt Herbert Haase. Ausdrücklich warnt er deshalb davor, die Gelder aus dem milliardenschweren Sondervermögen für Investitionsprogramme zu nutzen, wie es die große Koalition in Berlin zumindest für einen kleinen Teil der Billionenschulden plant. "Deutschland auf Vordermann zu bringen, das wäre so, als ob wir eine Einladung nach Moskau senden."


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