Donnerstag, 22. Dezember 2011

Sprich Krisisch: Das Alphabet der Krise

Es ist eine Fähigkeit, die lebensnotwendig ist, um die Welt zu verstehen. Doch sie wird weder in Schulen gelehrt noch in Talkshows vorgeführt, es gibt keine Sendung "Deutschland sucht den Krisenübersetzer" und keine Zeitungskolummne zum Thema "wie ist das alles überhaupt noch zu kapieren". Doch Krisisch, die lingua franca der Endzeit der menschlichen Zivilisation, allein daheim zu lernen, vielleicht mit Hilfe von Internet-Lektionen, ist auch nicht die Lösung. Den Ausweg bietet das Alphabet der Krise, ein Wörterbuch des Unmenschlichen, der Tarnsprache aus der Bundesworthülsenfabrik, das selbstverständlich mit dem Begriff "alternativlos" startet:

Alternativlos
Hieß früher "Kommissarsprinzip", bei Oma noch "Not kennt kein Gebot". Es wird gemacht, was muss, auch wenn man es nicht darf. Siehe auch unter „Notstandsgesetze“.

Banken
Siehe "Spekulanten" und "Märkte". Das Böse schlechthin, also das Gegenteil von siehe "Politiker".

Banklizenz
Lizenz zum Gelddrucken. Erlaubt das Ausgeben von jeweils 88 Euro Kredit auf zwölf Euro Einlage. Die besten Banken schaffen noch mehr: Die Europäische Zentralbank kann auf fünf Euro Einlage Kredite in Höhe von 95 Euro ausgeben! wer Verbriefungen im Besitz hat, kann auch die als erstklassige Sicherheit nehmen.

Credit Default Swaps

Ausfallversicherungen. Siehe "Spekulanten". Teufelszeug.

Garantierahmen
Höchstgrenze der Schuldenübernahme, wird wöchentlich ausgeweitet.

Einlagensicherung
Eine Zusicherung von Angela Merkel, die erklärte "Wir sagen den Bürgern und Bürgerinnen, die Guthaben sind sicher." Sie hat damit natürlich nichts garantiert. Nur gesagt, dass sie im Namen von irgendwem, den sie nur „wir“ nannte, allen sage, „die Guthaben“, von denen sie nicht sagt, wessen das sind, seien „sicher“.

Euro-Rettung

Erste Phase des Umbaus der Union.

EU-Gipfel
Das ist doch die Höhe.

Euro-Skeptiker
Früher auch "Klimaskeptiker". Leute, die nicht glauben wollen, was ihnen gesagt wird.

Europäische Verträge
Siehe unter "alternativlos". 

Europa
Empfindlichster aller Lebensräume auf Erden. Hört mit dem Ende der gemeinsamen Währung auf zu existieren.

Fiskalunion
Bedeutet schlicht, dass von den Steuern, die die Griechen nicht einzutreiben in der Lage sind, jetzt alle Länder der Union profitieren.

Finanzmärkte
Siehe unter „Spekulanten“. Namen sind nicht bekannt, im Zweifelsfall Goldman Sachs, also Ostküste.

Gläubigerbeteiligung
Thema für Pressekonferenzen. Wird so lange diskutiert, bis alle privaten Gläubiger ihre Papiere an staatliche Stellen verkauft haben.

Hebel
Mehr mit weniger retten. Ein Feuerwehrauto ist der Hebel des Feuerwehrmannes, eine Banklizenz der Hebel des Rettungsschirmes. Heißt bei Spekulanten "Verbriefung", ist dann aber Teufelszeug.

Inflation
Gibt es nicht, wird es nie geben. Glauben nur Euro-Skeptiker nicht. Siehe auch dort.

Konjunkturspritze
Auch "Verschrottungsprämie". Wird über neue Staatsschulden finanziert und die Staatsverschuldung konsequent abzubauen.

Kreditklemme
Wenn nach einer Phase mit billigem Geld, das zur freigiebigen Vergabe von Krediten geführt hat, alle vorsichtig werden und niemand mehr niemandem etwas leihen will. Wird mit noch mehr noch billigerem Geld bekämpft, etwa durch Konjunkturspritzen. Siehe auch dort.

Liquiditätsengpass
Siehe "Pleite". Wird von Politikern und in der „Tagesschau“ synonym verwendet, um niemanden zu beunruhigen.

Liquidität
Wenn viel Geld ohne Ziel unterwegs ist und sich Anlagemöglichkeiten in US-Verbriefungen, Swaps und Schiffsfonds sucht. Wichtig!

Merkozy
Kosename für ein Doppelgespann aus Ratlosigkeit und Hyperaktivität in Pressekonferenzen. Vermutlich soll der Begriff Frankreichs Wirtschaft zumindest verbal auf das Niveau des deutschen Nachbarlandes bringen.

Moratorium
Die Übereinkunft, die Lösung eines Problems besser auf morgen oder übermorgen zu verschieben, aber trotzdem darüber zu reden, als sei die Sache damit erledigt.

Notstandsgesetze
Gibt es nicht, wird es nicht geben. Im modernen Europa wird der Notstand ohne spezielle Gesetze verwaltet. Siehe Kommissarsprinzip.

Ostküste
In Zeiten abnehmenden Lichts noch ganz anders genannt. Kann aus naheliegenden Gründen nicht weiter erklärt werden. Insider verstehen aber, was gemeint ist.

Politiker

Müssen die Märkte zähmen, die Spekulanten bekämpfen, die Schulden wie die Zinsen niedrig halten und den permanten Aufschwung über höhere Steuern organisieren.

Private Gläubiger
Im Inland zumeist staatliche Banken wie KfW, Landesbanken oder die halbstaatliche Commerzbank.

Ratingagenturen
Von der - siehe dort - „Ostküste“ aus gesteuert, um den kerngesunden Euro und die höchstvitalen europäischen Staatshaushalte bei Spekulanten und Finanzmärkten in Verruf zu bringen.

Rettungspaket
Ein Bündel aus Pressekonferenzen, in denen Wort wie "Rettungsschirm" und "geschnürt" verwendet werden. Kommt gut in der Tagesschau.

Rettungsschirm
Geld, das man nicht hat, wird zum Fenster rausgeworfen, um in die "Tagesschau" zu kommen

Realwirtschaft
Der Bäcker an der Ecke, der vorlebt, wie es ohne Banken und Kredite geht: Erst backen, dann Brötchen verkaufen, dann die Einnahmen sparen, bis es dazu reicht, einen Laden zu mieten und eine Backstube zu bauen. Oskar Lafontaine liebt es. Christian Wulff kann es nicht abwarten.

Risikoabschirmung
Kunstwort aus der "Tagesschau". Bedeutet nichts. Mehrere Rettungsabschirmungen ergeben einen Rettungsschirm, der kann zu einem Rettungspaket gebündelt und - siehe dort - „verbrieft“ werden. Die besten Rettungsschirme haben eine Banklizenz.

Staatsbanken
In Deutschland alle außer die Deutsche Bank. Nur Oskar Lafontaine weiß das nicht.

Schuldenbremse
Das aktuelle Parlament sieht sich außer Stande, Haushalte ohne zusätzliche neue Schulden aufzustellen und verordnet deshalb der Einfachheit nachfolgenden Parlamenten, Haushalte ohne zusätzliche neue Schulden aufzustellen, um seinen guten Willen zu zeigen.


Schulden

Treibmittel für den Permanent-Aufschwung. Haste was, biste nix, dann greift die - siehe dort - Gläubigerbeteiligung

Steuereinnahmen
Sind seit Ausbruch der Krise auf neue Höchstände gestiegen, reichen aber nach dem Gips-Wasser-Prinzip gerade deshalb nicht aus. Höhere Einnahmen haben immer höhere Ausgaben zur Folge, weshalb die höheren Einnahmen nie für die höheren Ausgaben ausreichen. Benötigt werden deshalb zuallererst höhere Einnahmen.

Staatsgarantie
Mit der Staatsgarantie bürgt der deutsche Steuerzahler für sämtliche Spar- und Sichteinlagen aller deutschen Steuerzahler, aber auch derjenigen, die keine Steuern zahlen. Garantiert wird die Rückzahlung in voller Höhe, nicht aber im vollen Wert.

Spekulanten
Namentlich nie genannte Verantwortliche für alles Böse. Unterm Mikroskop gesehen: Lebensversicherer, Pensionskassen.

Tagesschau
Siehe „Ufa-Wochenschau“. Aktuelle Rückblicke auf die jeweilige Tagesrettung. Schönste Dauerszene: Retter kommen in dunklen Rettungslimousinen vor einer dunklen Rettungsgipfel-Tagungsstätteneinfahrt an.

Transaktionssteuer.
Wie Praxisgebühr, Ökosteuer und Dosenpfand eine Regelung mit Lenkungswirkung. Soll die Einnahmen des Staates erhöhen und die Marktteilnehmer dazu bringen, weniger zu handeln, um weniger Steuern zahlen zu müssen. Klappt immer, siehe Dosenpfand.

Subprime-Krise
Eigentlich auch schon eine Staatsschuldenkrise, weil entstanden durch zuviel zu billiges Geld. Sollte aber damals nicht so heißen, damit niemand was merkt.

Volksabstimmung
Spielt Spekulanten in die Hände und dauert immer zu lange.

Verstaatlichung
Muss kommen. Nur Verstaatlichung verhindert siehe "Spekulation". Vorteil: Staatliche Banken müssen in der Krise nicht verstaatlicht werden, weil sie schon staatlich sind.

Verbriefungen
Gibt es als Mortgage Backed Securities (MBS), Asset-backed Commercial Papers (ABCP), Collateralized Debt Obligation (CDO), Collateralized Loan Obligation (CLO) und Collateralized Bond Obligation (CBO). Zeitweise Hauptanlageinstrument deutscher Landesbanken.

Vertiefte Integration
Berlin wird das neue Brüssel. Brüssel wird das neue Berlin.

Zinsen
Müssen niedrig sein, um die Liquidität zu erhalten.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

EU-Gipfel
Das ist doch die Höhe.

Nein. Jedesmal ein neuer Tiefpunkt.