Montag, 30. April 2018

Meinungsfreiheitsschutz: Zu Besuch in der Hassmeldestelle

Wenn Herrnfried Hegenzecht morgens zur Arbeit kommt, dann ist das Postfach meistens voller Anzeigen, die sie hier beim Bundesblogampelamt (BBAA) im mecklenburgischen Warin ganz harmlos "Tickets" nennen. Ein „Ticket“, das ist ein Arbeitsauftrag: Jemand hat im Internet etwas Auffälliges entdeckt, ist davon verunsichert, fühlt sich in seinen Gefühlen verletzt oder glaubt, andere könnten in ihren Gefühlen verletzt werden - und Herrnfried Hegenzecht, seit inzwischen acht Jahren Chef des BBAA und gemeinsam mit dem früheren Bundesjustizminister Heiko Maas Initiator der Hassmeldestelle bei der Meinungsfreiheitsschutzabteilung des BBAA, der muss sich nun mit der Anfrage auseinandersetzen. 

Die Fragen, mit denen er es zu tun hat, ähneln sich meistens: Ist das eigentlich legal, wenn jemand auf Twitter über Flüchtlinge schreibt? Kann man jemanden belangen, der in einem sozialen Netzwerk ein Bild teilt, auf dem Inder Schachteln mit Hakenkreuz-Aufdruck in die Kamera halten? Und ist ein Posting, in dem Deutschland höhnisch als „Allahs Paradies“ bezeichnet wird, nicht fremdenfeindlich und rassistisch? Wie, fragt sich Hegenzecht dann, bekommen wir das aus dem Netz? Und welche Strafmaßnahmen lassen sich gegen den Urheber einleiten?

Ernste und akute Fälle


Herrnfried Hegenzecht wird es im Tagesverlauf entscheiden. Normalerweise sortiert er zuerst alle Anzeigen aus, bei denen er keine Chance auf Erfolg sieht. Die ernsteren und akuten Fälle, bei denen der studierte Grundschullehrer den Verdacht hat, es könne sich um Hetze, Hass oder Zweifel handeln, wenn auch zuweilen verpackt in eine angebliche "Satire", wird am Nachmittag über eine automatische Schnittstelle zu den Profis der Cybereinheiten des Staatsschutzes weitergeleitet. Intern nennen Hegenzecht und seine Mitarbeiter die Kolleginnen und Kollegen dort die "Mouse-Police", "ein Scherz nach einem alten Jethro-Tull-Song", grinst der höchste deutsche Meinungsfreiheitsschützer.

Für ihn sieht jeder Tag hier im offiziell inzwischen "Demokratiezentrum" genannten Herzkammer der deutschen Meinungsfreiheitsaufsicht so aus: Hass sichten, Hass einordnen, dann dagegen vorgehen. Oder auch nicht; weil zwar der Verdacht besteht, eine Äußerung im Netz könne meinungsfreiheitsfeindlich sein. Deutsche Gesetze aber im Augenblick noch nicht ausreichen, wirksam dagegen vorzugehen.

Herrnfried Hegenzecht, ein kleiner, runder Mann mit von den langen Bürotagen unreiner Haut, arbeitet stehend an einem Pult tief unten in den Kellergewölben des BBAA. Kein Sonnenstrahl reicht hierher, damit die sieben Bildschirme, auf denen eine endlose Parade an Verdachtsfällen an ihm vorbeiparadiert, gut zu erkennen ist. Hegenzecht hat gerötete Auge, hin und wieder muss er sich Feuchtigkeitstropfen geben. Das Licht der Neonröhren fällt ihm in den Rücken und er sagt: „Ich bin keine Ermittlungsbehörde. Meine Arbeit könnte theoretisch jeder an seinem Schreibtisch verrichten. Jedenfalls, sofern er bereit ist, sich in die Thematik einzuarbeiten.“

All der ganze Schund


Doch wer will das schon. All den Schund lesen, die Ausfälle, das Gemecker. Hegenzecht, der vor seiner Arbeit beim BBAA lange arbeitslos war, begann als Freiwilliger, in Kommentarspalten und Foren nach Meinungsgängstern zu suchen. "Ich habe nicht mehr ertragen, was dort gehetzt wurde", erinnert er sich an eine Zeit, als es Facebook noch nicht einmal gab. dann kam die Bundesregierung auf ihn zu und beauftragte ihn, eine Anlaufstelle zu gründen, bei der jeder Hass im Internet melden kann. Der Beginn des BBAA, das heute mehr als 7.000 Mitarbeiter zählt - nicht mitgerechnet die Zeitarbeiter von Arvato, einem früheren Groschenheftverlag, der heute hunderte Volunteers beschäftigt, die Verstöße gegen den Meinungsfreiheitsschutz ahnden.

Wer in Deutschland etwas Vergleichbares sucht, der wird nichts finden. Hate Speech und der Aufruf zu Straftaten, unappetitliche Satire, fragwürdige Bildchen, krude Witze - damit die Betreiber sozialer Medien und die Polizei nur auseinandersetzen, wenn jemand ihnen einen Tipp gibt. Das BBAA dagegen sucht proaktiv nach Meinungsverbrechern und entscheidet dabei in eigenem Auftrag, was legal ist und was illegal. "Was wird warum gelöscht und was strafrechtlich weiterverfolgt?", beschreibt Hegenzecht, "das ist die Frage, die wir uns täglich tausendfach stellen."

Das verändert den Charakter, darüber ist sich der 56-Jährige klar. "Man schaut anders auf die Welt, wenn man tagsüber im Hass badet", gesteht er. Das "Pack", wie sie es hier nach einem entschiedenen Satz des früheren SPD-Politikers Sigmar Gabriel nennen, schläft nicht, es schläft nie. Und wer immer auf Facebook, Twitter oder sonst wo im Internet einen Inhalt findet, den er für bedenklich hält, landet bei der Hassmeldestelle - unter der etwas umständlichen Internetadresse www.hassmeldestelle-bbaa-warin-respect.de. Das System hat den Vorteil, dass der aufmerksame und um die Meinungsfreiheit besorgte Bürger eine eventuelle Anzeige nicht selbst stellen muss. Dadurch ist er geschützt, denn ein Mensch, gegen den eine Anzeige vorliegt, erfährt über seinen Anwalt oft die Anschrift des Anzeigenden und würde, bei der Psychostruktur der meisten Hetzer hält Hegenzecht das für ausgemacht, vermutlich weitere Hassbomben auf den Betreffenden werfen.

Gesetze sind eindeutig


Herrnfried Hegenzecht ist eigentlich Lehrer, auch wenn er in seinem Beruf nie gearbeitet hat. Sein wichtigstes Hilfsmittel ist ein zerlesenes Strafgesetzbuch. „Mit etwas Übung kann man leicht damit umgehen. Die Gesetzestexte sind im Bezug auf viele Fälle relativ eindeutig“, sagt er. Paragraf 86a ist derjenige, auf dessen Basis der BBAA-Chef bis heute tausende Anzeigen gegen die angeblichen Inder formuliert hat, die das Foto mit den Hakenkreuz-Pin-ups ins Netz gestellt haben. "Das Vergehen ist eindeutig, denn das Zeigen von Hakenkreuzen in der Öffentlichkeit ist nun einmal verboten", sagt er. Dass die Urheber sich auf indisches Recht berufen werden, greife nicht. "In Deutschland gilt deutsches Recht."

Schwieirger sind die Fälle aus der Grauzone, mit denen das BBAA immer öfter zu tun hat. "Wenn jemand weiß, was er sagen darf und was er sich lieber verkneifen muss, dann geht ziemlich viel als Meinungsfreiheit durch", klagt Hegenzecht. Strafrechtlich mache es zum Beispiel leider immer noch einen Unterschied, ob jemand andere Menschen mit dem Tod bedroht oder nur schreibt, dass man da mal was machen müsste. "Jeder weiß, was gemeint ist, aber wir können nichts tun." Oft ist das Absicht, ein Versuch, die Arbeit des BBAA zu boykottieren. Eine Strategie, die oft verfängt: „Wenn man merkt, dass Menschen so gerissen argumentieren, dann weiß man als erfahrender Meinungsfreiheitsschützer, dass man da mit Hetzern zu tun hat, die fast schon professionell agieren."

Grenzen der Meinungsfreiheit


Herrnfried Hegenzecht ist sich darüber bewusst, dass seine Arbeit von der Allgemeinheit finanziert wird, die entsprechende Ergebnisse erwartet. Nicht alles aber könne gleich gelingen, argumentiert er, der nicht jeden Tag in sein Büro fährt. Hegenzecht ist auch viel unterwegs, er hält Vorträge, besucht Schulen, belehrt über die Grenzen der Meinungsfreiheit. Oft helfe es schon, wenn Kindern und Jugendlichen klar werde, dass die Polizei einen finden kann, wenn man Zweifelhaftes postet. Dank Netzwerkdurchsetzungsgesetz sei die Arbeit in den vergangenen Monaten schon ein bisschen weniger geworden, sagt Herrnfried Hegenzecht. Fragwürdige Beiträge verschwänden oft schneller, andere würden offenbar gar nicht erst geschrieben. Flächendeckend sei das aber keineswegs der Fall. "Da muss noch was passieren."

Aber das reine Löschen eines Beitrags ist ohnehin nicht das primäre Ziel der Meldestelle, sondern die Strafverfolgung. "Strafe einen, erziehe Tausende", zitiert Hegenzecht einen Grundsatz seiner Arbeit. Wenn etwas zu schnell gelöscht ist, dann kann das sogar kontraproduktiv sein: „Das ist dann manchmal, als hätte es den Verstoß gar nicht gegeben."



4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hegenzecht hat gerötete Augen, hin und wieder muss er sich Feuchtigkeitstropfen geben. Das Licht der Neonröhren fällt ihm in den Rücken und er sagt: „Ich bin keine Ermittlungsbehörde. Meine Arbeit könnte theoretisch jeder an seinem Schreibtisch verrichten. Jedenfalls, sofern er bereit ist, sich in die Thematik einzuarbeiten.“

Das bedeutet wohl, sich an den fauligen Gestank eines Gestapo-Lumpen zu gewöhnen, als Parfüm Gülle nicht zu verabscheuen und als Lebensziel: "der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant" gewählt zu haben.
Aber das liegt den Deutschen in Ost und West schon seit mehr als 100 Jahren im Blut.

Gernot hat gesagt…

www.hassmeldestelle-bbaa-warin-respect.de

Schade, der "link" geht gar nicht auf :- (

ppq hat gesagt…

seit gestern völlig überlastet!

Anonym hat gesagt…

>Aber das liegt den Deutschen in Ost und West schon seit mehr als 100 Jahren im Blut.<

B.Brecht: "Bist du auch sicher des?" (Xanthippe sprach zu Sokrates ...)