Dienstag, 1. November 2011

Bin-Laden-Autobiografie: Mein Kampf als Kind

Als er im Mai während einer Nacht- und Nebelaktion eines US-Killerkommandos aus seinem selbstgewählten Exil in einer pakistanischen Mittelstandsiedlung gerissen wurde, glaubte die Welt, Osama Bin Laden habe seine letzte Schlagzeile gemacht. Binnen weniger Wochen wurde der bekannte Terrorfürst damals zur Unperson, über die kaum noch gesprochen wurde. Nun aber taucht der Mann, der vor allem Deutschland über zehn Jahre in seinem Schreckensgriff hielt, unverhofft wieder auf: Mit einer Autobiografie, die Bin Laden "für seine Kinder" geschrieben hat, wie es in einer letzten Tonbandbotschaft heißt, die eine islamistische Webseite nach Berichten eines arabischen Fernsehsenders veröffentlicht haben soll. Es war ein Wettlauf mit der Zeit, in dem das fulminante 1000-Seiten-Werk "Ich Bin" entstand. Das Buch erscheint in Deutschland am 31. November pünktlich zum Beginn des Weihnachtsgeschäftes bei M. A. Kulatur. PPQ veröffentlicht in den kommenden Wochen exklusiv mehrere Kapitel in Auszügen, darunter auch das gereimte „Vermächtnis“ des Terrorfürsten. Heute startet der Vorabdruck mit Bin Ladens Erinnerungen an seine Kindheit und seinem Entschluss, in die Politik zu gehen.

Viele Brüder haben mich immer wieder gefragt, Scheich, wie bis du so geworden? So bewundernswert, so uneitel, so gebildet, so sympathisch? Nun heute, wo ich am Ende meines langen und gottgefälligen Weges angekommen bin, kann ich wohl sagen, dass meine Mission mir in meiner Kindheit mitgegeben wurde. Ich weiß noch genau, wie ich damals auf den Baustellen Saudi-Arabiens, auf denen mein Vater große Bauaufträge ausführte, am Rande der breiten Betonstraßen stand und mir Gedanken über die Ungerechtigkeit der Welt machte. Warum musste manche von den Männern arbeiten, andere aber konnten Tee trinken, in weißen Djaballas, unter schützenden Sonnendächern? Mir fiel damals noch keine Antwort ein. Aber als die Familie in meinem sechsten Lebensmonat nach Hedschas zog, besuchten wir immer wieder auch Mekka, Medina und Dschidda. Dort spürte ich schon als Junge, dass mir ein besonderes Schicksal vorbestimmt war: Mein Vater, den ich verehrte, der mich aber nur selten überhaupt zur Kenntnis zu nehmen schien, war häufig auf Geschäftsreisen, taugte also gar nicht als Identifikationsfigur. Deshalb orientierte ich mich früh an Kinohelden: James Bond, Sancho Pansa, Zorro, das waren die Gestalten, die mich inspirierten.

Eines Tages erfuhr ich dennoch Unbill. Mein Vater verstieß meine Mutter Alia und schob sie ab zu seinem Angestellten Muhammad al-Attas. Ich glaube heute, dass dies mich stärker gemacht hat. Glaubte aber damals wie jeder Junge in einer solchen Situation, die Welt geht unter. Wir zogen um, plötzlich musste ich mich um die Erziehung von vier jüngeren Halbgeschwistern kümmern. Meinen Stiefvater mochte ich nicht, er schien dieselben Gefühle für mich zu hegen. Ich flüchtete mich immer öfter in Bücher, baute mir eine Traumwelt aus Märchenfiguren und vermied den Kontakt zu Gleichaltrigen, so gut ich es konnte.

Mein Jugendfreund Chaled Batarfi nannte mich öfter zu ruhig, zu scheu und mädchenhaft, doch ich konnte nicht aus meiner Haut. So sehr mich andere auch hänselten, und sie hänselten mich oft, ich blieb friedlich, griff nie zu Gewalt, obwohl ich inzwischen so groß gewachsen war, dass ich jeden hätte niederschlagen können. Aber Jähzorn spürte ich keinen, eher Bedauern über die Dummheit der Menschen.

Mein gutes Wesen wurde mir nicht vergolten. Dem Verrat durch meinen Vater folgte ein zweiter Verrat durch meinen Stiefvater. Ich saß gerade beim Porridge, das mir meine Mutter gemacht hatte, und ließ den Tag mit einem Buch ausklingen, da klingelte ein Nachbar an unserem Hoftor. Er brachte grausame Kunde: Mein Vater war bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, als die kleine Dienstmaschine in einer Nebelbank Öl verloren hatte. Wir trugen Trauer, so klein wir waren. Monatelang konnte ich weder Buch noch Porridge sehen, alles erinnerte mich an den Mann, der mich nie hatte haben wollten, den ich nun aber auch nie mehr würde haben können.

Der König, der damals Faisal hieß, nahm sich unserer an. Meine Mutter konnte das Familienvermögen naturgemäß nicht verwalten, sie war eine Frau. Also bestimmte der Monarch Treuhänder, die auch für die meine standesgemäße Ausbildung sorgten.

Mein Jahr 68 war keines der Revolte, der Meckerei und Auflehnung. Ich war jetzt Schüler der al-Thagr-Schule im Zentrum Dschiddas, trug eine recht schmucke Schuluniform und wurde von westliche Lehrern in Naturwissenschaften unterwiesen. Die Dinge interessierten mich, aber sie interessierten mich nicht richtig. Ich war erst elf Jahre alt, aber schon brannte mir die soziale Frage auf den Nägeln. Andere spielten Fußball und Kricket, ich aber beschloss, Politiker zu werden.

Wer sonst, dachte ich, könne die Welt aus ihren rostigen Angeln heben? Tagsüber war nicht mehr als ein durchschnittlicher Schüler, nachts aber brannte ich vor Ehrgeiz, unsere Erde zu einem besseren ort zu machen. Der Ausbruch des Fußballkrieges zwischen Honduras und El Salvador schockte mich umso mehr, auch Willy Brandts Sieg bei der Bundestagswahl und Thor Heyerdahl Fahrt mit dem Papyrusboot Ra. Niemals waren Menschen wie ich dabei, wenn so etwas geleistet wurde, immer waren es Westler, Besatzer, Abendländler, so dachte ich, wenn wir in den Ferien beim Bergsteigen in der Türkei oder auf Safari in Kenia waren.

Weltlicher Prunk bedeutete mir nicht. Natürlich, ich besaß mehrere Limousinen für mein Fortkommen und etliche Pferde, auf den ich ritt und reiten ließ. Meine Mutter nannte mich ihren Wildfang und sie hatte stets Angst um mich, wenn auf meine risikoreiche Art durch die Wüste hinterm Haus ritt. Soviel Liebe tat mir gut, ich war ein häuslicher Junge, der abends am liebsten im Kreis seiner Familie Fernsehen schaute. Was haben wir gelacht, wenn "Mit Schirm, Charme und Melone" lief oder gar "Pan Tau"! Das Kichern der Schwestern, die verdrehten Augen der Brüder, ich habe es heute noch im Ohr.

Wir waren noch Kinder, doch das Leben forderte schon harte Entscheidungen von uns. Obwohl ich unterdessen den Traum entwickelt hatte, ein Menschheitslehrer wie der von mir verehrte Gandhi zu werden, wollte ich meine Schulausbildung vor der Zeit abbrechen. Die Emire und Scheichs hatten durch die beständig wachsenen Öleinnahmen so viel Geld auf der hohen Kante, dass sie einen Modernisierungsschub für den gesamten Nahen Osten finanzieren konnten. ich sah darin große Chancen für unser Familienunternehmen, das mehrere große Bauaufträge angeboten bekommen hatte. Ich, der literaturbegeisterte Träumer, wollte dafür sorgen, dass uns das Ausmaß der neuen Aufgaben nicht niederwarf. Ich ging zu meiner Mutter, ein 14-Jähriger mit großen Illusionen. Doch sie, die das Leben kannte, widersprach mir entschieden. So lange Du deine Füße unter meinen Tisch steckst, sagte sie, wirst du tun, was man Dir sagt. Nach den großen Ferien, die ich für Ausritte und eine Jeeptour zum Wadi Waska nutzte, trat ich pünktlich wieder zum Unterricht an.

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