Montag, 15. Februar 2010

Gelogen wird doch überall

"Gesoffen wird doch überall" hatte sich Günter B. als Überschrift ausgedacht. Noch konnte der freie Mitarbeiter von Deutschlands einziger wahrer Nachrichtenagentur dpa nicht wissen, dass genau diese Zustandsbeschreibung des Lebens bei der Bundeswehr eine halbe Woche später vom Wehrbeauftragten offziell bestätigt werden würde. Zu gut gelogen ist nun perfekt geflogen: Weil der zum Zitat gehörende Text zum "Mittenwalder Ekelskandal" um "zweifelhafte Mutproben und Aufnahmerituale bei den Gebirgsjägern" (dpa) überwiegend aus frei erfundenen Zitaten stammte, hat die Nachrichtenagentur ihren bewährten Mitarbeiter vor die Tür gesetzt.

Gleichzeitig zog die Agentur den fantasievoll erstellten Text zurück, der den Bürgermeister von Mittenwald hatte "mit Schaudergeschichten aus der Marine" vom Skandal "ablenken lassen. Alles gar nicht wahr: Nun hat der Bürgermeister nicht an den „Totenkopf“-Skandal von vor vier Jahren erinnert und gesagt „damals ist die ganze Sache so gewaltig aufgebauscht worden. Dran war nicht viel, und rausgekommen ist auch nix“. Auch stimme es nicht, dass er darauf hingewiesen habe, dass es "erniedrigende Mutproben" nicht nur bei der Gebirgstruppe. „Denken Sie doch nur an die „Äquatortaufe“ bei der Marine, bei der junge Männer ihre Köpfe in Eimer mit Essensresten stecken oder an Fäden festgebundene Würste schlucken müssen, die dann aus dem Magen wieder herausgezogen werden.“

Frei erfunden wie auch die "junge Frau, die lieber anonym bleiben will", und ihrem Bürgermeister beipflichtet. „Gesoffen wird doch überall", wusste die schon, noch ehe der Wehrbeauftragte diese Beobachtung für die "Einsatzarmee" (dpa) Bundeswehr bestätigt hatte. Das "Komasaufen", dass der poberste Truppenbetreuer als Phänomen bemerkt, kennt die erfundene Zeugin des dpa-Korrespondenten genau: "Was glauben Sie denn, wie es hier auf dem Land zugeht, wenn einer bei den Trachtlern oder der Blasmusik dazugehören will“, ließ der Borderline-Journalist sie sagen, ehe er mit der "Rentnerin Erika Waxenberger" eine geschockte Gegenstimme einführte: „Mein Mann war auch bei den Gebirgsjägern, damals im Krieg. Er würde sich im Grab umdrehen.“

Danach war es Zeit für Werner Gropp, den der Autor "selbst bei den Gebirgsjägern" gewesen sein ließ, schwer geschraubt vor Verharmlosung zu warnen. „Man muss sich schon fragen, in welchem Milieu solche menschenunwürdigen Entgleisungen gedeihen können", ließ der armee-erfahrene Altgediente jeden Kenner schon ahnen, dass er nur erfunden sein konnte. Doch gleich kehrte die Glaubwürdigkeit zurück: „Jeder, der mit dem Hochgebirgsjägerzug zu tun hatte, wusste von diesen Aufnahmebräuchen.“

Jeder, der den Text von dpa gelesen hatte, konnte anschließend ahnen, dass die "junge Frau, die lieber anonym bleiben will" genausoviel Körperlichkeit hatte wie seinerzeit der BKA-Beamte, der zufällig Augenzeuge der Hinrichtung des RAF-Terroristen Wolfgang Grams in Bad Kleinen gewesen war und danach "aus Seelenpein" "Spiegel"-Journalisten Hans Leyendecker beichtete, was nie geschehen war. Jeder, der rechnen kann, konnte ahnen, dass Erika Waxenberger zum Ende des 2. Weltkrieges gerade 12 gewesen sein kann und Ex-Gebirgsjäger Werner Groop ziemlich viel wusste für jemanden, der gar nichts weiß. Aber gesoffen wird natürlich trotzdem überall. Nur der entsprechende dpa-Text verschwindet allmählich und ohne Aufsehen zu erregen aus Zeitungsarchiven und Google-Cache, als habe es ihn nie gegeben. In Orwells Wahrheitsministerium hätten sie geweint vor Glück.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

http://nachrichten.aol.de/bundeswehrskandal-gesoffen-wird-doch-ueberall/artikel/2010021012045442929142

ppq hat gesagt…

danke. er verschwindet allmählich, die welt etwa hat ihn inzwischen nie gehabt