Samstag, 21. November 2009

Trauer mit Dscherschinski

Uli Hoeneß würde es das "Spiel der Spiele" genannt haben, Jürgen Klinsmann hätte vielleicht mal wieder vom "Schicksalsspiel" gesprochen. In Halle, wo der einheimische HFC seit zwei Jahren auf einer von altgedienten Fans nie mehr erwarteten Woge von Siegen in Richtung Aufstiegseuphorie getragen worden ist, begnügen sich die Verantwortlichen vorher mit Vokabeln wie "wichtig" und "wegweisend", klar ist aber, dass ein Sieg des derzeitigen Tabellenzweiten gegen Spitzenreiter Babelsberg 03 den Saisonverlauf völlig verändern würde: Halle, im vergangenen Jahr spät und zur eigenen Überraschung aus der Position des Zweitplatzierten ins Aufstiegsrennen gestartet, würde diesmal von der Spitze weg spielen. Und eventuell mehr Glück haben als vorige Saison, als es am Ende im Duell mit Holstein Kiel doch nicht ganz reichte.

Die Mannschaft von Trainer Sven Köhler will, ungeachtet aller Absprachen, die die kosovarische Wettmafia zum Spielausgang getroffen haben mag. Nachdem eine Gedenkminute für den Hannoveraner Torwart Robert Enke schief gegangen ist, weil die legendär temperamentvolle HFC-Fankurve einfach weitergesungen hat, glückt sie im zweiten Versuch zumindest halb. Zwar sitzt die Tribüne wieder. Dafür aber schweigt der Block in der Kurve.

Hier braucht alles mehrere Anläufe, auch der Aufstieg. Doch von der ersten Minute an drücken die Hallenser Babelsberg in die eigene Hälfte. Markus Müller versucht zweimal aus der Distanz zum Torerfolg zu kommen und der im Fanurteil abwechselnd als "Katastrophe" verteufelte und als "Fußballgott" gefeierte Thomas Neubert, von seinen bekennenden Anhängern als Marius Müller-Westernhagen des deutschen Fußballs verehrt, schafft sogar eine Brustannahme mit Körperdrehung und anschließendem Abschluß im Stafraum.

Auch der Ball geht allerdings vorbei. Ein Null zu Null zur Halbzeit droht, das niemand im Stadion will, sofern er Rotweiß trägt. Die fünf Minuten vor der Pause sehen so einen HFC, der Babelsberg bis auf die eigene Torauslinie zurückdrängt. Fünf Ecken hintereinander, die Abwehr schwimmt, 03-Trainer Dietmar Demuth gestikuliert vor seiner Bank. Einen Schuß von Neubert holt sich Babelsberg-Keeper Unger hinter der Linie, jedenfalls glaubt das die Tribüne. Dann ist Halbzeit und doch Nullnull.

Dietmar Demuth, der schon Pauli trainiert hat, versucht es mit Psychotricks. Drei Minuten lässt sein Team die Hallenser warten, ehe es aus der Kabine kommt. Drei Minuten, die am Ende reichen werden. Denn jetzt ist das Spiel ein ganz anderes. Als hätte ihr der Pausenpfiff kurz vorm greifbaren Tor-Orgasmus eine Art koitus interruptus beschert, stehen die HFC-Spieler wie gelähmt herum. Alles, was bis hierher geradezu beeindruckend beiläufig gelang, geht nicht mehr. Schubert verliert Zweikämpfe, Finke passt ins Aus, Neubert verspringen die Bälle nun doch wieder wie gewohnt. Babelsberg tut auch nichts Bedeutsames, wirkt aber schneller, präsenter und kommt jetzt an Bälle, die vorher bei Hallensern landeten.

Zweimal tauchen Frahn und Hebisch vorm halleschen Torwart-Denkmal Darko Horvath auf und verziehen von links knapp am rechten Pfosten vorbei. Auf der anderen Seite könnte Pavel David wieder mal alles klar machen. Aus zehn Metern aber schießt er entschlossen genau dorthin, wo Unger gerade hinfällt.

Wenn hier nichts Komisches mehr passiert, das ahnen die 3400 Zuschauer, dann passiert hier nichts mehr. Die hallesche Kurve, letztes Jahr noch mit zwei Siegen gegen Babelsberg verwöhnt, wird immer leiser. Dann geht sie dazu über, Umfrageergebnisse per Plakat zu veröffentlichen, von denen unklar ist, wer da wen befragt hat. "Halle ist gegen das Produkt Rasenball Leipzig" wurde offenbar ermittelt. "Mich hat niemand gefragt", knurrt ein Tribünenbesucher. In der Babelsberger Ecke unter der Anzeigetafel kontern 150 Mitgereiste mit russischsprachigen Ostalgie-Transparenten und ikonographischen Bildern von unbekannten Männern, die von älteren Zuschauern auf der Tribüne je nach Sozialisation als Karl Liebknecht, Ludwig Ehrhard oder Stalins Stasi-Chef Feliks Dscherschinski erkannt werden.

Unten nehmen nun die Trainer das Heft in die Hand. Dietmar Demuth wechselt
für seinen Torschützenkönig Frahn Kutschke ein. Auch Sven Köhler, der eigentlich wissen muss, dass Babelsberg seine Spiele zumeist in der Nachspielzeit gewinnt, ist mit dem Remis, das sich jetzt beide Mannschaften verdient hätten, nicht zufrieden. Mit Görke kommt ein neuer Mann fürs Mittelfeld, mit Lindenhahn und Aydemir folgen auch noch zwei neue Außen.

Das endlich, unterstützt von einer der üblichen Wurfaktionen der halleschen Fankurve, vermag aus dem bis hierhin sicheren Unentschieden doch noch eine der seltenen halleschen Heimniederlagen zu zaubern. Die erste seit dem letzten Spiel der letzten Saison, in dem es, im Unterschied zu heute, um nichts mehr ging.

Selim Aydemir, ein junger, flinker und technisch eleganter Mann, ist noch kaum zehn Sekunden auf dem Platz, als er zum ersten Mal den Ball verliert. Jan Benes muss retten - und sieht dafür die gelbe Karte. Eine Minute später erneut Aydemir, erneut mit einem Pass, der vor allem elegant aussehen soll. Und wieder schief geht. Babelsberg stürmt, kurz vorm Strafraum muss der bis dahin souveräne Abwehrchef Adli Lachheb den ballführenden Babelsberger umreißen. Freistoß. Aus der Fankurve fliegen Papierrollen, der Linienrichter verlässt seinen Platz, das Spiel wackelt wiedermal, die Abwehr der Hallenser wankt durch eine zweiminütige Unterbrechung, die pure Angst spielt nun mit.

Dann kommt es, wie es kommen muss. Der Freistoß segelt lang in den Strafraum, Kopfballverlängerung - und am langen Pfosten steht der eingewechselte Kutschke einsam und allein, und drückt das Leder aus anderthalb Metern unter die Latte. Das wars. Babelsberg jubelt wie über die gewonnene Meisterschaft, Halles Spieler schleichen mit hängenden Köpfen in die Kurve. Gewinnen Magdeburg und Wolfsburg morgen, ist Halle, letzte Woche noch einen Wimpernschlag lang Erster, plötzlich nur noch Fünfter. Dann könnte die Elf endlich mal wieder "befreit aufspielen" (Waldefried Forkefeld). Vielleicht auch mal 90 Minuten lang, nicht nur 45. Wäre auch schön.

16 Kommentare:

Sündenbock hat gesagt…

An sich kein schlechter Artikel.
Anstatt jedoch dämliche Gerüchte von wegen Stalins Geheimdienstchef in die Welt zu setzen, hätte man durch eine kurze Rekapitulation unseres Stadionnnamens deutlich mehr Licht ins Dunkle bringen können.
Die russische Botschaft heißt übersetzt folgendes: "Lasst uns für eine bessere Welt kämpfen - lasst uns den Faschismus bekämpfen". Jaja, ich weiß, in Wahrheit sind wir natürlich Linksfaschisten und Politik gehört nicht ins Stadion.

Sockenpuppe hat gesagt…

mein gott wir wollten heute gewinnen, haben uns umfangreich auf das spitzenspiel vorbereitet, aber den namen des babelsberger heimatstadions nicht ganz auf dem schirm gehabt, liebknecht war doch in der auswahl, wie alt war eigentlich wabbel als karl und rosa gemeuchelt wurden
ansonsten kann ich älterer zuschauer eben nich mehr so ganz gut gucken habe erst auf dem großen foto gesehen, daß bei euch auch linksfaschistische sombreroträger rumturnten. lustig
und dieses kleine magazin hier ist aus passion dämlich

Sündenbock hat gesagt…

Jep, Sombreros sind in linksfaschistischen Kreisen quasi das Pendant zu Thor Steinar auf rechter Seite.
Achja: Kurti war damals siebzehn.

ppq hat gesagt…

trug nicht der trotzkimörder aus prinzip einen sombrero zum eispickel? es ist ja nicht so, dass ich kein russisch hatte, damals. aber so klein geschrieben? nee, da fällt mir nur ein, dass ichs vergessen habe. sonst muss ich nur wieder zum optiker und eine neue brille bezahln.

VolkerStramm hat gesagt…

Wahnsinn.
Nicht nur für eine bessere Welt kämpft Ihr, sondern auch gegen Faschismus.
Gleich zwei hehre Ziele, Sündenbock, Ihr seid ja richtige Multitalente.
Die Gegenstimme hat neulich mal wieder auf einen Aspekt der besseren antifaschistsichen Welt hingewiesen: http://www.winkelried.info/2009/11/19/schon-mal-was-von-holodomor-gehoert/
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Wie meinen, das meint Ihr gar nich sooo ernst? Das ist eben einfach Jugendkultur?
Klar, verstehe. Da sind wir tolerant.
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Nur komisch, wenn ein paar Kinder mal (man weiß ja wie man die Lehrer ärgert) ganz unernstgemeint ein Kreuz mit Haken an die Schultür malen, dann bringt der Lokalsender 24 Stunden lang im 30 Minutentakt die Schreckensmeldung, der Staatsschutz ermittelt, die Heimatzeitung informiert am nächsten Tag ausführlich und der Kommentator vom Dienst lässt das übliche „Nie wieder Auschwitz“-Gesülze ab.
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Ich weiß wovon ich spreche. Mein kleinster Stinkstiefel hat sich in der Schule mal erlaubt, seinem Nachbarn auf das Löschblatt das Schreckenszeichen zu malen. Es hat mich einiges an Überredungsaufwand gekostet um mit dem Lehrer einen Kompromiss auszuhandeln (keinen Eintrags ins Vorstrafenregister, dafür Strafarbeit).
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Und wie sich die Staatsmacht gegen noch schlimmere Verbrecher wehrt, kannst Du im PPQ-Archiv nachlesen
www.politplatschquatsch.com/2007/04/malen-nach-zahlen.html
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Dynamo Dresden hat heute das gemacht was die immer machen.

Anonym hat gesagt…

wahnsinnig coole botschaft. so cool, dass man sie auch mal komplett versemmeln kann, indem man buchstaben auslässt bzw. im russischen nicht-existente wortformen verwendet. hut ab babelsberg!

Anonym hat gesagt…

Wenn ich mir die letzten Wahlergebnisse anschaue, hat Potsdam genau wei Halle einen Anteil rechter Wähler von 2 %. Wäre es da nicht angebracht zuerst vor der eigenen Haustür zu kehren?

ppq hat gesagt…

"haltet den dieb" zu rufen ist immer noch die sicherste möglichkeit, mit dem eigenen raub davonzukommen

Anonym hat gesagt…

Zumindest gabs bei den Gästen keine Nazihools und antisemitische Ultrakinder, die ihre fetten Laiber in Jogginghose und national sozialistischem Thor Steinar Dress auf den Zaun wuchten und von HFC Unterfans mehr Lebensraum für ihre eigenen Zaunfahnen in Frakturschrift einfordern... Ich hätte schon Lust mal vor der eigenen Tür zu kehren!

Tuttinho Bull hat gesagt…

Oh man, das wird ne geile Regionalliga Nord nächste Saison. Halle,Chemnitz,Magdeburg,Dynamo vielleicht noch Carl Zeiss. Als Ultra des Vereins in dem Geld Tore schießt fließen schon jetzt Vorfreundentränen. Wenn du willst statte ich dir - zum Gastspiel der Nochrandleipziger im Wabbelloch - einen Besuch ab. Da erklär ich dir dann 90 Minuten (+ Nachspiel und Unterbrechungszeit) wie Scheiße ich den Himmel über Halle finde.

Sündenbock hat gesagt…

@Anonym: Das Spruchband war doch nicht in erster Linie ein Angriff auf die Hallenser. Warum interpretierst du das so?
Mann, Mann, Mann.

ppq hat gesagt…

@tuttinho: was sind denn "Vorfreundentränen"? die, die du und die kurvenkumpels vergießen, weil leipzig von seiner stadtverwaltung nicht solche schönen himmel wie halle geschenkt bekommt?

Anonym hat gesagt…

Nur Halle hat den Himmelverzauberer Oberstleutnant Sandro Wolf vom JBG 37...

VolkerStramm hat gesagt…

Der Einstieg ist ja ganz gut:

"fetten Laiber in Jogginghose und national sozialistischem Thor Steinar Dress auf den Zaun wuchten und von HFC Unterfans mehr Lebensraum für ihre eigenen Zaunfahnen in Frakturschrift einfordern"
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Aber schwächelt der Anonymus.
Warum eigentlich?
Selbst die dümmste linke Dumpfbacke müsste es doch hinkriegen, den Text aufzupeppen mit:
- Nazihorden
- rechte Gewalt und
- Couragierte Antifaschisten
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Beim letzten Maipogrom in Berlin wurden 470 Polizisten verletzt.
Wer waren die Täter?
Ziemlich schwierig, klar.
Machen wir es einfach, 1 aus 2:
a) die gewalttätigen Rechten
oder
b) die friedlichen Sozialisten?

Anonym hat gesagt…

Verfolgungsangst, Strammer Volker?
Kann man bitte Rassisten, Crime Boys und NPD Blue Caps im eigenen Stadion vielleicht auch ätzend finden ohne in die linksradikale Ecke gestellt zu werden? Erspar mir bitte das Schwarzbuch des Kommunismus und sonstige Reflexe. Mir sind ein paar verpeilte Anarchospinner lieber als Hohlbirnen, die sich im Stadion aufführen wie der große Zampano und Menschen allein schon aufgrund ihrer Herkunft/ Hautfarbe hassen.

ppq hat gesagt…

Menschen allein schon aufgrund ihrer Herkunft/ Hautfarbe zu hassen ist natürlich verachtenswert. ich ag nur leute, die menschen aufgrund ihrer intelligenz, ihrer schönen frauen und ihres geldes hassen. das ist irgendwie zivilisierter