Der Ostbeauftragte der Bundesregierung warnte wieder als erster, mit allem Nachdruck. Marco Wanderwitz, im Zuge der Thüringer Demokratiekrise ernannt, nahm angesichts der alarmierenden Zahlen kein Blatt vor den Mund: Bald, so der CDU-Mann, würden die Coronazahlen im Osten
dramatisch steigen. Das Virus träfe dann dort auf einen weitgehend entvölkerten Landstrich, der von Ungeimpften, Leugnern und greisen Angehörigen der Hochrisikogruppen bewohnt wird. Das bereitet Wanderwitz bereitet das mit Blick auf das hochansteckende Delta-Virus, die vierte Coronawelle und den nahenden Herbst große Sorgen.
Im Westen große Sorgen um den Osten
Sorgen, die nicht länger verschwiegen werden dürfen. Nur weil die Inzidenzen in Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz über hundert liegen, kann das kein Grund sein, mit den 25er und 30er Inzidenzen in Thüringen, Mecklenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt nicht Ängste zu schüren. "Bekommt der Osten bald ein Coronaproblem? Bekommt der Osten bald ein Coronaproblem?", fragt das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", das die Begriffe "Westen" und Coronaproblem" noch nie kombinieren musste. In den Ländern der früheren Bundesrepublik leben Menschen, die höhere Ansteckungsraten einfach wegstecken, achselzuckend. Zudem sind hier viel mehr Bürgerinnen und Bürger solidarisch: Die Impfquote in Bayern ist so zum Beispiel um 1,8 Prozent höher als die in Sachsen-Anhalt. Baden-Württemberg liegt sogar nur 0,7 Prozent hinter Mecklenburg-Vorpommern zurück.
Dort, wo die Zahl der neuen Fälle in den vergangenen sieben Tagen in die Zehntausende gingen, herrscht dementsprechend große Sorge, dass die vielen Reiserückkehrer aus den vermeintlichen Niedriginzidenzgebieten im Osten das Virus nun dorthin schleppen, wo es auf eine Gesellschaft trifft, die Corona durch konsequente Impfbereitschaft bereits besiegt hat.
Marco Wanderwitz kennt doch seine Ostdeutschen mit ihren diktaturbedingten Macken, Gebrechen und charakterlichen Verbildungen. Nur weil nie ein Fremder nach Hohenwulsch und Niedrigbachstein kommt, glauben sie, das Virus könne nicht herbeigeweht werden. Er kennt auch das hohe Ansteckungsrisiko, das die Wahl bestimmter Parteien statistisch nachweisbar mit sich bringt. "Das lässt sich nicht wegdiskutieren", befand etwa der BR24, ein Sender aus Bayern, einem Bundesland, in dem der Anteil der vollständig Geimpften niedriger ist als in Mecklenburg-Vorpommern, wo zuletzt 17,7 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihr Kreuz bei der Schwefelpartei gemacht hatten.
Halb so hoch kann doppelt steigen
Man muss es nehmen, wie man es braucht, um einen deutlich wahrnehmbarem Effekt zu erzielen. So ist die Inzidenz in Mecklenburgnur halb so hoch wie in Bayern und die in Sachsen-Anhalt liegt bei nur einem Fünftel derer von Nordrhein-Westfalen. Aber: Sachsen droht dadurch womöglich in Bälde ein schneller Anstieg von derzeit 29,3 auf die fast 90, die der Bundeshauptstadt Berlin jetzt erweiterte Lockerungsübungen erlaubt. Zeit, vor dem Drohenden zu warnen, so Wanderwitz: "Einmal, weil das Virus gerade im Osten auf eine im Vergleich zum Westen hohe Zahl von Ungeimpften trifft, aber auch deshalb, weil hier die Zahl derjenigen groß ist, die die Schutzmaßnahmen verweigern."
Im Unterschied zu Marco Wanderwitz hat das seit Februar grassierende hochansteckende Deltavirus die Chance zum Glück noch nicht erkannt, den sich so naiv preisgebenden Osten weiter zu entvölkern. Also ist der Osten noch nicht verloren, er kann, wenn er denn "Spiegel" liest und Wanderwitz lauscht, errettet werden. Schlimmer als jede akute Gefahr ist stets die Gefahr, dass es gefährlich werden könnte. Denn was nicht ist, kann noch werden. Jeder jemals Verstorbene würde bestätigen, dass der Gedanke an den bevorstehenden Tod deutlich unangenehmer ist als das Totsein selbst.