Sonntag, 24. September 2023

Impfrätsel Lauterbach: Booster mit und ohne Brille

Ein Impfung, verabreicht von einer Ärztin mit und von einer ohne Brille.

Er trägt ein sportliches Vintage-Shirt aus Herzogenaurach, eine Gabardine-Hose und die übliche Lennon-Brille auf der Nase. Karl Lauterbach schmunzelt, die Vorfreude auf das, was gleich kommen soll, ist ihm anzusehen. Es ist nicht der erste lebensrettende Piks, den der Bundesgesundheitsminister auf sich nimmt, um die Nation im Kampf gegen die Pandemie aufzurütteln und zu stählen.  

Impfung als Signal

Diesmal aber absolviert er ihn vor den Kameras der Nachrichtenagenturen, denn diese Impfung ist nicht einfach nur eine Impfung, sondern ein Signal. Mit seinem Gang ins Bundeswehrkrankenhaus hat der Sozialdemokrat die neue Impfsaison gegen Corona feierlich eröffnet. Noch vor dem Beginn der kalten Jahreszeit sollten sich auch alle anderen Angehörigen gefährdeter Gruppen erneut gegen das Coronavirus impfen zu lassen. "Die Impfung ist der beste Schutz gegen schwere Krankheitsverläufe", betonte Lauterbach.

Doch wie viele Impfungen braucht es, um wirklich sicher zu sein? Und wie viele Spritzen bekam der Minister bei seinem öffentlichen Impftermin? Offiziell war die Spritz mit dem an die eben noch aktuelle Omikron-Variante des Biontech-Impfstoffs Lauterbachs fünfte "Vollimmunisierung". Im Impfpass zu sehen war allerdings nur die amtliche Protokollierung von vier Impfungen. Bereits in der Vergangenheit hatte Karl Lauterbach mit dem Nachweis seiner erhaltenen Impfungen für Verwirrung gesorgt. Als er vier hatte, waren nur drei in seiner Corona-Warnapp hinterlegt.

Auf Vorrat impfen

Nun könnte Lauterbach die Gelegenheit allerdings genutzt haben, sich gleich auf Vorrat mehrfach impfen zu lassen. Sicher ist schließlich sicher, denn "Corona ist keine Kleinigkeit" (Lauterbach). Foto-Forensiker der unabhängigen Rechercheplattform Bellingmouse haben die Bilder unter die Lupe genommen, die verschiedene Agenturen, Gemeinsinnsendern und Leitmedienredaktionen von der Impfaktion verbreitet haben. Und Erstaunliches entdeckt: So ist etwa bei der "Frankfurter Rundschau" deutlich zu sehen, dass Lauterbach von einer Ärztin geimpft wird, die eine Brille trägt. Auch die Süddeutsche Zeitung zeigt den furchtlosen Minister im Moment des Piks neben einer Bundeswehrärztin, die eine Brille auf der Nase sitzen hat.

Eine ganz andere Geschichte oder gar die Geschichte einer ganz anderen Impfung erzählt der Bayrische Rundfunk. Derselbe Patient, dieselbe Ärztin, dieselbe Szene, aber auch dieselbe Spritze? Diesmal hat die Impfärztin ihre Brille im Moment des Eindringens des lebensrettenden mRNA-Impfstoffes nach oben auf den Kopf geschoben. Lauterbach schaut nicht mehr skeptisch über die eigene Schulter zu, sondern quer an der Lebensretterin vorbei. 

Mit und ohne Brille

So war es auch, als er für die "Berliner Zeitung" geimpft wurde. Für das SPD-Portal RND hingegen hat die Ärztin ihre Brille wieder aufgesetzt, ebenso für den NDR, der in einem Film jedoch gleichzeitig zeigt, wie Lauterbach von einer Ärztin ohne Brille geimpft wird. Im MDR ist dann zu sehen, wie sich das schräg aufgeklebte Pflaster von selbst geradegerückt zu haben scheint. Ist es das erste? Oder das zweite? Warum kein Blümchenpflaster?

Die Planwirtschaft: Nun ist es schon ein 30-Punkte-Plan

Der 30-Punkte-Plan der EU zur Verbesserung der Migration entstand in den zurückliegenden acht Jahren, ist aber selbst in Brüssel kaum mehr bekannt.

Es war noch gar nicht richtig losgegangen, da stellte sich die Europäische Union schon an die Spitze der Migrationsbewegung. April 2015, Walter Steinmeier war Außenminister und in Deutschland noch jede Menge Platz. Dennoch. Brüssel wollte vorsorgen, ohne übertrieben aktiv zu werden. Die EU werde sich auf einen Zehn-Punkte-Plan beschränken, um die Flüchtlingsfrage zu lösen, hieß es. Die EU-Grenzschutzmission, die damals noch "Triton" hieß, würde einfach doppelt so viel Geld bekommen, die  die Zahl der anerkannten Flüchtlinge, die die EU-Staaten untereinander verteilen sollen, würde bei 5.000 gedeckelt und falls das nicht reiche, könne die damalige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini immer noch sagen, sie sei dabei, eine mögliche EU-Mission im Einklang mit internationalem Recht vorzubereiten.

Es reicht immer für ein paar Jahre

Tatsächlich reichte das drei Jahre lang. Erst 2018 kam die EU zur "Mutter aller Gipfel" zusammen, um in Sachen Migration Nägel mit Köpfen zu machen. Der Zehn-Punkte-Plan von 2015 war vergessen. Nun wurde ein Zehn-Punkte-Plan vorgestellt, dessen winzigster gemeinsamer Nenner als "Abschottung" beschrieben wurde, ohne dass davon die Rede war Für Angela Merkel war es seinerzeit besonders wichtig, nicht den Eindruck zu erwecken, es sei irgendetwas falsch gelaufen. Bei ihrem letzten offiziellen Auftritt auf der Brüsseler Bühne wollte sich die ehemals mächtigste Frau der Welt noch einmal huldigen lassen. Ihr "Wir schaffen das" schwebte als Mahnung über den Köpfen. 

Niemand wagte sich, die von Merkel eigenhändig zusammengeschraubte Ausrede, man brauche nur eine "europäische Lösung", und dann sei es auch möglich, die Bevölkerung der gesamten Erde human und solidarisch in der EU aufzunehmen, als irrationale Ansicht aus dem Elfenbeinturm einer weltentrückten älteren Frau zu bezeichnen. Statt einer Lösung gab es also auch 2018 erneut einen Zehn-Punkte-Plan der EU, der, das war gewiss, "die Zukunft einer gemeinsamen Immigrations- und Asylpolitik in Europa" sichern würde.

Verkündung aus dem Haupthaus

Danach mussten dann pandemiebedingt fünf Jahre vergehen, ehe es wieder soweit war. Diesmal ohne Gipfel, ohne EU, ohne Europäischen Rat. Die Zeiten sind so hart geworden, dass neue Zehn-Punkte-Pläne der EU von der Chefin allein erdacht und umgehend verkündet werden. Ursula von der Leyen, ausgestattet mit einem feien Gespür dafür, wann man nicht einmal mehr so tun muss, als lege man wert auf demokratische Verfahren zur Beschlussfindung, entspricht damit dem neuen Wunschbild so vieler Medienarbeiter: Ein starker Mann oder eine starke Frau, die ein Machtwort spricht, statt dass jedermann und selbst die Falschen bei jedem Thema endlos mitreden und alles infragestellen.

In der EU-Planwirtschaft summieren sich die Zehn-Punkte-Pläne allein im Bereich der Migration nun bereits auf 30 Punkte in nur acht Jahren, ohne dass ein einziger jemals abgearbeitet oder auch nur ernsthaft in Angriff genommen worden wäre. Das Personal hat gewechselt, zumindest zum Teil. Aber alte Schlachtrösser wie von der Leyen, die bis heute den deutschen Rekord bei der Führung möglichst vieler verschiedener Bundesministerien in möglichst kurzer Zeit hält, wissen, dass jeder alte Hut als neu durchgeht, wenn man ihn nur ausreichend arrogant zu Markte trägt.

Der neue Zehn-Punkte-Plan buchstabiert denn auch alles noch einmal aus, zum dritten Mal nun, obwohl ausweislich einer kritischen Betrachtung der "SZ" von 2015 damals schon fünf Punkte "so gut wie abgehakt" waren. ja, nun sind sie halt immer noch da. Aber immer noch sind ja auch "die Gespräche mit anderen EU-Staaten ermutigend" (Tagesschau, 2018 zum 2. Zehn-Punkte-Plan). Und mehr denn je sogar sind sich alle Wahlkämpfer einig, "dass die illegale Migration reduziert werden solle und dass die Grenzen geschützt werden müssten", wie Angela Merkel schon vor fünf Jahren festgestellt hatte, als ihr kurz entfallen war: 3.000 Kilometer Grenze schützen, das geht halt nicht.

Samstag, 23. September 2023

Zitate zur Zeit: Die Delegitimierung

Die Allmachtsfantasien alter weißer Männer bedrohen den inneren Konsens der Gesellschaft.

Auch ein schwieriges Schicksal legitimiert nicht dazu, demokratische Prinzipien zu verletzen. 

Die frühere Kanzlerin Angela Merkel sprach sich bereits im Frühjahr entschieden gegen alle Versuche aus, die Axt ans Fundament des Gemeinwesens zu legen.

Drama am Himmel: Ein Linienflug voller Leidenschaft

Annelena Baerbock wusste, dass ihr gewagter Linienflug über den gesamten Atlantik daheim Schlagzeilen machen würde.

Unvorstellbar. Abenteuerlich. Bürgernah. Und zugleich ein Zeichen, das über Mainz hinaus weltweit gesehen und viel beachtet wurde. Statt wie üblich mit einem Flugzeug der deutschen Flugbereitschaft irgendwo im Ausland hängenzubleiben, wagte Außenministerin Annalena Baerbock das Äußerste: Zum vierten Mal schon und erstmals über den gesamten Atlantik flog die beliebte Grüne mit einer Linienmaschine.Kein Bett an Bord wie in den großen Regierungsmaschinen. Kein großer Tross befreundeten Reportern und Kommentatoren, mit dem Hof gehalten werden kann, verzichtet die Außenministerin dabei gern.  

Ein wagemutiger Flug

Baerbock kommt vom Völkerrecht und sie kennt sich sehr gut auch in Geschichte aus. Gelingt dieses Experiment, wird sie, die junge Deutsche, in einem Atemzug mit Amelia Earhart (1897-1937) genannt, werden, der ersten Frau, die den Atlantik 1928 in einem Nonstop-Flug überquerte. Wieder liegt also etwas Leichtes, Federndes in ihren Schritten, als sie am Abend nach zwei wichtigen Wochen in Übersee Abschied nimmt von einem Partner, den sie noch vor einigen Monaten gedrängt hatte, seine Kernwaffen aus Deutschland abzuziehen. Deutschland, das derzeit nicht genau weiß, wie viele Atombomben auf seinem Boden lagern, werde kräftig mithelfen und den Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen unterzeichen, versprach sie damals.

Diesmal ist man in den vielen Gesprächen mit so vielen Partnern nicht mehr auf die Idee zurückgekommen. Dafür brach Annalena Baerbock wo sie geht und steht nicht nur als Außenministerin, sondern als ihre eigene "Persönlichkeit eine beeindruckende, über den Tag hinausweisende Botschaft mit", wie der SPD-eigene Nachrichtendienst RND aus den Staaten kabelte: "Hier kommt eine dynamische Frau aus Deutschland, erst 42 Jahre alt, idealistisch, zupackend und optimistisch, eine ehemalige Leistungssportlerin im Trampolinspringen." Und sie hat, "anders als viele andere
Politiker, ein Potenzial, das mit dem gegenwärtigen ]ob noch gar nicht ganz
abgerufen wird".

Die Zukunft des Kontinents

Auch der verwegene Atlantikflug zeigt das. Es ist ein sonniger Klimaabend in New York City, als sich Baerbock ohne den ganz großen Bahnhof aufmacht, die Heimreise anzutreten. Die Luft ist erfüllt von Aufregung und Erwartungen, als die Frau, der Kenner des politischen Geschäfts zutrauen, "irgendwann noch mehr Einfluss in Deutschland und Europa zu gewinnen als bisher" sich beinahe unerkannt zum Abfluggate des Linienfluges nach Berlin begibt. Kameras klicken dennoch. Es ist ein Tuscheln in den Gängen, eine gespannte Unruhe. Ja, die Welt hält den Atem an, um einen Blick auf die denkwürdige Reise zu erhaschen, die für die Zukunft Europas von entscheidender Bedeutung ist.

Annalena Baerbock kennt diese Reaktionen natürlich, die Automatismen der globalen Aufmerksamkeitsmaschine, in der sie eine wichtige Rolle spielt. Zuletzt erst hatte sie das Weltreich China in Aufregung versetzt, indem sie den Großen Vorsitzenden Xi als "Diktator" bezeichnete - nur Stunde, nachdem die EU ihrem wichtigsten Warenlieferanten mit einer neuen Runde an Zollbrandmauern gedroht hatte. Die Machthaber in Peking waren außer sich, Baerbock aber lächelte die Affäre weg, wie nur sie das kann. Ihre Diplomaten wiesen Peking auf ein altes, in China schon fast vergessenes Sprichwort hin: 谁会因为愚人误解了自己的话而对他怀恨在心呢? Auf Deutsch soviel wie: Wer wird dem Toren nachtragen, dass er sich im Wort vergreift?

Reges Treiben am Gate

Im Flughafen JFK ist die Atmosphäre dennoch elektrisch. Die Stadt, die nie schläft, scheint extra wach in diesen historischen Momenten. Es herrscht ein reges Treiben, als Passagiere und Journalisten die Szene belagern. Anna-Lena Baerbock, gekleidet wie stets in einem eleganten, aber bescheidenen Outfit, betritt den Terminal mit ihrem berühmten beeindruckenden Selbstbewusstsein. Kamerakompanien klicken. Reporter der internationalen Medien drängen sich, um einen Moment mit ihr zu erhaschen. Selfies wollen gemacht werden. Dieser und jener Kommentator ist noch darauf aus, der Außenministerin das eine oder andere Strategiepapier aus eigener Feder zuzustecken.

Während Baerbock winkend das Flugzeug betritt, nur ein kleines Schminkköfferchen mit dem nötigsten an der Hand, werden wir Zeuge ihrer Entschlossenheit und Leidenschaft. Die Kabinencrew begrüßt sie mit einem Lächeln und sie nimmt ihren Platz ein. Obwohl die Hoffnungsträgerin einer ganzen Generation nicht mehr oft Linie fliegt, kennt sie hier an Bord doch jeder. Man lächelt sich zu wie unter Gleichen. Man weiß, man verdient ähnlich schwer sein Geld, aber auch ähnlich viel. Man ist zusammen Elite, oft abgehoben, aber sich seines Wertes für die Gesellschaft jederzeit bewusst. 

Reise in die politischen Weiten 

Es ist soweit. Die Motoren starten und das Flugzeug hebt ab. Eine Reise in die politischen Weiten Europas beginnt, die auch eine Reise ins Ungewisse ist. Zwar weiß Annalena Baerbock sehr viel mehr über die Zukunft, die verlockend auf Deutschland und alle Europäer in der EU wartet. Doch die Feinde dessen, was sie und ihre Verbündeten geplant haben, sind mächtig und sie sind skrupellos genug, um selbst die Wählerinnen und Wähler vor ihren Karren zu spannen. 

Aus ihren Sorgen macht die Ministerin während des Fluges kein Hehl. Im kleinen Kreis der 1. Klasse reflektiert Anna-Lena Baerbock über ihre politische Karriere und ihre Vision für eine nachhaltige Zukunft. was können wir bewirken, befragt sie sich selbst, was müssen wir tun? Wie holen wir die Menschen dort ab, wo sie sind, und sei es im tiefsten Sachsen? Müssen wir schärfer rangehen, mehr Druck machen, die Leute kräftiger zu ihrem Glück zwingen? Und wohin dann mit ihnen? Für wie lange? Die Kamera fängt die Intensität in ihren Augen ein, während sie zwanglos mit Mitreisenden ins Gespräch kommt und ihre Ideen teilt. Die Unterhaltungen sind lebhaft und leidenschaftlich, manchmal wird es laut, manchmal verstummen alle und hängen ihren tiefen Gedanken nach.

Unter schwarzem Hitzehimmel 

Ja, es scheint, als ob die Zukunft in diesem Flugzeug liegt. Draußen ziehen die Wolken ziehen vorbei, unten liegt das Meer, das so warm ist wie nie. Der Himmel ist schwarz und er wird immer dunkler, je mehr sich der Flieger Berlin nähert. Wie mag die deutsche Hauptstadt aussehen, nach zwei Wochen, die mit drei, vier oder gar fünf neuen Staatsaffären wie im Fluge vergingen? Sind wichtige Gesetze für höhere Steuern und eine Rückkehr zu zweistelligen Raten bei der Geldentwertung schon beschlossen oder muss das erst noch? Die Spannung steigt, als Anna-Lena Baerbock sich auf ihre Rückkehr in die Heimat vorbereitet. Die Leidenschaft in ihrer Stimme ist spürbar, als sie über ihre Pläne spricht, Veränderungen herbeizuführen und die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Dann landet das große, schwere Flugzeug sanft und leicht auf dem nagelneuen Flughafen Berlin-Brandenburg, der weltweit als Aushängeschild für den deutschen Weg gilt: Länger ist noch nie irgendwie auf der Erde an einem so kleinen Flugplatz gebaut worden. Bescheidener fällt kein anderer Hauptstadtflughafen weltweit aus. Die Ankunft verläuft recht unspektakulär. Die elektrischen Türen öffnen sich und Annalena Baerbock schreitet mit der Anmut und Entschlossenheit einer gelernten Trampolinspringerin in ihre politische Zukunft, die auch die Zukunft von 84 Millionen Deutschen sein wird. Die Kameras blitzen erneut, während sie den Flughafen verlässt und in eine Welt voller Herausforderungen und Möglichkeiten eintritt: Sie wird sie annehmen, sie wird sie nutzen, das ist nun jedem klar, der an ihrer Seite reisen durfte.

Eine Reise der Hoffnung

Fazit: Der Linienflug von Annalena Baerbock von New York nach Berlin war keine gewöhnliche Reise. Es war eine Reise der Hoffnung, des Engagements und der Leidenschaft. Eine Reise, die die Zukunft Europas in den Händen einer bemerkenswerten Politikerin ruhen lässt. Eine Reise, die Deutschland und die Völker der EU ruhig schlafen lassen kann. Annalena Baerbock wird weiterhin für sie alle arbeiten und die Herzen der Menschen auf der ganzen Welt mit ihrer Leidenschaft und ihrem Engagement für eine nachhaltige Zukunft erobern. 

Über den Verbleib der Regierungsmaschine, mit der Annalena Baerbock in die USA geflogen war, ist momentan noch nichts bekannt. Womöglich wurde der Flieger aus Klimaschutzgründen in den USA zurückgelassen.

Freitag, 22. September 2023

Fake News: Sie scherzen nicht, sie lachen uns aus

Die Frage ist nie, ob stimmt, was Politiker sagen. Die Frage ist stets, ob die Bevölkerung es ihnen trotzdem glaubt. Abb: Kümram, Stahlstift auf Second-Hand-Leinen

Anfang des neuen Jahrtausends wählte er selbstverständlich SPD. Dennis Haferberg hatte damals gerade seinen ersten Vertrag als Mitarbeitender im Marketingteam eines Stadtbades in Ostdeutschland unterschieben, tatendurstig und ideenlustig sah er wie ganz Deutschland einer leuchtenden Zukunft in die wasserhellblauen Augen. "Wir hatten den Jahr-2000-Bug lebend überstanden, mit dem Euro wieder eine betonharte Währung in der Tasche und die Arbeitsmarktreformen versprachen, Deutschland aus einer jahrzehntelangen Lähmung zu befreien", erinnert er sich an die Jahre des Rucks, als der Muff von tausend Jahren langsam wich.  

Schöne Zeiten im Rückspiegel

Politik war unterhaltend. Guido Westerwelle machte aus dem Neoliberalismus einen Zirkusveranstaltung. Der Sozialist Gerhard Schröder rauchte Zigarre wie ein Schlotbaron. Die CDU entpuppte sich als durch und durch korrupte Truppe ohne Skrupel, selbst geschichtliche Tabus als Tarnung für üble Koffergeschäfte zu missbrauchen. "Im Rückblick aber waren es doch schöne Zeiten", sagt Haferberg, der offen gesteht, sich "damals von der Politik durch ernster genommen gefühlt zu haben als das heute der Fall ist". Zwar sei auch in jener heute oft als mystischer Raum politischen Anstands betrachteten frühen Berliner Republik gelogen worden, dass sich die Balken hätten biegen müssen. "Doch beispielsweise gab es keine Fake News, keine Hetze und keinen Hass", erinnert sich der studierte Kulturwissenschaftler und Technologiephilologe.

Die großen bekannten Köpfe der Politik, sie schienen ihm seinerzeit wie Vaterfiguren. "Und Mütter natürlich", sagt er. Schmidt, Kohl, Lafontaine, selbst de Maiziere noch, der sich lustig machte über Angstgefühle in der Bevölkerung, zugleich aber bereit gewesen sein, schreckliches Wissen anstelle der Bürgerinnen und Bürger zur Kenntnis zu nehmen und geheimzuhalten. "Schaue ich dagegen heute Christian Lindner an, Frau Baerbock, Olaf Scholz, Lisa Paus oder Robert Habeck, dann fühle ich mich häufig auf den Arm genommen." 

Die Dreistigkeit des Ex-Liberalen

Gerade der frühere Liberale Lindner, den er bislang für einen der wenigen Erwachsenen im Kabinett gehalten hatte, steht dem gebürtigen Lausitzer dabei "bis hier", wie Haferberg sagt, während er die Hand hoch über den Kopf hebt. "Er sehe sich in der Verantwortung, die Bekämpfung der Inflation durch die Notenbank zu unterstützen, indem er eine moderat restriktive Finanzpolitik mache", habe Lindner jetzt verkündet, kann sich der frühere SPD-Wähler, der später lange der FDP die Treue hielt, vor Empörung kaum halten. 

"Derselbe Mann hat der Erhöhung der CO2-Abgabe zugestimmt, er will die Umsatzsteuer auf Erdgas schnellstmöglich erhöhen und obwohl er weiß, dass die Bürger jeden einzelnen Cent dafür bezahlen werden, war er auch einverstanden, die Lkw-Maut noch weiter in die Höhe zu treiben."

Die Lüge als Kommunikationsstrategie

Haferberg ist sich sicher, dass Lindner wisse, dass er lüge, wenn er behaupte, Deutschland habe "seine Ausgaben gebremst, um die Wirkung der Geldpolitik nicht zu konterkarieren". Jeder, sagt der Sachse, könne doch die echten Zahlen sehen: "Bis Ende Juli 2023 betrugen die Ausgaben des Bundes rund 263,1 Milliarden Euro, die Einnahmen betrugen im gleichen Zeitraum rund 215,6 Milliarden Euro." Insgesamt dürfe der Bund in diesem Jahr 476 Milliarden ausgeben - verglichen mit 443 Milliarden im vergangenen Jahr. "Wo wurden er Ausgaben gebremst?"

Nein, Dennis Haferberg ist sich sehr sicher: "Die scherzen nicht mehr nur, sie lachen uns aus". Wenn jemand wie Christian Lindner frei erfundene Tatsachen auf offener Bühne präsentiere, ohne dass eine mit Millionen Euro gezüchteten und gefütterten Faktencheck-Departments aus dem Umfeld der Parteien, aus der Verwaltung des Bundesblogampelamtes (BBAA) im mecklenburgischen Warin oder von den zahllosen Gemeinsinnsendern sich veranlasst sehe, dazwischenzugrätschen, spreche das für eine miteinander verabredete Veranstaltung zur Verhöhnung des Publikums und der Steuerzahler. "Sie tun es, weil sie es können", glaubt Haferberg, "und sie genießen mit Sicherheit das Gefühl, dass sie damit durchkommen."

Wie die Unwahrheit den Belogenen belastet

Nicht beim ihm, aber das ärgert Haferberg ganz besonders, bedeute es doch eine schwere Belastung seines Verhältnisses zu den gewählten Volksvertretern und der Regierung. "Nicht jeder fühlt sich zu den zwei Klicks veranlasst, die es braucht, um Lindners Behauptung als Lüge zu enttarnen", glaubt Haferberg, "alle anderen werden dem Mann vermutlich abnehmen, dass stimmt, was er behauptet." Ihm selbst sei es allerdings leider nicht vergönnt, alles für bare Münze zu nehmen, nur weil es in der Tagesschau, bei Spiegel, FAZ und Taz vielfach gleichlautend wiederholt werde. "Ich möchte mich dann vergewissern und bin immer wieder enttäuscht, dass das nicht geht, weil die Fakten ganz anders aussehen."

Im Normalfall habe er gelernt, das achselzuckend zu akzeptieren. "Sie belügen uns, wir wissen, dass sie lügen, sie wissen, dass wir wissen, dass sie lügen, aber trotzdem lügen sie weiter, weil es ohne Lügen nicht geht", sagt er. Selbst in einem Land aber, in dem zusätzliche Schulden in Milliardenhöhe als "Sondervermögen" bezeichnet werden, sei die Bezeichnung von steigenden Ausgaben als "gebremste Ausgaben" ein besonders dreister Versuch, die Bürger hinter die Fichte zu führen. "Das kommt mir vor wie die Art Krisenbewältigung durch Sprachdesign, mit dem die alten Lateiner einander ein X für ein U vormachten oder heute biologische Männer zu Frauen erklärt werden." Es komme nun offenbar überhaupt nicht mehr darauf an, was ist, sondern nur noch darauf, was sich daraus machen lasse, wenn alle mitziehen.


Mitte Deutschland: Die stille Nazifizierung

Erste besorgte Stimmen weisen auf die wachsende Gefahr hin.

Die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen unter der deutschen Politikern und Medienschaffenden hat einer aktuellen Studie zufolge seit dem Wiederanlaufen des Parlamentsbetriebes in Berlin stark zugenommen. In ihrer am Freitag veröffentlichten Untersuchung stellen die Forscher des An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung fest, dass jeder zweite Politiker, der sich zuletzt öffentlich äußerte, ein rechtsextremes Weltbild vorzuweisen hatte. Mit etwa 50 Prozent sei der Anteil gegenüber dem Niveau des Vormonats damit auf das Sechsfache gestiegen, heißt es in der Untersuchung.

Ein mächtiger Rechtsruck

Zu übersehen ist das auch für den normalen Politik- und Medienkonsumenten kaum mehr.  Vorbei sind die Zeiten, als mit Angela Merkel eine Kanzlerin den globalen Migrationspakt gegen eine Bevölkerungsmehrheit verteidige und durch den Bundestag beschließen ließ. Heute schweigt ihr Nachfolger in dröhnender Lautstärke. Und er nimmt dabei gern in Kauf, dass  die Scharfmacher aus seiner Partei mit ihren fremdenfeindlichen Ansichten hausieren gehen: Eine Innenministerin zieht Grenzzäune hoch und will Verfolgten aus bestimmten Staaten das Asylrecht verweigern. Der Alt-Parteichef seht sich nach dänischen Verhältnissen, mit knallhart zugeschlagenen Türen. Kommunalpolitiker schreiben Brandbriefe, die die Flammen anheizen.

Auch die ARD berichtet mutig über die Studie.
Doch was der progressiven Bevölkerungsschicht als deutlicher Hinweis darauf gilt, dass auch mit dem  früheren Hamburger Sozialdemokraten Scholz die gesamte deutsche Sozialdemokratie deutlich nach rechts abgerutscht ist, befeuert das Vorbild Nachahmer aus anderen Parteien, die wiederum Medien motivieren, nun auch ins populistische Horn zu stoßen. Die EU-Chefin predigt schärfere Beobachtung des Zustroms, der linke Noch-Regierungschef in Thüringen zieht mit der Parole "Land und Kommunen am Limit" in den Wahlkampf um Stimmen von der extremen Rechten und der Wagenknecht-Partei. 

Rollenspiele als Scharfmacher

Selbst die grüne Parteivorsitzende Ricarda Lang gefällt sich in der Rolle der Scharfmacherin: "Um zu verringern, dass immer mehr Menschen ankommen, brauchen wir jetzt Migrations- und Rückführungsabkommen", die sowohl gesteuerte Migration ermöglichen als auch Rückführungen erleichterten. Unausgesprochen schwingt da auch die Erwartung mit, durch eine demonstrativ vertretene Abschottungspolitik ein paar der verlorenen Umfrageprozente wieder  aufzuholen.

Da darf der Bundespräsident als Vertreter auch der Bürgerinnen und Bürger am äußersten rechten Rand nicht fehlen. Geradezu brutal hat Walter Steinmeier jetzt eingeräumt, dass bei Diskussionen um die Migration seit Jahren gelogen worden sei. Wie sein Vorgänger Achim Gauck, der das dänische Ziel, keinen einzigen Flüchtling mehr aufzunehmen, ausdrücklich gelobt hatte, forderte der frühere Sozialdemokrat seine Kolleginnen und Kollegen im Elfenbeinturm auf,  nicht mehr "von einem hohen moralischen Sockel" auf die Menschenfeinde im Land zu blicken. Fakt sei doch, dass "die wachsende Zahl der Flüchtlinge Kommunen ans Ende ihrer Leistungskraft" bringe. 

Zu viele, zu schnell

Solche Vorlagen öffnen alle Schleusen. So provoziert das ZDF mit Sendungstiteln wie "Zu viele, zu schnell – lässt sich Migration begrenzen?", die ARD zeigt Bilder mitten im bayrischen und hessischen Landtagswahlkampf Horrorbilder aus Lampedusa und der Deutschlandfunk beschreibt eine "Begrenzung der Migration" als praktischen Weg zur Wiederherstellung einer Kanzlerdemokratie, in der eine oder einer das Sagen hat und die anderen vertrauensvoll folgen.

Für Hans Achtelbuscher, der am An-Institut üblicherweise zum Themensterben in den deutschen Medien und demokratischen Sprachregelungsmechanismen forscht, kann von einer rechtsextremen Einstellung nicht automatisch darauf geschlossen werden, wo sich jemand selbst politisch verortet. "Unsere Studie zeigt deutlich, wie beispielsweise ein sehr extremes Verständnis individueller Freiheit ins Autoritäre umschlagen kann."

"Unter Politikern, die sich klar als links positionieren, gibt es dabei mehr Menschen, die ein gefestigtes rechtsextremes Weltbild teilen, als es in der politischen Mitte der Fall ist", betont Achtelbuscher unter Verweis auf die absoluten Zahlen. "Von Linkspartei über Grüne und SPD verstehen sich ja derzeit drei der sieben Bundestagsparteien ausdrücklich als Linke", sagt er. Dazu kämen noch die breiten linken Ränder von CDU und FDP. Zugenommen habe also nicht der Anteil der Befragten, der sich rechts der Mitte verorte, sondern der, der rechts der Mitte stehe.

"Ausufernde Bleiberechte" im Visier

Wo "ausufernde Bleiberechte für ausreisepflichtige Personen" begrenzt werden sollten und klipp und klar gesagt werde, dass es "nötig sei, dass weniger Menschen ankämen" (Steinmeier), brauche es jedoch kein großes Rätselraten, wes' Geistes Kind die Urheber solcher rechtspopulistischen Forderungen seien. "Erst mit der AfD abstimmen, dann die Anreize für Sekundärmigration – also für den Umzug von Geflüchteten aus einem Land der Europäischen Union in ein anderes – senken wollen, "umreißt Achtelbuscher ein Beispiel. Andere seien die Thüringer Einheitsfront von links bis rechts, der grüne Sündenfall von Backnang und der Hildburghausener Tabubruch, mit dem die SPD alle Brandmauern einriss.

Überraschend ist der Trend nicht, wenn man auf die Ergebnisse der Wählerumfragen der vergangenen Wochen schaut. Dort lag die rechtspopulistische AfD bundesweit bei etwa 22 Prozent, ohre Parolen und Politikangebote kommen an, die an der anderen Parteien immer weniger. Die ordnen nun die Auslage neu: Statt noch mehr Belastungen, Verbote und höhere Preise für noch mehr Klimarettung, Wohlstandsrückbau und größere Politikpaläste mit noch mehr Personal und automatischen Gehaltserhöhungen zu versprechen, werden zentrale Merkmale des Rechtsextremismus aufgewärmt.

Sehnsucht nach starkem Mann

Überall taucht plötzlich wieder Deutschland auf, als "Pakt" und als Geschwindigkeit, als Fahrkarte und Bahntakt. "Man kommt sich vor wie in der Vollversammlung eines Neonazinetzwerk", kritisiert Hans Achtelbuscher. Im Vergleich zu den Vorjahren werde der Vorwurf der beschnittenen Meinungsfreiheit heute von deutlich mehr Politikern geteilt, heißt es in der Studie. Gleiche gilt für die völkische Forderung, jeder Staat solle erst einmal bei sich daheim  für Ordnung schaffen, ehe er andere belehrt." Bis in den Gemeinsinnfunk wird der Versuchung nachgegeben, Aussagen zuzustimmen, nach denen ein starker Mann am besten Machtwort spreche, um leidige öffentliche Diskussionen im Handstreich zu beenden. "Niemand schämt sich mehr, eine Diktatur zu befürworten."

Donnerstag, 21. September 2023

Zitate zur Zeit: Im schwarzen Garten

 

Die Stadt liegt unter NebelIch bin auf meinem BergIn meinem schwarzen GartenZwischen Himmeln eingeklemmt
 
In der Enklave meiner WahlIn der ich mich versteckIn Nagorny Karabach
 
Vormals tiefe WälderBergketten, vielleicht EisEine messinggelbe Sonne
Verbricht ein Paradise
 
Meine Sys- und DiastoleDazwischen der MomentGetragen von den VögelnDie hier zugange sind
 
In der Enklave meines HerzensIn der ich mich verlierIn Nagorny Karabach
 
Ich steig den Berg herunterGeh ins eine oder andere TalEs ist geflaggt in allen FarbenIn Bergisch-Karabach
 
Zwei große schwarze RabenFressen Pflaumen aus dem BaumOb die andre Stadt mich lieb hat?
 
In der Enklave meiner WahlIn der ich mich verbergIn Nagorny Karabach
 
Komm mich mal besuchenIch hab unendlich ZeitUnd der Blick der ist vom FeinstenÜber Wolken und die Stadt
 
In Nagorny KarabachNagorny KarabachNagorny Karabach
 
Blixa Bargeld, Einstürzende Neubauten, Alles wieder neu, 2007

Strenge Pläne aus Brüssel: Abschaffung des Autofahrers

Nachwachsende und älter werdende Autofahrer sollen künftig besser betreut werden.

Wie die Schwefelpartei das nur macht. Mehr als ein halbes Jahr ist es noch hin bis zum großen Europa-Wahltag im nächsten Juni, und doch gelingt es ihr beinahe täglich, schon knallharten Wahlkampf für sich machen zu lassen. Eben war es noch die Süddeutsche Zeitung mit dem Versuch, die AfD von der Konkurrenz der Freien Wähler zu erlösen. Dann begann eine kurze, aber knackige Kampagne rund um die Brandmauer, mit der allen Zweiflern nachdrücklich klargemacht wurde, dass nur eine Stimme für die in Teilen als gesichert rechtsextremistisch beobachtete Partei einen wirklich langen Hebel liefert, um alle anderen zur Verzweiflung zu bringen.

Eigentlich bereits gerettet

Glücklich hatte das politische Berlin eigentlich geglaubt, mit der Eilzugabfertigung des Heizungsgesetzes bis den Landtagswahlen in Bayern und Hessen in Sicherheit zu sein. Niemand redet mehr vom Gasverbot, alles, was schlimm kommen wird, ist noch weit weg: Erst im Dezember steigt die Lkw-Maut, um damit den Ausbau des geplanten Zukunftszentrums zu finanzieren. 

Im Januar dann ist die CO2-Steuer dran, die Mehreinnahmen generieren soll, damit der Staat zumindest den großen klimaschädlichen Dreckschleudern einen halbwegs günstigen Strompreis anbieten kann. Dass parallel die Ermäßigung der Erdgassteuer beendet wird, ist noch nicht ausgemacht. Dass die Umsatzsteuer im Gastgewerbe wieder hoch muss, dagegen schon. 

Der Kampf gegen die Inflation kennt kein Erbarmen, denn jede Maßnahme hat das Zeug, die Rechte weiter zu stärken. Wahlrecht für jeden, der gerade im Lande ist? Nehmen wir. Eine neue Front gegen China öffnen und Peking androhen, dass wir auch gar nichts mehr kaufen könnten? Nehmen wir. Die Wohnungsnot noch entschlossener bekämpfen, indem die Neubauziele gesenkt werden? Her damit. 

Brüssel traut dem Braten nicht

Nur in Brüssel trauen sie dem Braten nicht. Wird all das wirklich schon reichen, den Rechtspopulisten im kommenden Jahr zu einer absoluten Mehrheit im neuen Parlament zu verhelfen? Geht da nicht noch dieses oder das? Nach dem erneuten vorläufigen Scheitern der Pläne zur Vollüberwachung der Kommunikation von 440 Millionen EU-Bürgern war guter Rat teuer. Doch irgendwo in den Abgründen der Bürokratischen Union schlummert zum Glück immer noch ein Vorschlag, wie ihn sich jeder populistische Wahlkämpfer schöner nicht malen lassen könnte. 

Wie wäre es also, wenn die Kommission dem zumindest halbdemokratisch gewählten Parlament ohne Gesetzgebungskonferenz vorschlüge, Autofahrer in der EU auf Schrumpfführerscheine umzustellen? Erlaubnisse auf Zeit, russische "Propusk", die - in der ersten Stufe - freies Fahrzeugführen nur noch in den Lebensjahren zwischen 21 und 60 gestatten. 

Und danach langsam auslaufend mit immer häufiger werdenden Prüfungen, selbstverständlich kostenpflichtig, signalisieren, dass Rentner zwar gern weiterarbeiten können, am liebsten bis zum Tag ihres Todes. Aber hinter ein Lenkrad setzen mögen sie sich doch bitte nicht. Das Klima will es nicht. Und die EU strebt im Bewusstsein ihrer Allmacht nicht nur über die Menschen, sondern auch über die Dinge bis 2050 "null Verkehrstote" in ganz EU-Europa an. Dazu muss die Zahl der Autofahrer zweifellos runter. Am besten wäre, es führe niemand mehr, auch nicht Roller oder Rad.

Mehr Prüfungen und Kontrolle

Wie immer bei der EU ist das Gesamtpaket dann noch einmal ungleich komplizierter, eine nach neuen Prüf-, Kontroll- und Überwachungsbehörden geradezu schreiende Konzeption, die auf den ersten Blick ersichtlich im Fond einer Limousine mit Fahrer geschrieben wurde.

Was früher die PKW-Führerscheinklasse B mit der Genehmigung zum Führen von Fahrzeugen bis 3,5 Tonnen, wird B+ mit einer Obergenze von 1,8 Tonnen. Bei Umzugsfirmen in der ganzen Republik kam es zu spontanen Freudenkundgebungen, bei Handwerksfirmen hingegen legten die Gesellen Trauerflor an: In Zukunft werden sie immer fahren müssen, weil ihnen zumindest bs zum 60. das B bleibt. Der Stift dagegen sonnt sich auf dem Beifahrersitze, denn er hat nur das neue B und darf nicht.

Dafür aber auch nicht nachts fahren, nicht schneller als 90 und erst nach seinem 21. Geburtstag wieder zur Fahrschule, um kostenpflichtig den B+-Führerschein nachzuholen. Benimmt er sich, darf er ihn aller 15 Jahre kostenpflichtig neu ausstellen lassen, ehe diese Geltungsdauer dann für die letzten zehn oder 20 Lebensjahre zuerst auf sieben Jahre, dann auf fünf und schließlich auf zwei schrumpft. 

In diesem Rhythmus muss nicht neu beantragt, sondern eine Prüfung abgelegt werden, ob alles noch sitzt. Die behütende und bevormundende Bürokratie verlangt einen Fähigkeitsnachweis von denen, die auch mit 70 noch auf dem Dach stehen, in der Furche und hinten auf dem Müllauto: Darf man dir noch vertrauen? Zeigst du Beugsamkeit? 

Flankiert wird das von "umfangreichen medizinischen und psychologischen Untersuchungen" (Focus), ohne die Senioren europaweit nicht mehr hinter den Lenker dürfen. Wer gegen die Regeln verstößt. soll „wirksame und abschreckende Sanktionen“ zu spüren bekommen.

Euer Staat liebt und vertraut euch, signalisiert die EU, euer Staat will nur das Allerbeste. Im Alter muss niemand mehr von hier nach da fahren, wenn er es sich immer noch nicht leisten kann, gefahren zu werden. Das alles gilt wie stets erst ab irgendwann, wenn sich niemand mehr daran erinnern kann. Dann aber tritt das für alle in Kraft, unverhofft und unverzüglich.

Mittwoch, 20. September 2023

Faeser-Vorschlag: Ein neues Volk für die alte Politik

Das Wahlkarussell dreht sich und enttäuschte Wahlkämpfer werden unruhig.

Den Vorschlag, dass sich die Politik ein neues Volk wählen könne, wenn das alte ihr nicht mehr zu folgen bereit sei, hat Bertolt Brecht schon vor ein 70 Jahren auf den Tisch gelegt. Verfolgt wird er dennoch bisher nur halbherzig, mal wird Teenagern zugestanden, zumindest bei symbolischen Wahlveranstaltungen mit nur halbdemokratischen Regeln mit an die Urne treten zu dürfen, mal werden Versuche unternommen, auch Kinder zu instrumentalisieren und ihren Erziehungsberechtigten ein zusätzlichen stellvertretendes Wahlrecht zu verleihen, um die alte Regel "one man, one vote" in eine neue, bunte und diverse Zeit zu transformieren.

Der falsche Wähler

Furcht herrscht allenthalben, Furcht, dass auch die ungewöhnlichen Methoden und die gewohnten Reflexe zur Mobilisierung neuer Wählerinnen und Wähler auf Dauer nicht reichen könnte, die Verhältnisse auf alle Zeit sicher zu zementieren. Bundesinnenministerin Nancy Faeser, seit Wochen so sehr in einen von Anfang an verlorenen Wahlkampf in Hessen verstrickt, dass ihr kaum noch Zeit bleibt, sich um ihre eigentliche Amtsführung zu kümmern, hat nun eine neue Idee eingebracht, die die Sozialdemokratin vermutlich für überaus progressiv hält. 

Danach sollen Flüchtlinge mit unbefristetem Aufenthaltstitel, die schon länger als sechs Monate im Land sind, von einer künftigen sozialdemokratisch geführten hessischen Landesregierung das Recht bekommen, bei Kommunalwahlen mitabstimmen zu dürfen. Im Augenblick dürfen das nur deutsche Staatsbürger und Inhaber von Pässen befreundeter Wertepartner in der EU.

Die Umfragen aber zeigen: das wird für die SPD, die in Hessen mehr als 40 Jahre lang Staatspartei war, nicht reichen. Zwar hält sich die frühere Arbeiterpartei in ihrem früheren Stammland mit immer noch rund 18 bis 19 Prozent der Stimmen auf einem in der deutschen Sozialdemokratie inzwischen als achtbar geltenden Platz 2. Doch auch die Ausweitung des Wahlrechts auf Nicht-EU-Bürger mit unbefristetem Aufenthaltstitel, die mindestens sechs Monate in Deutschland leben, dürfte kaum ausreichen, der als kalt, trickreich und absolut berechenbar geltenden Verfechterin von scharfer Überwachung der Kommunikation der Bürger und verfassungswidriger anlassloser Vorratsdatenspeicherung die Herzen zufliegen zu lassen. 

Viel zu klein gedacht

Das sei alles zu klein gedacht, zu kurz und zu sehr in der eigenen Blase verhaftet, urteilt der Medienwissenschaftler Hans Achtelbuscher, der sich deutliche rabiatere Vorschläge von der verzweifelt ums politische Überleben kämpfenden Sozialdemokratin gewünscht hätte.

"Das Festhalten am demonstrativen Ausschluss von beinahe acht Milliarden Ausländern von der Teilnahme an Wahlen in Hessen, wie ihn Faesers Wahlprogramm vorsieht, ist einfach nur schäbig", sagt der Kommunikationsforscher, der am An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung untersucht, wie sich offizielle Sprachregelungsmechanismen und subkutane Wünsche auf die berichterstattete Realität und das Themensterben in den deutschen Medien auswirken.

Faeser habe wohl einen Befreiungsschlag vorgehabt, als sie in ihr Wahlprogramm schreiben ließ, dass die hessische SPD sich "mit Nachdruck dafür einsetzen" wolle, "dass alle Menschen, die länger als sechs Monate in hessischen Kommunen leben, ein kommunales Wahlrecht erhalten." Das aber sei zu kurz gesprungen. "Warum sechs Monate, warum nicht sechs Wochen oder sechs Tage?", fragt sich der Forscher.

Die Hoffnung, im Gegenzug aus Dankbarkeit von einer Vielzahl anerkannter Asylbewerber aus dem nahen und fernen Osten, aber auch aus Afrika und Osteuropa, die seit langem auf demokratische Partizipationsmöglichkeiten warten, gewählt zu werden, sei in dieser Strategie deutlich erkennbar. "Zugleich aber zeigt sich, dass Nancy Faeser nicht in der Lage ist, wirklich durchgreifend neu zu denken."

Viel zu enge Grenzen

Warum denn nur anerkannte Asylbewerber? Weshalb nur kommunal? Und warum denn eine neue Zwei-Klassen-Gesellschaft?, fragt sich der ausgewiesene Entropie-Experte. Seit Jahren schon dürften in Deutschland Doppel- und Dreifachstaatsbürger über Bundesregierungen und Kanzler mitabstimmen, Bürgerinnen und Bürger aus anderen EU-Ländern seien eingeladen, nicht nur dort zu Wahlen zu gehen, sondern auch hier. Damit sei das Wahlrecht faktisch nicht mehr wie früher an eine bestimmte Staatsbürgerschaft gebunden. 

"Jemand, der Türke ist und Deutscher wird, kann ja seine türkische Staatsbürgerschaft durch diese Einbürgerung nicht einmal ablegen, wenn er will." Dadurch stehe ihm die Möglichkeit offen, in der Türkei und in Deutschland zu wählen, zahlreiche Fälle seien zudem bekannt, in denen eine dritte Staatsbürgerschaft wie etwa die amerikanische oder kanadische weitere Wahlteilnahmen ermögliche. 

Unwucht bei Wahlberechtigten

"Um diese Unwucht zu beseitigen, hätte Frau Faeser eine Öffnung der Wahlteilnahme in Deutschland für jedermann ankündigen sollen." Gerade Touristen und Urlauber, aber auch Nicht-EU-Bürgerinnen und Bürger, die weder eine Einbürgerung wünschen noch integriert werden wollen, seien als vorübergehend Aufenthaltssuchende ein Wählerpotenzial, auf das die deutsche Sozialdemokratie in Zukunft nicht verzichten könne.

"In Hessen werden sie vermutlich noch überleben, denn dort werden Frau Faeser nun die Herzen fliegen", glaubt Hans Achtelbuscher: "Aber wie sieht es denn in Sachsen aus?" Der selbst lange mit Buschzulage in den Neuen Ländern tätige Wissenschaftler sieht schwarz für die Roten. "Wenn Frau Faeser nicht noch ein Kaninchen aus dem Käfig zieht, endet der Traum von der Staatskanzlei am Wahltag."

Angriff auf Armenien: Er ist doch unser Schweinehund

An der Grenze zu Karabach erinnert ein Mahnmal an einen im Konflikt mit Armenien gefallenen Soldaten.

Großer Bahnhof in Berlin, damals im März, als Bundeskanzler Olaf Scholz den aserbaidschaischen Präsidenten Ilham Alijew empfing. Der erste Mann in der früheren Sowjetrepublik hatte keine zwei Jahre zuvor gerade ein Nachbarland überfallen, seine Armee tötete ohne Vorankündigung rund 4.000 armenische Soldaten und beendeten damit einen 1994 anhaltenden Waffenstillstand zwischen den christlichen Armenier und den muslimischen Aserbaidschanern. Im September 1991 schon hatte die Republik Bergkarabach nach Massenmorden an Armeniern in Aserbaidschan ihre Unabhängigkeit erklärt, im November schaffte daraufhin Aserbaidschan den autonomen Status der Region ab.  

Hand in Hand mit dem Aggressor

Bei Gefechten zwischen Verbänden aus Nagorno-Karabakh, die von Armenien unterstützt wurden, und aserbaidschanischen Truppen schickten sich die Armenier kurzzeitig an, bis nach Baku durchzumarschieren. Erst ein Ordnungsruf aus Moskau stoppte sie. Es kam zum Waffenstillstand, doch es war klar, dass das vielmals größere, reichere und fünfmal bevölkerungsreicheren Aserbaidschan nicht ruhen würde, bis es die überwiegend von Armeniern bewohnte Enklave zurückerobert hätte. 

Dass es jemanden im Westen gestört hätte, als es soweit war, lässt sich nicht sagen. Ein paar laue Proteste, leise ins Handtuch geflüstert, das war alles, was die Ölmacht am Kaspischen Meer zu fürchten hatte. Es war gerade Corona und selbst die Weltfriedensmacht Deutschland mit allem beschäftigt,nur nicht mit völkerrechtswidrigen Angriffen auf Nachbarstaaten. Als sich dann später wieder Protestreserven gesammelt hatten, war alles schon viel zu lange her.

Mal nicht etepetete sein

Rechtzeitig vor seinem Flug nach Berlin hatte sich Ilham Alijew dann auch noch das Blut von den Händen gewaschen und ein Rettungspaket für die unter dem Embargo für russischesx Öl und Gas leidenden Deutschland geschnürt: "Wir können es uns nicht leisten, etepetete zu sein", zeigte Bundeskanzler Olaf Scholz Talent zum Pragmatismus. Der neue Pakt mit dem Diktator, der als Amtsnachfolger seines Vaters in einer Wahl voller Betrug und Benachteiligung der Opposition an die Macht gelangt war, galt angesichts der Alternativen als alternativlos. Um den einen Kriegstreiber zu treffen, musste man mit dem anderen ins Bett steigen.

Eine klare Haltung, die Alijews Bestrebungen beflügelte, die Armenien aus der selbsternannten Republik Arzach zu vertreiben, so lange die Werteunion in Europa noch mit Russland beschäftigt ist und die USA über jeden Staat froh sind, der wenigstens so tut, als stehe er treu zum Westen. Nachdem Armenien Russland mit der Absage gemeinsamer Manöver brüskiert hatte, um der Nato zu signalisieren, dass man wisse, wo seine wahren Freunde sitzen, zog der Kreml seine schützende Hand zurück. Die Nato allerdings entschied, dass es Armenien nicht wert sei, dafür einen Weltkrieg zu riskieren.

Deutschland wirkt ein

Im Sommer war Alijew so weit, Seine Truppen sperrten den Latschin.Korridor, die einzige offene Straße zwischen Armenien und Arzach. 120.000 Menschen waren ohne Versorgung. Wer hinein und hinaus durfte, bestimmten Alijews Soldaten. Die Bundesregierung protestierte nicht, versprach aber, auf Aserbaidschan "einzuwirken". Zwei Monate später machte Außenministerin Annalena Baerbock ernst mit der feministischen Außenpolitik: Sie drang nun auf einen Hilfszugang und appellierte ultimativ an den Angreifer: "Die Menschen in Berg-Karabach müssen das, was sie zum Leben brauchen, endlich bekommen. Der Latschin-Korridor muss frei sein für humanitäre Hilfe". 

Die im Februar versprochene große EU-Friedensmission in Armenien hatte da immerhin schon den Namen EUMA bekommen und  die Aufgabe erhalten, "lokale Kommunikationskanäle und De-
Eskalationsmechanismen zwischen den Konfliktparteien aufzubauen". Die erhoffte "neue Phase des EU-Engagements im Südkaukasus" aber brach trotz der rund 100 zivilen Beobachter anders an als erhofft: Aserbaidschan setzte seine Truppen wieder in Marsch, um endlich Schluss zu machen mit dem Dauerkonflikt.

Mahnende Worte aus Brüssel und Berlin

Die Außenministerin wird das freilich nicht zulassen. "Aserbaidschan muss den Beschuss sofort einstellen und an den Verhandlungstisch zurückkehren, nur so ist dauerhafter Frieden möglich", kabelte Annalena Baerbock bei X, kaum dass Bakus seine Zusage gebrochen hatte, "von militärischen Maßnahmen abzusehen" (Baerbock). Die EU eilte zu Hilfe und ließ ihren Außenkommissar Josep Borrell eine Verurteilung der "militärischen Eskalation in Karabach" nebst einer bedauernden Bemerkung zum "Verlust von Menschenleben" tippen. Ursula von der Leyen mischte sich selbst nicht ein. Ein Repost musste reichen.

Zu wichtig sind Öl und Gas aus Aserbaidschan inzwischen, als dass sich so kurz vor dem Winter noch große Sanktionsaktionen ausrufen lassen. Die Raffinerie in Schwedt etwa, aus deren Produktion auch die Regierungslimousinen betankt werden, läuft nur noch, wenn auch nur ein bisschen, weil Baku kasachisches Öl zur Versorgung über sein Gebiet weiterleitet. 

Auch die eigenen Exporte hat der geschäftstüchtige Diktator hochgefahren: Von acht auf zwölf Milliarden Kubikmeter mit Aussicht auf mehr. Nach den Plänen der EU, die von der Leyen vor einem Jahr vorstellte, sollen es bis 2027 schon 20 Milliarden Kubikmeter sein, die der "verlässliche Partner" (Alijew) nicht nur selbst fördert, sondern zuvor auch aus Russland importiert.

Armenien hat nun eine Chance. Schnell selbst viel Öl und Gas finden.

 

Dienstag, 19. September 2023

Zu zahm, zu sanft: Klimaschutzprotest muss schmerzhaft sein

Die Taliban machten vor, wie konsequenter Protest aussieht.

Nun jammern sie wieder, heulen getroffen auf und hetzen gegen eine angebliche Verunzierung des Brandenburger Tors in Berlin, als sei das monumentale Bauwerk nicht errichtet worden, um das Heraufziehen eines vermeintlich goldenen Zeitalters Preußens zu verkünden. Dabei steht das Bauwerk, das im Unterschied zu Reichsgründer Bismarck bis heute als Nationalsymbol gilt, nicht schon seit mehr als 200 Jahren als Zeichen für den brutalen und völkerrechtswidrigen Einmarsch preußischer Truppen in die Republik der Vereinigten Niederlande.  Aber nicht der geschichtsvergessene Umgang mit den Symbolen der unseligen Vergangenheit empört die deutsche Öffentlichkeit. Sondern eine harmlose Farbaktion von Klimaaktivisten, bei der diesmal nicht einmal jemand zu Schaden kam.

PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl prangert den fehlenden Mut bei der Klimabewegung an, dort zuzuschlagen, wo es wirklich wehtut.

Svenja Prantl fordert Härte fürs Klima.

Eine "vergleichsweise zahme" (Taz) Sache verglichen mit Angriffen auf den rollenden Verkehr oder der Entlüftung von klimafeindlichen Autoreifen. Traut sich die Letzte Generation nicht mehr zu? Ist die Angst der Aktivisten vor der unheilvoll schweigenden Bevölkerungsmehrheit oder Racheaktionen des Staates schon so groß, dass ihr in den 18 Monaten seit der vielbeachteten "Aktion Essen retten" am ersten Tag des Krieges keine neuen Protestformen mehr einfallen?

Klebaktionen ohne Echo

Dabei ist kaum mehr zu übersehen, dass sich die Klebeaktionen und der von Anfang an wenig diverse Rest der aufrüttelnden Klimaschutzproteste totgelaufen haben. Der Sprühanschlag auf das bis heute mit einem Eisernen Kreuz versehene Berliner Tor war zweifellos ein eher hilfloser Versuch, die Offensive zurückzugewinnen. Im ersten Moment sogar leidlich erfolgreich: Endlich einmal wieder wurde überhaupt Notiz genommen von der LG. Endlich einmal wieder ließen sich die bigotten Verteidiger des fossilen Zeitalters Empörung entlocken. Aber reicht das? Kann irgendjemand wirklich damit zufrieden sein?

Nein. Angemessen wären angesichts der angespannten Klimalage - der heißestes Sommer aller Zeiten liegt eben erst hinter der Menschheit - ganz andere Maßnahmen. Immer noch verweigert die Ampelkoalition ein drastisches Klimaschutzgesetz, immer noch ist das Essenretten-Gesetz nicht beschlossen, dafür aber hat sich der Preis für das Neun-Euro-Ticket verfünffacht - selbst angesichts der allgemeinen Inflation ein einsamer Rekord. 

Alles nach Recht und Ordnung

Nun führen werden offenbar selbst bei der Letzten Generation "Listen" (Taz) darüber geführt, was Protest gegen die Zerstörung unseres Planeten alles nicht darf. Monatelang schon wurden keine Gasleitungen mehr zugedreht, von Blockaden der Baustellen der LNG-Anlandestationen ist nichts zu hören. Sanft wie bei Fridays for Future früher, als noch "Klimastreiks" während der Schulzeit veranstaltet wurden, soll alles beinahe nach Recht und Ordnung ablaufen. 

In Zeiten des nahenden Untergangs, der nach Aussagen von Millionen Klimawissenschaftlern schon so nahe sind, dass nicht nur das 1,5-, sondern auch das zwei-Grad-Ziel in unerreichbare Ferne rücken, wäre mehr notwendig, viel mehr. Dass die Letzte Generation versucht, allen zu gefallen, ist menschlich verständlich, dient aber nicht dem großen Ziel, zumindest Deutschland bis Anfang 2024 klimaneutral zu machen. 

Harmlos statt hart

Statt hilflos wirkender Symbolaktionen, die am Tag danach schon wieder vergessen sind, weil der klimaverzehrende Pendlerverkehr in die Wohlstandsvorstädte wieder rollt und die städtischen Reinigungsarbeitenden fleißig Steine und Bilderrahmen geschrubbt haben, böten sich gezielte Blockaden von Herstellern fossiler Heizungen, Proteste bei Gaswasserheizungsinstallateuren und das Beschmieren und Verunzieren von relevanten Teilen der Entschuldigungsindustrie an. 

Bildern in Museen angreifen, aber so, dass nichts kaputtgeht, ist keine Heldentat. Einmal im Jahr  "globaler Klimastreik" mit 50 Hansel*innen in Bückeburg und Henkelhofen, das ist wie Weihnachten - eine sehr schöne, sehr vertraute Tradition. Doch um aus dem Mustopf der Gewohnheit zu kommen, die schon in absehbarer Zeit zu einer Akzeptanz des anrollenden Unglücks führen wird, muss sich "die Bewegung mal wieder Mühe geben", wie auch die Verbandszeitung Taz fordert.

Farbe und hohles Geschwätz

Nicht immer nur Talkshow und hohles Geschwätz, nicht immer nur Protest auf Termin. Eine Letzte Generation kann schon ihrem eigenen Selbstverständnis nach nichts kaputt machen, was nicht ohnehin in nächster Zeit kaputtgehen wird. Was also hindert die LG, großen Vorbildern wie den Maschinenstürmern in England, den mutigen Aktivisten der Boston Tea Party  oder den Taliban in Afghanistan nachzueifern, die vor 22 Jahren nicht lange zögerten und die beiden monströsen Buddhaskulpturen von Bamiyan, eine 38, eine gar 55 Meter hoch, in konsequenter Umsetzung des islamischen Bilderverbotes ausradierten.

Was genau weg muss, ist dabei klar: Alle Widerstände gegen die sofortige Umsetzung von umfassenden und europa- wie weltweiten Klimaschutzschritten müssen weichen. Die Bundesregierung, die zuletzt erst wieder angekündigt hat, Klimaschutzproteste als "sinnlose und verwerfliche Aktionen" eines Tages "strafrechtlich konsequent" ahnden werden zu müssen, muss nachgeben und den gesellschaftlichen Rückhalt für den Klimaschutz per Gesetz oder per Verordnung anweisen.

Zu Corona-Zeiten, als die Lage längst nicht so bedrohlich war, ging es doch auch.

Die Delegitimierer: Schlimmer Trend zum Zweifel am Staat

Die Parole vom "Staatsversagen" hat es aus den Schmuddelecken des Intenets zum medialen Modebegriff gebracht.

Sie galt schon als heiliges Tabu, als es sie noch nicht gab. Zuletzt wurde sie dann sogar als rechtswidrige Vorstraftat neu eingeordnet, so dass der Verfassungsschutz bei aufkommendem Verdacht in Aktion treten und mit ersten Beobachtungsmaßnahmen Verdächtiger beginnen kann. Die "verfassungsfeindliche Delegitimierung des Staates" nimmt "losgelöst von jeder sachbezogener Kritik" Kurs auf eine "tatsächlich verfassungsfeindliche Agenda" (BfV), die unzulässige Zweifel an der Handlungsfähigkeit der zuständigen Organe schürt, Ängste vor dem Zusammenbruch der freiheitlich-demokratischen Ordnung verstärkt oder von einer Mehrheit der Bevölkerung anerkannte Symbole des freiheitlichen Verfassungsstaates beschmutzt und besudelt.  

Kein legitimer Protest

Der wehrhafte Verfassungsstaat zeigt Entschlossenheit. Er lässt sich nicht so einfach beiseiteschieben von Menschen, bei denen "aus Skepsis gegenüber dem Verfassungsstaat seine Bekämpfung wird", wie BfV-Chef Thomas Haldenwang formuliert hat. Überall da draußen, wo sich Gruppierungen und Einzelpersonen "unter anderem in einer aggressiven Agitation gegen Repräsentanten und Institutionen des Staates" bedienen, "um dessen Legitimität systematisch zu untergraben", gehen öffentlich geäußerte Meinungen oder Aktionen über das Maß eines legitimen Protest hinaus.

Da wurden nicht nur Bahnanlagen angegriffen, sondern die Corona-Schutzmaßnahmen. Da wurde nicht nur Luft aus den Reifen umweltschädlicher SUVs gelassen, sondern zum Ignorieren gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen aufgerufen. Da wurden nicht einfach Farbattacken gegen Denkmale organisiert, sondern demonstrativ "Spaziergänge" missbraucht, um die Richtigkeit all der voneinander abweichenden Beschlüsse von Bund und allen Bundesländern infragezustellen. Das Zeichen war klar. Dieser Staat wehrt sich gegen seine Feinde. Er wird nicht nachgeben und sich nicht beugen.

Die Mühen der Demokratie

Gezielt wird der Staat madig gemacht.

Obwohl es gelang, die Delegitimierungsbewegung mit dieser Strategie tatsächlich in einem Maße zu marginalisieren, dass selbst die größten zweifelschürenden Organisationen heute kaum mehr ein Zehntel der Menschenmengen zu mobilisieren vermögen, die ihnen auf den Höhepunkt ihrer medial befeuerten Popularität nachgelaufen waren. Heute kommen nur noch wenige, es sind oft nur die Verbitterten, die, die mit den Mühen der Demokratie, einem bürgerlichen Erwerbsleben und dem Traum von Festanstellung, Eigenheim, Auto und eigener Wärmepumpe abgeschlossen haben. 

Gewonnen aber ist nichts. Denn ausgerechnet dort, wo Vater Staat seine verlässlichsten Bataillone  vermutet, wächst in diesen Tagen offenbar die Versuchung, wider den Stachel zu löcken und genau die Narrative zu bedienen, mit denen Reichsbürger, Selbstverwalter, Klimakleber und als in Teilen verfassungsfeindlich enttarnte Parteien ihre Verschwörungserzählungen bestreiten: Es geht dann um vermeintlichen Macht- und Kontrollverlust, um angebliches  "Staatsversagen" und einen "Staat ohne Plan", wie es die ehemals so angesehene Wochenschrift "Die Zeit" nennt. 

Ein Trend zum Misstrauen

Obgleich der Staat heute wie bis in Heizungskeller, Garage, Bett und Kühlschrank regiert, geht der Trend zum Misstrauen. Zahlen des Suchmaschinenkonzerns Google zeigen einen Anstieg von Null auf Hundert allein bei der kontrafaktischen Worthülse "Staatsversagen", auch bei "Politikversagen" und "Politikerversagen" ist der Anstieg enorm: Bei den Grenzkontrollen versage der Staat, bei der Migration insgesamt, beim der europäischen Flüchtlingslösung und beim Zwei-Prozent-Ziel. Geschürt wird zudem immer wieder auch der Verdacht, in der EU gebe es Korruption, dabei sind alle Verdächtigen inzwischen aus der Haft entlassen worden und die der Unterstützung von Katar bezichtigte Griechin Eva Kaili hat ihre normale Arbeit im Parlament ganz im Dienst der Bürgerinnen und Bürger mittlerweile wieder aufgenommen.  

Das Vergnügen daran, sich aus mutwillig zusammengesuchten Halbwahrheiten ein Bild über Land, Zeit und Leute zu machen, lassen sich die eingeschworenen Verfechter einer Politik, die das Wohl des Planeten höher wichtet als das Wohl der auf ihm lebenden Menschen, davon nicht nehmen. Waren es eben noch Rechte, Rechtsextreme, Rechtsradikale, Rechtspopulisten und Rechtsextremisten, die sich sicher daran erkennen ließen, dass der Begriff "Staatsversagen" zu ihrem Grundvokabular gehörte, steigen nun auch Gemeinsinnsender, Verbände, Bundesministerinnen, lokale Zeitungen und linke Blätter, aber auch Illustrierte und ehemalige Nachrichtenmagazine in die durchsichtige Kampagne ein.

Vom Müllhaufen der Geschichte

Längst hat die Süddeutsche Zeitung abschließend nachgewiesen, dass der "Begriff für Untertanen" auf den Müllhaufen der Geschichte gehört, weil jeder, der ihn verwendet, dem "Staat in letzter Konsequenz die Legitimität abspricht" und damit "insgesamt ein fragwürdiges Politikverständnis offenbar". Richtig ist und richtig bleibt, dass ein Staat, der sich darauf verlassen kann, dass niemand ihm in keinem Bereich Versagen vorwirft oder ihn gar als "failed state" (Der Spiegel) bezeichnet, ganz anders durchregieren kann als einer, der mühsam mit besonderen Leistungen um Anerkennung ringen muss. 

Das muss er auch, denn "nach 40 Jahren neoliberaler Deregulierung" (Die Zeit), in denen es gelang, die Zahl der hierzulande geltenden Bundesgesetze auf 1.773 mit 50.738 Paragraphen und 2.795 Bundesrechtsverordnungen mit 42.590 Paragraphen zu erhöhen, während die Zahl der Beamten und Angestellten im Öffentlichen  Dienst allein seit 2018 um fast fünf Prozent zunahm und die große Behördenansiedlungsoffensive ein bunte Vielfalt an neuen Verwaltungsanstalten schuf, ist der "Staat wieder gefragt" (Georg Diez). Aber wegen fehlender Planungen gehindert, durchzuregieren.

Wasser für die Mühlen der Falschen

Eine Kalamität, die nun selbst seine leidenschaftlichsten Verteidiger in Versuchung bringt, in den Chor der Delegitimierer einzufallen. Als wäre es ein Wettrennen, übertrifft man sich in Beschuldigungen, wo überall und wie schlimm der Staat versagt habe: Bei der Bahn und bei der Clankriminalität, bei Wohnungsbau und Bundeswehr, beim Meinungsfreiheitsschutz im Netz, in Berlin und im Geflügelstall. Ein wahres Trommelfeuer der Delegitimierung, bei dem jeder Einschlag Wasser auf die Mühlen der Falschen spült: Die können sich durch seriöse Medien bestätigt sehen in ihrer weit über die vom Verfassungsschutz geduldete "Skepsis" (Haldenwang) hinausgehenden Ansichten.

 

Montag, 18. September 2023

Bitte weitergehen: Es gibt nichts zu sehen

Klare Ansage der Lübecker Polizei: Auch Ereignisse im öffentlichen Raum gehen die Öffentlichkeit nichts an.

Es war eine ernste Ermahnung, mit der die Polizei in Schleswig-Holstein Neugierige und Überaufmerksame vor der weiteren Verbreitung eines Videos von "einer gewaltsamen Auseinandersetzung" (Polizeisprecher) warnte, bei der mindestens ein Mensch verletzt worden war. "Es reicht, wenn die richtigen Stellen die Wahrheit sehen und dazu ermitteln" hieß es, die Filmsequenzen vom Aneinandergeraten "mehrerer Personen in der Sandstraße in Lübeck" gehörten "nicht in die Öffentlichkeit!" Man fordere dazu auf, "das Video von eigenen Geräten umgehend zu löschen und auf keinen Fall weiter zu verbreiten", denn "es könnten dadurch Straftatbestände erfüllt werden".

Das "Urhebergesetz" will es so

Werden, nicht sein. Welche genau, dazu schwieg sich der Polizeisprecher aus, allerdings ermittelte das teilstaatliche Nachrichtenportal, dass unter Umständen "ein Verstoß nach dem Urhebergesetz". Gemeint war damit wohl das Urheberrechtsgesetz, das den Herstellern "von geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst", unter die auch "Filmwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Filmwerke geschaffen werden" fallen, das das Recht einräumt, "zu bestimmen, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist". 

Die Bild-Zeitung hatte das zuvor in sozialen Medien veröffentlichte Video auf ihrer Homepage gezeigt - immerhin mit der Quelle "Privat", nicht wie der "Spiegel", der unter fremde Werke gern "Quelle: Spiegel Online" schreibt. Oder die "Tagesschau", die gern "Youtube" als Urheber angibt. Zu sehen ist, wie mehrere junge Männer einen am Boden liegenden Menschen brutal Zusammentreten, anschließend zeigt der Film Prügeleien zwischen mehreren anderen Männern, deren Attacken auch ein offenbar zufällig anwesender älterer Mann zum Opfer fällt.

Echt, aber falsch

Das Video ist offenkundig echt, die Ereignisse haben sich genau so zugetragen. Auch die Lübecker Polizei-Pressestelle stellt das gar nicht in Abrede. Aus Sicht der Polizei aber ist das kein Grund, die dokumentarische Darstellung der "gewaltsamen Auseinandersetzung, nach der ein Mann ins Krankenhaus musste" (Polizei) zu verbreiten. Hintergründe und Umstände des Tatgeschehens seien "Gegenstand von Ermittlungen" der Kriminalpolizei. "Diese laufen auf Hochtouren" und "vor diesem Hintergrund können aktuell keine weiteren Auskünfte erteilt werden". Bis zum Abschluss des Verfahrens aber, und vermutlich auch darüber hinaus, habe die Öffentlichkeit kein Recht auf bewegte Bilder des Geschehens, die ausschließlich der "Sensationsgier" (Polizei) dienten.

Irgendwo zwischen "Urhebergesetz" und Paragraph 131Strafgesetzbuch, der mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe jedem droht, der einen Inhalt erstellt oder verbreitet, "der grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildert, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt", und Artikel 5 Grundgesetz, der jedem das Recht zubilligt, "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten", hat die Polizei in Lübeck die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film abgeschafft. Und beschlossen, die verfassungsrechtlichen Zusicherung "Eine Zensur findet nicht statt"  durch eine Strafandrohung auszuhebeln.

Nicht notwendige Informationen

Zensur ist das nicht. Aber der Versuch, einzuschüchtern, einzudämmen und letztlich auslöschen, was an Information "nicht notwendig" (Polizei) erscheint. Wenn die richtigen Stellen die Wahrheit sehen, reicht das aus, zumal sich in diesem Fall die "richtigen Stellen" auch noch selbst zu den richtigen Stellen ernennen können, ohne dass ein Widerspruchsverfahren vorgesehen ist. 

Eine bequeme Lösung gegen zu viel störende öffentliche Aufmerksamkeit, die sich zweifellos auch auf andere Fälle anwenden lassen wird, ist sie erst einmal erfolgreich etabliert.