Montag, 19. April 2010

Vom Pferdestall ins Parlament

Das ist doch mal ein ganz ungewöhnliches Fernsehprojekt! Mit "Endlich wieder Arbeit!" startet RTL heute eine neue Lebenshilfesendung, auf die Millionen Arbeitslose im Land schon sehnlichst warten. Bewerbungstrainer Jürgen Hesse wird in der Reality-Show versuchen, individuelle Schicksale von Arbeitslosen zu wenden, die bisher stets an zu langen Haaren, struppigem Bart, "Bewerbungen, die vor Rechtschreibfehlern nur so strotzen, deplatzierte Outfits zum Bewerbungsgespräch oder völliger Antriebslosigkeit bei der Suche nach dem geeigneten Arbeitsplatz" (RTL) gescheitert waren.

Die erste Folge schon hat es in sich, denn sie zeigt an einem überraschend prominenten Beispiel, wie auch vom Schicksal Benachteiligte beinahe über Nacht einen großen Sprung nach vorn machen und sich einen lukrativen Job sichern können. Um den Nachweis zu führen, haben Bewerbercoach Hesse und RTL bereits vor mehreren Jahren mit der Vorarbeit für das Großprjekt begonnen. Damals entdeckten die Experten des Senders den langzeitarbeitlosen Theo Betzel aus Berlin, der bereit war, sich einer Generalüberholung zu unterziehen, um "Endlich wieder Arbeit" zu finden.

Der gelernte Pferdepfleger, Vater einer Familie mit Sohn Benni (18), der ein Berufsvorbereitungsjahr absolviert, Tochter Cindy (20), die verzweifelt eine Lehrstelle sucht, deren Verlobtem Martin (23), der auch keine Anstellung findet, wurde daraufhin von Jürgen Hesse weitergebildet und von der Kosmetik-Abteilung des Senders bis hin zur professionellen Barttrimmung völlig neu gestylt. Nach einer genauen Analyse der Stärken und Schwächen des Kandidaten ging es direkt in die Praxis: Theo Betzel, der inzwischen Marx, Hegel und Kurt Schumacher gelesen hatte und beim Friseur gewesen war, trat in die SPD ein. Dort machte er, mittlerweile wieder unter seinem Mädchennamen Kurt Beck, binnen weniger Jahre eine erstaunliche Karriere: Dank seiner Fähigkeit, fremde Dialekte schnell flüssig zu sprechen, wurde er sozialpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Rheinland-Pfälzischen Landtag, dann Parlamentarischer Geschäftsführer, schließlich sogar Fraktionsvorsitzender. Nach dem Ausfall von Matthias Platzeck schaffte Beck dann sogar den Sprung an die Spitze der deutschen Sozialdemokratie.

RTL dokumentiert die Rückkehr des Berliners ins Leben in ruhigen, gemessenen Bildern, Jürgen Hesse kommt glaubhaft als bescheidener Helfer rüber, der nur das beste für seine Klienten und das Land im Sinn hat. Dass der stille, anrührende Film über die Wandlung des Theo Betzel zum spätestens seit seinem Sturz durch eine parteiinterne Intrige landesweit bekannten Kurt Beck jetzt erst gesendet wird, zeige, dass man sich Zeit für die Dokumentation gelassen und sich dabei an den berühmten "Kindern von Golzow" orientiert habe, hieß es bei RTL.

Im Nachhinein löst "Endlich wieder Arbeit", ein Titel, der den SPD-Pullover-Revolutionär Ludwig Stiegler zweifellos an die beinahe gleichnamige Nazi-Losung "Arbeit macht frei" erinnern würde, auch das Rätsel um Kurt Becks umstrittene Äußerung in Richtung des Langzeitarbeitslosen Henrico F. Dem Altpunk hatte der Pfälzer aus Berlin im Jahr 2006 geraten, sich zu waschen und zu rasieren, schon "haben Sie in drei Wochen einen Job". Damals als schlimmer Ausfall eines arroganten Politikers missverstanden, zeigt sich heute: Theo Betzel alias Kurt Beck wusste aus eigener Erfahrung, wovon er sprach.

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